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FORSCHUNG/460: Ein Netz für Gravitationswellen (Sterne und Weltraum)


Sterne und Weltraum 5/12 - Mai 2012
Zeitschrift für Astronomie

Ein Netz für Gravitationswellen

Von Rahel Heule



Die Suche nach Gravitationswellen geht in die nächste Runde. Zwar entzogen sich die von Albert Einstein vorhergesagten Kräuselungen der Raumzeit bisher hartnäckig ihrem direkten Nachweis. Doch eine neue Detektorgeneration weckt Hoffnungen. Mit Technologien, die am deutsch-britischen Experiment GEO600 entwickelt wurden, soll die Empfindlichkeit des internationalen Detektornetzwerks nun um das Zehnfache steigen.


Im Universum spielen sich bisweilen energiereiche astrophysikalische Vorgänge ab: Massereiche Sterne etwa explodieren am Ende ihres Lebens als Supernova, oder es verschmelzen zwei sich eng umkreisende Neutronensterne zu einem Schwarzen Loch. Die bei solchen Ereignissen freigesetzten Energiemengen sind gewaltig und versetzen die Raumzeit in Schwingung. Noch fehlt aber jeglicher direkte Nachweis dieser Gravitationswellen, deren Existenz der geniale Physiker Albert Einstein einst vorhersagte. Denn die Wechselwirkung der Gravitation mit Materie ist äußerst gering, und die Auswirkungen von Gravitationswellen sind winzig. Daher bedarf es hochempfindlicher Detektoren, um sie aufzuspüren.

Zu diesem Zweck haben Wissenschaftler aus Europa und den USA ein weltumspannendes Netzwerk von Gravitationswellendetektoren, die LIGO Virgo Science Collaboration (LVC), aufgebaut. Die erste Etappe auf dem Weg zum direkten Gravitationswellennachweis ist nun abgeschlossen: Die Messinstrumente aller Observatorien der LVC arbeiten zuverlässig und präzise. Neueste Technologien, an deren Entwicklung das deutsch-britische Observatorium GEO600 maßgeblich beteiligt ist, sollen dem Detektornetzwerk künftig zu einer zehnmal höheren Empfindlichkeit verhelfen. So könnte die neue Detektorgeneration der Gravitationswellenastronomie schon bald die Türen öffnen (siehe Infografik auf S. 52 der Druckausgabe.


Dynamische Raumzeit

Anfang des 20. Jahrhunderts revolutionierte Albert Einstein die gängigen Vorstellungen von Raum und Zeit. Zunächst legte er 1905 mit seiner speziellen Relativitätstheorie die Grundlage für die vierdimensionale Raumzeit, die Hermann Minkowski zwei Jahre später einführte. In seiner 1915 fertig gestellten Arbeit über Relativität und Gravitation, der allgemeinen Relativitätstheorie, ging er dann noch einen Schritt weiter: Dieser zufolge beeinflussen Masse und Energie den Raum und verursachen dessen Krümmung. Die Raumkrümmung wiederum bestimmt ihrerseits die Bewegung der Materie.

Die Raumzeit war also von nun an gekrümmt und dynamisch. Newtons Gesetze dagegen, die sich in einem statischen Raum mit ebener Geometrie abspielen, waren nicht mehr als allgemein gültig anzusehen. Nach Einsteins Theorie ist etwa die Rotverschiebung entfernter Galaxien nicht darauf zurückzuführen, dass sich die Galaxien durch den Raum von uns fortbewegen. Es ist vielmehr die Raumzeit selbst, die sich ausdehnt und das Universum expandieren lässt. Die Wellenlänge des Lichts, das die Galaxien emittieren, wird dabei ebenfalls gedehnt und dadurch zum langwelligeren roten Teil des Spektrums hin verschoben.

Dass Licht im Schwerefeld massereicher Objekte abgelenkt wird, ist eine weitere Konsequenz der allgemeinen Relativitätstheorie. Beobachtungen von zahlreichen Gravitationslinsensystemen auf extragalaktischer Skala haben dies inzwischen längst bestätigt.

Allein Gravitationswellen, die ebenfalls aus der allgemeinen Relativitätstheorie folgen, harren ihres direkten Nachweises nach wie vor. Sie entstehen, wenn sich Materie beschleunigt bewegt. Dann pflanzt sich die Veränderung des Gravitationsfelds als Dehnung und Stauchung der Raumzeit senkrecht zur Ausbreitungsrichtung mit Lichtgeschwindigkeit fort (siehe Kasten).


Zeitlich veränderliches Quadrupolmoment
Mithilfe einer Näherungsformel sind die Astrophysiker in der Lage, die Stärke der Gravitationsstrahlung abzuschätzen. Jede vorgegebene räumliche Massenverteilung lässt sich als Überlagerung elementarer Quellen, so genannter Multipole, beliebig genau annähern. Der Quadrupolterm, in den das Quadrupolmoment einfließt, stellt hierbei die einfachste Quelle von Gravitationswellen dar. In den meisten Fällen reicht es aus, allein diesen Term zu berücksichtigen.
Ein Quadrupolmoment entsteht dann, wenn die betrachtete Massenverteilung von der Kugelgestalt abweicht. Ändert es sich zeitlich, so werden Gravitationswellen abgestrahlt. Die Amplitude dieser Wellen ist umso größer, je schneller die Änderung erfolgt, sie nimmt aber mit der Entfernung zur Quelle ab. Nur äußerst massereiche Systeme mit großen, sich zeitlich genügend schnell ändernden Quadrupolmomenten - beispielsweise zwei sich eng umkreisende Neutronensterne oder Schwarze Löcher - kommen als beobachtbare Quellen von Gravitationswellen in Frage. Da solche Quellen aber weit von der Erde entfernt liegen, ist die bei uns ankommende Amplitude der abgestrahlten Gravitationswellen verschwindend klein (siehe Bild S. 47 der Druckausgabe).


Indirekt verrieten die Kräuselungen der Raumzeit aber bereits ihr Dasein: Über rund zwei Jahrzehnte hinweg beobachteten die Astronomen Russell A. Hulse und Joseph H. Taylor den Pulsar PSR 1913+16 in einem Doppelsternsystem. Dabei stellten sie fest, dass sich die Bahnperiode des Pulsars stetig verkürzte. Der aus dieser Bahnänderung berechnete Energieverlust des Systems entsprach exakt dem Wert, den die allgemeine Relativitätstheorie für die Abstrahlung von Gravitationswellen vorhersagte. Für diese Entdeckung erhielten die beiden Astrophysiker im Jahr 1993 den Nobelpreis.


Die Kräuselungen der Raumzeit sind winzig

Ob sich Gravitationswellen wohl bald auch direkt werden messen lassen? Einstein selbst glaubte nicht daran, dass man sie jemals würde nachweisen können. Denn er wusste, wie schwach die Wechselwirkung zwischen Raumzeit und Materie ist. Zudem sind die auf der Erde ankommenden Signale umso schwächer, je weiter die Gravitationswellen emittierenden Quellen entfernt sind. Selbst wenn eine Supernova nahe dem Zentrum der Milchstraße explodierte, wären die auf der Erde messbaren Längenänderungen über eine Messstrecke von einem Kilometer nur von der Größenordnung eines Attometers (10-18 Meter). Das Proton, einer der Bausteine der Atomkerne, hat einen tausendmal so großen Durchmesser.

Zwar ließen sich derart winzige Verformungen der Raumzeit mit den modernen Gravitationswellendetektoren bereits messen, doch das scheint noch nicht zu genügen. Denn Supernovae explodieren in unserer Galaxis äußerst selten; durchschnittlich ereignen sich zwei bis drei pro Jahrhundert. Die Gravitationswellensignale zweier verschmelzender Neutronensterne wären vermutlich sogar so stark, dass sie uns auch aus einer Nachbargalaxie in messbarer Stärke erreichen könnten. Allerdings sind solche Ereignisse noch viel seltener.

Wenn die Detektoren der LVC nach den laufenden Umbauarbeiten zehnmal empfindlicher sind, werden sie in der Lage sein, auch solche Quellen in unserer Heimatgalaxie zu detektieren, die momentan noch etwas unterhalb der Messgrenze liegen. Vor allem aber wird sich mit der zehnfachen Reichweite auch das beobachtbare Volumen vergrößern, und zwar um das Tausendfache. Dadurch wird sich der Blick in benachbarte Galaxien und Galaxienhaufen öffnen. Entsprechend steigt dann die Ereignisrate nachweisbarer Quellen und somit die Wahrscheinlichkeit, Gravitationswellen erstmals direkt zu messen (siehe Grafik auf S. 48 der Druckausgabe.


Nützliche Kollaboration

Mit der engen internationalen Zusammenarbeit verfolgen die Wissenschaftler auf ihrer Jagd nach Gravitationswellen hauptsächlich zwei Ziele: Zum einen tauschen sie die an den verschiedenen Experimenten entwickelten Technologien untereinander aus. Eine zentrale Rolle spielt dabei der Detektor GEO600, den das Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik und die Leibniz Universität Hannover gemeinsam mit britischen Institutionen in Ruthe bei Hannover betreiben.

Zwar ist GEO600 mit einer Messstrecke von 600 Metern das kleinste Observatorium innerhalb der LVC und damit zunächst auch das Experiment mit der geringsten Messgenauigkeit. Um diesen Nachteil wettzumachen, arbeiten die Hannoveraner Physiker aber stets daran, die für die Messprozesse notwendige Ausstattung zu optimieren und auf diese Weise die Messgenauigkeit zu erhöhen. Die drei US-amerikanischen LIGO-Detektoren - einer steht in Livingston, Louisiana, zwei sind in dem Experiment in Hanford, Washington, untergebracht -, mit denen GEO600 seit 1997 zusammenarbeitet, messen über Strecken von vier beziehungsweise zwei und vier Kilometern. Der von Frankreich und Italien bei Pisa betriebene Detektor Virgo besitzt eine Messstrecke von drei Kilometern und ist inzwischen ebenfalls zur Kollaboration dazugestoßen. Außerdem findet eine lose Zusammenarbeit mit dem australischen Experiment AIGO statt. Der dortige Detektor befindet sich noch im Aufbau. Ein weiteres Gravitationswellenobservatorium, TAMA300, steht in Japan, gehört diesem Netzwerk aber nicht an.

Neben dem Technologietransfer hat die weltweite Zusammenarbeit in der Gravitationswellenastronomie noch einen weiteren Zweck: Mit Gravitationswellen verhält es sich ein wenig wie mit Schall. Nur wenn sie von drei separaten Standorten detektiert werden, lässt sich die Richtung der Quelle bestimmen. Um die räumliche Orientierung der Schwingung, die Polarisation, zu bestimmten, benötigt man ebenfalls mindestens drei Detektoren. Je weiter diese Detektoren voneinander entfernt sind, umso höher ist das räumliche Auflösungsvermögen einer Messung; außerdem steigt die Empfindlichkeit.

Alle an der Kooperation beteiligten Gravitationswellendetektoren funktionieren nach dem Prinzip eines Michelson-Interferometers: Dabei trifft infrarotes Laserlicht auf einen halbdurchlässigen Spiegel, den Strahlteiler. Von dort aus läuft es, aufgespalten in zwei Teilstrahlen gleicher Intensität, die rechtwinklig zueinander verlaufenden Messstrecken, die Interferometerarme, entlang. An deren Enden werden die Lichtstrahlen von Spiegeln reflektiert und zum Strahlteiler zurückgeschickt. Dort treffen die beiden Teilstrahlen wieder aufeinander und überlagern sich. Der so entstandene Signalstrahl fällt dann auf eine Fotodiode, die seine Intensität misst (siehe Grafik auf S. 50 der Druckausgabe.)

Aufgrund der Wellennatur des Lichts verstärkt sich das Signal, wenn die beiden Teilstrahlen in derselben Phase aufeinandertreffen, und wird ausgelöscht, wenn sie um eine halbe Wellenlänge gegeneinander versetzt sind. Ändern sich nun die Lichtlaufstrecken der beiden Teilstrahlen relativ zueinander, wenn zum Beispiel eine Gravitationswelle vorüberzieht und die beiden Interferometerarme unterschiedlich stark dehnt und staucht, treffen die beiden Strahlen in einer anderen relativen Phase aufeinander als im Ruhezustand. Auf der Fotodiode zeigt sich dies als Intensitätsschwankung.


Nordseebrandung im Detektor

Solch kleine Signaländerungen können aber auch von einer ganzen Reihe irdischer Einflüsse herrühren. Da die bodengebundenen Detektoren dafür ausgelegt sind, Gravitationswellen bei Frequenzen von einigen zehn Hertz bis Kilohertz zu messen, ist dies gerade im niederfrequenten Bereich besonders störend. Bodenerschütterungen jeglicher Art, ob von in der Nähe vorbeifahrenden Autos, ja sogar von Fußgängern auf dem Forschungsgelände, verursachen Ausschläge, die im Vergleich zu den zu erwartenden Gravitationswellensignalen riesig sind. Selbst die Nordseebrandung macht sich in den Daten von GEO600 bemerkbar.

Um solche Störungen so gut wie möglich auszuschalten, entwickelten Wissenschaftler von der University of Glasgow für das Experiment GEO600 eine besondere Spiegelaufhängung. Damit lassen sich durch die Wirkung eines Dreifachpendels seismische Störungen, die den Spiegel beeinflussen, bis um neun Zehnerpotenzen passiv dämpfen.

Kleinere interne Störungen lassen sich weit gehend eliminieren, indem die Spiegelaufhängung von einer direkt dahinter hängenden Masse aktiv durch elektrostatische und elektromagnetische Kräfte angesteuert wird. Solche Pendelsysteme kommen auch bei den Interferometern von Virgo und LIGO zum Einsatz und halten die Detektoren in ihrer Messposition. Ereignet sich aber irgendwo auf der Welt ein Erdbeben ab Stärke sechs auf der Richterskala, so hilft auch die ausgeklügelte Spiegelaufhängung nichts mehr. Die Detektoren geraten bei solch heftigen Erschütterungen außer Takt und müssen neu feinjustiert werden.


Extrem stabiles Laserlicht

Eine weitere Schlüsseltechnologie von GEO600 ist ein besonders stabiles Hochleistungslasersystem. Wenn das Laserlicht auf Strahlteiler und Spiegel des Interferometers auftrifft, üben die Lichtquanten (Photonen) durch ihren Impuls Druck aus und stoßen sie ein wenig an. Dadurch verschieben sich die Messstrecken relativ zueinander: Der eine Arm wird kürzer, der andere länger. Handelte es sich dabei um einen Effekt mit stets gleich bleibender Intensität, ließe sich der Längenunterschied recht einfach ausgleichen. Das Laserlicht ist aber natürlichen Leistungsschwankungen unterworfen, und der Strahlungsdruck auf Strahlteiler und Spiegel variiert. Das so im Signalstrahl erzeugte Rauschen ist etwa von derselben Größenordnung wie ein potenzielles Gravitationswellensignal und beeinträchtigt daher das Messergebnis.

Grundsätzlich gilt: Je höher die Leis tung eines Lasers ist, umso mehr Photonen prasseln pro Zeiteinheit auf den Spiegel. Die Schwankungen fallen dann bei einer Messung weniger ins Gewicht. Daher sind die Gravitationswellenjäger an Laserlichtquellen mit möglichst hoher Ausgangsleistung interessiert. Je leistungsstärker ein Laser ist, umso schwieriger ist es allerdings, die Wellenlänge stabil zu halten.

In Zusammenarbeit mit dem Laser Zentrum Hannover e.haben die Gravitationswellenforscher von GEO600 nun ein neues Hochleistungslasersystem für die nächste Detektorgeneration entwickelt. Dieser Laser besitzt eine Lichtleistung von 200 Watt bei einer für Gravitationswellendetektoren üblichen Wellenlänge von 1064 Nanometern und weist damit das 20-fache der bisher bei GEO600 genutzten Leistung auf. Ihn zeichnet eine besonders hohe Leistungsstabilität bei gleich bleibender Wellenlänge aus, wie sie zuvor bei solch hohen Leistungen unerreicht war.

Die ersten beiden Exemplare dieses Lasers aus Hannover laufen inzwischen bei der neuen Detektorgeneration von LIGO, Advanced LIGO, in Livingston und Hanford im Testbetrieb. Ein weiteres Modell befindet sich derzeit auf dem Seeweg in die USA und soll in Kürze in den zweiten Detektor in Hanford eingebaut werden. GEO600 nutzte bis vor Kurzem noch einen Laser mit einer Leistung von zehn Watt. Im Herbst 2011 wurde dieser aber durch einen Laser von 35 Watt ersetzt.

Um die Laserleistung optimal auszunutzen, recyceln die Physiker außerdem das Laserlicht. Durch einen zusätzlich eingebauten Spiegel wird das Interferometer für den Laserstrahl zum Resonator. So läuft der eingefangene Laserstrahl mehrfach im Interferometer um und überlagert sich mit dem weiterhin eingespeisten Licht. Auf diese Weise lässt sich die umlaufende Lichtleistung bei GEO600 bis auf drei Kilowatt steigern. Dieses so genannte Power-Recycling findet auch bei LIGO und Virgo Anwendung. Nach einem ähnlichen Prinzip funktioniert das Signal-Recycling, bei dem der Signalstrahl verstärkt und sein Rauschen reduziert wird. Diese Technik wird bisher nur bei GEO600 eingesetzt. Sie verhilft dem Detektor trotz seiner kurzen Armlänge besonders bei hohen Frequenzen zu einer vergleichbaren Messempfindlichkeit wie Virgo. Geplant ist, in Zukunft auch Advanced LIGO und Advanced Virgo mit Signal-Recycling auszustatten.


Allein auf der Jagd

Während der mehrjährigen Umbauphase innerhalb der LVC, die voraussichtlich bis 2016 andauern wird, sind die Detektoren von Virgo und LIGO außer Betrieb. In dieser Zeit steht allein GEO600 für die Datenaufnahme zur Verfügung. Auch wenn die Messungen mit nur einem Detektor ungenauer sind, möchten sich die Gravitationswellenjäger die Chance, eine eventuelle Supernova nachzuweisen, nicht entgehen lassen. Bei GEO600 werden verbesserte Messtechnologien daher schrittweise im laufenden Betrieb eingebaut.

Das Ziel der Gravitationswellenastronomen ist hochgesteckt: Mithilfe der neuen Detektorgeneration soll das All dauerhaft im Gravitationswellenspektrum untersucht werden. Denn die Schwingungen der Raumzeit künden nicht nur vom innersten Geschehen einer Supernovaexplosion. Die Wissenschaftler erhoffen sich auch neue Erkenntnisse über die rätselhafte Dunkle Materie, die 22 Prozent der Masse im Universum auszumachen scheint und damit die gewöhnliche sichtbare Materie um das 5,5-Fache übertrifft. Zudem ließe sich mit den Mitteln der Gravitationswellenastronomie das ganz junge Universum erkunden, noch bevor es im Alter von rund 380 Jahren transparent für elektromagnetische Strahlung wurde. Vermutlich eröffnete sich dann gar der Blick zurück bis unmittelbar nach dem Urknall. Voraussetzung dafür ist zunächst aber der direkte Nachweis von Gravitationswellen.

Doch so paradox es klingen mag: Auch aus bisher nicht nachgewiesenen Gravitationswellen können die Wissenschaftler Rückschlüsse auf bestimmte Eigenschaften einiger Objekte ziehen. Für eine Reihe von Pulsaren haben sie berechnet, dass deren Form um weniger als ein Zehnmillionstel von einer perfekten Kugelgestalt abweicht. Andernfalls hätte man bei der aktuellen Messempfindlichkeit innerhalb der LVC Gravitationswellen längst direkt messen müssen.


Rahel Heule ist Physikerin und promoviert derzeit in Biophysik an der Universität Basel. Seit ihrer Kindheit ist sie von Astronomie und Astrophysik fasziniert. Im Jahr 2011 absolvierte sie ein Praktikum bei »Sterne und Weltraum«.


Literaturhinweise

Aufmuth, P.: Warten auf die Welle. In: Sterne und Weltraum 1/2009, S.30
Heurs, M.: Innovative Optik für die Gravitationswellenastronomie. Forschungsbericht 2005 des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik, Teilinstitut Hannover. In: Jahrbuch 2005 der Max-Planck-Gesellschaft (liegt ausschließlich digital vor)
Mokler, F.: Die Kräuselungen der Raumzeit. In: Max-Planck-Forschung 2/2011, S.48
Nollert, H.-P. et al.: Physik der Gravitationswellen. In: Sterne und Weltraum Special 6 »Gravitation«, S. 42-46

www.einstein-online.info
Ein Portal des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut), das ausführliche Informationen zu Einsteins Relativitätstheorien, unter anderem auch zu Gravitationswellen, bereitstellt.

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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 47:
Wenn zwei extrem massereiche Objekte wie etwa Schwarze Löcher umeinander kreisen, entstehen Gravitationswellen. Sie pflanzen sich durch die Raumzeit mit Lichtgeschwindigkeit fort. Aufgrund der geringen Wechselwirkung zwischen Gravitation und Materie ließen sich diese Schwingungen jedoch bisher nur indirekt nachweisen.

Abb. S. 48:
Die Reichweite der Detektoren des US-amerikanischen LIGO-Experiments erstreckt sich bis zu Galaxien innerhalb des Virgo-Haufens. Ausgestattet mit neuen Technologien soll Advanced LIGO ab 2016 zehnmal weiter ins All horchen können. Das Beobachtungsvolumen vergrößert sich um das Tausendfache.

Abb. S. 50 oben:
Schema eines Laserinterferometers
Ein Laserstrahl wird an einem Strahlteiler in zwei gleich helle Strahlen aufgeteilt. Die Teilstrahlen laufen die Interferometerarme zu den Spiegeln M 1 und M 2 entlang. Von dort werden sie zurück zum Strahlteiler reflektiert, wo sie sich überlagern und dann als Signalstrahl auf die Fotodiode treffen. Die Helligkeit des Signalstrahls hängt davon ab, in welcher relativen Phase die Teilstrahlen interferieren. Die Anlage wird so eingestellt, dass die beiden Strahlen in Ruhe genau um eine halbe Wellenlänge versetzt aufeinandertreffen und sich auslöschen. Ändern sich die relativen Lichtlaufstrecken, etwa wenn eine Gravitationswelle vorüberzieht, interferieren die Teilstrahlen konstruktiv, der Signalstrahl wird sichtbar. Die Spiegel M3 und M4 halten jeweils Haupt- und Signalstrahl für mehrere Umläufe im Interferometer gefangen. Damit lässt sich die verfügbare Lichtleistung erhöhen (Power-Recycling) und das Rauschen im Signalstrahl reduzieren (Signal-Recycling).

Abb. S. 50 unten:
Die Spiegel sind bei GEO600 als Dreifachpendel aufgehängt, um störende seismische Schwingungen mechanisch zu dämpfen. Im Bild zu sehen sind die beiden unteren Pendelkomponenten: Ein Zylinder aus Quarzglas, der als Spiegel für den infraroten Laserstrahl fungiert (unten), hängt an feinen Fasern ebenfalls aus Quarzglas an der mittleren Pendelmasse (oben). Zusätzlich lässt sich das Pendel elektrostatisch und elektromagnetisch ansteuern, um kleinere Störungen zu unterdrücken und die Spiegelposition zu korrigieren.

Abb. S. 51:
Der neue 200-Watt-Laser aus Hannover ist ein komplexes System. Unterhalb der roten Schläuche der Wasserkühlung links im Bild sind zwei separate Lasersysteme untergebracht, die zu einem einzigen Laser gekoppelt werden. Der resultierende Laserstrahl ist trotz der hohen Leistung sowohl in seiner Intensität als auch in seiner Wellenlänge besonders stabil.

© 2012 Rahel Heule, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg

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Quelle:
Sterne und Weltraum 5/12 - Mai 2012, Seite 46 - 51
Zeitschrift für Astronomie
Herausgeber:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann (ZAH, Univ. Heidelberg),
Prof. Dr. Thomas Henning (MPI für Astronomie),
Dr. Jakob Staude
Redaktion Sterne und Weltraum:
Max-Planck-Institut für Astronomie
Königstuhl 17, 69117 Heidelberg
Telefon: 06221/528 150, Fax: 06221/528 377
Verlag: Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
Slevogtstraße 3-5, 69117 Heidelberg
Tel.: 06221/9126 600, Fax: 06221/9126 751
Internet: www.astronomie-heute.de

Sterne und Weltraum erscheint monatlich (12 Hefte pro Jahr).
Das Einzelheft kostet 7,90 Euro, das Abonnement 85,20 Euro pro Jahr.


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Juli 2012