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FORSCHUNG/395: PAMELAs Positronen-Exzeß - Hinweis auf Dunkle Materie? (Sterne und Weltraum)


Sterne und Weltraum 9/09 - September 2009
Zeitschrift für Astronomie

PAMELAs Positronen-Exzess: Hinweis auf Dunkle Materie?

Von Jan Hattenbach


In der kosmischen Strahlung findet sich mehr Antimaterie, als von den gängigen Modellen vorhergesagt wird: Das Weltraumexperiment PAMELA wies bei hohen Energien einen Überschuss an Positronen auf. Woher stammen diese Antiteilchen? Liefern sie womöglich einen Hinweis auf die lange gesuchte Dunkle Materie? Oder doch eher auf nahegelegene Quellen wie etwa Pulsare?


Der Raum zwischen den Sternen und Galaxien ist keineswegs völlig leer. Unzählige elektrisch geladene Teilchen, vor allem die Baustoffe des Wasserstoffs, Protonen und Elektronen, durchqueren als kosmische Strahlung das Weltall. Die Quellen dieser Partikelstrahlung sind Sterne, aber auch exotische Objekte - etwa Schwarze Löcher, Pulsare oder Supernovae. In manchen Fällen erreichen die von diesen Teilchenschleudern ausgespuckten Partikel Energien, welche die Kollisionsenergie der Protonen im Teilchenbeschleuniger LHC in Genf um das Zehnmillionenfache übertreffen.

Aber nicht nur Materieteilchen finden sich in der kosmischen Strahlung, sondern auch Antimaterieteilchen. Ein Antiteilchen unterscheidet sich von einem »gewöhnlichen« Teilchen im Wesentlichen nur durch das Vorzeichen seiner elektrischen Ladung - Antiprotonen sind negativ geladen, die Antiteilchen der Elektronen, folgerichtig Positronen genannt, tragen positive elektrische Ladung.


Woher stammen die Positronen?

Diese Antiteilchen machen nur einen winzigen Bruchteil der gesamten kosmischen Strahlung aus - je nach Energiebereich kommt auf 10 000 Protonen nur ein Positron. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Antiteilchen nach der gängigen Auffassung nicht aus den eigentlichen Quellen der kosmischen Strahlung, also den Sternen oder Supernovae, stammen. Die Astroteilchenphysiker gehen vielmehr davon aus, dass sie in Sekundärprozessen entstehen: Treffen energiereiche Protonen der kosmischen Strahlung auf ihrem Weg durch die Galaxis auf interstellare Gaswolken, so können sie dort mit den Gasatomen (meist ebenfalls Wasserstoffkerne) kollidieren und dabei neue Teilchen produzieren - darunter eben auch Antiteilchen. Wegen des komplizierten Entstehungsprozesses sind die Antiteilchen viel seltener als die »normalen« Teilchen.

Trotz oder gerade wegen ihrer Seltenheit sind die kosmischen Antiteilchen für die Forscher besonders interessant. Sie geben nicht nur Aufschluss über die Kollisionsprozesse, die zu ihrer Entstehung führen, sondern indirekt auch über die Herkunft der sie erzeugenden Teilchen und damit über deren Quellen.

In den vergangenen Jahren wurde mit Hilfe von verschiedenen Experimenten versucht, die in der kosmischen Strahlung vorhandenen Antiteilchen zu untersuchen. Dies geschieht meist mit Ballonflügen oder Satelliten in der Erdumlaufbahn, denn die Partikel der kosmischen Strahlung können die Erdatmosphäre nicht durchdringen.

Schon seit mehreren Jahren deuteten die Messergebnisse dieser Satelliten- und Ballonflüge auf eine merkwürdige Unregelmäßigkeit im Energiespektrum der kosmischen Positronen hin: Deren Anzahl nimmt nicht mit ihrer Energie ab, sondern steigt ab einem bestimmten Wert sogar deutlich an. Dies ist mit der Modellvorstellung, dass kosmische Antiteilchen ausschließlich durch Stöße von Protonen im interstellaren Gas entstehen, nicht zu erklären. Der Grund: Die Anzahl der Protonen nimmt mit zunehmender Energie stark ab, kurz gesagt, es gibt viele Protonen mit geringer Energie, aber nur wenige mit hoher Energie. Somit sollte auch das Energiespektrum der Antiteilchen einen solchen Verlauf zeigen.

Die gemessenen Energiespektren wiesen jedoch auf das Gegenteil hin. Bislang allerdings litten diese Messungen unter einer sehr schlechten Statistik. Die Anzahl der während der maximal einige Tage dauernden Ballonflüge registrierten Antiteilchen war insgesamt so niedrig, dass man sie im Rahmen ihrer statistischen Messfehler gerade noch mit den Vorhersagen der theoretischen Modelle in Einklang bringen konnte. Für aussagekräftigere Daten benötigte man eine längere Messzeit.

Zu diesem Zweck wurde im Juni 2006 das Weltraumexperiment PAMELA (Payload for Antimatter Matter Exploration and Light-Nuclei Astrophysics) gestartet und als zusätzliche Nutzlast an den russischen Erdbeobachtungssatelliten Resurs-DK1 montiert (siehe Bildunterschrift 1). Es ist ein Gemeinschaftsprojekt von Instituten aus Italien, Russland, Schweden und Deutschland. Der 470 Kilogramm schwere Teilchendetektor untersucht seit nunmehr drei Jahren - länger als jedes andere Experiment - den Fluss der die Erde erreichenden kosmischen Strahlung. Er unterscheidet dabei zwischen Elektronen, Positronen, Antiprotonen und leichten Kernen.

Die bisherigen Ergebnisse von PAMELA, im April 2009 im Wissenschaftsmagazin »Nature« veröffentlicht, lassen keinen Zweifel mehr: Die Zahl der Positronen in der kosmischen Strahlung nimmt ab einer Energie von etwa fünf Gigaelektronvolt tatsächlich zu - und steigt entgegen der Erwartung der theoretischen Modelle bei größeren Energien immer weiter an. (Ein Gigaelektronvolt, GeV, entspricht 1,6 x 10-13 Joule.) PAMELA konnte bis zur Obergrenze seines Messbereichs (etwa 100 GeV) kein Abflauen dieses Anstiegs beobachten (siehe Bildunterschrift 2).

Damit drängt sich die Frage auf, woher diese überschüssigen Positronen stammen. Offenbar muss es mindestens eine weitere - bislang unbekannte - Teilchenquelle im Weltall geben, die Positronen mit Energien von mehr als fünf GeV produziert. Neben vielen anderen Erklärungsmöglichkeiten beflügelt vor allem eine Hypothese die Fantasie der Wissenschaftler: Die zusätzlichen Positronen könnten ein entscheidender Hinweis auf die lange gesuchte, doch nach wie vor rätselhafte Dunkle Materie sein.

Bestünde diese seltsame, bisher nur durch ihre Gravitationswirkung nachgewiesene Materieform gemäß theoretischen Weiterentwicklungen des Standardmodells der Elementarteilchenphysik ihrerseits aus einer neuen Teilchensorte, den so genannten WIMPs (Weakly Interacting Massive Particle, englisch für »massereiches Teilchen mit schwacher Wechselwirkung«), so müsste es auch das entsprechende Antiteilchen, das Anti-WIMP geben. Wie normale Materie und Antimaterie könnten Teilchen und Antiteilchen der Dunklen Materie in einer Art Vernichtungsreaktion zerstrahlen. Dabei entstünden neben energiereicher Strahlung die altbekannten Teilchen des Standardmodells - unter anderem auch Positronen. Tatsächlich gelingt es bestimmten Erweiterungen des Standardmodells, die beobachtete Zahl der Positronen bei hohen Energien in der kosmischen Strahlung durch die Zerstrahlung von Dunkler Materie zu erklären.

Dennoch bleibt das Rätsel der Dunklen Materie vorläufig ungelöst. Zwar konnte PAMELA die statistische Ungenauigkeit der Messungen weit genug reduzieren und damit nachweisen, dass der Positronenüberschuss real ist. Doch die Herkunft dieser Teilchen ist aus den Daten alleine nicht zu ermitteln. Zudem sollte die Zerstrahlung von Dunkler Materie, nicht nur einen Positronen-, sondern auch einen Antiprotonen-Überschuss hervorrufen - wofür es bislang keine Hinweise gibt.


Stammen die Positronen aus nahen Pulsaren?

Eine mögliche Alternative zur Hypothese der Dunklen Materie sind Pulsare, die ebenfalls eine Positronenquelle darstellen. Falls die bei hohen Energien beobachtete Überhöhung im Positronenspektrum tatsächlich durch relativ nahe stehende Pulsare erzeugt wird, könnte sich dies durch Unregelmäßigkeiten in der Winkelverteilung der Positronen am Himmel bemerkbar machen.

Auf Pulsare als Quellen des Positronenüberschusses bei hohen Energien deuten jedenfalls auch aktuelle Messungen des Tscherenkow-Teleskops HESS in Namibia hin. Auch die bisherigen Daten des Large Area Telescope an Bord des Gammasatelliten Fermi (früher: GLAST), dessen Detektoren Elektronen und Positronen aus der kosmischen Strahlung messen (aber nicht unterscheiden) können, sind mit nahen Pulsaren als Quellen konsistent.

Aber auch die Modellrechnungen, aus denen der Hintergrund der Positronen aufgrund der sekundären Produktion im interstellaren Gas ermittelt wird, enthalten systematische Ungewissheiten. Wesentliche Faktoren, die zu diesem Hintergrund führen, sind noch nicht ausreichend bekannt.

So bestehen Unsicherheiten über die spektrale Verteilung der primären Partikel, welche die Antiteilchen hervorbringen, ebenso wie über das Zusammenspiel zwischen diesen Partikeln und dem interstellaren Gas. Auch die Bewegung der geladenen Teilchen durch die Milchstraße ist noch nicht ausreichend untersucht. Bevor sie also in der Lage sind, weitere Schlussfolgerungen aus ihren Daten zu ziehen, müssen die Wissenschaftler zunächst klären, wie groß genau der Anteil des Hintergrunds ist, mit dem sie die Überhöhung der Positronenanzahl vergleichen wollen.

Schließlich unterliegen die geladenen Teilchen der kosmischen Strahlung beim Eintritt in unser Sonnensystem - sozusagen auf der »letzten Meile« - dem Einfluss unseres Zentralgestirns. Die Sonne sendet ebenfalls geladene Partikel aus, den Sonnenwind. Dieser beeinflusst den Strom der von außen eindringenden Teilchen und schirmt einen Teil von ihnen sogar ab. Der Einfluss dieser solaren Modulation schwankt periodisch mit dem 22-jährigen magnetischen Aktivitätszyklus der Sonne. Gerade während der Aktivitätsmaxima sinkt die Zahl der auf der Erde eintreffenden kosmischen Teilchen deutlich ab, vor allem bei niedrigen Teilchenenergien. Deshalb muss bei dem Vergleich der PAMELA-Messungen mit den vergangenen Experimenten die wechselnde Sonnenaktivität berücksichtigt werden. Tatsächlich hat PAMELA zwischen 2006 und 2008 erheblich weniger Positronen im Energiebereich bis etwa drei GeV gemessen als Experimente in den 1990er Jahren. Diesen Unterschied erklären die Forscher durch die unterschiedliche Polarität des solaren Magnetfelds.

Der beobachtete Überschuss der Positronen bei höheren Energien ist jedoch durch die solare Modulation nicht erklärbar. Die Fragen bleiben also bestehen: Woher stammen diese Teilchen? Bei welchen Energien nimmt ihre Anzahl wieder ab? Antworten darauf werden wohl erst künftige Experimente geben können. Doch noch wenigstens bis zum Ende des Jahres 2011 soll auch PAMELA weiter messen und womöglich zusätzliche Hinweise auf die Natur der Antimaterieteilchen aus dem All geben - und somit vielleicht auch zur Lösung des Rätsels der Dunklen Materie beitragen.


Literaturhinweise

Adriani, O., et al. (PAMELA-Kollaboration): An anomalous positron abundance in cosmic rays with energies 1.5 - 100 GeV. In: Nature 458, S. 607 - 609, 2009.

Adriani, O., et al. (PAMELA-Kollaboration): New measurement of the antiproton-to-proton flux ratio up to 100 GeV in the cosmic radiation. In: Physical Review Letters 102, 051101, 2009.

Donato, F., et al.: Constraints on WIMP dark matter from the high energy PAMELA p/p data. In: Physical Review Letters 102, 071301, 2009.

Abdo, A. A., et al. (Fermi LAT-Kollaboration): Measurement of the cosmic ray e++e- spectrum from 20 GeV to 1 TeV with the Fermi Large Area Telescope. In: Physical Review Letters 102, 181101, 2009.

Aharonian, F., et al. (HESS-Kollaboration): Energy spectrum of cosmic ray electrons at TeV energies. In: Physical Review Letters 101, 261104, 2008.

Weblinks zum Thema: www.astronomie-heute.de/artikel/1002482


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Bildunterschrift 1:
Das Experiment PAMELA ist huckepack auf dem russischen Satelliten Resurs-DK 1 montiert und seit Juni 2006 im All.

Bildunterschrift 2:
Die Anzahl von Positronen, die durch Wechselwirkung von kosmischer Strahlung mit interstellarem Gas entstehen, sollte zu hohen Teilchenenergien hin abnehmen (rote Kurve). Der von PAMELA gemessene Überschuss bei Energien oberhalb von etwa fünf Gigaelektronvolt muss deshalb von anderen Quellen herrühren.


© 2009 Jan Hattenbach, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg


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Quelle:
Sterne und Weltraum 9/09 - September 2009, Seite 25 - 27
Zeitschrift für Astronomie
Herausgeber:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann (ZAH, Univ. Heidelberg),
Prof. Dr. Thomas Henning (MPI für Astronomie),
Dr. Jakob Staude
Redaktion Sterne und Weltraum:
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Internet: www.astronomie-heute.de

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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. September 2009