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BERICHT/066: Gamma-Astronomie - 100 Jahre kosmische Strahlung (Sterne und Weltraum)


Sterne und Weltraum 10/12 - Oktober 2012
Zeitschrift für Astronomie

Gamma-Astronomie

100 Jahre kosmische Strahlung

Von Bernold Feuerstein und Konrad Bernlöhr



Am 7. August 1912 fand der österreichische Physiker Victor Hess bei Ballonfahrten heraus, dass die Ionisierung der Atmosphäre in größeren Höhen deutlich zunimmt. Damit läutete er den Beginn der Astroteilchenphysik und der Gammaastronomie ein. Heutzutage sind die Wissenschaftler mit modernen Teleskopen wie etwa H.E.S.S. dem Ursprung der hochenergetischen Strahlung aus dem All auf der Spur.


IN KÜRZE

• Die hochenergetische Strahlung, die Victor F. Hess bei seinen Messungen vom Ballon aus entdeckte, stammt aus den Tiefen des Kosmos.
• Sie besteht sowohl aus geladenen Teilchen als auch aus Gammastrahlung.
• Als Quelle der kosmischen Strahlung kommen Objekte wie Supernova-Überreste, Neutronensterne oder Kerne aktiver Galaxien in Frage.


Ob Victor Franz Hess vor 100 Jahren wohl ahnte, welch neues Fenster zum All er mit seiner Entdeckung der kosmischen Strahlung da aufstieß? - Doch wie jeder bahnbrechenden Erkenntnis gingen auch dieser wichtige wissenschaftliche Fortschritte voraus. So stammt etwa die wohl früheste Beschreibung einer der Wirkungen der kosmischen Strahlung von keinem Geringeren als Charles Augustin de Coulomb: Bei seinen Experimenten zu den Kräften zwischen elektrisch geladenen Körpern im Jahr 1785 fand er heraus, dass sich die verwendeten Metallkugeln auch bei bestmöglicher Isolierung an Luft langsam entluden. Freilich dachte er dabei nicht an einen kosmischen Ursprung dieses Effekts. Auch warteten Ionen wie Elektronen, die, wie wir heute wissen, in der Luft zur Entladung beitragen, noch auf ihre Entdeckung.

Den Effekt der Entladung an Luft konnte der britische Experimentalphysiker Michael Faraday 1835 bei Experimenten mit verbesserter Isolation bestätigen. Und im Jahr 1879 schloss dessen Landsmann William Crookes, seinerseits Chemiker und Physiker, aus Untersuchungen zur elektrischen Isolation im Hochvakuum, dass die ionisierte Luft selbst das Agens für die Entladung sei. Er fand, dass sich die Entladung eines Elektroskops mit abnehmendem Druck verlangsamt und schließlich bei einem Millionstel des atmosphärischen Drucks vernachlässigbar wird.

Schließlich wurden Ende des 19. Jahrhunderts eine ganze Reihe großer Entdeckungen gemacht, welche zum Verständnis der Ionisation von Luft beitrugen. So entdeckte etwa Wilhelm Conrad Röntgen 1895 die »X-Strahlung«, im darauf folgenden Jahr Antoine Henri Becquerel die Radioaktivität und 1897 Joseph John Thomson das Elektron. Im Jahr 1898 gelang Marie und Pierre Curie die Entdeckung neuer radioaktiver Elemente, und im Jahr 1900 schließlich fand Paul Ulrich Villard die von Ernest Rutherford später als Gammastrahlung bezeichnete, neutrale und am tiefsten durchdringende dritte Komponente radioaktiver Strahlung. Die elektromagnetische Natur dieser Strahlung wurde allerdings erst 1914 durch Ernest Rutherford und seinen Kollegen Edward Andrade anhand von Beugung an Kristallen identifiziert.

So setzte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Überzeugung durch, dass der Ursprung der Luftleitfähigkeit in der Radioaktivität aus der Erdkruste zu suchen sei. Folglich müsste die Ionisierung der Luft mit zunehmendem Abstand vom Erdboden auf Grund der Absorption der Strahlung abnehmen. Auch zeigten etwa Messungen über der Oberfläche tiefer und ausgedehnter Gewässer eine Abnahme der Entladungsrate. Jedoch fiel diese deutlich schwächer als erwartet aus.


Unbekannter »Ionisator«

Dasselbe Bild ergab sich bei ersten höhenabhängigen Messungen: Der Jesuit Theodor Wulf setzte 1910 auf dem Eiffelturm einen von ihm konstruierten, verbesserten Apparat ein, eine Kombination aus Ionisationskammer und Zweifadenelektrometer. Aus den Ergebnissen schloss er: »Die bisher gemachten Versuche verlangen daher außer der Erdrinde noch eine andere Quelle für die Gammastrahlung in den höheren Luftschichten oder eine wesentlich schwächere Absorption durch die Luft, als bisher angenommen.« Parallel dazu unternahm der Schweizer Physiker Albert Gockel zwischen 1909 und 1911 die ersten Ballonaufstiege.

Ein weiteres Schlüsselexperiment, das später leider nur noch wenig Beachtung fand, gelang Domenico Pacini im Sommer 1911. Bei einer Messung in drei Meter Wassertiefe fand er eine signifikante Abschwächung der Strahlung um 20 Prozent, die nur auf eine Absorption in den darüberliegenden Wasserschichten zurückgeführt werden konnte. Damit war ein weiteres starkes Indiz für den nicht-terrestrischen Ursprung der Strahlung gewonnen.

Das Problem der zu geringen Abnahme der Ionisation mit der Höhe fand zu dieser Zeit die Aufmerksamkeit von Victor Franz Hess, erster Assistent am neuen Wiener Institut für Radiumforschung. Wie er auf der 83. Naturforscherversammlung in Karlsruhe erläuterte, blieben noch zwei Möglichkeiten, um den unerwarteten Befund zu erklären: Entweder sei ein »noch unbekannter Ionisator in der Atmosphäre wirksam« oder es könne »die Absorption von Gammastrahlen in Luft vielleicht viel langsamer erfolgen als bisher angenommen wurde«. Um Letzteres näher zu untersuchen, vermaß er zunächst den Absorptionskoeffizienten für Radium-Gammastrahlung in Luft. Seine Ergebnisse bestätigten die bisherigen Resultate. 500 Meter über dem Grund sollten demnach Gammastrahlen aus der Erdkruste weit gehend absorbiert sein.

Nachdem also eine schwächere Absorption von terrestrischer Gammastrahlung als Grund für die beobachtete Ionisierung in der Atmosphäre praktisch ausgeschlossen werden konnte, unternahm Victor Hess 1912 zielgerichtet sieben Ballonfahrten, um die Aufladung der Luft in Abhängigkeit von der atmosphärischen Höhe zu untersuchen. Die abschließende Hochfahrt am 7. August 1912 sollte den Durchbruch bringen (siehe Bild S. 47 und alle folgenden Abbildungen in der Druckausgabe). Zur besseren Kontrolle von systematischen Fehlern nahm Hess auf dieser Mission drei Wulfsche Strahlungsapparate mit.

Auf der sechsstündigen Fahrt der dreiköpfigen Besatzung von Aussig in Böhmen nach Pieskow in Brandenburg erreichten die Wissenschaftler eine Höhe von 5350 Metern. Trotz Sauerstoffinhalation misslang Hess schließlich die Ablesung des dritten Elektrometers, und er gab das Signal zum Abstieg. Doch die Strapazen hatten sich gelohnt - war beim Aufstieg bis in etwa 1000 Meter Höhe über dem Erdboden eine leichte Abnahme der Ionisierung, die sich auf die Absorption von Strahlung terrestrischen Ursprungs zurückführen ließ, zu bemerken, so war bis 2000 Meter der Bodenwert wieder erreicht, um dann in 4000 Metern um die Hälfte und in 5000 Meter Höhe schließlich auf das Doppelte anzusteigen (siehe Grafik). Hess schloss daraus folgerichtig: »Die Ergebnisse der vorliegenden Beobachtungen scheinen am ehesten durch die Annahme erklärt werden zu können, dass eine Strahlung von sehr hoher Durchdringungskraft von oben her in unsere Atmosphäre eindringt und auch noch in deren untersten Schichten einen Teil der in geschlossenen Gefäßen beobachteten Ionisation hervorruft. [...] Da ich im Ballon weder bei Nacht noch bei einer Sonnenfinsternis eine Verringerung der Strahlung fand, so kann man wohl kaum die Sonne als Ursache dieser hypothetischen Strahlung ansehen, wenigstens solange man nur an eine direkte Gammastrahlung mit geradliniger Fortpflanzung denkt.«

Die Ergebnisse dieser Pionierfahrt konnte der Physiker Werner Kolhörster 1913 und 1914 bei weiteren Ballonfahrten mit verbesserten Wulf-Elektrometern eindrucksvoll bestätigen: Auf 9300 Meter Höhe stellte er eine gegenüber dem Bodenwert sechsfach erhöhte Ionisation fest (siehe Grafik oben). Auch gelang es ihm, die Absorptionslänge der neuen Strahlung zu 1300 Meter abzuschätzen - etwa eine Größenordnung über den bekannten Werten von radioaktiven Gammaquellen. Damit erwies sich die von Kolhörster als solche bezeichnete Höhenstrahlung als äußerst durchdringend und zudem praktisch konstant ohne größere Variationen gegenüber Tagesgang oder Wetterverhältnissen.

Nach anfänglichen Zweifeln an der Existenz dieser Strahlung etablierte Robert Andrews Millikan die bis heute übliche Bezeichnung »kosmische Strahlung«, während Hess den Namen »Ultra-Gammastrahlung« bevorzugte. Letzteres entsprach auch mehr der bis dahin allgemeinen Überzeugung, es handele sich um äußerst durchdringende Gammastrahlung.


Gammastrahlen oder Partikel

Der holländische Naturforscher Jacob Clay beobachtete aber auf Fahrten zwischen Java und den Niederlanden anhand einer mitgeführten Ionisationskammer einen neuen Effekt, nämlich eine signifikante Änderung der Höhenstrahlung mit der geografischen Breite. Führt man dies auf einen Einfluss des Erdmagnetfelds zurück, so muss zumindest ein gewisser Anteil der Strahlung aus geladenen Teilchen bestehen, die praktisch isotrop aus allen Richtungen auf die Erde treffen.

In den darauf folgenden Jahren ging Kolhörster zusammen mit Walther Bothe dem »Wesen der Höhenstrahlung« (Titel ihrer Publikation 1929) mit einer neuartigen Messmethode nach: Das inzwischen von Hans Geiger und Walther Müller erfundene Zählrohr, das den Nachweis einzelner Ionisationsereignisse erlaubte, wurde durch die von Bothe eingeführte Technik der Koinzidenzmessung ergänzt.

Von der Gammastrahlung war bekannt, dass sie beim Durchgang durch Materie relativ energiearme, geladene Sekundärteilchen (Korpuskeln) erzeugt, die sich in Zählrohren nachweisen lassen. In zwei übereinander angeordneten Zählrohren sollten demnach Sekundärteilchen, die bei ein und demselben Ereignis erzeugt wurden, unmittelbar nacheinander beobachtbar sein. Bothe und Kolhörster brachten nun absorbierendes Material zwischen die beiden Zählrohre, um zu überprüfen, ob die Teilchen tatsächlich so niederenergetisch waren wie vermutet. Denn dann sollten sie in dem Material abgefangen werden und in dem zweiten unteren Zählrohr nicht mehr messbar sein. Entgegen ihrer Erwartung fanden die beiden Forscher aber praktisch keine Abnahme der Koinzidenzen, woraus sie auf die korpuskulare Natur der Höhenstrahlung schlossen.

In der Schlussbemerkung ihrer Arbeit gehen Bothe und Kolhörster auf den möglichen Ursprung der kosmischen Strahlung ein: »Solange man nämlich an dem Gamma-Charakter der Höhenstrahlung festhielt, musste man fast zwangsläufig an Entstehungsprozesse von atomaren Ausmaßen denken. Eine Korpuskularstrahlung könnte dagegen ihre Energie in sehr schwachen, dafür aber ungeheuer ausgedehnten Kraftfeldern erlangen, rechnet doch beispielsweise die Entfernung der 'nichtgalaktischen Nebel' nach heutigen Vorstellungen nach Millionen von Lichtjahren.« Zwar wurde hier aus heutiger Sicht die Größenordnung der relevanten Längen überschätzt, aber dennoch ging der Gedanke in Richtung kosmischer Teilchenbeschleuniger. Dagegen mussten atomare Prozesse, bei denen solch hohe Energien freigesetzt würden, damals erst recht als äußerst exotisch angesehen werden.


Grundlage der Teilchen- und Hochenergiephysik

In den folgenden Jahren entwickelte sich die Erforschung der kosmischen Strahlung zur Grundlage der Teilchen- und Hochenergiephysik. Die ersten Teilchenbeschleuniger reichten jedoch bei Weitem noch nicht aus, um Hochenergiephysik im Labormaßstab zu betreiben. So nutzte man die kosmische Strahlung und ihre Wechselwirkungen mit den Molekülen der Erdatmosphäre als natürliches Labor.

Im Jahr 1930 schlug der italienische Elementarteilchen- und Astrophysiker Bruno Rossi vor, aus einer beobachteten Ost-West-Asymmetrie entsprechend der Ablenkung im Erdmagnetfeld auf das Vorzeichen der Ladung kosmischer Partikel zu schließen. Aus Messungen dieses Ost-West-Effekts unter anderem durch Arthur Compton folgte wenige Jahre später, dass es sich bei der Primärstrahlung überwiegend um positiv geladene Teilchen handelt.

Zudem ermöglichten neue Detektionstechniken wie die Wilsonsche Nebelkammer den Nachweis neuer Teilchen: Im Jahr 1932 wurde durch den US-amerikanischen Physiker Carl David Anderson das Positron entdeckt und damit das Tor zur Welt der Antiteilchen aufgestoßen. Anderson erhielt 1936 gemeinsam mit Hess den Nobelpreis für Physik. Im gleichen Jahr gelang ihm der Nachweis des Myons.

Parallel dazu hatte Hess 1931 auf dem Hafelekar bei Innsbruck auf 2300 Meter Höhe eine »Station für Ultrastrahlenforschung« errichtet, wo neben Ionisationskammern auch bald Zählrohre und Nebelkammern eingesetzt wurden. Auf Kernspurplatten fanden etwa die beiden österreichischen Physikerinnen Marietta Blau und Herta Wambacher in Gestalt sternförmiger Spuren den ersten direkten Nachweis einer Kernzertrümmerung, verursacht durch kosmische Strahlen. Weitere Experimente mit gestapelten Fotoemulsionsplatten und Nebelkammern führten ab 1947 zur Entdeckung weiterer neuer Teilchen, wie zum Beispiel Pionen, Kaonen und Lambda-Hyperonen. Dieser wachsende Teilchenzoo markiert den Aufstieg der Elementarteilchenphysik zu einer neuen Disziplin.

Außerdem bemerkte Rossi bereits 1934, dass Koinzidenzen in zwei Zählrohren auch bei größeren Abständen immer noch über der zufälligen Rate lagen. Er deutete dies als Hinweis darauf, dass bei der Wechselwirkung der kosmischen Strahlung mit der Atmosphäre ganze Teilchenschauer entstehen, die sich auffächern und beim Auftreffen auf den Boden eine größere Fläche überdecken (siehe Grafik). Nur drei Jahre später fand der französische Physiker Pierre Auger bei ähnlichen Messungen eine Ausdehnung am Boden von mehr als 300 Metern. Zusammen mit der dabei ebenfalls ermittelten Teilchendichte schätzte er daraus die Zahl sekundärer Teilchen in einem einzelnen Schauer auf eine Million und damit die Energie des auslösenden primären Teilchens auf bis zu einer Größenordnung von 1015 Elektronvolt.

Weitere Untersuchungen in den Folgejahren einschließlich unbemannter Ballonaufstiege - im Jahr 1947 sogar bis 30 Kilometer Höhe - enthüllten schließlich die Zusammensetzung der primären Strahlung: Den überwiegenden Anteil nehmen dabei Protonen ein, etwa zehn Prozent entfallen auf Alphateilchen, also Heliumkerne, sowie etwa ein Prozent auf schwerere Kerne wie Kohlenstoff, Eisen und Blei. Wie also Rossi richtig vermutet hatte, handelt es sich dabei vornehmlich um positiv geladene Komponenten. Die sekundäre Strahlung besteht im Wesentlichen aus Elektronen, Positronen, Myonen und Gammaquanten. Wie wir aber inzwischen wissen, besteht die hochenergetische Strahlung aus dem Kosmos neben der Teilchenkomponente aber ebenfalls, wenn auch zu einem geringeren Anteil, aus primärer Gammastrahlung.

Da die Wechselwirkungen sowohl der energiereichen Teilchen als auch der Gammaquanten in der Atmosphäre zur Ausbildung einer Kaskade neuer Teilchen führen kann, lässt sich die Atmosphäre in mehrfacher Weise als Teil eines Detektors zum Nachweis der beiden Komponenten nutzen, auch wenn sie sich schwer voneinander unterscheiden lassen. Dabei kommt einerseits der Nachweis der Sekundärteilchen selbst in Frage, andererseits die Messung von Licht, welches die Teilchen schon in großer Höhe emittieren, das so genannte Tscherenkowlicht.

Die Messung der Kaskaden oder Schauer von Sekundärteilchen wird, in Fortführung der Experimente von Auger und seinen Kollegen schon seit Ende der 1940er Jahre betrieben, meist mittels Szintillationszählern. Da nur wenige der Sekundärteilchen bis zum Boden vordringen, ist die untere Energieschwelle der Primärteilchen, die mit solchen Anordnungen messbare Kaskaden auslösen, recht hoch. Sie liegt typischerweise bei 1014 Elektronvolt. Schon in den 1950er und frühen 1960er Jahren wurde damit das Spektrum der kosmischen Strahlung nach oben hin bis zu Energien von 1019 Elektronvolt vermessen; bis heute sind einzelne Ereignisse mit mehr als 1020 Elektronvolt bekannt (siehe Grafik).

Diese geradezu unglaublich hohen Energien übertreffen selbst die Möglichkeiten der größten heutigen Beschleunigeranlagen um Größenordnungen. Noch rätselhafter als die Strahlung selbst erschien daher die Frage nach ihrem Ursprung. Dies weckte das Interesse an den Mechanismen, welche in kosmischen Beschleunigern den geladenen Teilchen derart hohe Energien verleihen.

Erstmals stellten 1934 die Astrophysiker Walter Baade und Fritz Zwicky Überlegungen an, ob etwa Supernovae die Quellen der kosmischen Strahlung sein könnten. Einen ersten Ansatz einer Beschleunigungstheorie publizierte Enrico Fermi im Jahr 1949. Er betrachtete die Wechselwirkung von geladenen Teilchen mit magnetisierten Plasmawolken und fand, dass bei Reflexion an solchen Wolken die Teilchen im Mittel Energie gewinnen. Dieser Mechanismus erwies sich zwar als wenig effizient, lieferte aber die Grundidee zur Beschleunigung an expandierenden Stoßwellen, wie sie in Überresten von Sternexplosionen auftreten.

Allerdings steht die Natur der kosmischen Teilchenstrahlung der Identifizierung ihrer Quellen grundsätzlich im Weg. Denn geladene Teilchen werden bei ihrem Weg zur Erde durch interstellare Magnetfelder derart abgelenkt, dass jegliche Richtungsinformation der ursprünglichen Quelle praktisch verloren geht. Ein zuverlässiger Nachweis einer Quelle der kosmischen Teilchenstrahlung ist damit bis heute nicht gelungen - bis auf die Entdeckung eines Überschusses an Schauern aus einer Richtung im Sternbild Schwan in den 1980er Jahren, die sich offenbar dem Doppelsternsystem mit der Röntgenquelle Cygnus X-3 zuordnen lässt. Die Signifikanz dieser Entdeckung bleibt umstritten, befeuerte aber den Bau vieler neuer Detektoren, mit denen sich eine Emission aus der Richtung von Cygnus X-3 jedoch nicht wirklich bestätigen ließ.


Auf dem Weg zur Gammaastronomie

Dagegen ist die ebenfalls sehr hochenergetische kosmische Gammastrahlung unempfindlich gegenüber einer Ablenkung in Magnetfeldern. Dies erlaubt eine detaillierte Ortung der Strahlungsquellen, also überhaupt erst eine Astronomie von Strahlung kosmischen Ursprungs im eigentlichen Sinn.

Wie groß die Energie dieser Komponente des elektromagnetischen Spektrums gegenüber den Photonen des sichtbaren Lichts ist, lässt sich am Beispiel einer Klaviatur veranschaulichen: Das optische Spektrum überdeckt etwa eine Oktave mit Energien von 1,5 bis 3 Elektronvolt, die Gammastrahlung von 1013 Elektronvolt liegt etwa 42 Oktaven darüber - dies entspräche einem sieben Meter breiten Klavier (siehe Grafik).

Im Gegensatz zur elektromagnetischen Strahlung in den meisten anderen Wellenlängenbereichen ist der Ursprung der kosmischen Gammaquanten in nichtthermischen Prozessen zu suchen. Denn eine Wärmestrahlung solch hoher Energien würde eine Temperatur der Quelle voraussetzen, die jegliches Vorstellungsvermögen sprengt und allenfalls unmittelbar nach dem Urknall herrschte. Vielmehr geht man heute davon aus, dass solche hochenergetischen Gammaquanten durch Wechselwirkung beschleunigter Teilchen mit dem umgebenden Medium (interstellarem Gas oder Strahlungsfeldern) der Quelle entstehen. Dies wiederum eröffnet die Möglichkeit, anhand der sich geradlinig ausbreitenden Gammaquanten ebendiese Quellen zu identifizieren und ihre räumliche Struktur abzubilden. (siehe Grafik S. 49)

Bereits am 27. April 1961 startete der Satellit Explorer 11 von Cape Canaveral, der eigens für den Zweck gebaut wurde, kosmische Gammastrahlen nachzuweisen. Insgesamt registrierte er in seinem Orbit im Abstand zur Erde von etwa 500 bis 1800 Kilometern innerhalb von vier Monaten 22 Gammaereignisse. In den 1970er Jahren bevölkerte sich der Gammahimmel dank der Ergebnisse verschiedener Satellitenprogramme wie SAS-2 und COS-B mit hochenergetischen Quellen. Aber das Fenster zu den interessanten Quellen höchster Energie sollte noch gut zwei Jahrzehnte verschlossen bleiben.

Das derzeit modernste Gammastrahlen-Teleskop Fermi ist seit 2008 in der Umlaufbahn. Zwar haben die Gammasatelliten Zugang zu dieser Komponente der kosmischen Strahlung, sind jedoch wegen ihrer geringen Größe auf den niederenergetischen Teil des Spektrums beschränkt. Denn nur hier ist der Fluss von Gammaquanten ausreichend hoch. Für die wesentlich selteneren, besonders hochenergetischen Quanten ist die Fläche der Gammateleskope auf Satelliten zu klein.

Für bodengebundene Beobachtungen wurde eine weitere Technik zum Nachweis atmosphärischer Schauer entwickelt, die sich das von schnellen, geladenen Teilchen emittierte Tscherenkowlicht zu Nutze macht. Dieses Licht war bereits um 1910 erstmals von Marie Curie als bläuliches Leuchten in hochkonzentrierten Lösungen radioaktiver Stoffe beobachtet worden. Detaillierte Untersuchungen unternahm der Namensgeber Pawel A. Tscherenkow in den 1930er Jahren. Eine theoretische Erklärung gaben 1937 Ilya Frank und Igor Tamm anhand der Polarisation eines Mediums durch geladene Teilchen, die sich darin schneller bewegen, als sich Licht dort ausbreiten kann. Im Jahr 1948 hatte Patrick Blackett abgeschätzt, dass Tscherenkowlicht der Höhenstrahlung etwa 0,01 Prozent des Lichts vom Nachthimmel ausmachen sollte. Ein erster Nachweis von kurzen Tscherenkowblitzen mittels eines Spiegels, einer Fotovervielfacherröhre und eines Oszilloskops gelang den Physikern William Galbraith und John Jelley im Jahr 1953, später auch in Koinzidenzmessungen mit einer Anordnung von Geigerzählern.

In den späten 1950er und frühen 1960er Jahren wurde von mehreren Gruppen mittels der Tscherenkowtechnik nach Gammaquellen am Nachthimmel gesucht, wobei meist Spiegel aus ausgedienten Flak-Scheinwerfern eingesetzt wurden. Der Erfolg blieb bescheiden - es konnten lediglich Obergrenzen angegeben werden. Das größte Hindernis war der Untergrund von Schauern aus kosmischer Teilchenstrahlung, die um einen Faktor 1000 bis 10.000 zahlreicher sind als die gesuchten Gammaereignisse und zu deren Unterscheidung noch keine geeigneten technischen Möglichkeiten vorlagen. Um die Empfindlichkeit für schwächere Teilchenschauer zu steigern, begannen 1966 Planungen für ein größeres Tscherenkowteleskop von zehn Metern Durchmesser, das 1968 auf dem Mount Hopkins in Arizona aufgebaut wurde, bekannt geworden unter dem Namen Whipple-Teleskop.


Durchbruch in der Beobachtung

Der entscheidende Durchbruch mit Whipple gelang endlich 1989 mit der Identifizierung des Krebsnebels M 1. Der Schlüssel zum Erfolg lag in der Einführung abbildender Systeme mit einer ganzen Anordnung von Fotovervielfachern als Lichtdetektor - bei Whipple waren es 37, bei heutigen Tscherenkowteleskopen sind es typischerweise 1000 Elemente. Unterstützt von Monte-Carlo-Simulationen wurde mit diesen Systemen der zweiten Generation anhand der Form der Teilchenschauer eine Unterscheidung der Gammaereignisse vom Untergrund aus kosmischer Strahlung möglich. M 1 wurde als fundamentales Studienobjekt so zur Standardkerze der sehr hochenergetischen Gammastrahlung. Dank der neu gewonnenen Erfahrungen ließ sich wenige Jahre später mit dem Whipple-Observatorium eine aktive Galaxie als erste extragalaktische Quelle nachweisen: der Blazar Markarian 421.

Anfang der 1990er Jahre startete mit der Einführung der Stereoskopie die dritte Generation erdgebundener Tscherenkowteleskope: Analog zur Bestimmung von Meteorspuren aus mehreren Beobachtungsstandorten erlauben Anordnungen mehrerer solcher Teleskope die Aufnahme genauerer Bilder der Schauer aus verschiedenen Blickwinkeln und damit eine direkte Rekonstruktion der Ursprungsrichtung von einzelnen Ereignissen. Neben Vorläufern auf dem Mount Hopkins und am Krim-Observatorium wurde ab 1992 auf dem Gelände des HEGRA-Experiments auf der Kanareninsel La Palma eine stereoskopische Anordnung aus fünf Teleskopen von je 8,5 Quadratmeter Spiegelfläche realisiert. Zuvor wurden dort seit 1987 mit Spurdetektoren die Bahnen sekundärer Teilchen vermessen. Schon während der Bauphase der Teleskope detektierte HEGRA den Krebsnebel mit hoher Signifikanz und registrierte Ausbrüche der aktiven Galaxien Markarian 421 und 501. Mit Beginn des neuen Jahrtausends entstanden schließlich vier neue Observatorien auf beiden Hemisphären (siehe Grafik): CANGAROO in Woomera, Australien, mit vier 10-Meter-Teleskopen, H.E.S.S. im Khomas-Hochland von Namibia mit vier 12-Meter-Teleskopen, MAGIC auf La Palma mit zwei 17-Meter-Teleskopen und VERITAS auf dem Mount Hopkins mit vier 12-Meter-Teleskopen.

Die Tscherenkowteleskope der dritten Generation und moderne Gammasatelliten wie Fermi haben den Himmel mit vielen neuen hochenergetischen Gammaquellen bevölkert (siehe Grafik S. 52 unten). Allein H.E.S.S. hat seit 2004 im Rahmen einer Durchmusterung der galaktischen Ebene mehr als 100 neue Quellen entdeckt. Zur Ikone der Astronomie sehr hochenergetischer Gammastrahlung wurde der Supernova-Überrest RX J1713.7-3946 im Sternbild Skorpion, der von H.E.S.S. erstmals mit bis dahin unerreichter Auflösung von einigen Bogenminuten vermessen wurde. Nachdem schon mit HEGRA der Nachweis einer solchen Quelle in dem Supernova-Überrest Cassiopeia A gelang, wurden nun Details aus der Explosionswolke einer Supernova sichtbar und es zeigte sich, dass die Gammaemission - wie erwartet - auf deren äußere Schale konzentriert ist.

Abgesehen von noch rätselhaften dunklen Quellen, die nur im Gammalicht leuchten, lassen sich die meisten Entdeckungen bekannten Objekten zuordnen: Neben den Überresten von Supernovae sind dies Pulsarwindnebel, kompakte Objekte (Neutronensterne, Schwarze Löcher) in Doppelsternsystemen, das galaktische Zentrum oder junge Sternhaufen innerhalb unserer Galaxis; dazu treten noch extragalaktische Quellen wie Blazare, Radiogalaxien und Starburst-Galaxien. Unter Einbeziehung der Daten aus anderen Wellenlängenbereichen lassen sich verschiedene Theorien zu kosmischen Teilchenbeschleunigern testen.

Der Pulsar im Krebsnebel M 1 ist eine der hellsten Hochenergie-Gammastrahlenquellen am Himmel. Es handelt sich um einen schnell rotierenden Neutronenstern von fast zwei Sonnenmassen und einem Durchmesser von nur 28 bis 30 Kilometern, der ein starkes Magnetfeld aufweist. Astrophysiker gehen von der Existenz eines relativistischen Winds aus Elektronen und Positronen aus, welcher der Magnetosphäre des Krebspulsars entweicht und im interstellaren Medium endet (siehe Bilder und Grafik). Als Gammaquellen strahlen der Pulsar im hohen und der Nebel vorwiegend im sehr hohen Energiebereich. Auf den ersten Blick erscheint der Wind, der die Energie vom Pulsar zum Nebel transportiert, als unsichtbare Substanz. Denn obwohl der Wind selbst relativistisch ist, sind im mitbewegten System die Elektronen »kalt«: Sie weisen keine Relativbewegung zum Magnetfeld auf und emittieren daher keine Strahlung. Allerdings kann der Wind im Gammalicht sichtbar werden, wenn Röntgenphotonen aus der Magnetosphäre beziehungsweise der Oberfläche des Neutronensterns durch die schnellen Elektronen und Positronen des Winds zu höheren Energien gestreut werden. Mit dieser inversen Compton-Streuung lässt sich die mit VERITAS und MAGIC entdeckte, gepulste, sehr hochenergetische Gammastrahlung am besten erklären. Aus diesen Beobachtungen folgt eine nahezu plötzliche Beschleunigung des Winds auf ultrarelativistische Geschwindigkeiten im engen zylindrischen Abstandsbereich von 20.000 bis 50.000 Kilometern um die Rotationsachse des Pulsars.

Mit dem H.E.S.S.-Teleskopsystem wurde eine neue Quelle sehr hochenergetischer Gammastrahlung, HESS J1747-248, aus der Richtung des Kugelsternhaufens Terzan 5 entdeckt (siehe Bild unten). Mit hoher Wahrscheinlichkeit befindet sie sich in dessen Außenbereichen. Etwa 150 bekannte Kugelsternhaufen umkreisen als Teil des galaktischen Halos wie ein riesiger Schwarm das Zentrum unserer Galaxis und gehören zu deren ältesten Objekten. An Sterndichte übertrifft Terzan 5 die übrigen Kugelsternhaufen deutlich und enthält zudem die größte Anzahl von Millisekunden-Pulsaren, also rasch rotierenden Neutronensternen, die vermutlich Teil enger Doppelsternsysteme sind. Besondere Aufmerksamkeit erhielt Terzan 5, als nachgewiesen wurde, dass er zwei verschieden alte Populationen von Sternen umfasst. Es wird vermutet, dass er der Überrest einer Zwerggalaxie ist, die von unserer Galaxis eingefangen wurde. Wie viele neue Entdeckungen wirft auch diese eine Reihe von Fragen auf, die noch nicht abschließend geklärt sind. Bemerkenswert sind zunächst die längliche Form der Quelle und ihre Lage abseits des Haufenzentrums. Das eigentliche Quellobjekt - in Frage kommen die genannten Millisekundenpulsare oder Supernova-Überreste - könnte als Folge von nahen Sternbegegnungen in die Außenbereiche geschleudert worden sein. Es ist aber nach wie vor ein Rätsel, warum HESS J1747-248 eine dunkle Quelle ist, also in den anderen Bereichen des elektromagnetischen Spektrums bisher nicht nachweisbar leuchtet.


Kosmische Strahlung in der Erdatmosphäre
Die hochenergetische Strahlung aus dem All ist zweierlei Natur. Zum großen Teil besteht sie aus ionisierten Teilchen, hauptsächlich Protonen, aber auch aus Atomkernen schwererer Elemente. Einen kleineren Anteil macht die hochenergetische Gammastrahlung aus.
Die Gammastrahlung erzeugt bei der Wechselwirkung mit der Atmosphäre Elektron-Positron-Paare sowie sekundäre, energieärmere Gammaquanten. Treffen dagegen die hochenergetischen Ionen auf die Erdatmosphäre, so erzeugen sie dort zunächst Kaskaden von exotischen Sekundärteilchen wie Pionen und Kaonen, die auf dem Weg zum Erdboden dann ebenfalls meist in Elektronen und Positronen sowie sekundäre Lichtquanten zerfallen. In beiden Fällen entsteht zudem durch Teilchen, die sich schneller als Licht im Medium Atmosphäre bewegen, so genannte Tscherenkowstrahlung, die sich mit bodengebundenen Detektoren beobachten lässt.
Auf Grund der Impulsverteilung sind die durch Protonen und schwere Kerne verursachten Kaskaden im Mittel unregelmäßiger und breiter aufgefächert als jene, die durch Gammastrahlung verursacht werden.


Aus der Vergangenheit der Milchstraße

Im Jahr 2010 gelang mit dem Fermi-Observatorium die überraschende Entdeckung zweier riesiger, ballonförmiger, im Gammalicht leuchtender Gebiete oberhalb und unterhalb des Zentrums der Milchstraße (siehe Bild S. 56). Diese so genannten Fermi-Blasen erstrecken sich über erstaunliche 25.000 Lichtjahre von der Milchstraßenebene in den Raum hinaus. Eine mögliche Erklärung basiert auf der Streuung von Photonen der kosmischen Hintergrundstrahlung an sehr energiereichen Elektronen. Diese Elektronen müssten allerdings ungewöhnlich schnell nach außen transportiert oder innerhalb der Blasen ständig wieder beschleunigt werden. Vielversprechender erscheint daher ein alternatives Szenario: Ein Wind aus Protonen der kosmischen Strahlung und extrem heißem Plasma, der seit beinahe zehn Milliarden Jahren aus dem Zentrum der Milchstraße weht, hat die Blasen nach und nach aufgebläht und bringt sie zum Leuchten. Dieser Wind entsteht durch die seit den Anfängen der Milchstraße in ihrem galaktischen Zentrum anhaltende Sternentstehung. Die Fermi-Blasen hätten somit die Aktivität im Zentrum der Milchstraße über ihre Geschichte hinweg aufgezeichnet.

Zu den extragalaktischen Gammaquellen gehört die gigantische elliptische Radiogalaxie M 87 in etwa 55 Millionen Lichtjahren Entfernung, die in ihrem aktiven Kern ein Schwarzes Loch von sechs Milliarden Sonnenmassen beherbergt. Dort werden in Jets Elektronen und Protonen auf relativistische Geschwindigkeiten beschleunigt und erzeugen bei der Wechselwirkung mit ihrer Umgebung hochenergetische Gammastrahlung, deren erste Anzeichen bereits 1998 HEGRA registrierte. H.E.S.S. bestätigte dies im Jahr 2006 und beobachtete zudem eine rasche Variation der Gammastrahlenintensität innerhalb weniger Tage, was auf eine sehr kompakte Quellregion in unmittelbarer Umgebung des Schwarzen Lochs hinweist. In einer bis dahin einzigartigen Messkampagne beobachteten 2008 H.E.S.S., MAGIC und VERITAS gemeinsam mit dem Radioteleskop-Netzwerk VLBA die niedrigsten und höchsten Bereiche des elektromagnetischen Spektrums von M 87 und registrierten dabei auch zwei große hochenergetische Gammaausbrüche. Dank der hohen Auflösung des VLBA gelang es, die parallel zur Gammastrahlung registrierten Radiowellen aus der unmittelbaren Nähe des extrem massereichen schwarzen Lochs zu lokalisieren und damit auch den Ort der Teilchenbeschleunigung in M 87.

Zur Familie der aktiven Galaxien zählen die Blazare, bei denen einer der Jets direkt zur Erde gerichtet ist. Ein Beispiel hierfür ist das Objekt PKS 2155-304 in einer Entfernung von 1,5 Milliarden Lichtjahren in Richtung des Sternbilds Südlicher Fisch. Normalerweise ist die hiervon ausgehende Gammastrahlung recht schwach. Zuweilen kommt es aber zu gewaltigen Strahlungsausbrüchen, und der Blazar wird zur hellsten Quelle am Himmel im hochenergetischen Gammalicht, wie zum Beispiel im Juli 2006 geschehen. Im Spätsommer 2008 wurde PKS 2155-304 während einer eher ruhigen Phase von H.E.S.S., Fermi und zwei Röntgensatelliten sowie einem optischen Teleskop bei H.E.S.S. über einen möglichst großen Wellenlängenbereich beobachtet, mit überraschenden Ergebnissen: Während in aktiven Phasen die Emission von Röntgen- und Gammastrahlung gemeinsam steigt und fällt, war dies im ruhigen Zustand nicht der Fall. Dagegen folgte die Emission sichtbaren Lichts der hochenergetischen Gammastrahlung - ein äußerst rätselhaftes, bisher nicht geklärtes Verhalten. Offenbar wirken die verschiedenen Bestandteile der Jets in Blazaren auf komplizierte Weise zusammen.

Erdgebundene Gammaobservatorien haben bislang Spektren von Quellen in einem Energiebereich von rund 1011 Elektronvolt bis einigen 1013 Elektronvolt bestimmt. Darunter sind die Lichtsignale in der Atmosphäre zu schwach, um mit den verfügbaren Spiegelflächen (MAGIC: 240 Quadratmeter) nachgewiesen zu werden. Darüber werden die Gammaereignisse in der von den Teleskopen erfassten Fläche zu selten, um ausreichende Datenmengen in vertretbarer Zeit zu gewinnen. Einen wesentlichen Schritt hin zu niedrigeren Energien herunter bis etwa 3 x 109 Elektronvolt und damit einen Lückenschluss beziehungsweise Überlapp zu Satellitendaten bringt das nunmehr fertig gestellte, weltgrößte Tscherenkowteleskop H.E.S.S. II, welches über eine Spiegelfläche von 600 Quadratmetern verfügt und am 26. Juli 2012 erstmals Bilder von Teilchenschauern aufgenommen hat. Es befindet sich inmitten der vier bereits früher gebauten H.E.S.S.-Teleskope (siehe Bild S. 47 oben).

In eine etwas andere Richtung zielt das ehrgeizige Projekt »Cherenkov Telescope Array« (CTA), welches die Sensitivität um den Faktor zehn verbessern soll. Nach der Designstudie sind zwei Observatorien geplant. Die Anordnung auf der südlichen Hemisphäre soll drei Teleskoptypen von rund 6, 12 und 24 Meter Durchmesser enthalten, die Anordnung auf der nördlichen Hemisphäre zwei größere Typen. Mit etwa 50 bis 100 kleineren Teleskopen des südlichen Observatoriums, die eine effektive Detektorfläche von etwa sieben Quadratkilometern abdecken, erwarten die Forscher den Nachweis von sehr hochenergetischen Gammaquanten jenseits von 1014 Elektronvolt. Diese Erweiterung des Beobachtungsfensters lässt die Gammaastronomie einer spannenden Zukunft entgegensehen.


Bernold Feuerstein ist als Pressesprecher in der Öffentlichkeitsarbeit des MPI für Kernphysik tätig. In seiner wissenschaftlichen Laufbahn befasste er sich sowohl experimentell als auch theoretisch mit Quantendynamik atomarer und molekularer Systeme. Der Schwerpunkt lag dabei auf Elektronenstoßprozessen und der Wechselwirkung mit ultrakurzen hochintensiven Laserimpulsen. Daneben lehrt er als Privatdozent an der Universität Heidelberg.

Konrad Bernlöhr arbeitet am MPI für Kernphysik in Heidelberg. Nach früheren Arbeiten zur Herkunft und Zusammensetzung von kosmischer Strahlung befasst er sich seit 15 Jahren mit Tscherenkow-Teleskopen, derzeit mit den H.E.S.S.-Teleskopen in Namibia und mit Planungen und Simulationen für das künftige Cherenkov Telescope Array (CTA).


Literaturhinweise

Hess, V.F.: Über Beobachtungen der durchdringenden Strahlung bei sieben Freiballonfahrten. In: Physikalische Zeitschrift 13, S. 1084-1091, 1912

Hofmann, W., van Eldik, C.: Ein neues Fenster zum Kosmos. In: Sterne und Weltraum 3/2009, S. 38-47

Völk, H.J.: Neue Ergebnisse der Gammaastronomie. In: Sterne und Weltraum 8/2006, S. 36-45

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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 47 oben:
100 Jahre nach der Entdeckung der kosmischen Strahlung mit einfachen Mitteln stehen moderne Instrumente wie das H.E.S.S.-Teleskop (High Energy Stereoscopic System) in Namibia zur Verfügung, um ihre Entstehungsmechanismen aufzuklären.

Abb. S. 47 Mitte:
Bei einer Reihe von Ballonfahrten entdeckte Victor F. Hess - hier in der Ballongondel -, dass von außen eine ionisierende Strahlung in die Erdatmosphäre eindringt. Die abschließende Fahrt zu den Messungen unternahm er am 7. August 1912.

Abb. S. 48:
Die Messergebnisse von Victor F. Hess aus dem Jahr 1912 und von Werner Kohlhörster in den Jahren 1913 und 1914 zeigen eindrücklich, dass die Ionisierung der Atmosphäre aufsteigend vom Erdboden zunächst leicht ab-, in größeren Höhen jedoch wieder deutlich zunimmt.

Abb. S. 49:
Die kosmische Strahlung, bestehend aus ionisierten Teilchen und Gammaquanten, erzeugt bei der Wechselwirkung mit der Atmosphäre Teilchenschauer, die sich weit auffächern. Dabei entsteht auch so genannte Tscherenkowstrahlung, die sich kegelförmig ausbreitet und mit bodengebundenen Teleskopen beobachten lässt.

Abb. S. 50 oben:
Das Spektrum der kosmischen Strahlung folgt einem recht einfachen Potenzgesetz mit einem leichten Knick zu einem etwas steileren Abfall bei einigen 1015 Elektronvolt. Je energiereicher die Strahlung ist, umso weniger Ereignisse pro Fläche und Zeit werden gezählt.

Abb. S. 50-51 unten:
Verglichen mit einer Klaviatur überdeckt das optische Spektrum von 1,5 bis 3 Elektronvolt etwa eine Oktave. Gammastrahlung von 1013 Elektronvolt liegt etwa 42 Oktaven darüber. Die vier über den Erdball verteilten Tscherenkowobservatorien messen in einem Bereich von 1010 bis 1015 Elektronvolt.

Abb. S. 52 oben:
Die vier modernsten Tscherenkow-Observatorien sind über den gesamten Globus verteilt: VERITAS auf dem Mount Hopkins mit vier 12-Meter-Teleskopen, MA GIC auf La Palma mit zwei 17-Meter-Teleskopen, H.E.S.S. im Khomas-Hochland von Namibia mit vier 12-Meter-Teleskopen und CAN GAROO in Woomera, Australien, mit vier 10-Meter-Teleskopen.

Abb. S. 52 unten:
Dank der modernen Tscherenkow-Teleskope sowie Gammasatelliten wurden viele neue Gammaquellen am Himmel entdeckt. Zu den Quellen innerhalb der Milchstraße zählen Supernova-Überreste (SNR) und Doppelsternsysteme etwa mit einer Neutronensternkomponente. Gammastrahlung extragalaktischen Ursprungs wird in aktiven galaktischen Kernen (AGN) erzeugt.

Abb. S. 54:
Im Zentrum des Krebsnebels (oben links) befindet sich ein rasch rotierender Pulsar (oben rechts). Ein Wind aus Elektron-Positron-Paaren (e-e+) verlässt den Pulsar mit relativistischer Geschwindigkeit. Werden diese Teilchen relativ zum Magnetfeld auf dem Weg in das interstellare Medium beschleunigt, kommt es in Wechselwirkung mit der vom Pulsar emittierten Röntgenstrahlung (X) zu einem Streuprozess (inverse Compton-Strahlung), bei dem Gammaphotonen (γ) erzeugt werden.

Abb. S. 55:
Das H.E.S.S.-Teleskop entdeckte in den äußeren Regionen des Kugelsternhaufens Terzan 5 eine starke Gammaquelle. Ihr Ursprung ist noch nicht endgültig geklärt.

Abb. S. 56:
Mit dem Fermi-Satelliten wurden zwei blasenförmige Gebiete oberhalb und unterhalb der Milchstraße entdeckt, die im Gammalicht leuchten. Möglicherweise handelt es sich dabei um den Wind aus Protonen der kosmischen Strahlung und extrem heißem Plasma, der seit beinahe zehn Milliarden Jahren aus dem Zentrum der Milchstraße weht.

© 2012 Bernold Feuerstein und Konrad Bernlöhr, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg

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Quelle:
Sterne und Weltraum 10/12 - Oktober 2012, Seite 46 - 56
Zeitschrift für Astronomie
Herausgeber:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann (ZAH, Univ. Heidelberg),
Prof. Dr. Thomas Henning (MPI für Astronomie),
Dr. Jakob Staude
Redaktion Sterne und Weltraum:
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Verlag: Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Oktober 2012