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FORSCHUNG/396: Kosmisches Gas - Das neue Bild des intergalaktischen Mediums (Sterne und Weltraum)


Kosmisches Gas
Das neue Bild des interstellaren und intergalaktischen Mediums

Von Philipp Richter


Ursprünglich lag die baryonische Materie im Universum als nahezu reines Wasserstoffgas vor. Mit der Ausbildung der kosmischen Strukturen und der Entstehung der ersten massereichen Sterne und Galaxien begann der Kreislauf, der die kosmische Entwicklung vorantreibt. Darin spielt das diffuse Gas, das sich zwischen den Sternen und zwischen den Galaxien befindet, nach wie vor eine wesentliche Rolle.


In Kürze

Im frühen Universum bildeten sich aus der »Ursuppe« (nahezu reinem diffusem Wasserstoffgas) die Sterne der ersten Generation und die Galaxien.
Seither besteht der kosmische Kreislauf: Im Sterben geben die Sterne ihre Materie in neuer Zusammensetzung an das diffuse interstellare und intergalaktische Medium zurück. Daraus entstehen die Sterne der nächsten Generation.
Heute enthält der intergalaktische Raum noch etwa 70 Prozent aller baryonischen Materie als diffuses Gas - ein riesiges Reservoir für das zukünftige Wachstum der Galaxien.

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Die baryonische Materie, also die Atome und Moleküle, aus denen die Sterne, aber auch wir selbst und unsere Umwelt zusammengesetzt sind, macht nur etwa vier Prozent aller kosmischen Materie und Energie aus. Maßgeblich für die Entwicklung der Strukturen im Universum war und ist die Dunkle Materie mit ihrem dominanten Gravitationsfeld.

Zunächst war die Dunkle Materie annähernd homogen verteilt. Unter dem Einfluss der Gravitation nahm sie eine zunehmend inhomogene, filamentartige Struktur an. Die baryonische Materie folgte dem Schwerefeld der Dunklen Materie, und in ihrer Verteilung bildeten sich immer größere Dichtekontraste aus. So entstand die Vielfalt der kosmischen Filamente, Galaxien, Sterne und Planeten, die wir heute beobachten.

Wenn die Astronomen mit ihren Teleskopen in die Tiefe des Universums schauen, so sehen sie das Licht der vielen Billionen Sterne, die in den Galaxien leuchten. Aber der größte Teil der baryonischen Materie im Universum befindet sich außerhalb der Galaxien in Form von diffusem ionisiertem Gas im intergalaktischen Raum. Dieses Plasma ist so dünn, dass es kaum Strahlung emittiert und deswegen sehr schwer zu beobachten ist.

Wenn es um diffuses Gas im Universum geht, unterscheiden die Astronomen zwischen dem intergalaktischen Medium, also dem Gas, das sich außerhalb der Galaxien befindet, und dem interstellaren Medium, das zwischen den Sternen innerhalb der Galaxien vorliegt. Der Übergang zwischen dem interstellaren und dem intergalaktischen Medium ist fließend, da die Galaxien keine scharfen Grenzen besitzen. Um die räumliche Verteilung und die physikalischen Eigenschaften des interstellaren und intergalaktischen Mediums zu verstehen, wollen wir uns im Folgenden einen Überblick über die bewegte Geschichte der diffusen gasförmigen Materie im Universum verschaffen.


Das kosmische Urgas und das Zeitalter der Rekombination

Bald nach dem Urknall, lange bevor die ersten Sterne entstanden, existierte die baryonische Materie in Form eines heißen, ionisierten Plasmas: Die Elektronen waren nicht in Atomen gebunden, sondern bewegten sich zusammen mit den Atomrümpfen frei im Raum. In dieser kosmischen Ursuppe gab es als chemische Elemente vor allem Wasserstoff (ionisiert, also freie Protonen), Helium und Spuren von Deuterium und Lithium. Schwerere Elemente (zum Beispiel Kohlenstoff und Sauerstoff) wurden erst später durch Kernfusion in den Sternen der ersten Generation erzeugt. Der Massenanteil von Helium betrug etwa 25 Prozent.

Neben den Atomkernen und den freien Elektronen steckte die Energiedichte des Plasmas und seiner Expansion vor allem in den Photonen (masselosen Lichtquanten) und Neutrinos. Etwa drei Minuten nach dem Urknall betrug die Temperatur des Plasmas noch fast eine Milliarde Grad - viel zu heiß, als dass sich Sterne und Galaxien hätten bilden können. Doch das Plasma kühlte schnell ab, und als die Temperatur um mehr als fünf Größenordnungen auf etwa 3000 Grad gefallen war, begann die Epoche der Rekombination, in der sich die freien Elektronen und die Atomkerne erstmals zu neutralen Atomen zusammenfanden. Der Begriff »Re«-kombination ist insofern etwas irreführend, als er doch ein wiederholtes Zusammenfinden von Elektronen und Atomkernen in Atomen impliziert: In Wahrheit entstanden die neutralen Atome jetzt zum ersten Mal. Der Begriff hat sich aber mittlerweile eingebürgert.


Entstehung der ersten Sterne aus primordialem Gas

Die Rekombination war bei einer Rotverschiebung z ~ 1100, etwa 300 000 Jahre nach dem Urknall, abgeschlossen. Aus dem ursprünglichen, extrem heißen Plasma war ein atomares Gas geworden, das überwiegend aus neutralem Wasserstoff bestand, und das auf Grund der physikalischen Eigenschaften des Wasserstoffatoms jegliche energiereiche Strahlung absorbierte: Das Medium war für Licht kurzer Wellenlängen undurchsichtig geworden. Deshalb ist es für die Astronomen sehr schwer, direkte Informationen aus dieser frühen Epoche des Universums durch Beobachtungen zu erlangen. Das neutrale Gas war nicht homogen verteilt, sondern es folgte der gravitativen Anziehung der Dunklen Materie, die sich mit zunehmenden Alter des Universums mehr und mehr zu filamentartigen Strukturen zusammenzog. In den größten und massereichsten dieser Strukturen aus Dunkler Materie konnte sich das Gas sammeln (siehe Bildunterschrift 2) und schließlich bis auf Temperaturen herabkühlen, bei denen die Entstehung der ersten Sterne möglich wurde.

Da das Gas zu diesem Zeitpunkt noch seine ursprüngliche Zusammensetzung besaß (deswegen nennt man es »primordial«, lateinisch: »von erster Ordnung«) und deshalb noch keine schweren Elemente enthielt, konnte die zur Sternentstehung notwendige Abkühlung des Gases nur über die Energieabstrahlung des Wasserstoffs erfolgen. Dies geschah zunächst über die angeregten Zustände des atomaren Wasserstoffs bis herab zu etwa 10 000 Kelvin, danach kühlte das Gas über die Linienabstrahlung des molekularen Wasserstoffs weiter ab, bis zu Temperaturen unter 1000 Kelvin, bei denen die ersten Sterne entstehen konnten. Diese bilden die so genannte Population III.

Über die Eigenschaften der ersten Sternentstehungsgebiete ist wenig bekannt, jedoch muss die Masse dieser Strukturen mindestens 10 000 Sonnenmassen betragen haben. Das war notwendig, damit das Gas unter der Wirkung der Gravitation eine hinreichend hohe Dichte erreichen konnte, um über die Anregung durch Stöße Energie abzustrahlen und damit effizient abzukühlen und Sterne hervorzubringen. Sicher ist auch, dass sich die Sterne der ersten Generation sehr von den heutigen unterschieden: Sie waren besonders massereich und extrem leuchtkräftig, und ihre Lebensdauer war entsprechend kurz.


Das Zeitalter der Reionisation

Die Entstehung der ersten Sterne markiert ein wahrhaft epochales Ereignis in der kosmischen Entwicklung. Astronomen gehen heute davon aus, dass er bei einer Rotverschiebung zwischen z = 30 und z = 20 gelegen haben muss, der genaue Zeitpunkt ist aber noch unklar.

Die ersten Sterne hatten zweierlei Einfluss auf das umgebende Gas. Zum einen waren sie sehr leuchtkräftig und heiß und setzten entsprechend viel energiereiche Strahlung frei. Diese Strahlung führte zur Dissoziation und schließlich zur Ionisation des molekularen Wasserstoffgases (das heißt, die Moleküle wurden aufgebrochen und die Elektronen aus dem Atomverbund herausgelöst). Zum anderen fraß sich die ionisierende Strahlung durch das umgebende Gas und formte Blasen ionisierten Wasserstoffgases um die Sterne herum (Bildunterschrift 3). Dadurch wurde die Entstehung weiterer Sterne zunächst einmal verhindert.

Schon kurz nach ihrer Entstehung explodierten die ersten Sterne als energiereiche Supernovae. Die in ihrem Inneren erstmalig durch Kernfusion erzeugten schweren Elemente (Sauerstoff, Kohlenstoff, Stickstoff und so weiter) wurden freigesetzt und reicherten das umgebende Gas chemisch an. Vermutlich war die durch diese ersten Supernova-Explosionen abgegebene Energie so groß, dass das umgebende Gas aus den Halos aus Dunkler Materie vollständig herausgeblasen wurde und sich mit dem primordialen Gas außerhalb der Halos vermischte.

Durch die voranschreitende Klumpung und die Verschmelzung der Dunkle-Materie-Halos entstanden in dieser Epoche die ersten protogalaktischen Gebilde - immer größere und massereichere Halos, in denen die Sternentstehung nun effizienter verlief, da mittlerweile die Kühlung des Gases auch ohne molekularen Wasserstoff erfolgen konnte. Diese zweite Sterngeneration setzte so viel energiereiche ionisierende Strahlung frei, dass die ionisierten Blasen im intergalaktischen Raum um die Protogalaxien herum immer größer wurden und schließlich überlappten (Bildunterschrift 3). Dieser Prozess markierte das Zeitalter der Reionisation.

Nachdem sich aus dem primordialen Gas erste Sterne und erste Formen von Galaxien gebildet hatten, können wir von jetzt an die Begriffe »interstellar« und »intergalaktisch« im eigentlichen Sinn verwenden. Nun war das intergalaktische Medium wieder fast vollständig ionisiert (wie in der Epoche vor der Rekombination) und somit auch wieder durchlässig für energiereiche Strahlung, da es kaum noch absorbierenden neutralen Wasserstoff gab.

Bis heute ist das intergalaktische Medium in diesem hochionisierten Zustand geblieben. Dafür sorgen die Strahlung massereicher Sterne in den an Zahl und Masse wachsenden Galaxien und die besonders energetische Strahlung der sich zunehmend entwickelnden aktiven Galaxienkerne. Nur deswegen können wir das Licht der frühen Galaxien bei hoher Rotverschiebung beobachten. Wäre das intergalaktische Medium neutral geblieben, so würde der darin enthaltene neutrale Wasserstoff nahezu alles Licht dieser Objekte verschlucken.

Wann genau die Epoche der Reionisation abgeschlossen war, ist bei den Astronomen umstritten. Die Tatsache, dass wir das Licht von Objekten bis etwa z = 6,5 sehen können, belegt, dass bei dieser Rotverschiebung die Reionisation des intergalaktischen Mediums schon nahezu vollständig vollzogen gewesen sein muss.


Wie Spiralgalaxien aus kosmischem Gas entstanden

Nach Abschluss der Reionisation schritt die Strukturbildung weiter voran. Dichtere Gebiete wurden noch dichter, Gebiete geringerer Dichte dünnten sich weiter aus, da die Gravitation die Zusammenballung von Materie vorantrieb. Mehr und mehr Galaxien bildeten sich aus dem riesigen kosmischen Gasreservoir. Durch die zunehmende Sternentstehung und -entwicklung wurde das interstellare Gas immer weiter mit schweren Elementen angereichert. In den Hüllen von roten Riesensternen bildete sich der erste interstellare Staub - kleinste mikrometergroße Partikel aus Silikaten und Graphit, die sich mit den Molekülen, Atomen und Ionen im interstellaren Gas vermischten.

Dennoch befanden sich selbst bei z = 3 immer noch mehr als 95 Prozent der Baryonen im intergalaktischen Gas. Bis zu diesem Zeitpunkt wurde also nur ein geringer Bruchteil der gewöhnlichen Materie zu Sternen in den Galaxien verarbeitet. Aber wie lief die Entstehung der Galaxien aus dem gasförmigen Material eigentlich genau ab? Man hat heute eine einigermaßen gute Vorstellung davon, auch wenn viele Einzelheiten noch unklar sind. Als Beispiel wollen wir uns die Entstehung einer Spiralgalaxie wie unseres Milchstraßensystems vor Augen führen.

Wie bereits erwähnt, folgt die gasförmige baryonische Materie im Universum der Massenverteilung der Dunklen Materie. Größere Ansammlungen Dunkler Materie bilden Potenzialtöpfe, in die immer neues Gas hineinfällt. Durch den Einfall in die Dunkle-Materie-Halos wandelt das Gas potenzielle Gravitationsenergie in kinetische und schließlich in thermische Energie um, so dass es sich auf mehrere Millionen Grad aufheizt. Es bildet sich ein hydrostatisches Gleichgewicht, das einen weiteren schnellen gravitativen Kollaps des Gases verhindert: Nun ist die Gasdichte im Zentrum des Dunkle-Materie-Halos höher als in den Außenbereichen. Die mit der Dichte zunehmenden Stoßprozesse der Gasteilchen in den inneren Bereichen des Halos führen zur Abstrahlung von Energie, vor allem in Form von hochenergetischer Röntgenstrahlung.

Das Gas kühlt durch diese Abstrahlung langsam ab, verdichtet sich und sinkt immer weiter zum Zentrum des Halos aus Dunkler Materie. Dabei ist entscheidend, dass der Drehimpuls der Gaswolke erhalten bleibt (jede Gaswolke besitzt einen gewissen Drehimpuls: Da sie durch zahlreiche Zusammenstöße aufgebaut wurde, wäre es ein unglaublicher Zufall, wenn sich all diese Zusammenstöße exakt zu einer Null-Rotation addieren würden). Mit fortschreitender Verdichtung rotiert die Gaswolke immer schneller um ihre eigene Achse, so wie eine Eiskunstläuferin bei einer Pirouette, wenn sie ihre Arme an den Körper heranzieht. Die zunehmende Zentrifugalkraft bewirkt die Ausbildung einer Gasscheibe, deren Durchmesser durch die Drehimpulserhaltung auf einem konstanten Wert gehalten wird. Nach weiterer Abkühlung bilden sich in den dichtesten Gebieten der Gasscheibe Molekülwoken, in denen nach und nach Milliarden von Sternen entstehen.

Aus diesem Entstehungsszenario ergeben sich auf natürliche Weise auch der Aufbau und die räumliche Struktur des interstellaren Gases in Spiralgalaxien, so wie wir es heute zum Beispiel in der Milchstraße beobachten. Prägende Charakteristika der Galaxien dieses Typs sind auf großen Skalen erstens die Spiralarme - kinematische Strukturen von erhöhter Materiedichte innerhalb der Scheibe, in denen sich sowohl Sterne als auch Gas konzentrieren. Weiterhin besitzt die Scheibe einen Bulge, das ist eine mehr oder weniger ausgeprägte, sphärische zentrale Verdickung mit hoher Sterndichte. Das Ganze ist umgeben von dem sich weit in den intergalaktischen Raum erstreckenden Außenbereich der Galaxie, dem galaktischen Halo. Im Halo befinden sich vereinzelte Sterne, Kugelsternhaufen und sehr heißes Gas - in Anlehnung an die Sonne spricht man auch von »koronalem Gas« oder kurz »Korona«. Der Begriff »Halo« ist hier also zunächst einmal als räumliche Angabe zu verstehen. Das koronale Gas stellt das Bindeglied zwischen der relativ dichten gasförmigen Scheibe und dem umgebenden, filamentartigen intergalaktischen Medium dar.

Der Begriff des Halos einer Galaxie hat sich lange vor dem Konzept der Halos aus Dunkler Materie etabliert. Beide Erscheinungen sind miteinander verknüpft, denn es ist die gravitative Anziehung des Dunkle-Materie-Halos, welche die Sterne und das interstellare Gas in Galaxien zusammenhält. Deswegen hängt die räumliche Ausdehnung einer Galaxie (und damit die Größe ihres galaktischen Halos) maßgeblich von der Masse des dazugehörigen Dunkle-Materie-Halos ab. Die meisten Galaxien im Universum sind jedoch nicht isoliert, sondern Teile noch größerer Strukturen, nämlich Galaxiengruppen und Galaxienhaufen. In dieser hierarchischen Verteilung der Materie im Universum können die Dunkle-Materie-Halos der Galaxien nicht isoliert betrachtet werden. Wir wollen dieses hierarchische Prinzip am Beispiel des Milchstraßensystems etwas näher beleuchten.


Die Lokale Gruppe

Das Milchstraßensystem ist Teil der »Lokalen Gruppe«, einer Ansammlung von mindestens fünfzig Galaxien unterschiedlicher Masse. Die Milchstraße und die Andromeda-Galaxie, beides große Spiralgalaxien, dominieren die Materieverteilung der Lokalen Gruppe. Innerhalb des gravitativen Einflussbereichs der Milchstraße (also innerhalb ihres Halos aus Dunkler Materie) bewegen sich mehrere Zwerggalaxien mit eigenen kleineren Dunkle-Materie-Halos, zum Beispiel die Magellanschen Wolken: Die Milchstraße fängt sie nach und nach ein und verleibt sie sich ein. Es ist davon auszugehen, dass sich die Dunkle-Materie-Halos von Milchstraße und Andromeda-Galaxie überlappen.

Offenbar ist es schwierig, ja fast unmöglich, die Ausdehnung eines einzelnen Galaxienhalos exakt zu definieren. Dies erschwert die Massenabschätzung des zu den Galaxien gehörigen interstellaren Gases erheblich. Denn während die in Sternen gebundene Masse einer Galaxie wie der Milchstraße im Wesentlichen durch die Sterne in der Scheibe bestimmt wird und somit relativ klar abgegrenzt ist, liegt in den Spiralgalaxien ein erheblicher Anteil des interstellaren Gases möglicherweise in Form von heißem, sehr dünnem koronalem Gas außerhalb der Scheibe vor. Da aber die genaue Ausdehnung dieses koronalen Gases unbekannt ist, ist die Abschätzung seiner Masse sehr unsicher. Wenn wir zum Beispiel annehmen, dass der koronale Gashalo der Milchstraße einen Durchmesser von 500 000 Lichtjahren aufweist, dann betrüge die Gesamtmasse des Gases in diesem riesigen Volumen trotz der minimalen Dichte von nur wenigen Dutzend Teilchen pro Kubikmeter etwa eine Milliarde Sonnenmassen. Dies entspricht ungefähr der Masse des interstellaren Gases in der Scheibe, wo das Gas sehr viel dichter und kälter und das Volumen deutlich kleiner ist. Heißes und kaltes Gas könnten sich in der Milchstraße also in etwa die Waage halten.


Interstellares Gas in den Scheiben von Spiralgalaxien

In den relativ dünnen Scheiben der Spiralgalaxien hat das interstellare Gas die höchste Teilchendichte. Hier besteht es überwiegend aus neutralem Wasserstoff, der sich besonders gut mittels der 21-Zentimeter-Linie mit Radioteleskopen beobachten lässt. Die gasförmige neutrale Scheibe ist in der Regel deutlich größer als die sichtbare stellare Scheibe. Offenbar sind in den äußeren Bereichen der Scheibe die physikalischen Bedingungen so, dass dort aus dem Gas nur sehr wenige Sterne entstehen können. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Galaxie NGC 2403 (Bildunterschrift 4): Die neutrale, in der Radiostrahlung der 21-Zentimeter-Emission beobachtete Gasscheibe ist im Durchmesser mehr als doppelt so groß wie die optisch sichtbare stellare Scheibe der Galaxie. Es ist sogar zu erwarten, dass die Gasscheibe noch ausgedehnter ist: Durch die nach außen abnehmende Gasdichte und die begrenzte Empfindlichkeit der Radioteleskope lässt sich das neutrale Gas nur bis zu einem bestimmten Radius beobachten.

Wegen solcher Unsicherheiten können wir die Gesamtmasse neutraler Gasscheiben in Spiralgalaxien nur mit begrenzter Genauigkeit angeben. Auch der exakte Durchmesser der Gasscheibe unseres Milchstraßensystems ist nicht bekannt: Man geht derzeit von etwa 200 000 Lichtjahren aus, wobei die Dicke der neutralen Scheibe nur etwa 800 Lichtjahre beträgt. Somit ist das Verhältnis aus Dicke und Durchmesser für die neutrale Gasscheibe der Milchstraße weniger als halb so groß wie bei einer CD!

Das Gas in der Scheibe einer Spiralgalaxie ist nicht homogen verteilt, vielmehr ist es auf großen wie auch auf kleinen Skalen strukturiert (siehe den Kasten »Die Komponenten des interstellaren Mediums in Spiralgalaxien« unter Bildunterschrift 6). Dies hat zur Folge, dass das interstellare Medium innerhalb der Scheibe Dichte- und Temperaturunterschiede von mehreren Größenordnungen aufweist. Das neutrale Gas (also das interstellare Gas in Regionen, in denen der Wasserstoff in neutraler Form vorliegt) ist innerhalb der Scheibe relativ gleichmäßig verteilt, wobei die Verteilung den großräumigen Strukturen, zum Beispiel den Spiralarmen, folgt. Wärmeres neutrales Gas umschließt dabei die etwas kompakteren, kühleren neutralen Gaswolken. Am dichtesten und kältesten sind die großen Molekülwolken, die sich überwiegend im inneren Bereich der Scheibe befinden. In den Molekülwolken klumpt sich das Gas zu »Wolkenkernen« hoher Dichte zusammen, die unter ihrer eigenen Schwerkraft kollabieren und neue Sterne bilden. Dabei verbinden sich zunächst die Atome zu Molekülen.

Durch die hohe Dichte der Gas- und Staubteilchen schon am Rand der Wolke wird der innerste Teil der Molekülwolken von der dissoziierenden und ionisierenden Strahlung abgeschirmt, so dass sich das Gas weiter verdichten und abkühlen kann. Wie die Sternentstehung dann genau vor sich geht, ist allerdings noch nicht ausreichend verstanden. Insbesondere ist die Rolle von Magnetfeldern und Turbulenzen im Gas nicht klar (siehe auch den Artikel von S. Wolf, T. Henning und R. Launhardt im SuW-Special 1/2006). Molekülwolken lassen sich besonders gut im Radiobereich über die Emissionslinien des Kohlenmonoxids (CO) studieren.

Die neu gebildeten Sterne, insbesondere die massereichsten und leuchtkräftigsten, dissoziieren und ionisieren mit ihrer Strahlung das umgebende interstellare Gas. Dadurch entstehen um die Sternentstehungsgebiete herum expandierende Blasen ionisierten Gases, die sich in die neutrale Gasscheibe hineinfressen. Solche so genannten HII-Regionen (HII steht hierbei für ionisierten Wasserstoff) lassen sich sehr gut im Sichtbaren beobachten, wo das Gas intensive Linienstrahlung emittiert, die durch die Rekombination von Elektronen mit Atomrümpfen erzeugt wird - die »Rekombinationsstrahlung«, zum Beispiel die H-alpha-Linie des Wasserstoffs. Massereiche Sterne treiben mit ihren Winden zusätzlich Energie in diese Aushöhlungen, wodurch die ionisierten Blasen weiter wachsen. Wenn die massereichsten Sterne als Supernovae explodieren, wird in sehr kurzer Zeit sehr viel Energie freigesetzt und vom umgebenden interstellaren Gas aufgefangen. Dadurch heizt sich das Gas bis auf mehrere Millionen Grad auf, und die HII-Regionen können expandieren, bis sie vertikal aus der neutralen Scheibe ausbrechen. Das heiße Gas strömt dann in den Galaxienhalo, wo es nach einiger Zeit abkühlen, als neutrales Gas zur Scheibe zurückfallen und dort im interstellaren Medium neue Sternentstehung auslösen kann. Diese »galaktischen Fontänen« sind zumindest teilweise für eine Population von neutralen Gaswolken außerhalb der Scheibe verantwortlich, die man auf Grund ihrer hohen Radialgeschwindigkeit als Hochgeschwindigkeitswolken bezeichnet (siehe Bildunterschrift 5 und auch den Artikel von B. P. Wakker und P. Richter, siehe Literaturhinweise). Die Umwandlung von interstellarem Gas in Sterne und zurück wird in der Astrophysik auch als »kosmischer Materiekreislauf« bezeichnet.


Interstellares Gas in anderen Galaxientypen

Am Beispiel von Scheibengalaxien kann man besonders gut erkennen, welche komplexen Zusammenhänge zwischen stellarer und interstellarer Materie bestehen. Doch wie verhält es sich mit anderen Galaxientypen und deren gasförmigen Komponenten?

Die extrem massereichen elliptischen Galaxien bestehen überwiegend aus Dunkler Materie und alten Sternen, die anscheinend regellos in einer diffusen Sternenwolke ihre Bahnen um das Galaxienzentrum ziehen. In optischen Aufnahmen erscheinen elliptische Galaxien deshalb auch oft als strukturlose Gebilde, in denen kaum Sternentstehung stattfindet. Interstellares Gas konnte zunächst gar nicht nachgewiesen werden. Lange Zeit dachte man deswegen, dass elliptische Galaxien überhaupt kein interstellares Gas beherbergen. Erst mit empfindlicheren Messinstrumenten ließ es sich zeigen, dass sie kaltes und vor allem heißes interstellares Gas enthalten, allerdings mit deutlich kleinerem Massenanteil als Spiralgalaxien. Beobachtungen satellitengestützer Röntgenteleskope zeigen, dass massereiche elliptische Galaxien von einer Korona aus mehrere Millionen Grad heißem Gas umhüllt sind. Der Ursprung und die physikalischen Bedingungen dieses Gases, vor allem die Zusammensetzung und räumliche Struktur, unterscheiden sich grundsätzlich von den Eigenschaften des interstellaren Mediums in Spiralgalaxien.

Das interstellare Gas in elliptischen Galaxien wurde überwiegend von sehr alten Sternen am Ende ihres Entwicklungswegs und von Supernovae ausgeworfen. Weil die Bahnen der Sterne in diesen Galaxien keiner geordneten Bewegung folgen, kollidieren die von den Sternen abgeworfenen, sich radial ausbreitenden Gashüllen miteinander und heizen so das neu freigesetzte interstellare Material auf hohe Temperaturen auf, wodurch es Röntgenstrahlung emittiert. Mitunter entwickeln sich in elliptischen Galaxien auch »Kühlströme«. Dabei fließt kälteres Gas zum Zentrum der Galaxie, wird durch den nach innen steigenden Gasdruck komprimiert und kühlt weiter ab. Eventuell können hier auf diese Weise schließlich doch neue Sterne entstehen, wenn auch in sehr begrenztem Umfang.

Zwerggalaxien enthalten ebenfalls interstellares Gas. Sie treten in verschiedenen Formen auf, können spiralförmig oder elliptisch sein oder auch irreguläre Formen haben. Der Gasinhalt dieser Galaxien variiert beträchtlich, je nach Entwicklungszustand und Umfeld. Zwerggalaxien treten überwiegend in Galaxiengruppen als Satellitengalaxien größerer Spiralen in Erscheinung. Auch die Milchstraße hat eine ganze Reihe von Satellitengalaxien um sich herum, so zum Beispiel die Magellanschen Wolken, die am Südhimmel zu beobachten sind.

Durch die Nähe zu einer viel größeren (typischerweise mehr als hundertmal massereicheren) »Muttergalaxie« wird die Entwicklung der Zwergsatelliten erheblich beeinflusst, insbesondere auch die Entwicklung ihres interstellaren Gases. Auf Grund des gravitativen »Zugs« der viel massereicheren Muttergalaxie können zum Beispiel Dichtefluktuationen im Gas der Zwerggalaxie entstehen und einen plötzlichen Anstieg der Sternentstehungsrate auslösen.

In einem solchen »Starburst« können die Winde und Supernova-Explosionen der neuen Sterne zeitgleich so viel Energie freisetzen, dass das interstellare Medium komplett aus der Zwerggalaxie in den intergalaktischen Raum geblasen wird (»Superwind«). Bei dem nahen Vorbeiflug an ihrer Muttergalaxie kann das interstellare Gas einer Zwerggalaxie auch direkt abgestreift werden. Dies geschieht zum einen durch die gravitative Wechselwirkung zwischen beiden Galaxien. Zum anderen fliegt die Zwerggalaxie durch den gasförmigen Halo der Muttergalaxie hindurch, so dass der entstehende Staudruck das Abstreifen des Gases der Zwerggalaxie erleichtert.

Letztlich führt die gravitative Wechselwirkung dazu, dass die Zwerggalaxien zerrissen werden und mit ihren Muttergalaxien verschmelzen. So wird stellares und interstellares Material, das ursprünglich aus den Satellitengalaxien stammt, in die Muttergalaxien eingebaut. Diese gewinnen dadurch stetig an Masse. Auch bei der Milchstraße wird ein Zustrom von Gas aus Zwerggalaxien beobachtet. Der »Magellansche Strom«, eine gigantische neutrale Hochgeschwindigkeitswolke im Halo der Milchstraße, besteht höchstwahrscheinlich aus Gas, das die Milchstraße aus den Magellanschen Wolken herausgerissen hat und sich nun einverleibt.


Der Lyman-alpha-Wald und das intergalaktische Medium

Während die Umwandlung von interstellarer in stellare Materie innerhalb der Galaxien stattfindet und damit deren Entwicklung vorantreibt, prägen sich auf viel größeren Skalen die Dichtekontraste in den kosmischen Filamenten durch den Einfluss der Gravitation mit der Zeit immer weiter aus. Durch die energetische Strahlung massereicher Sterne und aktiver Galaxienkerne bleibt das intergalaktische Medium hochgradig ionisiert. Typischerweise eines von 100 000 Wasserstoffatomen befindet sich im neutralen Zustand. Dennoch hinterlassen diese wenigen neutralen intergalaktischen Wasserstoffatome in den Spektren weit entfernter Quasare und anderer aktiver Galaxienkerne charakteristische Absorptionslinien, mit denen sich die Eigenschaften des davorliegenden intergalaktischen Gases studieren lassen (Bildunterschrift 7).

Diese Absorptionslinien werden überwiegend durch die Lyman-alpha-Linie des neutralen Wasserstoffs hervorgerufen, die bei einer Ruhewellenlänge von 121,6 Nanometern im ultravioletten Spektralbereich liegt. Durch die Expansion des Universums werden die intergalaktischen Lyman-alpha-Absorptionslinien um den Faktor (1 + z) rotverschoben, wobei z die Rotverschiebung des intergalaktischen Gasfilaments ist, in dem die Absorption jeweils stattfindet. Wenn man also durch das komplexe Netzwerk von intergalaktischen Gasfilamenten unterschiedlicher Rotverschiebung hindurchschaut, erhält man ein charakteristisches, weit bis in den optischen Wellenlängenbereich hineinreichendes Muster von Absorptionslinien. Dieser »Lyman-alpha-Wald« erscheint uns wie ein kosmischer Strichkode, mit dem man die Verteilung Dunkler und baryonischer Materie in den kosmischen Filamenten untersuchen kann.

Neben der energetischen Strahlung von aktiven Galaxienkernen führt auch der Einfall der gasförmigen Materie in die Dunkle-Materie-Halos dem intergalaktischen Medium Energie zu: Beim Einfall gewinnt das Gas potenzielle Energie, die zunächst in kinetische und schließlich in thermische Energie umgewandelt wird. Dies erhöht die Temperatur des Gases.

Die Umwandlung von potenzieller Gravitationsenergie in kinetische Energie kann man mit einer Kugel veranschaulichen, die sich auf einer Oberfläche befindet und in eine Senke oder Mulde hineinrollt. Beim Einfall in die Mulde beschleunigt die Kugel und erhöht somit ihre kinetische Energie. Vernachlässigt man die Reibung, so entspricht der Gewinn an kinetischer Energie exakt dem Verlust an potenzieller Energie der Kugel. Infolge der Aufheizung des intergalaktischen Gases und der zunehmenden Verdichtung in den immer tiefer werdenden Potenzialtöpfen der Dunkle-Materie-Halos gewinnt die Ionisation durch Stöße zwischen den Gasteilchen gegenüber der Ionisation durch Strahlung zunehmend an Bedeutung. Deshalb überwiegt in den dichtesten Gebieten der intergalaktischen Filamente im heutigen Universum die Stoßionisation gegenüber der Ionisation durch Strahlung, und der Anteil an neutralem Wasserstoff im Gas ist noch weiter reduziert. Durch den nunmehr kaum noch messbaren Anteil an neutralem Wasserstoff »verschwindet« diese heiße intergalaktische Gaskomponente aus dem Spektrum des Lyman-alpha-Walds und bleibt dem Beobachter fast vollständig verborgen. Der Vergleich der Anzahl der Lyman-alpha-Absorptionslinien bei hoher Rotverschiebung und heute zeigt, dass im lokalen Universum etwa die Hälfte des intergalaktischen Gases in dieser durch Stöße ionisierten, heißen Phase vorliegen muss.

Besonders heißes intergalaktisches Plasma mit Temperaturen bis zu 100 Millionen Grad findet man in Galaxienhaufen, den größten gravitativ gebundenen Objekten im Universum. Diese gigantischen, aber relativ seltenen Objekte repräsentieren die dichtesten Knoten im kosmischen Materienetz und können mehrere tausend Galaxien enthalten. Die enorme Masse dieser Objekte von typischerweise einer Billiarde (1015) Sonnenmassen bindet große Mengen heißen Gases. Dieses Haufengas ist verhältnismäßig dicht und emittiert Strahlung, die man mit Röntgensatelliten messen kann. Ähnlich wie bei den elliptischen Galaxien - nur jetzt auf viel größeren Skalen - können sich in Galaxienhaufen Kühlströme entwickeln, die kälteres gasförmiges Material in die Zentren solcher Haufen wandern lassen.

Trotz der vielen Milliarden Galaxien, die sich seit dem Zeitalter der Reionisation aus dem kosmischen Gasreservoir gebildet haben, ist doch nur ein Bruchteil dieses Materials in stellare Materie umgewandelt worden. Bei z = 0, also im heutigen Universum, liegen noch etwa 70 Prozent (!) der baryonischen Materie in Form von diffusem intergalaktischem Gas vor. Dieses bildet die Reserve für viele zukünftige Sterngenerationen in den Galaxien. Der Zustrom von intergalaktischem Material auf die Galaxien ist für deren Entwicklung auch heute noch von großer Bedeutung, vor allem für Scheibengalaxien wie die Milchstraße. Dabei ist jedoch unklar, ob das akkretierte Gas als heißes, überwiegend ionisiertes Gas auf die Galaxien einfällt, oder ob es erst kühlt und dann als neutrale Gaswolken auf die Scheibe herabregnet.

Für die Milchstraße würde letzteres Szenario bedeuten, dass das einfallende intergalaktische Gas die Form von Hochgeschwindigkeitswolken annimmt, die ja gleichfalls auch akkretiertes Gas aus Satellitengalaxien und Gas aus der galaktischen Fontäne enthalten. Folglich ist die Unterscheidung, ob das Gas einer Hochgeschwindigkeitswolke aus dem intergalaktischen Medium, aus einer Satellitengalaxie oder aus der galaktischen Fontäne kommt, sehr schwierig und nur möglich, wenn man die chemische Zusammensetzung des Gases bestimmen kann. Dazu muss man in geeigneten Spektren die Absorptionslinien schwerer Elemente in den Hochgeschwindigkeitswolken untersuchen. Studien dieser Art, die in den letzten Jahren mit dem Ultraviolett-Satelliten FUSE und dem Weltraumteleskop Hubble durchgeführt wurden, zeigten, dass tatsächlich alle drei Komponenten (intergalaktisches Gas, Gas aus Satellitengalaxien und galaktische Fontänen) zu den Hochgeschwindigkeitswolken beitragen.


Der galaktisch-intergalaktische Materiekreislauf

Unsere Reise durch die Geschichte der gasförmigen Materiekomponente des Universums veranschaulicht, dass die zeitliche Entwicklung von Galaxien und die Eigenschaften der darin enthaltenen stellaren und interstellaren Materie nur im Zusammenhang mit deren intergalaktischer Umgebung betrachtet werden können.

Dies widerspricht in gewissem Maß dem visuellen Eindruck, den uns die vielen spektakulären Bilder von Galaxien vermitteln. Dort erscheinen sie als majestätische Spiralen oder mächtige Ellipsen, die statisch im Raum verharren und deren Sternenlicht eine klare Abgrenzung nach außen suggeriert. Doch dies ist ein Trugbild, denn in solchen Aufnahmen sind die äußeren Bereiche der Galaxien, insbesondere das interstellare Gas in den ausgedehnten Scheiben und den heißen Koronae, gar nicht sichtbar.

Überdies sind solche Bilder (wie alle Bilder) Momentaufnahmen, welche die zeitliche Entwicklung dieser Objekte nicht einfangen können. Erst Beobachtungen mit modernsten Radioteleskopen und Röntgensatelliten sowie kosmologische Simulationen zeigen heute ein anderes Gesicht der Galaxien - als dynamische, ständig wachsende Knotenpunkte im kosmischen Netz, in denen Gas in Sterne umgewandelt wird und die mit ihrer Umgebung stark in Wechselwirkung stehen.

Deshalb sind intensive Beobachtungen des gasförmigen intergalaktischen Umfelds von Galaxien von großer Bedeutung, um die Akkretionsprozesse von Gas aus dem intergalaktischen Medium und aus Satellitengalaxien zu studieren und deren Rolle für die Entwicklung von Galaxien zu charakterisieren (siehe Bildunterschrift 8).

Für solche Studien werden auch neue Beobachtungsinstrumente, die in den nächsten Jahren in Betrieb genommen werden, einen wichtigen Beitrag leisten. So wurde bei der im Mai 2009 durchgeführten Reparaturmission des Weltraumteleskops Hubble ein neuer hochempfindlicher Spektrograf eingebaut (Cosmic Origin Spectrograph, kurz: COS), der neue Daten über das interstellare und vor allem das intergalaktische Gas im nahen Universum sammeln soll. Von diesem und anderen neuen Instrumenten erhoffen sich die Astronomen tiefere Einsichten über die faszinierenden, komplexen Eigenschaften der gasförmigen interstellaren und intergalaktischen Materiekomponente im Universum.


Philipp Richter lehrt am Institut für Physik und Astronomie der Universität Potsdam und erforscht die Wechselwirkung der Galaxien mit dem intergalaktischen Medium und dessen zeitliche Entwicklung.


WIS - Wissenschaft in die Schulen

Damit Schüler aktiv mit den Inhalten dieses Beitrags arbeiten können, stehen auf unserer Internetseite www.wissenschaft-schulen.de didaktische Materialien zur freien Verfügung. Darin wird gezeigt, wie das Thema im Rahmen des Physikunterrichts in der gymnasialen Oberstufe behandelt werden kann. Unser Projekt »Wissenschaft in die Schulen!« führen wir in Zusammenarbeit mit der Landesakademie für Lehrerfortbildung in Bad Wildbad durch. Es wird von der Klaus Tschira Stiftung gGmbH großzügig gefördert.


Literaturhinweise

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Rix, H.-W.: Perspektiven astronomischer Entdeckungen. In: Sterne und Weltraum 8/2008, S. 32 - 40.

Schneider, P.: Einführung in die extragalaktische Astronomie und Kosmologie. Springer, Berlin, Heidelberg 2008.

Wakker, B. P., Richter, P.: Ewig junge Milchstraße. In: Spektrum der Wissenschaft, April 2004, S. 46 - 55.

Wolf, S., Henning, T., Launhardt, R.: Die Geburt von Sternen und Planeten. In: Unsere kosmische Heimat. SuW-Special 1/2006, S. 63 - 75.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Bildunterschrift 1:
Infolge der Wechselwirkung mit einem nahen Nachbarn stürzten große Mengen diffusen Gases ins Innere der Zwerggalaxie NGC1569 und lösten dort intensive Sternentstehung aus. Heftige Sternwinde und zahllose Supernovae treiben nun das weiter prozessierte Gas in neuer chemischer Zusammensetzung in den intergalaktischen Raum hinaus.

Bildunterschrift 2:
So verteilt sich der neutrale intergalaktische Wasserstoff bei der Rotverschiebung z = 4 nach einer Computersimulation von Renyue Cen, Princeton. Die Kantenlänge des dargestellten Würfels beträgt 25 Megaparsec.

Bildunterschrift 3:
Nach heutiger Kenntnis verlief die Reionisation wie folgt: Die ersten Sterne entstanden in relativ massearmen Halos aus Dunkler Materie (blau). Sterne der folgenden Generationen bildeten sich effizienter in den massereicheren Halos (rot) und ionisierten das umliegende Gas. Durch die Überlappung der ionisierten Regionen wurde das intergalaktische Medium schließlich vollständig ionisiert und transparent.

Bildunterschrift 4:
Die Spiralgalaxie NGC2403 wirkt im Radiowellenbereich sehr viel größer als im sichtbaren Licht. Links ist die aus der Emission der 21-Zentimeter-Linie abgeleitete Verteilung des neutralen Wasserstoffs dargestellt, rechts das Bild der wesentlich kleineren optischen Galaxienscheibe.

Bildunterschrift 5:
So erscheint die Milchstraße im Licht der 21-Zentimeter-Linie des neutralen Wasserstoffs, die Geschwindigkeiten sind farbig kodiert: Die »Hochgeschwindigkeitswolken« im Halo bewegen sich auf die Scheibe zu oder von ihr weg. Sie bestehen teils aus Gas, das aus dem intergalaktischen Medium und von Satellitengalaxien akkretiert wird, teils aus Gas, das in einer galaktischen Fontäne aus der Scheibe in den Halo geschleudert wird.

Bildunterschrift 6:
Die Komponenten des interstellaren Mediums in Spiralgalaxien
Kaltes molekulares Gas ist in die neutrale Gasscheibe des Milchstraßensystems eingebettet und bildet die Geburtsstätte neuer Sterne. Seine Temperatur beträgt etwa 10 bis 30 Kelvin, und es bildet klumpige Strukturen, deren Dichte etwa 100 bis eine Million Teilchen pro Kubikzentimeter beträgt. Das Bild unten zeigt molekulare Gasklumpen am Rand des Rosettennebels. Dargestellt ist die gemessene Emission des Kohlenmonoxids (CO), welche die dichtesten Gebiete im Gas anzeigt. In diesen Verdichtungen können neue Sterne entstehen. Das Kreuz markiert das Zentrum des Rosettennebels, die Sterne verschiedene Sternentstehungsgebiete.

Staub ist ein wesentlicher Bestandteil des interstellaren Mediums. Die festen, zumeist weniger als einen Mikrometer großen Partikel bestehen hauptsächlich aus Silikaten und Graphit. Interstellarer Staub absorbiert das Licht im Visuellen sehr effizient. Das nebenstehende Bild zeigt die durch kompakte Gas- und Staubwolken im Sternentstehungsgebiet IC 2944 verursachte, vollständige Abschattung des Hintergrundlichts.

Kaltes und warmes neutrales Gas bei Temperaturen von 30 bis 10 000 Kelvin und Dichten von 1 bis 100 Teilchen pro Kubikzentimeter verteilt sich relativ gleichmäßig in den Scheiben von Spiralgalaxien. Im Bild oben ist links die Verteilung des neutralen Wasserstoffs in der Gasscheibe der Spiralgalaxie ESO 97-G13 im Sternbild Zirkel dargestellt (rot: hohe Konzentration; blau: niedrige Konzentration); rechts die Radialgeschwindigkeit des Gases, aus der sich die Rotationsbewegung in der Scheibe ergibt.

Warmes und heißes ionisiertes Gas existiert in der galaktischen Scheibe in von massereichen Sternen ionisierten Blasen sowie im ausgedehnten galaktischen Halo, der »galaktischen Korona«. Seine Temperatur beträgt typischerweise 10 000 bis 100 Millionen Grad, die Gasdichte liegt bei nur 0,0001 bis 1 Teilchen pro Kubikzentimeter. Das Bild rechts zeigt Ausschnitte des heißen Gashalos der Galaxie NGC 4631. In Blau ist die Röntgenemission des heißen Gases im Halo dargestellt, in Rot die H-alpha-Emission des ionisierten Gases in der Nähe massereicher Sterne in der Scheibe. Vermutlich durch Supernova-Explosionen solcher Sterne wird das Halogas auf Temperaturen von mehreren Millionen Grad aufgeheizt.

Bildunterschrift 7:
Im Spektrum eines Quasars erscheint der so genannte Lyman-alpha-Wald (Grafik). Die vielen einzelnen Absorptionslinien werden durch neutralen Wasserstoff im intergalaktischen Medium erzeugt, das sich in den kosmischen Filamenten sammelt. Durch die Expansion des Universums hat jedes dieser Filamente entlang der Sehlinie (Bild) eine eigene charakteristische Rotverschiebung, welche die Position der dazugehörigen Absorptionslinie im Spektrum bestimmt.

Bildunterschrift 8:
Der große Materiekreislauf
Zwischen dem intergalaktischen und dem interstellaren Gas, zum Beispiel in Scheibengalaxien wie der Milchstraße, wird ständig Materie ausgetauscht. Gas aus dem intergalaktischen Medium strömt in die Knotenpunkte der großräumig verteilten Dunklen Materie und bildet dort Galaxien. Der Zustrom an intergalaktischem Gas hält bis heute an. Darüber hinaus akkretieren Galaxien im Zuge der hierarchischen Strukturentwicklung Sterne und Gas von benachbarten Zwerggalaxien. Sternentstehung und resultierende Supernova-Explosionen treiben Gas aus der Scheibe in den Halo der Galaxie. Alle diese Prozesse erzeugen eine Population von Gaswolken im Umfeld von Galaxien, die man als Hochgeschwindigkeitswolken bezeichnet (siehe auch Bildunterschrift 5).


© 2009 Philipp Richter, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg


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Quelle:
Sterne und Weltraum 9/09 - September 2009, Seite 28 - 39
Zeitschrift für Astronomie
Herausgeber:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann (ZAH, Univ. Heidelberg),
Prof. Dr. Thomas Henning (MPI für Astronomie),
Dr. Jakob Staude
Redaktion Sterne und Weltraum:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Oktober 2009