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FORSCHUNG/386: Blick ins staubige Universum (Sterne und Weltraum)


Sterne und Weltraum 5/09 - Mai 2009
Zeitschrift für Astronomie

Blick ins staubige Universum
Das wissenschaftliche Potenzial des Atacama Large Millimeter Array

Von Karl M. Menten und Friedrich Wyrowski


Bald wird in den chilenischen Anden ALMA in Betrieb gehen. Dieses riesige Interferometer für Submillimeterwellen ist ein gemeinsames Projekt europäischer, nordamerikanischer und japanischer Partner. Es wird unter anderem ganz neue Möglichkeiten eröffnen, die »Ursprünge« unserer Welt zu erforschen: die Geburt von Planetensystemen und die ersten Wachstumsphasen der Galaxien.



IN KÜRZE

Erst der Standort von ALMA in einer 5000 Meter hoch gelegenen Wüste, wo die Luft dünn und extrem trocken ist, eröffnet den Zugang zur Submillimeterstrahlung des kosmischen Staubs und Gases.
Kein vergleichbares Instrument vereinigt so viele Einzelantennen zu einer so großen, über ein so ausgedehntes Areal verteilten Sammelfläche.
Daraus ergibt sich eine gänzlich neuartige Abbildungsqualität und ein räumliches Auflösungsvermögen, das mit jenem der modernsten Großteleskope mit adaptiver Optik im sichtbaren Licht zu vergleichen ist.

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Eine riesige Sammelfläche, eine große räumliche Ausdehnung und dramatische Fortschritte in der Detektortechnologie machen das Atacama Large Millimeter Array (ALMA) zu einem einzigartigen Instrument: Beobachtungen im Millimeter- und Submillimeterwellenbereich werden mit einer um mehrere Größenordnungen höheren Empfindlichkeit als bisher möglich sein. Und ALMAs Auflösungsvermögen wird sich mit jenem der größten, heute an ihrer Beugungsgrenze betriebenen optischen und Infrarot-Teleskope vergleichen lassen.

Hier möchten wir das gänzlich neuartige wissenschaftliche Potenzial dieses Observatoriums vorstellen und illustrieren dies anhand einiger Beispiele aus den verschiedensten Bereichen der Astronomie.


Ein internationales Projekt

Seit mehr als zwei Jahrzehnten haben sich Astronomen in aller Welt über eine Interferometeranlage der nächsten Generation für Radiowellen im Submillimeter- und Millimeterbereich Gedanken gemacht. In den USA begann man in den frühen 1980er Jahren, motiviert durch den grogroßen Erfolg der beiden in Kalifornien operierenden Millimeter-Interferometer, die vom California Institute of Technology und der University of California at Berkeley betrieben werden, mit der Planung eines »Millimeter Array«.

In Europa, wo etwas später die ersten spektakulären Ergebnisse mit dem IRAM-Interferometer auf dem Plateau de Bure bei Grenoble erzielt wurden, diskutierten die Forscher in den frühen 1990er Jahren über ein »Large Southern Array«; etwa zur gleichen Zeit begann in Japan die Konzeption eines »Large Millimeter and Submillimeter Array«.

Als Standort visierten alle drei Projekte die rund 5000 Meter hohe Atacama-Wüste im Norden Chiles an. Um Synergieeffekte zu nutzen - und weil die Anzahl der Basislinien einer Interferometer-Anordnung, und damit ihre Bilderzeugungskapazität, etwa proportional zum Quadrat der Antennenanzahl ist -, wurde 1999 für das europäische und das US-amerikanische Projekt eine gemeinsame Entwurfs- und Entwicklungsphase beschlossen, mit dem Ziel, eine gemeinsame Interferometeranlage (englisch: array) zu konstruieren und zu betreiben. Damit war das »Atacama Large Millimeter Array« (ALMA) geboren. Japan kam 2004 hinzu und steuert das »ALMA Compact Array« (ACA) bei, das aus zwölf 7-Meter-Antennen und vier 12-Meter-Antennen bestehen wird.

Was ist die Motivation für ein solches Submillimeter-Interferometer wie ALMA, und welche Fähigkeiten können wir von ihm erwarten? Das Potenzial von ALMA möchten wir anhand einiger wichtiger Projekte aus den verschiedensten Gebieten der Astronomie schildern. Diese Forschungsvorhaben sind mit heute verfügbaren Instrumenten völlig unmöglich, werden aber mit ALMA Routine sein.


Submillimeter-Astronomie

Gewöhnliche Sterne strahlen den größten Teil ihrer Energie im sichtbaren Licht und im nahen Infrarot ab. Warmer interstellarer Staub mit Temperaturen zwischen 30 und einigen Hundert Kelvin strahlt im fernen Infrarot zwischen 30 und 200 Mikrometer Wellenlänge, kalter Staub mit Temperaturen unter 20 Kelvin strahlt vor allem im Submillimeterbereich mit Wellenlängen größer als 200 Mikrometer. Wegen der starken Wellenlängenabhängigkeit der Strahlung und der zu kürzeren Wellenlängen hin zunehmenden Absorption der Erdatmosphäre (siehe Zusatzinformation »Submillimeter-Astronomie« unten), ist für bodengebundene Beobachtungsinstrumente der Bereich zwischen etwa 1,5 und 0,8 Millimeter Wellenlänge für Untersuchungen des kalten interstellaren Staubs optimal.

Die thermische Emission des gesamten interstellaren Staubs in einer Galaxie erreicht das Maximum ihrer spektralen Energieverteilung bei etwa 100 Mikrometer Wellenlänge. Dieser Beitrag des Staubs zur gesamten Strahlung ist schon für normale Galaxien bedeutend; für so genannte ultraleuchtkräftige Infrarotgalaxien (ULIRGs) übertrifft er die Energieabgabe aufgrund anderer Strahlungsprozesse um ein Vielfaches. Für sehr weit entfernte Galaxien aus dem frühen Universum, deren Licht aufgrund der kosmischen Expansion stark rotverschoben bei der Erde eintrifft, verschiebt sich dieses Maximum sogar vom fernen Infrarot in den Submillimeter- und Millimeterwellenbereich, in dem die Absorption in der Erdatmosphäre wesentlich schwächer ist. Dadurch wird die Abschwächung der Helligkeit der Galaxien aufgrund ihrer Entfernung kompensiert, und das Beobachten der Staubemission von ULIRGs im frühen Universum wird zumindest an besonders günstigen, das heißt hoch gelegenen und trockenen Standorten möglich.

Abgesehen vom interstellaren Staub leitet sich das Interesse der Astronomen an Beobachtungen im Millimeter- und Submillimeterwellenbereich aus dem Umstand ab, dass die Rotationsspektren vieler astronomisch interessanter Moleküle in diesem Bereich liegen. Anhand der Moleküllinien im Submillimeterbereich lässt sich eine Vielzahl astronomischer Objekte in einem weiten Bereich physikalischer Parameter untersuchen - von den sehr kalten, dichten inneren Zonen der Molekülwolken bis zu den heißen zirkumstellaren Hüllen der Roten Riesensterne. Insbesondere die Rotationslinien des Kohlenmonoxid-Moleküls (CO), die sich in all diesen Umgebungen beobachten lassen, dienen routinemäßig dazu, die Molekülwolken in unserer Milchstraße und in anderen Galaxien zu kartieren. Denn das häufigste Molekül, der molekulare Wasserstoff, ist in normalen Umgebungen nur schwer zu beobachten. Selbst in Galaxien im frühen Universum konnte man in den letzten Jahren CO nachweisen.


Der Standort

ALMA wird gegenwärtig in der Atacama-Wüste aufgebaut. Das ist einer der trockensten Plätze der Erde und somit ein idealer Standort für Astronomie im Submillimeterbereich. Erst der dort herrschende extrem geringe Wasserdampfgehalt der Atmosphäre macht diese für Submillimeterstrahlung durchlässig. Der hervorragende weitläufige Standort auf dem Llano de Chajnantor, nahe San Pedro de Atacama (siehe Bildunterschrift 4), erlaubt Submillimeter-Beobachtungen fast zu jeder Zeit, und die Antennen lassen sich auf einer bis zu hundert Quadratkilometer großen Fläche optimal aufstellen. Längere Basislinien von bis zu 20 Kilometern sind möglich, indem benachbarte Areale einbezogen werden.

Die Inbetriebnahme von ALMA an diesem Standort wird eine Revolution in der Submillimeter-Astronomie bewirken und eröffnet völlig neue Bereiche der Wellenlängenüberdeckung, räumlichen Auflösung, Empfindlichkeit und Abbildungstreue. Ein weites Spektrum von zum Teil miteinander konkurrierenden Forderungen nach höchster Empfindlichkeit und Winkelauflösung wird dadurch abgedeckt, dass sich die Einzelantennen in den verschiedensten Konfigurationen anordnen lassen. Transportiert werden die Antennen mit speziellen Fahrzeugen. Ein Beispiel für eine relativ kompakte Anordnung ist auf Seite 29 dargestellt.


Submillimeter-Interferometrie

Im Folgenden werden wir die wichtigsten Aspekte dieser Beobachtungstechnik beschreiben, indem wir einerseits die Beschränkungen gegenwärtiger Interferometer und andererseits die neuen Möglichkeiten von ALMA schildern.

Das Beobachten im Submillimeterbereich ist mit den heute existierenden Interferometern nur sehr eingeschränkt oder überhaupt nicht möglich, weil sie an relativ niedrigen Standorten stehen, wo erhebliche atmosphärische Absorption herrscht und die Phasenkohärenz schlecht ist. Weiterhin sind die Oberflächen ihrer Reflektoren für den Empfang kurzwelliger Strahlung meist zu ungenau gefertigt. An dem für ALMA ausgesuchten Standort werden die Transparenz der Atmosphäre und die Phasenkohärenz seit vielen Jahren gemessen, und es zeigt sich, dass während der Hälfte der Zeit exzellente atmosphärische Bedingungen herrschen, die Beobachtungen in allen Submillimeterfenstern ermöglichen. Für die Antennen des ALMA-Interferometers ist eine Oberflächengenauigkeit von 25 Mikrometern notwendig, die für einen effizienten Betrieb bei allen Wellenlängen oberhalb 300 Mikrometer ausreicht.

Die höchste mit heutigen Millimeterwellen-Interferometern erreichbare räumliche Auflösung beträgt etwa 0,5 Bogensekunden. Das ist mehr als eine Größenordnung schlechter als die mit dem Very Large Array (VLA), dem weltweit wenigen Minuten Beobachtungszeit erreicht, ergibt sich aus der großen Anzahl von Basislinien (351) bei diesem Instrument. Die 1225 Basislinien von ALMA gewährleisten eine hohe Dynamik und ermöglichen ein extrem schnelles Imaging.


Infrastruktur und Betrieb

Neben dem eigentlichen Standort der Teleskope auf dem Chajnantor-Plateau, dem so genannten »Array Operations Site« (AOS, siehe Bildunterschrift 5), wo die Teleskope und auch technische Gebäude mit dem Korrelator, der die Signale der einzelnen Antennen zusammenführt, entstehen, umfasst das ALMA-Projekt noch andere wichtige Komponenten. Um die Arbeiten auf dem hochgelegenen Plateau auf ein Minimum zu reduzieren, wird am Rande der Hochebene, auf 2900 Meter Höhe, ein Basislager eingerichtet, die so genannte »Operation Support Facility« (OSF), wo sich die Antennen zusammenbauen, testen und regelmäßig warten lassen. Für den Transport der Antennen vom Basislager zum Chajnantor-Plateau und zurück entstand eine fast autobahnbreite, 43 Kilometer lange Schotterstraße, auf der die Antennen mit großen Spezialtransportern befördert werden (siehe Bildunterschrift 6). Von der OSF aus wird man auch die Beobachtungen durchführen. Hier finden alle direkt mit den Beobachtungen zusammenhängenden wissenschaftlichen Aktivitäten statt.

Nach den Beobachtungen werden alle Daten zu den ALMA-Büros in Santiago de Chile übertragen, wo neben der Verwaltung auch das Datenarchiv angesiedelt sein wird. Die Schnittstellen zwischen dem ALMA-Projekt und den Astronomen in Nordamerika, Europa und Fernost bilden so genannte ALMA Regional Centers (ARCs). In Europa ist das zentrale ARC bei ESO in Garching geplant und wird durch Außenstellen in sechs weiteren europäischen Ländern verstärkt.

APEX, der Wegbereiter Bevor wir die wissenschaftlichen Möglichkeiten von ALMA beschreiben, wollen wir APEX, das »Atacama Pathfinder Experiment«, vorstellen. Mit diesem Zwölf-Meter-Teleskop für Beobachtungen im Submillimeter-Bereich sind schon heute Untersuchungen möglich, die ALMA später mit seiner hohen räumlichen Auflösung weiterführen und vertiefen kann.

APEX wird von der Max-Planck-Gesellschaft, der Europäischen Südsternwarte ESO und dem schwedischen Onsala Space Observatory unter Leitung des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie in Bonn betrieben. Das Teleskop (Bildunterschrift 7) steht auf der Chajnantor-Hochebene in der chilenischen Atacama-Wüste, wo auch ALMA errichtet wird.

- Kalter Staub in der Milchstraße: Die Beobachtung der kontinuierlichen thermischen Strahlung des kalten Staubs bietet einen optimalen Zugang zu den frühesten Phasen der Sternentstehung in der Milchstraße. Zwar beobachtete man in den letzten Jahren einzelne Molekülwolken mit Hilfe neu entwickelter Bolometer und Bolometerkameras, aber es gibt noch keine vollständige Kartierung des kalten Staubs. Eine solche Kartierung ist aber insbesondere zum Studium der Entstehung massereicher Sterne erforderlich. Die Entstehungsphase dieser Sterne ist viel kürzer als diejenige massearmer Sterne - deshalb lassen sich nur wenige Beispiele beobachten. Schon die Frühphasen massereicher Sternentstehung zu lokalisieren, ist besonders schwierig - dies gelingt nur mit Hilfe systematischer Durchmusterungen. Das Verständnis der Entstehung massereicher Sterne ist aber für viele Bereiche der Astronomie von entscheidender Bedeutung, da diese Sterne während ihres gesamten, wenn auch kurzen Lebens heftig mit dem interstellaren Medium in Wechselwirkung treten und so das Erscheinungsbild ganzer Galaxien auf vielfältige Weise prägen.

Einen Ausschnitt aus dem bisher kartierten Gebiet der Milchstraße zeigt das Bild unten. Neben zahlreichen kompakten Quellen unterschiedlichster Helligkeit sind auch schwächere, ausgedehntere Emissionsgebiete zu erkennen sowie eine Reihe von Filamenten bis zu einer Länge von mehreren Grad. Einzelne kompakte Quellen sind Verdichtungen in Molekülwolken, in denen entweder bereits Sterne entstehen, oder die das Rohmaterial darstellen, aus dem sich künftig Sterne und Sternhaufen bilden werden. Diese Klumpen sind typischerweise einige Lichtjahre groß, und ihre Massen liegen im Durchschnitt bei einigen hundert Sonnenmassen. Oft bilden die Klumpen größere, durch Filamente verknüpfte Komplexe. Die vollständige Durchmusterung wird mehrere zehntausend kalte Staubquellen enthalten und eine für das Studium der Entstehung massereicher Sterne und Sternhaufen ausgezeichnete statistische Basis bilden. Viele dieser neu gefundenen Quellen werden lohnende Objekte für nachfolgende hochauflösende Studien mit ALMA sein.

- Galaxienentstehung im frühen Universum: Eine der interessantesten Entdeckungen der Submillimeter-Astronomie war der zweifelsfreie Nachweis einer Submillimeter-Hintergrundstrahlung, die sich mittlerweile, ähnlich wie der Röntgenhintergrund, auf diskrete Quellen in größtenteils kosmologischen Entfernungen zurückführen lässt. Große Massen warmen Staubs erzeugen diese Emission. Da der Staub von heißen, massereichen, und deshalb kurzlebigen Sternen aufgeheizt wird, ist seine Wärmestrahlung ein direktes Maß für die Sternentstehungsaktivität in der Quelle. Die Beobachtung einer statistisch signifikanten Anzahl solcher Quellen zeigte, dass alle Ableitungen der Sternentstehungsrate im frühen Universum, die allein auf optischen Daten wie dem Hubble Deep Field (HDF) beruhen, diese Rate erheblich unterschätzen.

Im Laufe der letzten Jahre führten Kartierungen von begrenzten Himmelsabschnitten Himmelsabschnitten mit den neuen Multi-Element Bolometer-Kameras wie SCUBA am James-Clerk-Maxwell Telescope auf Mauna Kea und unserem »Max Planck Millimeter Bolometer Array« (MAMBO) am IRAM-30-Meter-Teleskop zur Entdeckung von einigen Dutzend Quellen. Bei ihnen handelt es sich höchstwahrscheinlich um hoch rotverschobene (z > 1) ultraleuchtkräftige Infrarotgalaxien (ULIRG), deren Infrarot-Leuchtkraft mehrfach höher ist als diejenige der archetypischen ULIRG Arp 220. Die neue Bolometerkamera LABOCA am APEX-Teleskop ist ideal für großflächige, hochempfindliche Kartierungen. Damit wird die Statistik für Submillimeter-Galaxien nochmals erheblich verbessert. Außerdem bereiten diese Beobachtungen den Weg für detaillierte Studien dieser Quellen mit ALMA.

Auch mit diesen Beobachtungsprogrammen wird APEX seinem Namen als Wegbereiter gerecht: Es hat bereits und wird noch viele weitere astronomische Objekte entdecken, die sich im nächsten Jahrzehnt in allen Einzelheiten mit ALMA studieren lassen. Beispiele für die Wissenschaft mit ALMA Mit seiner überragenden Empfindlichkeit und seinem Auflösungsvermögen wird ALMA in praktisch allen Feldern der Astrophysik bahnbrechende Beobachtungen ermöglichen.

Die optimale wissenschaftliche Aussagekraft wird erreicht, wenn in den verschiedenen Wellenlängen, bei denen die untersuchten Objekte strahlen, Beobachtungen mit vergleichbarer räumlicher Auflösung vorliegen. Im Submillimeter-Bereich wird ALMA an das Auflösungsvermögen der optischen Großteleskope herankommen, deshalb wird der kombinierte Einsatz von ALMA und dem Very Large Telescope (VLT), das nur wenige hundert Kilometer von ALMA entfernt auf dem Cerro Paranal steht (siehe Bildunterschrift 4), entscheidende Fortschritte mit sich bringen.

ALMA wird heute noch unerreichbare Ergebnisse zu Fragestellungen aus verschiedenen Gebieten der Astronomie liefern, die von unserem Sonnensystem bis hin zur Kosmologie reichen. Obwohl sich ALMA auch hervorragend für großflächige Kartierungen eignet, haben wir vorwiegend Beispiele ausgewählt, die seine exzellente Empfindlichkeit für Punktquellen demonstrieren, das heißt für Objekte, die nur wenige bis einige Dutzend Auflösungselemente groß sind.

Im Submillimeterbereich hängt die für das Erreichen einer vorgegebenen Messgenauigkeit erforderliche Beobachtungszeit von der Qualität des Detektors, aber auch besonders dramatisch von den Wetterbedingungen ab - insbesondere vom Wasserdampfgehalt der Erdatmosphäre. Für die hier folgenden Abschätzungen nehmen wir Bedingungen an, wie sie auf der Chajnantor-Ebene während etwa der Hälfte der Zeit vorherrschen.

- Das Wetter auf Pluto und Charon: Vor einiger Zeit revolutionierten eine Reihe bahnbrechender neuer Beobachtungen vom Erdboden aus unser Wissen über das Pluto-Charon-System. In Plutos Atmosphäre fanden sich Methan (CH4) und andere schwerere Bestandteile wie Stickstoff. Zudem ließen sich räumlich aufgelöste Albedo-Karten des Systems erstellen (siehe Bildunterschrift 9). Diese Karten entstanden aus Daten, die während gegenseitiger Verfinsterungen des Pluto-Charon-Systems aufgenommen wurden. Direkte Beobachtungen mit dem Weltraumteleskop Hubble erlaubten später die Bestimmung der Durchmesser beider Körper und bestätigten bestätigten die Verteilung der Albedostrukturen.

Im Bereich der Millimeterwellenlängen erforschte das Pluto-Charon-System zuerst Wilhelm Altenhoff im Jahr 1988 unter Verwendung des IRAM-30-Meter-Teleskops. Diese Beobachtungen deuteten auf eine überraschend niedrige Helligkeitstemperatur hin, nur wenig unterhalb der Gleichgewichtstemperatur. Der tatsächliche Wert der Temperatur ist wichtig für alle Modelle von Plutos Atmosphäre, da die Sublimationstemperaturen ihrer plausiblen Bestandteile (CH 4, N2 und CO) im fraglichen Bereich liegen.

ALMA kann die Temperaturverteilung auf Plutos Oberfläche direkt kartieren. Bei einer Wellenlänge von 0,7 Millimetern wird eine Stunde Beobachtungszeit in einer Zehn-Kilometer-Konfiguration ausreichen, um die Oberflächen von Pluto und Charon räumlich aufzulösen und Karten ihrer Temperaturverteilungen mit einer Genauigkeit von einem Bruchteil eines Kelvin zu erstellen. Zusätzlich lassen sich mit ALMA zahlreiche Objekte des Kuipergürtels im Submillimeterbereich beobachten und - in Verbindung mit optischen Beobachtungen - deren Durchmesser bestimmen.

- Jupiter-ähnliche Planeten um nahe Sterne: Für direkte Beobachtungen extrasolarer Planeten im sichtbaren Licht stellt der extreme Helligkeitskontrast zwischen Stern und Planet die größte Hürde dar. Dieser Kontrast ist im Submillimeterbereich deutlich geringer. Auch reicht das Auflösungsvermögen von ALMA aus, um die nahegelegenen unter den bisher gefunden »heißen Jupiter« von ihren Sternen getrennt abzubilden. Ein Problem ist die äußerst geringe Helligkeit dieser Planeten. Dadurch ergeben sich selbst für die nächstgelegenen Systeme Beobachtungszeiten von mehreren Tagen. Erfolgversprechender ist die Beobachtung von Planeten während ihrer Entstehung in protostellaren Akkretionsscheiben.

- Planetenentstehung und protostellare Akkretionsscheiben: Beobachtungen mit dem Weltraumteleskop Hubble lieferten in den letzten Jahren spektakuläre Bilder von Akkretionsscheiben um junge, neu gebildete Sterne. Um allerdings genau zu verstehen, wie in diesen Scheiben die Staubteilchen bis zur Bildung so genannter Planetesimale (das sind bis zu einigen Kilometern große feste Körper) zusammenwachsen, sind räumlich aufgelöste Beobachtungen im Submillimeterbereich notwendig, wie sie nur ALMA ermöglichen wird.

Bereits heute beobachten Millimeter-Interferometer die Staub- und Moleküllinienemission protostellarer Scheiben. Allerdings beschränken sich diese Studien noch auf den äußeren Bereich der Akkretionsscheiben und einige wenige Moleküle. ALMA wird räumlich aufgelöste Studien der thermischen, chemischen und Dichtestruktur dieser Scheiben bis in den inneren Teil ihrer planetenbildenden Bereiche erlauben.

Als eine der aufregendsten von ALMA gebotenen Möglichkeiten dürfte die Beobachtung der direkten Wechselwirkung der sich formenden Planeten mit den Akkretionsscheiben sein. Das Bild oben zeigt eine Simulation, in der ein Jupiter-ähnlicher Planet in einer Entfernung vom Protostern entsteht, die etwa der Entfernung von Jupiter zur Sonne entspricht. Der Einfluss des Protoplaneten zeigt sich durch die Ausbildung von Lücken und Spiralwellen in der Scheibe. Mit ALMA sollte dieser Effekt in protostellaren Scheiben bis zu einer Entfernung von etwa 300 Lichtjahren sichtbar sein.

- Jets und molekulare Ausflüsse: Sterne bilden sich durch den Kollaps von Molekülwolken unter dem Einfluss ihrer Schwerkraft. Während dieser Kontraktion führt schon ein geringer anfänglich vorhandener Drehimpuls zur Abplattung des kollabierenden Molekülwolkenkerns und zur Ausbildung einer rotierenden Akkretionsscheibe in der Äquatorebene des Systems. Aufgrund der in der dichten Scheibe auftretenden Reibung wird hier der Drehimpuls nach außen transportiert, so dass weitere Materie ins Innere des Wolkenkerns vordringen und sich auf dem heranwachsenden Protostern ansammeln kann. Überraschenderweise beobachtete man schon sehr früh während der Erforschung der Sternentstehung mit radioastronomischen Methoden, dass zusätzlich auch Gas über die Pole abfließt, vermutlich durch den Einfluss von Magnetfeldern. Diese »molekularen Ausflüsse« treiben energiereiche »Jets«, schnelle hoch kollimierte Strömungen, welche die Protosterne in Richtung beider Pole verlassen (siehe Bildunterschrift 11). Ihr Studium ermöglicht es, auf indirekte Weise Informationen über den auf wesentlich kleineren Skalen ablaufenden Akkretionsprozess zu gewinnen und den Einfluss der Jets auf die umgebenden Molekülwolken zu untersuchen.

ALMA soll im Detail erforschen, welche physikalischen Prozesse die Jets antreiben und in welcher Beziehung protostellare Scheiben und Jets zueinander stehen. Die Beobachtung der Emissionslinien einer Vielzahl von Molekülen in den Jetgetriebenen Ausflüssen wird über die Wechselwirkung der Ausflüsse mit den umgebenden Wolken Aufschluss geben.

- Staubteilchen in den Winden Roter Riesensterne: In den späten Phasen ihrer Entwicklung werden sonnenähnliche Sterne zu Roten Riesen. Weil die Schwerebeschleunigung an der Oberfläche eines Roten Riesen gering ist, verliert er kontinuierlich Materie, und wegen der niedrigen Temperatur (etwa 2000 bis 3000 Kelvin) bilden sich in diesem »Sternwind« sofort einfache Moleküle. Weiter außen, sobald die Temperatur unter etwa 1500 Kelvin gesunken ist, kondensieren die Moleküle zu Staubkörnern. Diese werden durch den mächtigen Strahlungsdruck des Riesensterns nach außen beschleunigt und reißen durch Reibung nichtkondensierte Moleküle mit. Dadurch erleiden Rote Riesen einen Massenverlust von 10-8 bis 10-6, Überriesen von bis zu 10-4 Sonnenmassen pro Jahr. (Zum Vergleich: Unsere Sonne, die erst in etwa fünf Milliarden Jahren zum Roten Riesen wird, verliert in Form ihres »Sonnenwinds« zur Zeit etwa 10-14 Sonnenmassen jährlich.) Die in diesen zirkumstellaren Hüllen produzierten Staubteilchen und Moleküle sind ein wichtiger Teil des Materialrückflusses von den Sternen zurück ins interstellare Medium, aus dem sie entstanden sind.

Die Beobachtungen der Millimeter-Interferometer führten zu detaillierten Bildern der Emissionsverteilungen zahlreicher Moleküle in den äußeren Hüllen dieser Sterne - und zwar Hunderte bis Tausende Sternradien vom Stern entfernt (siehe Bildunterschrift 12). Die neuesten Ergebnisse sind von so hoher Qualität, dass es hoch interessant ist, sie mit den modernsten chemischen Modellen zu vergleichen, die neben den durch die stellare Atmosphäre bestimmten Anfangsbedingungen auch den maßgeblichen Einfluss des ultravioletten interstellaren Strahlungsfelds berücksichtigen.

ALMAs hohe räumliche Auflösung und exzellente Empfindlichkeit werden detaillierte Studien der innersten Region dieser zirkumstellaren Hüllen ermöglichen. Mit ALMA wird man die Submillimeter-Photosphären vieler naher Sterne auflösen und ihre Temperaturverteilung messen können. Durch Beobachtungen hoch angeregter Spektrallinien vieler Moleküle wird man Häufigkeitsprofile durch die gesamte heiße ( T > 1000 Kelvin) innere Hülle bestimmen können, die heutzutage nur anhand von Infrarot-Absorptionslinien und Radio/Submillimeter-Maserlinien zugänglich ist (siehe Bildunterschrift 13). ALMA wird direkte Informationen auf den räumlichen Skalen liefern, in denen refraktäre Moleküle zu Staubkörnern kondensieren, und somit fundamentale neue Erkenntnisse über die Abreicherungen der Elemente und Staubentstehungsprozesse ermöglichen.

- Sternentstehung im frühen Universum: Bei der Beschreibung der Wissenschaft mit APEX diskutierten wir bereits über die Bedeutung der Suche nach Galaxien im frühen Universum aufgrund ihrer Submillimeterstrahlung. Große Bolometerkameras an Einzelteleskopen lassen sich zwar in ihrer Empfindlichkeit selbst von ALMA nicht schlagen, allerdings bedeutet ihre relativ geringe räumliche Auflösung einen entscheidenden Nachteil: Im Submillimeterbereich wird bald die »Konfusionsgrenze« erreicht, das heißt, die Galaxien stehen am Himmel so dicht beisammen, dass sie sich nicht mehr in einzelne Quellen auflösen lassen. Hier wird ALMA helfen, wichtige Fragen zur Sternentstehung im frühen Universum zu beantworten. Selbst in der kompaktesten Konfigurationen (bei der geringsten räumlichen Auflösung) beträgt die mit ALMA aufgelöste Fläche weniger als ein Hundertstel der Fläche, die ein Einzelteleskop auflösen kann. Entsprechend tiefer liegt für ALMA die Konfusionsgrenze. Durch die einem Interferometer eigene Methode, Kreuzkorrelationen zu messen, lässt sich das Stabilitätsproblem bei langen Integrationen, mit dem Einzelteleskope zu kämpfen haben, vermeiden. Mit langen Integrationszeiten wird ALMA weit schwächere Galaxien der Submillimeter-Population beobachten können, die wesentlich repräsentativer sein werden als die extrem leuchtstarken Quellen, die gegenwärtig allein gefunden werden.

Zusätzlich wird es mit ALMA möglich sein, die aufgrund ihrer Submillimeterstrahlung Submillimeterstrahlung gefundenen Galaxien räumlich aufzulösen. Neueste Ergebnisse aus Beobachtungen mit dem IRAM-Interferometer auf dem Plateau de Bure zeigen schon heute das Potenzial solcher Studien, welche die Bilder und Spektren der leuchtkräftigsten Objekte in mehrere, nur Bogensekunden voneinander entfernte, kollidierende Galaxien auflösen.


ALMA und weitere Observatorien der Zukunft

Die von ALMA ermöglichten Beobachtungen werden die Ergebnisse zu denen einer Anzahl weiterer, zukünftiger Observatorien ergänzen:

In den nächsten Wochen wird die europäische Herschel-Mission starten. Herschel wird dann mit seinem 3,5 Meter großen Spiegel das größte im Weltraum betriebene Teleskop sein und als einziges im Submillimeter- bis Ferninfrarotbereich arbeiten, also auch bei kürzeren Wellenlängen als ALMA. Es kann insbesondere Moleküle untersuchen, die von der Erde aus nur schwer beobachtbar sind, zum Beispiel Wasser. Allerdings wird die räumliche Auflösung von Herschel auf bestenfalls vier Bogensekunden begrenzt sein. ALMA wird dann die innere Struktur der mit Herschel beobachteten Objekte untersuchen können.

In einer Kooperation zwischen der NASA und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) wird zukünftig das Stratosphären- Observatorium für Infrarotastronomie (SOFIA) betrieben. Es besteht aus einem umgebauten Verkehrsflugzeug, einer Boeing 747, aus dem heraus in Flughöhen von mehr als zwölf Kilometern mit einem 2,7-Meter-Infrarot-Teleskop beobachtet werden kann. Dieses fliegende Infrarot-Observatorium wird voraussichtlich im Jahr 2010 erste wissenschaftliche Beobachtungen durchführen. Auch hier dürfte ALMA wichtige komplementäre hochauflösende Beobachtungen liefern.

Die Erweiterung des seit vielen Jahren erfolgreich betriebenen Very Large Array (VLA) zum Expanded Very Large Array (EVLA) wird ein praktisch neues Observatorium für Interferometrie im Zentimeterbereich ergeben, das weit über die bisherigen Möglichkeiten des VLA hinausgeht. Seine Empfindlichkeit wird um ein Vielfaches steigen, seine räumliche Auflösung wird die von ALMA erreichen. Die beiden Instrumente decken komplementäre Wellenlängenbereiche ab: Während ALMA als kontinuierliche Strahlung vor allem die thermische Staubemission beobachten wird, wird das EVLA vorwiegend Strahlung von ionisierten Gebieten und Synchrotronstrahlung nachweisen. Aber bei vielen astronomischen Fragestellungen führt erst die Summe der Informationen von all diesen Strahlungsprozessen zu einem vollständigen physikalischen Verständnis, so dass sich beide Observatorien hervorragend ergänzen.


Gegenwärtiger Stand des ALMA-Projekts

In den letzten Jahren machte das ALMA-Projekt enorme Fortschritte, so dass erste Beobachtungen mit dem Instrument nun in greifbare Nähe rücken. Die Prototyp-Antennen der »ALMA Test Facility« (ATF) in New Mexico wurden abschließend getestet und liefern erste interferometrische Spektren (siehe Bildunterschrift 14).

Die endgültigen Antennen sind bestellt: Die nordamerikanischen und europäischen Partner gaben bei Vertex RSI und dem europäischen Konsortium AEM 25 Antennen mit einer späteren Option für weitere 32 Stück in Auftrag. Mehrere Vertex-Antennen wurden bereits geliefert, die erste wurde im Dezember 2008 offiziell an das ALMA-Projekt übergeben. Auch die Japaner bestellten die Antennen für das ALMA Compact Array, die vier 12-Meter-Antennen sind bereits in Chile eingetroffen und werden dort nun getestet.

Auf der Chajnantor-Hochebene ist das technische Gebäude fertiggestellt (siehe Bildunterschrift 5), und dort ist bereits ein Teil des Korrelators installiert. Für die Teleskope werden auf der Hochebene die ersten Fundamente vorbereitet, und die Spezialfahrzeuge für den Transport zur Hochebene sind in der Erprobung.

Auch der Bau der Empfangssysteme macht große Fortschritte. Für die vollständige Überdeckung des Frequenzbereichs von 84 bis 950 GHz werden acht unterschiedliche Empfängertypen benötigt. Sechs davon sind im Bau und mindestens drei weitere werden frühzeitig für die »Early Science« zur Verfügung stehen. Die nebenstehende Tabelle gibt einen Überblick über den Zeitplan des ALMA-Projekts.

Die Wissenschaftler stehen nun erwartungsvoll in den Startlöchern. In den letzten Jahren fanden zahlreiche wissenschaftliche Konferenzen statt, um Forschungsprojekte für ALMA zu diskutieren und zu planen. Diese Phase geht nun langsam vorüber und schon nächstes Jahr werden Forscher in aller Welt aufgefordert sein, konkrete wissenschaftliche Beobachtungsanträge aus den unterschiedlichsten Themenbereichen der Astronomie zu formulieren und einzureichen. Diese Anträge werden dann einer eingehenden technischen und wissenschaftlichen Überprüfung unterzogen, und die besten der vorgeschlagenen Projekte werden für die erste Wissenschaft mit ALMA ab etwa 2011 ausgewählt und durchgeführt. Wir können sicher sein, dass damit eine neue Ära der Astronomie beginnen wird.


Karl M. Menten ist Direktor am Max-Planck-Institut für Radioastronomie (MPIfR) in Bonn und leitet dort die Abteilung »Millimeter- und Submillimeter-Astronomie«.

Friedrich Wyrowski erforscht am MPIfR die Sternentstehung und ist Projektwissenschaftler für APEX. Bei ALMA arbeitet er an der Heuristik der Datenreduktion.


WIS - Wissenschaft in die Schulen!

Zu diesem Beitrag stehen jedem Interessierten auf unserer Internetseite www.wissenschaft-schulen.de didaktische Materialien zur freien Verfügung. Darin wird gezeigt, wie einige der hier angesprochenen Themen im Rahmen des Physikunterrichts in der gymnasialen Oberstufe behandelt werden können. Unser Projekt »Wissenschaft in die Schulen!« führen wir in Zusammenarbeit mit der Landesakademie für Lehrerfortbildung in Bad Wildbad durch. Es wird von der Klaus Tschira Stiftung gGmbH großzügig gefördert.


Literaturhinweise

Beuther, H.: Das Submillimeter Array auf dem Mauna Kea. In: Sterne und Weltraum 3/2004, S. 36 - 41.

Dahlem, M., Brinks, E.: Radiobeobachtungen. Welches Instrument für welche Anwendung? Teil 1, Einzelteleskope. In: SuW 5/1994, S. 350 - 357; Teil 2, Interferometer. In: SuW 6/1994, S. 446 - 452; Teil 3, Strahlungsprozesse. In: SuW 7/1994, S. 524 - 531; Teil 4, Messtechniken. In: SuW 10/1994, S. 692 - 702.

Neumann, M.: APEX - das Atacama Pathfinder Experiment. In: Sterne und Weltraum 10/2005, S. 38 - 46.

Weblinks zu diesem Artikel: www.astronomie-heute.de/artikel/ 986443


ZUSATZINFORMATIONEN:

Submillimeter-Astronomie

Der Submillimeterbereich des elektromagnetischen Spektrums erstreckt sich von 300 Mikrometer bis 1 Millimeter Wellenlänge. Das entspricht einer Frequenz der Strahlung von 300 Gigahertz bis 1 Terahertz. Dieser Bereich ist relativ wenig erforscht. Die Gründe dafür sind erstens die starke Abschwächung der Submillimeterstrahlung in der Erdatmosphäre, vor allem durch atmosphärischen Wasserdampf (siehe Bildunterschrift 2 und 3), zweitens die im Vergleich zum Radiobereich deutlich schwierigere Empfangstechnik, und drittens die Notwendigkeit, relativ großflächige Teleskope mit hochgenauer Oberfläche zu bauen.

Trotz dieser Schwierigkeiten ist der Submillimeterbereich für Astronomen hochinteressant, denn er bietet die Möglichkeit, das »kalte Universum« zu erforschen: Im Submillimeterbereich lässt sich die thermische Emission von kaltem Staub erkunden; diese Emission ist im Submillimeterbereich noch »optisch dünn«, das heißt, die Astronomen können tief in die jeweiligen Objekte hineinschauen und sehen nicht nur deren äußere Oberfläche, wie es für »optisch dicke« Quellen der Fall wäre. Wie in der Grafik unten rechts zu sehen ist, steigt die thermische Emission des Staubs zum Submillimeterbereich hin stark an, daher lässt er sich dort optimal beobachten. Für die sehr weit entfernten und deshalb stark rotverschobenen Galaxien aus dem frühen Universum verschiebt sich das Maximum der spektralen Energieverteilung sogar bis in den Submillimeterbereich.

Im Submillimeterbereich hat man Zugang zur Linienstrahlung einer Vielzahl von Molekülen - hier eröffnete sich sogar ein neuer Wissenschaftszweig, die Astrochemie. Im Gegensatz zu optischen und Infrarotwellenlängen, in denen sich elektronische und Vibrationsübergänge beobachten lassen, die zu ihrer Anregung relativ hohe Temperaturen benötigen, werden im Submillimeterbereich hauptsächlich Rotationsübergänge von Molekülen beobachtet, zu deren Anregung Temperaturen von etwa 10 bis 100 Kelvin und relativ geringe Dichten ausreichen. Da sich aus den gemessenen Spektren dieser Rotationsübergänge über den Dopplereffekt Geschwindigkeiten ableiten lassen, kann damit die Kinematik kalter astronomischer Objekte studiert werden.


ALMA- und IRAM-Interferometer im Vergleich

Hier werden die grundlegenden Parameter von ALMA mit jenen des aus sechs Antennen bestehenden IRAM-Interferometers verglichen, das heute in vieler Hinsicht das leistungsfähigste Instrument seiner Art ist. ALMA vereint auf einem wesentlich größeren Areal mit 54 größeren und 12 kleineren Antennen eine wesentlich größere Sammelfläche, und seine Empfänger besitzen eine weit größere Bandbreite. Die Kombination von modernster Empfängertechnologie und hervorragendem Standort resultiert in einer 100-fach höheren Empfindlichkeit für Kontinuumstrahlung im Vergleich zu den besten heute existierenden Instrumenten.


ALMA und IRAM im Vergleich

ALMA
IRAM-Interferometer
Antennen
54 x 12 m + 12 x 7 m
6 x 15 m
Sammelfläche
6600 m2
1060 m2
Längste Basislinie
18 km
750 m
Höchste Winkelauflösung
0,01 Bogensekunden
0,3 Bogensekunden
Frequenzüberdeckung
84-950 GHz
80-267 GHz
Wellenlängenbereich
0,32-3,57 mm
1,12-3,75 mm
Bandbreite
2 x 8 GHz
2 GHz
Höhe
5000 m
2500 m


Die Zeitskala für ALMA

2007: Erste interferometrische Tests in New Mexico
2009: Inbetriebnahme und Tests der ersten Antennen auf der Hochebene
2009: Erste interferometrische Tests auf der Hochebene
2010: Aufruf zur Einreichung erster Beobachtungsanträge
2011: Erste Beobachtungen mit einem Teil der Antennen (mindestens 16)
2013: Alle Antennen sind installiert, der reguläre wissenschaftliche Betrieb beginnt

Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Bildunterschrift 1:
Diese Computergrafik zeigt eine mögliche Anordnung der ALMA-Antennen. Links vom zentralen Feld sind die elf eng zusammenstehenden Antennen des ALMA Compact Array zu sehen, vorne rechts fährt einer der Transporter, mit denen die Antennen versetzt werden.

Bildunterschrift 2:
Im Diagramm ist die Durchlässigkeit der Atmosphäre an ALMAs Standort als Funktion der Beobachtungsfrequenz oder -wellenlänge für unterschiedlichen Wasserdampfgehalt dargestellt. Die drei Kurven entsprechen Bedingungen, die während 25 Prozent (schwarz), 50 Prozent (rot) und 75 Prozent (blau) der Zeit vorherrschen.

Bildunterschrift 3:
So ist die spektrale Energieverteilung einer massereichen Sternentstehungsregion verteilt: Die Kurven sind ein Fit mit zwei Temperaturkomponenten von 70 und 300 Kelvin an die beobachteten Intensitäten. ALMA wird im Bereich der APEX-Messpunkte (rot) operieren.

Bildunterschrift 4:
Die Standorte des ALMA-Interferometers (oben rechts) und des Very Large Telescope (VLT, unten links) liegen im Norden Chiles.

Bildunterschrift 5:
Die technischen Gebäude des »Array Operations Site« befinden sich auf dem Chajnantor-Plateau. Links ist das APEX-Teleskop mit dem Cerro Chajnantor im Hintergrund sichtbar.

Bildunterschrift 6:
Der Transporter für die einzelnen Antennen von ALMA ist zehn Meter lang und sechs Meter hoch.

Bildunterschrift 7:
Das APEX-Teleskop steht auf der Chajnantor-Hochebene in der Atacama-Wüste.

Bildunterschrift 8:
Dieser Ausschnitt aus der mit APEX durchgeführten Kartierung der Milchstraße zeigt die Emission des kalten Staubs über etwa vier Grad der galaktischen Ebene in Richtung des Norma-Spiralarms.

Bildunterschrift 9:
Eine numerische Simulation von ALMA-Beobachtungen zeigt eine zirkumstellare Akkretionsscheibe, in der sich ein Jupiterähnlicher Planet mit fünf Jupitermassen bildet. Das Bild stellt die Scheibe bei einer Entfernung von 150 Lichtjahren dar.

Bildunterschrift 10:
Diese Albedo-Karten von Pluto und seinem Mond Charon wurden aus Messungen gegenseitiger Verfinsterungen abgeleitet.

Bildunterschrift 11:
Diese mit dem IRAM-Interferometer auf dem Plateau de Bure aufgenommene Karte zeigt die Linienemission des bipolaren molekularen Ausflusses eines jungen Sterns, dabei ist links der langsame, rechts der schnelle Anteil dargestellt. Offenbar ist das schnelle Gas stärker zur Polachse hin kollimiert als das langsame. Die roten Konturen kennzeichnen die Emission der zirkumstellaren Staubscheibe.

Bildunterschrift 12:
Das IRAM-Interferometer auf dem Plateau de Bure nahm diese Karte der molekularen Hülle des Sterns TT Cygni auf. Im Licht einer Spektrallinie des Kohlenmoxids (CO) erscheint im Querschnitt eine dünne Hülle, die sich als Folge episodisch veränderlichen Massenverlusts gebildet hat.

Bildunterschrift 13:
So ist die innerste Hülle eines roten Riesensterns aufgebaut: Hat sich hier einmal Staub gebildet, so wird dieser durch den Strahlungsdruck des Sterns nach außen beschleunigt und reißt dabei auch Moleküle mit. Diese zirkumstellaren Hüllen aus Staub und Molekülen sind bis zu hundert Mal größer als das hier abgebildete Volumen. Man beachte, dass ALMAs maximale Auflösung etwa einem halben Sternradius entsprechen wird!

Bildunterschrift 14:
Die ALMA-Prototyp-Antennen in New Mexico nahmen dieses erste interferometrisch gemessene Spektrum auf. Es zeigt Linien von komplexen Molekülen in einem massereichen Sternentstehungsgebiet im Orionnebel.


© 2009 Karl M. Menten und Friedrich Wyrowski, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg


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Quelle:
Sterne und Weltraum 5/09 - Mai 2009, Seite 28 - 37
Zeitschrift für Astronomie
Herausgeber:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann (ZAH, Univ. Heidelberg),
Prof. Dr. Thomas Henning (MPI für Astronomie),
Dr. Jakob Staude
Redaktion Sterne und Weltraum:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Mai 2009