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FORSCHUNG/418: Schwarze Löcher - die Gasbläser des Universums (MPG)


Max-Planck-Gesellschaft - 30. April 2010

Schwarze Löcher - die Gasbläser des Universums

Die Gravitationsfallen fegen den Raum innerhalb von Galaxiengruppen leer


Viele große Galaxien beherbergen in ihren Zentren superschwere Schwarze Löcher mit der Masse von vielen Millionen Sternen. Wegen seiner unvorstellbar großen Anziehungskraft verschlingt ein Schwarzes Loch die umgebende Materie. Diese kosmische "Mahlzeit" setzt große Energiemengen frei, die in gewaltigen Strahlen - den Jets - ausgestoßen werden. Jetzt haben Astronomen des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik gezeigt, dass dabei nicht nur Materie aus den Galaxien selbst herausgeschleudert wird, sondern sogar ein Teil des Gases zwischen den Mitgliedern einer Galaxiengruppe. (Astrophysical Journal, 1. Mai 2010)


Astronomen versuchen schon lange zu verstehen, wie Schwarze Löcher mit ihrer Umgebung wechselwirken; bis heute haben sie dieses sogenannte Feedback nur unzureichend verstanden. Beobachtungen und Simulationen zeigen, dass die Jets in besonders aktiven Galaxien - sie leuchten überwiegend im Radiobereich - große Mengen Materie mit nahezu Lichtgeschwindigkeit ins All transportieren. Diese Plasmablasen geben ihre Energie an das Gas ab, das den Raum zwischen den einzelnen Galaxien ausfüllt. Die charakteristischen "Fingerabdrücke" für dieses Radio-Feedback lassen sich sowohl im Radio- als auch im Röntgenbereich nachweisen.

Besonders interessant erscheinen Galaxiengruppen, in denen mehrere Milchstraßensysteme durch die Schwerkraft gebunden sind. Studien haben kürzlich gezeigt, dass die Gasmenge in solchen Gruppen geringer ist, als in kosmologischen Modellen vorhergesagt. Die Astronomen erklären sich dieses Defizit damit, dass große Mengen an mechanischer Energie aus den zentralen Schwarzen Löchern einen Teil des intergalaktischen Gases wegblasen könnten. Bis heute war das allerdings nur eine Hypothese, die Untersuchungen beschränkten sich auf eine Handvoll naher Objekte, die von weniger (Radio-)leuchtstarken Schwarzen Löchern bevölkert werden.

Ein Team um Stefania Giodini am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching hat nun eine der größten Studien an Galaxiengruppen und -haufen vorgenommen, die im Röntgenbereich nachgewiesen und mit XMM-Newton identifiziert wurden. (Galaxienhaufen umfassen bis zu mehrere tausend Mitglieder, sind also deutlich größer und massereicher als Galaxiengruppen.) Die Astronomen untersuchten die Energien des Radio-Feedback in einem Teil der fast 300 Galaxiengruppen, die sich in einem bestimmten Gebiet des Himmels - dem großflächigen "Cosmos-Feld" - befinden.

Die Ergebnisse zeigen, dass die Aktivität der Schwarzen Löcher in den Zentren der einzelnen Galaxien tatsächlich einen dramatischen Effekt auf die Umgebung haben muss: Sie stoßen dermaßen viel Energie aus, dass damit das Gas weit aus den Gruppen heraus geblasen wird. Damit ist das Rätsel um die fehlende Materie gelöst - und zum ersten Mal der erhebliche Einfluss von Schwarzen Löchern in Galaxiengruppen nachgewiesen.

"Normalerweise ist das Gas durch die Gravitation gebunden. Die Schwarzen Löcher können aber so aktiv sein, dass sie die Schwerkraftfesseln sprengen. Somit wird ein bedeutender Anteil des Gases aus den Galaxiengruppen entfernt", sagt Stefania Giodini. In den massereicheren Galaxienhaufen dagegen ließ sich ein derartiger Effekt nicht nachweisen; dort verhindert offenbar die enorme Gravitationskraft, dass das Gas dem Haufen entkommt.

"Es ist beeindruckend, was für eine erhebliche Wirkung der Radiofluss von Galaxien auf ihre Umgebung haben kann", sagt Vernesa SmolŸiå vom California Institute of Technology, Mitautorin der Studie. "Das geschieht wahrscheinlich nicht nur auf Größenskalen innerhalb der Galaxien, sondern auch auf Skalen von einigen Millionen Lichtjahren." So scheinen Radiogalaxien regelrechte Störenfriede zu sein, die das Gas um die Galaxie herum auf ungeahnt hohe Temperaturen aufheizen und einen Teil der Materie aus den Galaxiengruppen herausschleudern.

Hans Böhringer, Leiter der Forschungsgruppe für Galaxienhaufen und Kosmologie am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik, nahm ebenfalls an dieser Studie teil: "In einigen nahen Galaxienhaufen sehen wir den Effekt der Energieausbrüche Schwarzer Löcher auf ihre Umgebung in Form von Plasmablasen, die im Radiobereich leuchten. Einen direkten Nachweis für periodisch wiederkehrende Ausbrüche erhalten wir aber nur durch die Untersuchung einer großen Zahl von Galaxiengruppen."

Der enorme Einfluss der einzelnen Galaxienkerne erstaunt selbst die Astronomen. "Ich konnte mir nie vorstellen, in welchen Ausmaß Schwarze Löcher das Gas in Galaxiengruppen verdrängen können", sagt Mitautor Alexis Finoguenov vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik und der Universität Maryland, Baltimore. "Sie sind die Gasbläser des Universums."
[HAE / HOR]


Originalveröffentlichung:
S. Giodini, V. Smolcic, A. Finoguenov, H. Boehringer, L. Bîrzan, G. Zamorani, A. Oklopcic, D. Pierini, G.W. Pratt, E. Schinnerer, R. Massey, A.M. Koekemoer, M. Salvato , D.B. Sanders, J. S. Kartaltepe, D. Thompson
Radio Galaxy Feedback in X-Ray Selected Groups from COSMOS: The Effect on the ICM
The Astrophysical Journal, 714, 218, 1. Mai 2010


Weitere Informationen erhalten Sie von:

Dr. Hannelore Hämmerle (Pressesprecherin)
Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik, Garching
E-Mail: hannelore.haemmerle@mpe.mpg.de

Dr. Stefania Giodini
Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik, Garching
E-Mail: giodini@mpe.mpg.de

Dr. Hans Böhringer
Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik, Garching
E-Mail: hans.boehringer@mpe.mpg.de


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. Falschfarbenaufnahme des Zentrums einer Galaxiengruppe im Röntgenbereich. Der Materiejet, der vom zentralen Schwarzen Loch ausgestoßen wird, ist durch seine Strahlung im Radiobereich (überlagert, blau-violett) deutlich zu erkennen.


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Quelle:
MPG - Presseinformation SP / 2010 (103), 30. April 2010
Herausgeber:
Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Mai 2010