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FORSCHUNG/490: TW Hydrae und HD 163296 - Leise rieselt der CO-Schnee (Sterne und Weltraum)


Sterne und Weltraum 11/13 - November 2013
Zeitschrift für Astronomie

Kurzbericht
TW Hydrae und HD 163296: Leise rieselt der CO-Schnee

Von Markus Schmalzl



Schneelinien markieren in protoplanetaren Scheiben den Übergang zwischen den Zonen, in denen Moleküle in Gasform beziehungsweise als Eis vorliegen. Mit Hilfe des Submillimeter-Observatoriums ALMA ist es nun erstmals gelungen, solche Grenzgebiete direkt abzubilden. Ein Verständnis der Temperatur- und Dichtestruktur protoplanetarer Scheiben scheint nun in Reichweite.


Wenn der Winter in den Bergen Einzug hält, dann sind die höheren Lagen bereits häufig mit einer weißen Schneeschicht überzuckert, während im Tal noch das Grün und Braun von Wiesen, Feldern und Wäldern dominiert. Schon länger wurde angenommen, dass dieser Effekt primär auf die vorherrschenden Temperaturunterschiede zurückzuführen ist und in gleicher Weise bei protoplanetaren Scheiben um junge Sterne zu beobachten sein müsste.

In der Äquatorialebene einer solchen Scheibe nimmt die Temperatur mit zunehmendem Abstand vom Zentralgestirn stetig ab. Ab einer gewissen Distanz - gemeinhin als Schneelinie bezeichnet - wird es schließlich so kalt, dass Moleküle aus der Gasphase auf den Staubteilchen ausfrieren. Es bilden sich schließlich mehrere Lagen dicke Eispanzer um die Teilchen. Mit Hilfe des Atacama Large Millimeter/Submillimeter Array (ALMA) auf dem chilenischen Hochpleateau Chajnantor konnte eine solche Schneelinie nun erstmals direkt beobachtet werden - und zwar gleich in zwei protoplanetaren Scheiben (siehe Kasten unten).

Einer dieser Sterne, TW Hydrae, ist mit einer Entfernung von nur rund 175 Lichtjahren der uns nächstgelegene Vorhauptreihenstern mit einer protoplanetaren Scheibe. Die Astronomen erwarten, dass sich aus dieser Scheibe früher oder später ein Planetensystem ähnlich dem unserer Sonne entwickeln wird. Deshalb, und weil sie sich erhoffen, die Entstehung unseres Sonnensystems dadurch besser verstehen zu können, ist TW Hydrae ein beliebtes Beobachtungsziel. Beispielsweise gelang es vor nicht allzu langer Zeit, mit Hilfe des Weltraumteleskops Herschel im System TW Hydrae ein gigantisches Reservoir an Wassereis in der Mittelebene der Scheibe aufzuspüren (siehe SuW 2/2012, S. 22).

Auf der Suche nach der Schneelinie nahmen nun Chunhua Qi vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics in Cambridge (USA) und Karin I. Öberg von der University of Virginia in Charlottesville (USA) zusammen mit weiteren Kollegen aus den USA, Mexiko, den Niederlanden und Deutschland TW Hydrae mit Hilfe von ALMA ins Visier und fanden dabei die Schneelinie von Kohlenstoffmonoxid (CO).


Unterschiedliche Schneelinien
Die Position solcher Schneelinien ist jedoch nicht für alle Moleküle gleich. Während für unser Sonnensystem die Bedingungen für das Ausfrieren von Wasser bei rund drei Astronomischen Einheiten (AE, Bahnradius der Erde) erreicht sind, befindet sich die Schneelinie für CO jenseits der Zehn-AE-Marke. Das Team um Qi und Öberg fokussierte sich bei ihren Beobachtungen gezielt auf die CO-Schneelinie. Die räumliche Auflösung von ALMA, das sich im letzten Stadium des Aufbaus befindet und noch nicht seine volle Leistungsfähigkeit erlangt hat, reichte gerade aus, um die weiter außen liegende Schneelinie des Kohlenstoffmonoxids abzubilden. Jedoch ist die räumliche Auflösung nicht das einzige Problem, auf das die Forscher stoßen. Zusätzlich erschwert wird die Suche nach der CO-Schneelinie nämlich durch die Tatsache, dass die Temperatur in einer protoplanetaren Scheibe nicht nur von außen nach innen, sondern auch in vertikaler Richtung - also über- und unterhalb der Äquatorialebene - zunimmt. Dies führt dazu, dass CO jenseits der eigentlichen Schneelinie lediglich in der Mittelebene in Form von Eis zu finden ist, in höheren Schichten jedoch in Gasform vorliegt. Öberg vergleicht das Finden der Region, in der Kohlenstoffmonoxid ausgefroren ist, mit dem »Aufspüren eines kleinen, sonnigen Fleckens, der sich in einer Nebelbank versteckt«.

Um Rückschlüsse auf die Existenz und die Position einer Schneelinie ziehen zu können, bedienten sich die Astronomen deshalb eines simplen, jedoch sehr effektiven Tricks. Anstatt auf CO, konzentrierten sich die Forscher vielmehr auf das Molekül Diazen, N2H+. Nur auf den ersten Blick scheint dies überraschend. Diese beiden Moleküle haben in der Astrochemie - einem gerade in den letzten Jahren schnell gewachsenen Teilgebiet der Astronomie - eine enge Verknüpfung. Die relativen Häufigkeiten von Kohlenstoffmonoxid und Diazen zeigen dabei eine stark negative Korrelation, das heißt, dass Diazen nur in solchen Regionen vorkommt, in denen es kein gasförmiges Kohlenstoffmonoxid gibt. Durch die Beobachtung der Häufigkeit von N2H+ erzeugte das Forscherteam deshalb quasi ein Negativabbild der Häufigkeit von CO. Die starke N2H+-Emission in Form eines Rings außerhalb von 30 AE ist somit ein eindeutiger Hinweis auf das Ausfrieren von Kohlenstoffmonoxid bei eben dieser Entfernung vom Protostern - gleichbedeutend mit der Schneelinie des CO.

Eine ähnliche Strategie zur direkten Abbildung der Schneelinie verfolgte auch ein anderes Forscherteam um Geoff Mathews von der Universität in Leiden. Sie machten sich dabei ALMA-Beobachtungen zu Nutze, welche im Rahmen der Überprüfung der Funktionstüchtigkeit des Observatoriums aufgenommen, und anschließend der gesamten astronomischen Gemeinde zur Verfügung gestellt werden.


Aldehyd-Region innerhalb der Schneegrenze
In so gewonnenen Daten der protoplanetaren Scheibe um den Stern HD 163296 suchte das Forscherteam gezielt nach der spektralen Signatur des deuterierten Aldehydkations DCO+. Darin ist gegenüber dem Aldehydkation HCO+ das Wasserstoffatom H durch seinen schwereren Bruder Deuterium, D, ersetzt. Dessen komplexe chemische Zusammenhänge sorgen für eine lokale Anhäufung in einem relativ schmalen Streifen innerhalb der Schneegrenze von Kohlenstoffmonoxid. In der Tat konnten die Forscher in ihren Beobachtungen die erwartete ringförmige Emission von HCO+ finden und somit die CO-Schneelinie - gleichbedeutend mit der Außenkante dieses Rings - direkt abbilden (siehe Kasten unten).

Schneelinien in protoplanetaren Scheiben kommt vielfache Bedeutung zu. Sie erlauben nicht nur Einblicke in deren Temperatur- und Dichteverteilung. Vielmehr spielen sie eine wohl nicht zu unterschätzende direkte Rolle bei der Entstehung von Planeten. Zum einen vergrößern die Staubteilchen durch das Ausfrieren ihre Oberfläche. Ebenso erhöht sich durch den Eismantel die Wahrscheinlichkeit, dass die Staubteilchen koagulieren (zusammenbacken) und größere Komplexe bilden, anstatt bei Kollisionen lediglich aneinander abzuprallen oder sich eventuell sogar gegenseitig zu zerstören. Zum anderen bilden sich an der Innenseite der Schneelinie Regionen aus, in denen sich Staubteilchen effektiv ansammeln können. In aktuellen Modellen der Entstehung unseres Sonnensystems besteht zum Beispiel ein direkter Zusammenhang zwischen der Schneelinie des Wassers und der Bildung von Jupiter und Saturn. Die Entstehung von Uranus und Neptun könnte darüberhinaus mit dem Ausfrieren von Kohlenstoffmonoxid oder auch Methan einhergehen.

Nach Fertigstellung von ALMA wird es nicht nur möglich, die Schneelinien von Kohlenstoffmonoxid und anderen Molekülen quasi routinemäßig zu finden, sondern auch sich bildende Planeten direkt abzubilden. Solche Beobachtungen werden schließlich die heute gängigen Planetenentstehungstheorien auf den Prüfstand stellen und neue Kenntnisse über die Bildung von Planeten liefern. Schließlich erhofft man sich auch neue Erkenntnisse über unser eigenes Sonnensystem, um damit ein weiteres Puzzleteil zur Lösung der Frage unserer eigenen Herkunft zu finden.



KASTEN

Direkte Beobachtung von Schneelinien in zwei Scheiben

Im protoplanetaren Ring um TX Hydrae (links) ließ sich mit ALMA die Schneegrenze des Kohlenstoffmonoxids (CO) direkt abbilden. Die Beobachtungen von Diazen (N2H+) zeigen dabei deutlich die Regionen, in denen CO in Form von Eis vorliegt. Zum Größenvergleich mit unserem Sonnensystem ist die Umlaufbahn von Neptun als blauer Kreis dargestellt.

Die Scheibe um den Stern HD 163296 (rechts) ist um rund 47 Grad gegen die Sichtlinie geneigt. Daher erscheint der Ring aus deuterierten Aldehydkationen (DCO+) als Ellipse mit Halbachsen von rund 100 AE und 155 AE. Die Temperatur, bei der Kohlenstoffmonoxid (CO) ausfriert, ist 19 Kelvin. Die blaue Ellipse markiert diese Region und ist damit gleichzeitig die Schneegrenze des CO. Bei den Beobachtungen standen rund die Hälfte der im Endausbau verfügbaren ALMA-Antennen zur Verfügung. Unter Einbezug sämtlicher Antennen würde sich in Zukunft die Beobachtungszeit auf etwa zwei Stunden halbieren.

Die Aufnahmen mit ALMA haben eine Auflösung von rund 0,5 Bogensekunden. Die Basislinie der interferometrisch zusammengeschalteten Antennen betrug dabei bis zu 402 Meter. In Anbetracht der möglichen maximalen Basislänge von 16 Kilometern lässt sich für die Zukunft noch einiger Detailreichtum erhoffen.

Abbildungen der Originalpublikation im Schattenblick nicht veröffentlicht.


Markus Schmalzl ist Postdoc bei »Allegro« (ALMA Local Expertise Group), einem Teil des europäischen ALMA Regional Centres.



Literaturhinweis

Qi, C. et al.: Imaging of the CO snow line in a solar nebula analog. In: Science 341, S. 630-632, 2013
Mathews, G.S. et al.: ALMA imaging of the CO snowline of the HD 163296 disk with DCO+. In: Astronomy & Astrophysics 557, A132, 2013

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»Einblicke in das Werden und Vergehen planetarer Himmelskörper« bezieht sich auf den Kurzbericht »TW Hydrae und HD 163296: Leise rieselt der CO-Schnee«: Das makroskopische Phänomen der Planetenentstehung in zirkumstellaren Scheiben wird in diesem WIS-Material mit den mikroskopischen Erscheinungen der brownschen Bewegung und der zwischenmolekularen Kräfte in Verbindung gebracht.
(ID-Nummer: 1051531)


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

Künstlerische Darstellung der protoplanetaren Scheibe um TW Hydrae. In der inneren Scheibe sind Staubteilchen lediglich mit Wassereis bedeckt (blau). In der äußeren Scheibe bei Abständen von mehr als 30 Astronomischen Einheiten vom Zentralgestirn friert zusätzlich auch Kohlenstoffmonoxid aus (grün).


© 2013 Markus Schmalzl, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg

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Quelle:
Sterne und Weltraum 11/13 - November 2013, Seite 20 - 22
Zeitschrift für Astronomie
Herausgeber:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann (ZAH, Univ. Heidelberg),
Prof. Dr. Thomas Henning (MPI für Astronomie)
Redaktion Sterne und Weltraum:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Mai 2014