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FORSCHUNG/352: Kosmische Eindringlinge unter Beobachtung (DFG)


forschung 2/2008 - Das Magazin der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Kosmische Eindringlinge unter Beobachtung

Atomkerne, Photonen und Neutrinos regnen unablässig aus dem Weltraum auf die Erde herab. Am Pierre Auger-Observatorium in Argentinien blicken Forscher mit bisher unerreichter Präzision auf die höchstenergetischen Teilchen - und erhoffen sich dadurch neues Wissen über unser Universum

Von Bianca Keilhauer und Johannes Blümer


Wer mit dem Auto durch die argentinische Pampa am Fuß der Andenkordillere entlangfährt und sich von Norden her der kleinen Stadt Malargüe in der Provinz Mendoza nähert, entdeckt neben der Straße in regelmäßigen Abständen große Kunststofftanks - aufgereiht wie Perlen auf einer Schnur. 1600 dieser Tanks, je 3,4 Meter im Durchmesser und etwa 1,5 Meter hoch, bilden das 3000 Quadratkilometer große Detektorfeld des Pierre Auger-Observatoriums. Die Tanks werden durch Teleskope ergänzt, die an vier Positionen am Rand des Detektorfeldes aufgestellt sind: In klaren dunklen Nächten beobachten sie die kosmische Strahlung mit bisher unerreichter Präzision. Hier untersuchen über 400 Wissenschaftler aus 17 Nationen die kosmische Strahlung bei den allerhöchsten Energien.

Kosmische Strahlungen in Form von energiereichen Atomkernen, Photonen und Neutrinos dringen permanent aus dem Weltall auf die Erde ein. Die Energie der kosmischen Strahlung reicht von der Ruheenergie eines Wasserstoffkerns bis hin zu makroskopischen Werten von mehreren Joule - in einem einzigen Teilchen konzentriert! Der gemessene Rekord entspricht etwa dem 300-fachen der Kollisionsenergie des demnächst in Betrieb gehenden Teilchenbeschleunigers LHC am CERN in Genf. Allerdings nimmt in der kosmischen Strahlung die Intensität sehr rasch mit der Energie ab, was die Beobachtung der Ereignisse enorm erschwert.

Niederenergetische Teilchen stammen zum größten Teil aus unserer Milchstraße, wo sie vermutlich in den "Schockfronten" von Supernova-Explosionen auf die beobachteten Energien katapultiert werden. Das galaktische Magnetfeld lenkt die Teilchen mehrfach ab, sodass man die Quellen nicht mehr identifizieren kann. Dies ändert sich jedoch drastisch bei den höchsten Energien: Es gibt in der Milchstraße keine bekannten Objekte, die derartige Energien erzeugen könnten, und die Galaxie selbst kann solche Teilchen nicht mehr magnetisch einschließen.

Erst im November 2007 ist es am Pierre Auger-Observatorium gelungen, den Zusammenhang zwischen den Ankunftsrichtungen der energiereichsten kosmischen Teilchen und den Positionen von extragalaktischen Objekten am Südhimmel zu erkennen. Offenbar können aktive Galaxien, in deren Mitte Schwarze Löcher von hundert Millionen Sonnenmassen sind, in ihrer Umgebung die extremen Bedingungen aufbringen, die zur Beschleunigung erforderlich sind.

Ereignisse der kosmischen Strahlung reichen ab einem mittleren Energiebereich nicht für eine direkte Beobachtung mit Ballon- oder Satellitenexperimenten aus. Doch höhere Energien erschließen neue indirekte Nachweismöglichkeiten. Das Primärteilchen kollidiert beim Eindringen in die Erdatmosphäre mit einem Atomkern der Luftmoleküle, und es entstehen viele sekundäre Teilchen. Diese haben noch ausreichend Energie, um ihrerseits energiereiche Wechselwirkungen einzugehen und weitere neue Teilchen zu bilden.

Das Primärteilchen löst so eine Kaskade von Sekundärteilchen aus, die sich mit nahezu Lichtgeschwindigkeit zur Erdoberfläche hin ausbreitet. Nach 10 bis 15 Teilchengenerationen hat sich die Energie auf so viele Sekundärteilchen verteilt, dass keine neuen Teilchen mehr gebildet werden und der Schauer langsam durch Ionisationsverluste ausstirbt oder die Erdoberfläche erreicht. Dieser Teilchenregen wurde 1938 von Pierre Auger entdeckt und wird als "ausgedehnter Luftschauer" bezeichnet.

Bei den höchsten Energien erreichen Milliarden von Sekundärteilchen die Erdoberfläche und ermöglichen den stichprobenartigen Nachweis der Luftschauer in großen Detektorfeldern, zum Beispiel dem des Pierre Auger-Observatoriums. Der kontinuierliche Energieverlust der vielen Sekundärteilchen in der Atmosphäre führt aber auch zur Anregung der Stickstoffmoleküle, dem Hauptbestandteil der Luft. Anregung bedeutet, dass einige Hüllenelektronen der Moleküle auf höhere Energieniveaus gehoben werden. Diese Zustände sind nicht stabil, und es finden nahezu sofort spontane Übergänge der Elektronen zurück in die niedrigeren Energieniveaus statt. Die dabei frei werdende Energie wird in Form von UV-Fluoreszenzlicht in alle Raumrichtungen gleichmäßig abgestrahlt.

Dieses entlang der Teilchenkaskade ausgestrahlte Licht wird mit den elektronischen Spiegelteleskopen ebenfalls im Pierre Auger-Observatorium nachgewiesen. Die Kombination der beiden unterschiedlichen Nachweismethoden erlaubt eine sehr präzise Untersuchung der Entwicklung der ausgedehnten Luftschauer in der Atmosphäre und der Zahl und Verteilung der Sekundärteilchen auf dem Erdboden.

Aus den gesammelten Informationen kann dann auf die Art, Energie und Herkunftsrichtung des Primärteilchens geschlossen werden. Mit dem Pierre Auger-Observatorium sollen diese Daten über rund zwei Jahrzehnte gesammelt werden, um mögliche Quellen der kosmischen Strahlung zu identifizieren. Eine zweite Anlage soll ab 2010 auch auf der nördlichen Hemisphäre errichtet werden. Die Fluoreszenzteleskope nehmen dabei eine Schlüsselrolle ein, um die komplexen Phänomene verstehen zu können.

Im Gegensatz zu üblichen Laborexperimenten unter definierbaren Umgebungsbedingungen durchläuft ein ausgedehnter Luftschauer die komplette Erdatmosphäre von oben nach unten. Dabei ändern sich permanent Temperatur, Druck, Dichte und Luftfeuchte, wodurch die Teilchenwechselwirkungen variieren und gleichzeitig das Fluoreszenzlicht stark beeinflusst wird. Hinzu kommt, dass die Veränderungen der Atmosphäre über Tage und Jahreszeiten hinweg einen großen Einfluss ausüben.

Die Auswirkungen dieser atmosphärischen Faktoren auf die genaue Rekonstruktion der ausgedehnten Luftschauer stehen im Zentrum eines von der DFG geförderten Forschungsprojektes. Dafür werden Daten des Pierre Auger-Observatoriums herangezogen und genutzt sowie Wetterstationen an mehreren Stellen des 3000 Quadratkilometer großen Detektorfeldes aufgebaut, die kontinuierlich die Bedingungen der Luft am Erdboden aufzeichnen.

Weit aufwendiger aber sind die Messungen der Höhenprofile der Atmosphäre. Mittels meteorologischer Radiosonden, die an Helium gefüllten Wetterballonen vom Erdboden bis zu Höhen von 25 Kilometer aufsteigen, werden die Temperatur, der Druck und die Luftfeuchte in Abhängigkeit von der Höhe ermittelt. Ein solcher Aufstieg dauert rund zwei Stunden, und die Daten der Radiosonde werden alle drei bis fünf Sekunden an die Bodenempfangsstation übermittelt.

Diese Radiosondierungen werden ungefähr alle fünf Tage von einer eigens errichteten Station für die Ballonstarts durchgeführt. Spezielle Messkampagnen werden vorgenommen, um etwa die Frage zu klären, wie stark sich die Atmosphäre zwischen der heißesten Zeit eines Tages, also in der Regel am frühen Nachmittag, und der kältesten Zeit eines Tages, kurz vor Sonnenaufgang, verändert, und zwar nicht nur in Bodennähe, sondern auch in größeren Höhen.

Nach den Kampagnen vor Ort werden die aufgezeichneten Atmosphärendaten in Deutschland analysiert und in Datenbanken gesichert. Die Rekonstruktion der ausgedehnten Luftschauer konnte so mit den bisher erhobenen Wetterdaten verfeinert werden. Darüber hinaus wird kontinuierlich an den theoretischen Grundlagen der Fluoreszenzlichtemission in Abhängigkeit von den realen Umgebungsbedingungen gearbeitet und in kleineren Experimenten überprüft.

Ein Ergebnis: Die Lichtausbeute wird entscheidend von der Temperatur und der Luftfeuchte gesteuert, sodass diese Aspekte ebenfalls bei der Rekonstruktion der Luftschauer berücksichtigt werden müssen. Aus den Schwankungen der atmosphärischen Bedingungen können die Unsicherheiten bei der Rekonstruktion der Primärenergie und der Art des Primärteilchens der kosmischen Strahlung abgeleitet werden. Allerdings erst nach einigen Jahren der Wetterdatenaufzeichnungen in der argentinischen Pampa können anfänglich entwickelte Modellatmosphären für die Rekonstruktion verbessert werden.

Noch ist es ein offenes Ziel, künftig für die höchstenergetischen Luftschauer auch zeitnah gemessene Atmosphärendaten in der Rekonstruktion berücksichtigen zu können. Genau das könnte helfen, diese sehr seltenen und damit "kostbaren" Ereignisse mit höchstmöglicher Präzision zu interpretieren - und damit zu neuem Wissen zu gelangen.


Dr. Bianca Keilhauer und Prof. Dr. Johannes Blümer arbeiten im KIT-Centrum Elementarteilchen-und Astroteilchenphysik (KCETA), das am Karlsruher Institut für Technologie KIT eingerichtet wurde. KIT ist das Kooperationsprojekt der Universität Karlsruhe (TH) und des Forschungszentrums Karlsruhe.

Adresse: Forschungszentrum Karlsruhe, Postfach 3640, 76021 Karlsruhe

Das Projekt wird von der DFG im Normalverfahren gefördert.
www.auger.de


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Quelle:
forschung 2/2008 - Das Magazin der Deutschen Forschungsgemeinschaft, S. 4-8
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. August 2008