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FORSCHUNG/535: Präzisester Test von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie außerhalb der Milchstraße (idw)


Max-Planck-Institut für Astronomie, ESO Science Outreach Network - 22.06.2018

Präzisester Test von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie außerhalb der Milchstraße


Pressemitteilung der Europäischen Südsternwarte (Garching) - Astronomen haben den bisher genauesten Test von Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie außerhalb der Milchstraße durchgeführt: Die nahegelegene Galaxie ESO 325-G004 wirkt wie eine starke Gravitationslinse, die das Licht einer fernen Galaxie dahinter verzerrt und einen Einsteinring um ihr Zentrum bildet. Durch den Vergleich der Masse von ESO 325-G004 mit der Krümmung des Weltraums um ihn herum fanden die Astronomen heraus, dass sich die Gravitation auf diesen astronomischen Längenskalen wie von der Allgemeinen Relativitätstheorie vorhergesagt verhält. Das schließt einige alternative Theorien der Schwerkraft aus.


Bild: © ESO, ESA/Hubble, NASA

Aufnahme von ESO 325-G004
Bild: © ESO, ESA/Hubble, NASA

Ein Astronomenteam um Thomas Collett von der Universität Portsmouth in Großbritannien hat mit dem MUSE-Instrument am VLT der ESO zunächst die Masse des ESO 325-G004 bestimmt, indem man die Bewegung der Sterne in dieser nahegelegenen elliptischen Galaxie vermessen hat.

Collett erklärt: "Wir haben zum einen anhand von Daten vom Very Large Telescope in Chile ermittelt, wie schnell sich die Sterne in ESO 325-G004 bewegen - so können wir die Masse der Galaxie ableiten, die diese Sterne auf ihrer Umlaufbahn halten muss."

Aber das Team war auch in der Lage, einen anderen Schwerkraft-Aspekt zu messen: Mit dem NASA/ESA Hubble Space Telescope beobachteten sie einen Einsteinring, der durch das Licht einer fernen Galaxie entsteht, das durch die dazwischenliegende ESO 325-G004 verzerrt wird. Durch die genaue Beobachtung des Rings konnten die Astronomen messen, wie das Licht und damit die Raumzeit durch die riesige Masse von ESO 325-G004 verzerrt wird.

Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie sagt voraus, dass massebehaftete Objekte die Raumzeit um sich herum krümmen, wodurch das vorbeiziehende Licht abgelenkt wird. Dies führt zu einem Phänomen, das als Gravitationslinseneffekt bezeichnet wird. Dieser Effekt ist nur bei sehr masserichen Objekten spürbar. Einige hundert starke Gravitationslinsen sind bekannt, aber die meisten sind zu weit entfernt, um ihre Masse genau zu messen. Die Galaxie ESO 325-G004 ist jedoch eine der nächstgelegenen Linsen, nur 450 Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt.

Collett fährt fort: "Wir kennen die Masse der Vordergrundgalaxie von MUSE und wir haben die Stärke des Gravitationslinseneffekts mit Hubble gemessen. Wir verglichen dann diese beiden Ansätze, die Stärke der Schwerkraft zu messen - und das Ergebnis war genau das, was die Allgemeine Relativitätstheorie voraussagt, mit einer Unsicherheit von nur 9 Prozent. Dies ist der bisher präziseste Test der Allgemeinen Relativitätstheorie außerhalb der Milchstraße. Und das mit nur einer Galaxie!"

Die Allgemeine Relativitätstheorie wurde mit exquisiter Genauigkeit auf den Skalen des Sonnensystems getestet und die Bewegung der Sterne im Zentrum der Milchstraße wird detailliert untersucht, aber bislang gab es keine genauen Tests auf noch größeren astronomischen Skalen. Die Prüfung der Langstreckeneigenschaften der Schwerkraft ist entscheidend für die Validierung unseres aktuellen kosmologischen Weltbilds.

Diese Erkenntnisse können wichtige Implikationen für Modelle der Gravitation als Alternative zur Allgemeinen Relativitätstheorie haben. Diese alternativen Theorien sagen voraus, dass die Auswirkungen der Schwerkraft auf die Krümmung der Raumzeit "skalenabhängig" sind. Das bedeutet, dass sich die Schwerkraft über astronomische Längenskalen hinweg anders verhalten sollte als auf den kleineren Skalen des Sonnensystems. Collett und sein Team fanden heraus, dass dies unwahrscheinlich ist, es sei denn, diese Unterschiede treten nur auf Längenskalen auf, die größer als 6000 Lichtjahre sind.

"Das Universum ist schon ein erstaunlicher Ort. Es bietet uns Gravitationslinsen, die wir als unsere Labore nutzen können", fügt Bob Nichol von der Universität Portsmouth hinzu. "Es ist hochgradig befriedigend, wenn wir die besten Teleskope der Welt hernehmen, um Einstein herauszufordern, nur um herauszufinden, wie Recht er hatte."


Zusatzinformationen

Die hier vorgestellten wissenschaftlichen Ergebnisse von Collett et al. erscheinen unter dem Titel "A precise extragalactic test of General Relativity" in der Fachzeitschrift Science.

Die beteiligten Wissenschaftler sind T. E. Collett (Institute of Cosmology and Gravitation, University of Portsmouth, UK), L. J. Oldham (Institute of Astronomy, University of Cambridge, Großbritannien), R. Smith (Centre for Extragalactic Astronomy, Durham University, Großbritannien), M. W. Auger (Institute of Astronomy, University of Cambridge, Großbritannien), K. B. Westfall (Institute of Cosmology and Gravitation, University of Portsmouth, Großbritannien; University of California Observatories - Lick Observatory, Santa Cruz, USA), D. Bacon (Institute of Cosmology and Gravitation, University of Portsmouth, Großbritannien), R. C. Nichol (Institute of Cosmology and Gravitation, University of Portsmouth, Großbritannien), K. L. Masters (Institute of Cosmology and Gravitation, University of Portsmouth, Großbritannien), K. Koyama (Institute of Cosmology and Gravitation, University of Portsmouth, Großbritannien), R. van den Bosch (Max-Planck-Institut für Astronomie, Heidelberg).

Die Europäische Südsternwarte (engl. European Southern Observatory, kurz ESO) ist die führende europäische Organisation für astronomische Forschung und das wissenschaftlich produktivste Observatorium der Welt. Die Organisation hat 15 Mitgliedsländer: Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Italien, die Niederlande, Österreich, Polen, Portugal, Spanien, Schweden, die Schweiz und die Tschechische Republik. Hinzu kommen das Gastland Chile und Australien als strategischer Partner. Die ESO ermöglicht astronomische Spitzenforschung, indem sie leistungsfähige bodengebundene Teleskope entwirft, konstruiert und betreibt. Auch bei der Förderung internationaler Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Astronomie spielt die Organisation eine maßgebliche Rolle. Die ESO verfügt über drei weltweit einzigartige Beobachtungsstandorte in Chile: La Silla, Paranal und Chajnantor. Auf dem Paranal betreibt die ESO mit dem Very Large Telescope (VLT) das weltweit leistungsfähigste Observatorium für Beobachtungen im Bereich des sichtbaren Lichts und zwei Teleskope für Himmelsdurchmusterungen: VISTA, das größte Durchmusterungsteleskop der Welt, arbeitet im Infraroten, während das VLT Survey Telescope (VST) für Himmelsdurchmusterungen ausschließlich im sichtbaren Licht konzipiert ist. Die ESO ist außerdem einer der Hauptpartner bei zwei Projekten auf Chajnantor, APEX und ALMA, dem größten astronomischen Projekt überhaupt. Auf dem Cerro Armazones unweit des Paranal errichtet die ESO zur Zeit das European Extremely Large Telescope (E-ELT) mit 39 Metern Durchmesser, das einmal das größte optische Teleskop der Welt werden wird.

Die Übersetzungen von englischsprachigen ESO-Pressemitteilungen sind ein Service des ESO Science Outreach Network (ESON), eines internationalen Netzwerks für astronomische Öffentlichkeitsarbeit, in dem Wissenschaftler und Wissenschaftskommunikatoren aus allen ESO-Mitgliedsländern (und einigen weiteren Staaten) vertreten sind. Deutscher Knoten des Netzwerks ist das Haus der Astronomie in Heidelberg.


Weitere Informationen unter:

https://www.eso.org/public/germany/news/eso1819/
- Webversion der Preseemitteilung mit weiteren Bildern und Videos

https://www.eso.org/public/archives/releases/sciencepapers/eso1819/eso1819a.pdf
- Fachartikel

http://www.eso.org/public/teles-instr/paranal-observatory/vlt/vlt-instr/muse/
- Informationen über das MUSE-Instrument am VLT

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution1413

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Max-Planck-Institut für Astronomie, ESO Science Outreach Network, 22.06.2018
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Juni 2018

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