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FORSCHUNG/449: Kometen als Wasserlieferanten (MPG)


Max-Planck-Gesellschaft - 5. Oktober 2011

Kometen als Wasserlieferanten

Mit Hartley 2 haben Wissenschaftler erstmals einen Schweifstern entdeckt, dessen Wasser dem auf der Erde gleicht


Nicht nur durch Einschläge von Asteroiden, sondern auch durch Kometen könnten große Mengen Wasser auf unseren Planeten gelangt sein. Darauf deuten neue Messungen des Weltraumobservatoriums Herschel hin, die Wissenschaftler unter Leitung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung gemacht und jetzt ausgewertet haben. Denn mit 103P/Hartley 2 konnten die Forscher erstmals einen Kometen identifizieren, dessen Wasser ein ähnliches Verhältnis von schwerem zu normalem Wasserstoff aufweist wie irdisches. Hartley 2 hatte sich vor etwa einem Jahr auf seinem Weg um die Sonne der Erde auf nur 18 Millionen Kilometer genähert und so die empfindlichen Beobachtungen ermöglicht.

Komet 103P/Hartley 2 - Foto: © NASA/JPL-Caltech/UMD

Das Wasser des Kometen 103P/Hartley 2 hat ein ähnliches
Deuterium-Wasserstoff-Verhältnis wie jenes auf der Erde. Dieses Bild
des Kometenkerns gelang der US-amerikanischen Raumsonde EPOXI am
4. November 2010.
Foto: © NASA/JPL-Caltech/UMD

Es klingt zwar paradox, doch Wasser ist auf dem blauen Planeten ein Zuwanderer. Denn in den frühen Tagen des Sonnensystems war die Erde noch so heiß, dass alle leicht flüchtigen Stoffe verdampften. Nur die äußeren Regionen jenseits der Umlaufbahn des Mars blieben reich an Wasser. Von dort soll es vor etwa 3,9 Milliarden Jahren zurück zur Erde gelangt sein - in erster Linie "an Bord" von Asteroiden, wie Forscher bisher vermuteten.

"Gängige Theorien kamen zu dem Ergebnis, dass weniger als zehn Prozent des irdischen Wassers von Kometen stammen", sagt Paul Hartogh vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Katlenburg-Lindau, der die neue Studie leitete. "Unsere Beobachtungen weisen erstmals darauf hin, dass Kometen eine deutlich wichtigere Rolle gespielt haben könnten", ergänzt seine Kollegin Miriam Rengel.

Wichtigstes Indiz bei der Suche nach dem kosmischen Wasserträger ist Deuterium - schwerer Wasserstoff, der in seinem Atomkern ein Neutron mehr besitzt als gewöhnlicher Wasserstoff. Im irdischen Wasser beträgt das Verhältnis von Deuterium zu Wasserstoff etwa 1:6400. "Die Körper, die das Wasser auf die Erde gebracht haben, sollten ein ähnliches Verhältnis der beiden Isotope aufweisen", sagt Miguel de Val-Borro, ebenfalls Mitarbeiter am Lindauer Institut.

Bisher traf dies vor allem auf Kleinplaneten zu, die aus dem äußeren Rand des Asteroidengürtels ganz in der Nähe der Umlaufbahn des Jupiters stammen. Die sechs Kometen, für die sich bisher Aussagen zum Deuterium-Wasserstoff-Verhältnis machen ließen, sind hingegen wahrscheinlich deutlich reicher an Deuterium. Ihren Ursprung haben all diese Kometen in der Nähe der großen Gasplaneten Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun.

Hartley 2 hingegen ist anders. Wissenschaftler glauben, dass seine kosmische Heimat im Kuipergürtel liegt, einer Region am äußeren Rand des Sonnensystems. Auf seinem ellipsenförmigen Weg um die Sonne kam der Komet im Oktober und November vergangenen Jahres so nah an der Erde vorbei wie noch nie zuvor seit seiner Entdeckung.

Auch die Instrumente des Weltraumteleskops Herschel waren deshalb zu diesem Zeitpunkt auf den kosmischen Vagabunden gerichtet. Mittels genauer Beobachtungen seiner Koma - der Hülle aus Gas und Staub, die Kometen umgibt, wenn sie sich der Sonne nähern und ihre gefrorenen Bestandteile ausgasen - hofften die Forscher das Deuterium-Wasserstoff-Verhältnis bestimmen zu können.

"Wassermoleküle in der Koma senden im fernen Infrarotbereich eine charakteristische Strahlung aus", erklärt Paul Hartogh. Das gilt auch für die schwerere Spielart des Wassers: Wassermoleküle, bei denen ein Wasserstoffatom durch ein Deuteriumatom ersetzt ist. "Aus dieser charakteristischen Strahlung lässt sich das Verhältnis von Deuterium zu Wasserstoff bestimmen", so Hartogh.

Da das schwerere Wasser sehr selten vorkommt, ist seine Strahlungsintensität jedoch außerordentlich schwach. Für ihre Beobachtungen nutzten die Forscher HIFI (Heterodyne Instrument for the Far Infrared), den empfindlichsten Wasserdampfdetektor, der jemals gebaut wurde. Mit diesem vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung mitentwickelten Bordinstrument von Herschel, detektieren die Wissenschaftler ein erstaunlich gutes Signal-zu-Rauschverhältnis.

"Unsere Messungen ergaben, dass im Wasser von Hartley 2 auf jedes Deuteriumatom etwa 6200 normale Wasserstoffatome kommen", bilanziert Hartogh. Dieses Verhältnis kommt dem irdischen Wert sehr nahe. "Kometen wie Hartley 2 müssen somit ebenso wie die Asteroiden als Wasserlieferanten in Betracht gezogen werden."

Doch die neuen Ergebnisse werfen auch weitere Fragen auf. Denn eigentlich dachten Wissenschaftler, dass die Entfernung des Entstehungsorts eines Körpers von der Sonne das Deuterium-Wasserstoff-Verhältnis in seinem Wasser maßgeblich bestimmt. Je weiter entfernt dieser Ursprungsort von unserem Zentralgestirn liegt, desto mehr Deuterium müsste der Körper enthalten.

Hartley 2, dessen Ursprungsort wahrscheinlich außerhalb der Umlaufbahn von Neptun im Kuipergürtel liegt, scheint jetzt aus diesem Schema herauszufallen. "Entweder der Komet ist doch in größerer Nähe zur Sonne entstanden, als wir glaubten", so Hartogh. "Oder die gängigen Vorstellungen zur Deuterium-Verteilung müssen überdacht werden." Vielleicht sei Hartley 2 ein sogenannter Trojaner, der in der Nähe des Planeten Jupiter entstanden ist und sich nie seinem Schwerefeld entziehen konnte.
BK / HOR


Originalveröffentlichung
Paul Hartogh, Dariusz C. Lis, Dominique Bockelée-Morvan, Miguel de Val-Borro, Nicolas Biver, Michael Küppers, Martin Emprechtinger, Edwin A. Bergin, Jacques Crovisier, Miriam Rengel, Raphael Moreno, Slawomira Szutowicz und Geoffrey A. Blake
Ocean-like water in the Jupiter-family comet 103P/Hartley 2
Nature, Advance Online Publication, 5 October 2011

Ansprechpartner

Dr. Birgit Krummheuer
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung, Katlenburg-Lindau
E-Mail: Krummheuer@mps.mpg.de

Dr. Paul Hartogh
Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung, Katlenburg-Lindau
E-Mail: Hartogh@mps.mpg.de

Dr. Miriam Rengel
Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung, Katlenburg-Lindau
E-Mail: Rengel@mps.mpg.de

Dr. Miguel de Val-Borro
Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung, Katlenburg-Lindau
E-Mail: deval@mps.mpg.de


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Quelle:
MPG - Presseinformation vom 5. Oktober 2011
Herausgeber:
Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Oktober 2011