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FORSCHUNG/447: Korrekturen an der Dunklen Energie (Sterne und Weltraum)


Sterne und Weltraum 6/11 - Juni 2011
Zeitschrift für Astronomie

Korrekturen an der Dunklen Energie?

Von Christian Wolf


Bislang bestimmen die Astronomen die wahre Leuchtkraft einer beobachteten Supernova anhand gewisser Charakteristika ihrer Lichtkurve. Neue Erkenntnisse, die auch die Metallizität des Vorgängersterns berücksichtigen, machen aus den Supernovae präzisere Standardkerzen für sehr große Distanzen - mit möglichen Folgen für die Dunkle Energie.


In Kürze
Supernovae vom Typ Ia explodieren mit annähernd gleicher Maximalhelligkeit. Dies nutzen die Astronomen als Standardkerzen zur Entfernungsbestimmung bis in Distanzen von Milliarden von Lichtjahren.
Neue Untersuchungen zeigen, dass die Maximalhelligkeit von der Metallizität des Vorgängersterns, also seinem Anteil chemischer Elemente schwerer als Helium, abhängig ist.
Nun deutet sich sogar eine Abhängigkeit von der Rotverschiebung an. Weit entfernte Supernovae explodierten nämlich in jüngeren Bereichen des Universums, wo die Metallizität niedriger ist als in unserer galaktischen Nachbarschaft.

Im Jahr 1998 wurden Brian Schmidt, Adam Riess und ihr gesamtes Team über Nacht berühmt. Das konnte Schmidt nicht erahnen, als er kurz nach seiner Promotion 1993 an der Harvard University an das Mount-Stromlo-Observatorium in Australien wechselte und dort die Leitung eines neuen Projekts übernahm. Er wollte die Expansion des Weltalls vermessen, um daraus die Materiedichte im Kosmos zu bestimmen. Das Prinzip war einfach, denn als Werkzeug dienten Supernovae vom Typ Ia, deren Entfernung sich aus ihrer scheinbaren Helligkeit schätzen lässt. Zusammen mit der Rotverschiebung ergibt sich ein Diagramm, in dem die Größe des Weltalls gegen die Zeit aufgetragen wird. Und die Friedmann-Gleichung beschrieb ja schon lange, wie stark Materie im Universum dessen Expansion abbremsen sollte.

Das Projekt nahm unvermittelt Fahrt auf, als ein neuer Befund im Jahr 1993 die Supernovae noch interessanter machte. Ihre Leuchtkraft im Maximum streut zwar um mehr als eine Magnitude (mag), doch der US-amerikanische Astronom Mark Phillips schloss aus einer Durchmusterung naher Supernovae, dass sich ihre wahre Leuchtkraft aus der Form der Lichtkurve auf rund 0,1 genau ermitteln lässt. Durch diese nun nach ihm benannte Phillips-Beziehung wurden Supernovae des Typs Ia als Standardkerzen bekannt (siehe Grafiken rechts unten und SuW 7/2010, S. 25). Sollte dem neuen Projekt die sorgfältige Vermessung einiger Dutzend Supernovae bei Rotverschiebungen von null bis eins gelingen, dann könnte sich daraus die genaueste Schätzung der kosmischen Materiedichte ergeben. Diese Aussicht motivierte das High-z Supernova Search Team um Schmidt. Zusätzlicher Ansporn ergab sich durch ein Konkurrenzteam, das Supernova Cosmology Project, das Saul Perlmutter aus Berkeley in Kalifornien mit zwei Dutzend Kollegen aus aller Welt geschaffen hatte.

Im Herbst 1997 schauten die Forscher verdutzt auf ihr erstes Resultat. Irgendetwas schien faul zu sein. Noch heute zeigen sie scherzend die handschriftliche Rechnung von Adam Riess, der die kosmologische Analyse betrieb (siehe Kasten auf S. 38). Die Materiedichte ρ wird in der Regel ausgedrückt als Quotient mit der kritischen Dichte ρcrit, also:

ΩM = ρ ÷ ρcrit

ΩM = 0 beschreibt dabei ein leeres Universum, das konstant schnell expandiert. Bei ΩM > 0 bremst die vorhandene Materie die Expansion ab. Für ΩM > 1 ist so viel Materie vorhanden, dass sie die Expansion stoppt, umkehrt, und das Universum letztlich in sich zusammenstürzt. Und ΩM < 0 gibt es nicht. Wie könnte das Universum denn leerer sein als leer?


Erwartungen

Die Erwartungen an die beiden Supernova-Teams waren hoch, denn die Forschung zur Bestimmung der mittleren Materiedichte des Kosmos war zuletzt in eine Sackgasse geraten. Einerseits schien das Universum auf jeden Fall geometrisch flach zu sein und nicht gekrümmt. Das erforderte zwingend eine Dichte von ΩM = 1. Andererseits schien aber in Galaxien und ihren Haufen viel weniger Materie vorhanden zu sein, als es diesem Dichtewert entsprach. Selbst inklusive der Dunklen Materie lagen die besten Schätzungen bei nur rund 0,2. Also was nun? Die Supernovae sollten eine unabhängige Antwort liefern. Wie das den Widerspruch auflösen sollte, war eine andere Frage.

Das High-z Supernova Search Team begann über das erste Resultat zu grübeln. Die Materiedichte war negativ, nämlich ΩM = -0,36. Das musste falsch sein. Unpublizierbar. Wo lag der Fehler? Selbst monatelanges Prüfen aller Details spürten ihn nicht auf. Es schien nur noch einen Ausweg zu geben: Kontaktaufnahme mit der Konkurrenz und somit Austausch von Daten, die eigentlich einen wertvollen Forschungsvorsprung darstellen sollten. Auf die Frage »Verratet ihr euer vorläufiges Resultat, damit wir unseren Fehler finden können?« reagierten die Konkurrenten vom Supernova Cosmology Project erfreut. Sie hatten nämlich das gleiche Problem!

Dann erinnerte man sich an die kosmologische Konstante Λ in der Friedmann-Gleichung. Da ihre physikalische Bedeutung schon immer unklar war und Einstein selbst sie zuletzt als »Eselei« abgetan hatte, ignorierten Wissenschaftler sie gewöhnlich, indem sie für ΩΛ den Wert null einsetzten (ΩΛ ist proportional zur kosmologische Konstante, wieder normiert auf die kritische Massendichte). Doch als die beiden Teams stattdessen für ΩΛ endliche Werte zuließen, passten die Daten der Supernovae deutlich besser zur Vorhersage. Im besten Fit, bei der besten Modellanpassung also, ergab sich auch wieder eine positive Materiedichte, rund 30 Prozent der kritischen Dichte. Aber was sollte man mit ΩΛ = 0,7 anfangen? Im Kasten unten zitieren wir teaminternen E-Mail-Austausch. Fortan nannte man ΩΛ Dunkle Energie, die beiden Teams publizierten ihre Resultate und fingen an, wissenschaftliche Lobpreisungen einzuheimsen. Toll war, dass Materie und Dunkle Energie zusammen das Universum flach machten, während die Materiedichte niedrig blieb. Ein altes Dilemma der Kosmologie war gelöst - doch es stellten sich auch neue Fragen.


Reaktionen der Teammitglieder auf Λ ≠ 0

Auf das Resultat von Adam Riess, wonach die Supernovae ohne eine kosmologische Konstante Λ ungleich null nicht zu erklären sind, äußerten sich Mitglieder des Forschungsteams im Januar 1998.

Alex Filippenko, Berkeley, 10. Januar: »Adam zeigte mir tolle Diagramme, bevor er auf seine Hochzeit verschwand. Unsere Daten verlangen nach einer kosmologischen Konstante. Wer weiß? Es könnte stimmen.«

Bruno Leibundgut, Garching, 11. Januar: »Mit Bezug auf die kosmologische Konstante möchte ich Adam und andere in der Gruppe fragen, ob sie bereit sind, diese Antwort auch zu vertreten. Es hat keinen Zweck, das zu publizieren, wenn wir uns nicht sehr sicher sind, dass wir die richtige Antwort haben.«

Brian Schmidt, Australien, 11. Januar: »Wie stark vertrauen wir dem Ergebnis? Ich finde es sehr verblüffend.«

Robert Kirshner, Santa Barbara, 12. Januar: »Ich mache mir Sorgen. Im Herzen wissen wir, dass es [eine Konstante ungleich null] falsch ist, aber unser Kopf sagt uns, dass uns das egal ist, und wir nur die Beobachtungen berichten... Es wäre unklug zu sagen, sie muss ungleich Null sein, nur um es nächstes Jahr zu widerrufen.«

Alex Filippenko, 12. Januar: »Wenn wir letztlich falsch liegen, dann ist das halt so. Zumindest haben wir's probiert.«

Adam Riess, 12. Januar: »Die Ergebnisse sind sehr überraschend, ja sogar schockierend. Ich hab's vermieden, Leuten davon zu erzählen, weil ich noch einiges prüfen wollte (getan) und mit der Niederschrift der Ergebnisse weiterkommen wollte ... Die Daten verlangen nach einer kosmologischen Konstante ungleich null! Betrachtet diese Resultate nicht mit eurem Herz oder eurem Kopf, sondern mit euren Augen. Schließlich sind wir Beobachter!«

Nicholas Suntzeff, Chile, 13. Januar: »Ich rate euch wirklich, bei dieser Sache euren Hintern wund zu arbeiten. Wir müssen vorsichtig sein ... Wenn ihr wirklich sicher seid, dass sie [die Konstante] nicht null ist - mein Gott, raus mit der Nachricht! Ich meine das ernst - ihr werdet im Laufe eures Lebens vermutlich keinem wissenschaftlichen Resultat begegnen, das spannender ist.«


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Eine Seite des persönlichen Notizbuchs von Adam Riess zeigt dieser Scan. Darin berechnete er im Herbst 1997 die Materiedichte aus der ersten Runde Supernova-Daten. Schockierenderweise kam dabei heraus, dass das Universum leerer als leer ist! Die Materiedichte war nämlich negativ: ΩM = -0,36 ± 0,18. Wie war das nun zu erklären?


Dunkle Energie

Die Natur der Dunklen Energie ist seitdem eines der großen Rätsel, und immer neue Projekte werden angedacht, um ihren genauen Eigenschaften auf die Schliche zu kommen. Wie auch immer wir die Ausdehnung des Kosmos vermessen wollen, mit Supernovae oder anderem, die Ansprüche an die Messgenauigkeit wachsen in den Himmel. So werden etwa Stichproben von ganz neuer Dimension nötig, um die statistischen Einflüsse auf die kosmologischen Endergebnisse zu minimieren. Derzeit sind unsere Erkenntnisse aber vom Verständnis der Supernovae abhängig. Mehr und mehr beobachtete Supernovae mindern zwar die statistischen Fehler, doch das hilft noch nichts. Sie sind überlagert von systematischen Einflüssen, die wir erst noch verstehen müssen. Auch mit 10.000 Supernovae anstelle von etwa 100, wie sie heute vorliegen, wüssten wir nicht mehr. Wo ist das Problem genau?

Erstens steht die physikalische Erwartung im Raum, dass die Leuchtkraft von Supernovae vom Metallgehalt des Vorläufersterns abhängt. Doch wenn sich dieser Gehalt im Laufe kosmischer Epochen ändert, dann kann das die Kalibration der Supernovae leicht, aber systematisch, mit der Rotverschiebung verzerren. Zweitens zeigen sich jetzt in Beobachtungen die ersten Hinweise darauf, dass diese Befürchtung berechtigt ist.

Die Phillips-Beziehung erlaubt die Schätzung der Supernova-Leuchtkraft nur auf 0,1 mag genau, und schon lange wurde vermutet, dass diese Streuung nicht vom Zufall, sondern vom Metallgehalt des Sterns bestimmt wird. Eine Gruppe um Philipp Podsiadlowski in Oxford, England, schätzte im Jahr 2006 erstmals ab, welche Konsequenzen es für die Supernova-Resultate hätte, wenn die Phillips-Beziehung mit der Rotverschiebung driften sollte. Und jüngst legte ein Gruppe aus Santa Cruz in Kalifornien Modellrechnungen der eigentlichen Explosionen vor, die diesen Effekt beschreiben (siehe Grafik im Kasten).


Die Phillips-Beziehung hängt vom Metallgehalt ab

Diese Simulation verschiedener Supernova-Explosionen zeigt, dass sich die Phillips-Beziehung zwischen Breite und Helligkeit der Lichtkurve mit dem Metallgehalt des Vorläufersterns verschiebt; und zwar von den grauen Punkten hin zu den roten, dementsprechend verläuft die rote Trendlinie steiler als die graue. Die roten Punkte stehen für dreifachen solaren Metallgehalt, die grauen für 30 Prozent des solaren Metallgehalts, also dem Anteil von Elementen schwerer als Helium. Als physikalische Messgröße der »Breite« der Lichtkurve verwenden die Forscher die Abklingrate der Helligkeit während der ers en 15 Tage im B-Band, also bei blauen Wellenlängen (horizontale Achse). Die senkrechte Achse zeigt die Maximalhelligkeit der Supernovalichtkurve im B-Band. Metallarme Sterne explodieren energiereicher, da sie mehr Nickel-56 bilden. Bei gegebener Lichtkurvenform betrachtet sind sie aber relativ leuchtschwächer. Daher wird ihre Entfernung bislang überschätzt.

(Abbildung der Originalpublikation im Schattenblick nicht veröffentlicht.)


Nickel-56

Die bekannten Supernova-Lichtkurven beruhen auf einem einfachen Effekt: In der Explosion einer Supernova vom Typ Ia verschmelzen leichte Elemente von gut einer Sonnenmasse zu schwereren. Nickel und Eisen, die auch den Erdkern bilden, sind dabei sehr wichtige Produkte, deren kosmische Vorräte weitgehend aus früheren Supernovae stammen. Der Zerfall des radioaktiven Nickel-56 stellt Energie zum Leuchten bereit. Je mehr Nickel-56 entsteht, desto heller leuchtet also die Supernova. Andererseits machen solch große Mengen an Nickel die Explosionsfronten auch undurchsichtiger, und somit leuchtet die Supernova länger, bis ihre gesamte Energie entwichen ist. Mehr Nickel bedeutet hellere und längere Supernovae zugleich - genau, wie es die Phillips-Beziehung ausdrückt.

Eine Gruppe um Francis X. Timmes in Chicago beschrieb aber im Jahr 2003 ein wichtiges physikalisches Detail. Je mehr Kohlenstoff, Stickstoff und Sauerstoff ein Stern bei seiner Entstehung besitzt, desto mehr Stickstoff-14 erzeugt der CNO-Zyklus beim Kernbrennen. Der CNO-Zyklus, auch Bethe-Weizsäcker-Zyklus, sorgt zusammen mit dem Proton-Proton-Zyklus für die Entstehung von Helium aus Wasserstoff unter Beteiligung von Kohlenstoff (C), Stickstoff (N) und Sauerstoff (O) im Sternzentrum.

Wenn sich der Stern zum Roten Riesen aufbläht, setzt Heliumbrennen ein, das Stickstoff-14 in neutronenreiches Neon-22 verwandelt. In der späteren Supernova stellt dieses Neon dann Neutronen bereit, welche die Reaktionsraten der Kernprozesse verschieben. Der Neutronenüberschuss im Reaktionsgemisch des brennenden Sterns entscheidet nun, in welchen Anteilen Nickel als radioaktives Nickel-56 oder stabiles Nickel-58 gebildet wird. Und diese Mischung beeinflusst die Lichtkurve. Nur das radioaktive Nickel-56 stellt Energie zum Leuchten zur Verfügung, aber beide Nickelisotope machen die Explosionswolke undurchsichtig, verlängern das Entweichen der abgestrahlten Energie und dehnen die Lichtkurve in die Länge.

Die Simulationen aus Santa Cruz zeigen, dass die Kombination beider Effekte die Phillips-Beziehung entsprechend dem CNO-Gehalt des Sterns verschieben. Letztlich produzieren metallarme Sterne lichtschwächere Supernovae als erwartet. Dies klingt zwar unerwartet, aber es ergibt sich aus der Rechnung als Ganzes. Die Korrektur ist geringer als 0,1 mag, doch falls der CNO-Gehalt der Sterne mit der Rotverschiebung driftet, ist Vorsicht angesagt bei den kosmologischen Analysen. Mit uns verfolgt auch Brian Schmidt gespannt die Ergebnisse der Nachwuchsforscher, berühren sie doch direkt die Arbeit, die ihn bekannt gemacht und ihm eine Professur in Australien eingebracht hat.


Metallizität und Rotverschiebung

Bislang verwenden Astronomen zur Bestimmung der wahren Leuchtkraft einer beobachteten Supernova ein Modell mit nur einem Parameter: die Länge der Lichtkurve, oder anders gesagt, wie rasch die Helligkeit abfällt. Dazu betrachtet man das Absinken der Helligkeit innerhalb einer gewissen Zeit. Inzwischen ist jedoch klar geworden, dass es einen weiteren Parameter gibt, dessen Einfluss die Astronomen aber noch ignorieren, da sie ihn bislang nicht quantifizieren können. Dieser verbleibende Unterschied zwischen wahrer Leuchtkraft und Modell wird also bislang nicht berücksichtigt - mit der Folge, dass die kosmologischen Parameter unseres Universums aus ungenauen Modell-Leuchtkräften abgeleitet werden, in denen auch eine systematische Abweichung stecken mag.

Wären hingegen unabhängig gemessene Leuchtkräfte bekannt, dann wäre das Modell überflüssig, und aus der Leuchtkraft und der beobachteten scheinbaren Helligkeit ließe sich die wahre Distanz ableiten. Zusammen mit der Rotverschiebung ergäbe sich die genaue Expansionsgeschichte des Alls und damit die Kosmologie. Nun ist aber Fakt, dass die Leuchtkräfte ferner Supernova-Explosionen nicht unabhängig gemessen, sondern nur aus der Form der Lichtkurve geschätzt werden. Dies basiert auf einem Modell, das bei niedrigen Rotverschiebungen verankert ist, wo sich die Leuchtkraft aus der unabhängig gemessenen Distanz ergibt.

So stellen sich zwei Fragen: Lässt sich das aus kleinen Rotverschiebungen abgeleitete Modell irgendwie verbessern? Und gilt es dann auch bei hohen Rotverschiebungen?

An dieser Stelle kommen neue Untersuchungen ins Spiel. Die Grafik links zeigt Messwerte (mit Fehlerbalken) nahe gelegener Supernovae und die Grafik rechts solche hoher Rotverschiebungen der Durchmusterung Supernova Legacy Survey (SNLS). Dabei ist der Modellfehler (vertikal) gegen die Masse der Wirtsgalaxie der Supernova aufgetragen. Die Mittelwerte der stark streuenden Messungen innerhalb vorgegebener Massenintervalle sind in Rot dargestellt. Offenbar schätzt das bisherige Modell die Leuchtkräfte tatsächlich falsch ein, und es gibt einen Trend der Helligkeitsabweichung zum Modell mit der Galaxienmasse (siehe Grafik). Dahinter steckt eine physikalische Ursache: Die Astronomen glauben schon länger, dass die Metallizität der Supernova ihre Leuchtkraft beeinflusst, und die ist stark mit der Galaxienmasse korreliert. Im Trend der mit wachsender Galaxienmasse sinkenden Helligkeitsabweichung ist also vermutlich der Einfluss der Metallizität - die sich unabhängig nicht genau genug messen lässt - zu sehen. Es ist jetzt also klar, dass es eine systematische Abweichung gibt!

Wie wurde das nun gemessen, da doch gar keine unabhängigen Leuchtkräfte bekannt sind? Rezept: Man nehme alle verfügbaren Supernovae, suche nach Abweichungen von deren Mittel und interpretiere sie als durch die Metallizität verursacht. Wenn also bei gleicher Rotverschiebung z und gleicher Lichtkurve zwei Supernovae beobachtet werden, von denen die eine in einer metallarmen und die andere in einer metallreichen Galaxie explodierte, dann zeigen die beiden in der Messung unterschiedliche Helligkeiten, was im Modell aber noch fehlt.

Wie ist das aber bei höheren Rotverschiebungen? Verschiebt sich die Relation mit z, weil sich auch der Galaxienmasse-Metallizitäten-Trend verschiebt? Das ist leider nicht wirklich klar. Hierzu gibt es bislang nur eine grobe Messung. Das rechte Diagramm zeigt Supernovae der SNLS-Durchmusterung aus einem weiten z-Bereich zwischen 0,2 und 1. Hier ist der Trend der roten Mittelwerte wesentlich undeutlicher, was aber auch daran liegen mag, dass alle Rotverschiebungen zusammengeworfen sind, um genügend Datenpunkte zu sammeln. Dennoch stellen die Astronomen fest, dass die Streuung nicht zufällig ist. Die Kosmologie wird aus einem Streudiagramm mit vielen einzelnen Supernovae abgeleitet, und dabei zeigt sich, dass Supernovae in großen Galaxien systematisch auf einer Seite einer Ausgleichsgeraden liegen und diejenigen in kleinen Galaxien systematisch auf der anderen Seite. Aha! Wenn sich das herauskorrigieren ließe, bevor die Werte aufgetragen werden, dann ergäbe sich eine viel kleinere Zufallsstreuung, und die Anpassung der Ausgleichsparameter würde schärfer.

Das richtig zu korrigieren ist noch Zukunftsmusik, aber immerhin sagen die beiden Diagramme aus, dass es einen Trend mit der Galaxienmasse gibt. Nun gilt es herauszufinden, wie sich das bei allen Rotverschiebungen richtig korrigieren lässt. Dann müssten irgendwann die kosmologischen Parameter kleinere Fehlerbalken erhalten - und vielleicht auch etwas andere Omega-Werte, mit der ja die Dunkle Energie verknüpft ist.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation: - Supernovae in massereichen und damit auch metallreichen Galaxien sind um bis zu 0,08 mag heller als diejenigen in massearmen Galaxien, was die Simulationen bestätigen. Ein Entfernungsfehler von bis zu vier Prozent war die Folge.


Der Effekt

Aber lässt sich der Effekt auch nachweisen? Eine Gruppe um Mark Sullivan in Oxford hat kürzlich den mittleren CNO-Gehalt von Supernova-Heimatgalaxien aus deren Masse abgeschätzt (die beiden Parameter sind stark miteinander korreliert) und mit den individuellen Abweichungen der einzelnen Supernovae von der Phillips-Beziehung verglichen. So erfährt man zwar nicht den wahren CNO-Gehalt des Supernova-Vorläufers, man erhält jedoch eine grobe Schätzung. Und tatsächlich: Supernovae in metallreichen Galaxien sind bei gleicher Rotverschiebung etwas heller als erwartet, diejenigen in metallarmen Galaxien etwas lichtschwächer. Der Effekt ist da. Andere Teams finden ähnliche Trends, nachdem sie ihre Korrektur der durch interstellaren Staub verursachten Lichtabschwächung verbessert haben. Im Extremfall sind ferne Supernovae vier Prozent näher als bislang gedacht. Damit verschwindet die Dunkle Energie zwar nicht, doch die Zahlen ändern sich um bis zu 20 Prozent, und die Datenpunkte schmiegen sich nun enger an die Vorhersagen an.

Haben wir jetzt verlässlichere Zahlen zur Kosmologie? Leider nein, denn es gibt noch ein Problem zu lösen: Durchmusterungen von fernen Supernovae sind volumenbegrenzt, nahe hingegen nicht. In der Ferne sehen Teleskope zufällig gewählte Felder und erfassen alle Supernovae ohne Rücksicht auf ihre genaue Position. In der Nähe hingegen nehmen große Volumina zu viel Himmelsfläche ein, weshalb die Suchteleskope bislang speziell auf große Galaxien gerichtet wurden. Diese Galaxien sind aber im Mittel eher metallreich, weshalb die mittlere Leuchtkraft lokaler Supernovae bislang zu hoch geschätzt ist. Wird dieser Effekt korrigiert, dann könnten ferne Supernovae noch etwas näher rücken.

Die genauen Folgen daraus sind noch nicht berechnet. Wichtig ist jetzt, lokale Supernovae vollständiger zu begreifen. Erst dann ist es sinnvoll, die Zahl ferner Supernovae kräftig zu erhöhen, um die statistischen Fehler zu verkleinern. Die Ergebnisse werden aber nicht lange auf sich warten lassen. Unter Leitung von Shri Kulkarni am California Institute of Technology in Pasadena nahm im Jahr 2009 die Palomar Transient Factory (PTF) den Betrieb auf. Es ist eine große Weitfeld-CCD-Kamera am Palomar-Schmidt-Teleskop mit einen Sichtfeld von acht Quadratgrad. Sie ist speziell der Suche nach Supernovae aller Art gewidmet. Brian Schmidt leitet nun in Australien das ähnliche Projekt SkyMapper, das dieses Jahr den Routinebetrieb aufnehmen soll. Und wie üblich, wenn wir Neuland betreten, streben wir nicht nur nach der Lösung aktueller Fragen, sondern stolpern über ganz neue. So findet die PTF nun auch explosionsartige Vorgänge neuer Art, für die wir derzeit noch nicht einmal einen Namen, geschweige denn Erklärungen haben.

Wenn sich eines nie ändern wird, dann dies: Es bleibt spannend!


Christian Wolf promovierte am Max-Planck-Institut für Astronomie in Heidelberg. Seit zehn Jahren forscht er in Oxford über die Entwicklung von Galaxien sowie über Supernovae und Gammastrahlenblitze.


Literaturhinweise

Dettenrieder, F.: Schwache Kerzlein und grelle Leuchtfeuer. In: Sterne und Weltraum 7/2010, S. 25-27, 2010

Kasen, D., Röpke, F.K., Woosley, S.E.: The diversity of type Ia supernovae from broken symmetries. In: Nature 460, S. 869-872, 2009

Phillips, M.M.: The absolute magnitudes of type Ia supernovae. In: Astrophysical Journal Letters 413, S. 105-108, 1993

Podsiadlowski, Ph. et al.: Cosmological implications of the second parameter of type Ia supernovae. arXiv:astro-ph/0608324v1. S. 1-10, 2006

Sullivan, M. et al.: The dependence of type Ia supernovae luminosities on their host galaxies. In: Monthly Notices of the Royal Astronomical Society 406, S. 782-802, 2010

Timmes, F.X., Brown, E.F., Truran, J.W.: On variations in the peak luminosity of type Ia supernovae. In: Astrophysical Journal Letters 590, S. 83-86, 2003


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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 37 oben:
Diese künstlerische Darstellung zeigt eine Momentaufnahme nur Sekunden nach Beginn einer Supernova-Explosion. Wächst in einem Doppelsternsystem ein Weißer Zwerg mit seinem Radius von nur rund 10.000 Kilometern durch Aufsammeln von Materie von seinem Partnerstern über die Massengrenze von 1,44 Sonnenmassen hinaus, dann erleidet er eine thermonukleare Explosion, die ihn völlig zerreißt. Solche Supernovae vom Typ Ia sind extrem hell und zeigen eine nahezu gleiche Maximalhelligkeit. Deshalb eignen sie sich als Standardkerzen, als Maßstab zur Bestimmung von Entfernungen über kosmische Distanzen hinweg.

Abb. S. 37 unten:
Die maximale Leuchtkraft von Supernovae des Typs Ia variiert um mehr als eine Magnitude; zudem fallen die Lichtkurven hellerer Supernovae langsamer ab (links). Diesen Zusammenhang beschreibt die so genannte Phillips-Beziehung. Anhand ihrer Lichtkurve lassen sich die Supernovae standardisieren, wonach eine Streuung von nur noch etwa 0,1 mag verbleibt (rechts). Diese restliche Unsicherheit liegt vermutlich im unterschiedlichen Metallgehalt des Vorläufersterns begründet.


© 2011 Christian Wolf, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg


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Quelle:
Sterne und Weltraum 6/11 - Juni 2011, Seite 36 - 41
Zeitschrift für Astronomie
Herausgeber:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann (ZAH, Univ. Heidelberg),
Prof. Dr. Thomas Henning (MPI für Astronomie),
Dr. Jakob Staude
Redaktion Sterne und Weltraum:
Max-Planck-Institut für Astronomie
Königstuhl 17, 69117 Heidelberg
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Verlag: Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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Internet: www.astronomie-heute.de

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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. August 2011