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FORSCHUNG/371: Mit der Polaroid-Brille auf Planetensuche (Leibniz)


Leibniz - Journal der Leibniz-Gemeinschaft 4/2008

Mit der Polaroid-Brille auf Planetensuche
Svetlana Berdyugina holt ferne Sterne und Planeten auf die Erde

Von Sabine Wygas


Existieren erdähnliche Planeten im Universum? Und wenn ja, gibt es möglicherweise Leben auf ihnen? Die Astronomin Svetlana Berdyugina vom Freiburger Kiepenheuer-Institut für Sonnenphysik hat erstmals reflektiertes Licht aus der Atmosphäre eines Planeten außerhalb unseres Sonnensystems herausgefiltert und den Planeten damit direkt wahrnehmbar gemacht. Der Himmelskörper mit dem trockenen Namen HD 189733b ist etwa sechzig Lichtjahre von der Erde entfernt, besteht aus Gas und ist so groß wie der Jupiter. Auf seiner Oberfläche herrschen Temperaturen bis zu 1000 Grad Celsius, da er seinen Mutterstern sehr nah umkreist.


Objekte wie HD 189773b "sehen" zu können, ist ein wichtiger Schritt in der Planetenforschung. Denn bislang war das Bestimmen von Exoplaneten - Planeten außerhalb unseres Sonnensystems - meist nur auf indirektem Weg möglich. Zum Beispiel, weil bereits die schwache Schwerkraft eines Planeten kleine Kreisbewegungen des Muttersterns verursacht, die aufgrund der größeren Helligkeit des Sterns einfacher messbar sind. "Wegen der großen Entfernung ist es bisher auch mit dem besten Teleskop nicht möglich, einen Planeten von seinem Mutterstern rein optisch zu unterscheiden, da der Stern das Objekt bei weitem überstrahlt", erklärt die Physikprofessorin. Um den Planeten aus seinem "Schattendasein" herauszuholen, nutzt die Forscherin eine ganz spezielle Eigenschaft des Lichts, die so genannte Polarisation: Licht besteht aus elektromagnetischen Wellen, die in bestimmter Art und Weise schwingen. Falls die Schwingungsrichtungen aller abgestrahlten Wellen einer Lichtquelle zufällig verteilt sind, wie bei einer Glühbirne, spricht man von unpolarisiertem Licht. Wird Licht jedoch reflektiert, zum Beispiel auf einer nassen Straße oder an einem Planeten, schwingen danach die meisten Lichtwellen in der gleichen Richtung: Das Licht wurde polarisiert. Diesen Effekt nutzen auch Bienen, um sich während des Fluges zu orientieren. Die helle Reflexion einer Straße kann man mit einer Polaroid-Brille eliminieren, weil diese in einer bestimmten Richtung schwingendes Licht herausfiltert.

Mit Instrumenten analog einer Polaroid-Brille filtern Berdyugina und ihr internationales Team das Licht des Muttersterns so lange, bis nur noch jenes übrig bleibt, das der Planet vom Stern reflektiert. "Auf diese Weise kann man beispielsweise die Größe der Atmosphäre eines Planeten und auch seine Bahn bestimmen. Das war mit den bisherigen Methoden nicht möglich." Die 44-jährige Astronomin nutzt dabei ein ferngesteuertes Teleskop auf der Kanareninsel La Palma. Zwei Jahre lang hat die Forscherin die Daten dokumentiert und analysiert, um sicherzugehen, dass das empfangene Licht auch von dem Planeten stammt. Auf diese Weise soll nicht nur HD 189733b weitere Geheimnisse preisgeben, sondern es sollen langfristig auch weitere Himmelskörper entdeckt und untersucht werden.


Stern mit Fingerabdruck

"Die physikalischen Bedingungen eines Sterns und seine Beschaffenheit haben Einfluss auf das Licht, das von dort abgestrahlt wird. Jeder Stoff, der dort vorkommt, wird im Lichtspektrum auf eigene Weise abgebildet", erläutert Svetlana Berdyugina. "Jeder Stern und jeder Planet hat einen individuellen Fingerabdruck. Dieser gelangt dann durch das Licht auf die Erde. Wir können ihn untersuchen und zum Beispiel herausfinden, ob Wasser auf einem Planeten vorkommt. Wir leisten fast eine Art Detektivarbeit."

Eine Arbeit, die Svetlana Berdyugina erst seit kurzem am Freiburger Kiepenheuer-Institut für Sonnenphysik fortführt. Zuvor war die gebürtige Russin in der Schweiz, am Institut für Astronomie der ETH Zürich tätig. "Hier in Freiburg bin ich nicht mehr nur Forscherin und Professorin, sondern auch stellvertretende Direktorin. Damit kommen immer mehr Verwaltungsaufgaben auf mich zu, die für mich alle noch sehr neu sind." Neu ist auch, dass Berdyugina die erste Physikprofessorin an der Universität Freiburg ist. "Ich arbeite eben in einer Männerdomäne, aber ich habe mich daran gewöhnt", erklärt sie. "Frauen müssen heute immer noch besser sein als ihre männlichen Kollegen. Doch wenn man motiviert und zielorientiert arbeitet, kann man diesem Leistungsdruck gut standhalten."

Zielorientiert war die Südrussin schon immer, vor allem was ihre Berufswahl angeht. "Ich habe mich damals gefragt, was ich mein Leben lang machen will und kann, und bin auf die Astronomie gekommen. Physik und Mathematik haben mir immer schon Spaß gemacht." Ihr Studium absolvierte Svetlana Berdyugina in St. Petersburg. Anschließend arbeitete sie in einem Observatorium auf der Halbinsel Krim und ging dann nach Finnland.


Sonnenflecken polarisieren

Dort hat sie sich auch auf die Erforschung der Aktivität von Sternen, insbesondere auch auf unsere Sonne, spezialisiert. "Sonnenflecken besitzen starke Magnetfelder. Während die Sonne wie ein riesiger, brodelnder 6000 Grad Celsius heißer Kochtopf ist, der viel Energie freisetzt, sind diese Flecken mit 4000 Grad Celsius viel kühler, dafür aber aktiver. Magnetfelder sind meistens die Ursache von Aktivität, also von gewaltigen Ausbrüchen und Eruptionen", erläutert die Forscherin. "Wir wollen herausfinden, wie die Magnetfelder entstehen und wie die resultierende Aktivität die Erde beeinflusst." Die Methode: Licht wird polarisiert, wenn es in einem starken Magnetfeld abgestrahlt wird. Sonnenflecken senden solches Licht aus, der übrige Fixstern nicht. So können die Forscher genau analysieren, welche "Fingerabdrücke" die Lichtstrahlen auf die Erde transportieren.

"Mit diesen Informationen können wir aus einem Punkt, den wir am Himmel sehen, ein dreidimensionales Modell des Sterns erstellen. Dann vergleichen wir unsere Sonne mit diesen Sternen und ziehen Rückschlüsse auf ihre Beschaffenheit." Für dieses Forschungprogramm hat Berdyugina 2004 den prestigeträchtigen European Young Investigator (EURYI) Award bekommen, den ersten in Astrophysik. Gerade in unserer technologisch orientierten Gesellschaft spielt die Erforschung der Sonne eine wichtige Rolle. "Durch Sonnenstürme sind schon große Schäden entstanden, zum Beispiel an Satelliten. Wir reden von sehr großen Geldbeträgen. Durch eine sichere Weltraumwetter-Vorhersage könnten die Satelliten rechtzeitig geschützt werden", erläutert Svetlana Berdyugina.

Der Blick in weit entfernte Sternenwelten lässt viele Rückschlüsse auf unser eigenes Sonnensystem zu. "Durch den direkten Vergleich können wir zum Beispiel verstehen, warum unsere acht Planeten über Milliarden Jahre stabil bleiben und nicht etwa herausdriften. Oder warum sie überhaupt so lange existieren können", erklärt die Astronomin. "Und im Idealfall entdecken wir vielleicht irgendwo einen Planeten wie unsere Erde. Das sind Erkenntnisse, die unser Weltbild stark verändern werden."

Forscherinnen und Forscher brauchen Geduld, denn das beobachtete Abbild des Sterns oder Planeten ist niemals aktuell. "Wir sind stets einen Schritt hinterher und blicken immer zurück in die Vergangenheit. Das Licht des Planeten HD 189733b braucht zum Beispiel 60 Jahre, um auf die Erde zu gelangen. Es bildet also den Planeten so ab, wie er vor 60 Jahren war", erläutert Svetlana Berdyugina. "Ich wünschte manchmal, ich hätte eine Zeitmaschine, mit der ich diese fernen Orte im Universum problemlos bereisen könnte."


Svetlana Berdyugina ist stellvertretende Direktorin des Kiepenheuer Institut für Sonnenphysik in Freiburg. Sie erstellt Fingerabdrücke von Planeten und wünscht sich manchmal eine Zeitmaschine, um ferne Orte im Universum bereisen zu können.


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Quelle:
Leibniz - Journal der Leibniz-Gemeinschaft, Nr. 4/2008, Seite 8-9
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Januar 2009