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GALAXIS/160: Offene Sternhaufen - Bausteine der Milchstraße (Sterne und Weltraum)


Sterne und Weltraum 8/11 - August 2011
Zeitschrift für Astronomie

Offene Sternhaufen
Bausteine der Milchstraße

Von Siegfried Röser und Elena Schilbach


Eine Bestandsaufnahme der offenen Sternhaufen in der weiteren Sonnenumgebung hat gezeigt, dass es heute in der galaktischen Scheibe etwa 100.000 Exemplare gibt, und dass rund 40 Prozent aller Sterne der Scheibe ihre Jugend in solchen Haufen verbringen. Die anderen 60 Prozent bilden sich in »eingebetteten Haufen«, die sich bereits tief im Innern der Molekülwolken auflösen, aus denen sie entstanden sind.


In Kürze
Sterne entstehen in Haufen oder Gruppen entlang der Spiralarme unserer Galaxis. Die Haufen sind zunächst in dichte Wolken aus Staub und Gas eingebettet.
Wenn die heißesten Mitglieder mit ihrer Strahlung und ihren Winden die Umgebung leer gefegt haben, werden die offenen Sternhaufen sichtbar und bieten oft ein herrliches Schauspiel.
Offene Sternhaufen leben nicht lange - im Mittel etwa 300 Millionen Jahre. Danach werden sie schnell von den Gezeitenkräften der Milchstraße »aufgerieben«, und ihre Mitglieder im weiten Umfeld zerstreut.

Die offenen Sternhaufen gehören zu den beliebtesten Beobachtungsobjekten am Nachthimmel. Sind sie bloß schöne Episoden im weiten Feld der Galaxis, oder erfüllen sie eine wichtige Funktion bei Aufbau und Entwicklung des Milchstraßensystems?

Aus zwei Gründen ist ihr Studium von großer Bedeutung: Da alle ihre Mitglieder praktisch gleichzeitig entstanden sind und die gleiche chemische Zusammensetzung haben, sind sie ein natürliches Labor, in dem sich Theorien zur Entstehung und Entwicklung der Sterne prüfen lassen; und während man früher annahm, dass offene Sternhaufen nur weniger als zehn Prozent zur stellaren Population der dünnen Scheibe des Milchstraßensystems beitragen, wissen wir heute, dass die galaktische Scheibe zu etwa 40 Prozent aus den Zerfallsprodukten aller jemals gebildeten offenen Sternhaufen besteht. Sie sind also mit Fug und Recht als Bausteine unserer Galaxis zu bezeichnen. Diese quantitative Aussage ergab sich aus der Analyse einer umfassenden Stichprobe naher offener Sternhaufen, die wir im letzten Jahrzehnt durchgeführt haben und von der im Folgenden die Rede ist.


Lockere Ansammlungen mit Gruppendynamik

Das Band der Milchstraße zieht sich in einem Großkreis über den Himmel. Es ist die Heimat der offenen Sternhaufen, die, im Gegensatz zu den Kugelsternhaufen, stark zur Ebene der Galaxis hin konzentriert sind. Die Skalenhöhe ihrer Verteilung - das ist die Höhe über der galaktischen Ebene, bei der die Zahl der Haufen im Vergleich zum galaktischen Äquator um den Faktor 1/e ≈ 0,37 gesunken ist - beträgt nur etwa 50 Parsec. Die Scheibe, in der sich die Population der offenen Sternhaufen befindet, ist somit als sehr dünn zu bezeichnen, selbst wenn man ihren Radius nur mit dem Abstand der Sonne vom Galaktischen Zentrum, etwa 8500 Parsec, gleichsetzt. (Ein Parsec ist die Entfernung, aus welcher der mittlere Radius der Erdbahn um die Sonne - die Astronomische Einheit - unter dem Winkel von einer Bogensekunde erscheint; sie entspricht etwa 3,26 Lichtjahren.)

Anders als Kugelsternhaufen erscheinen offene Haufen als lockere, unregelmäßige Ansammlungen von Sternen und mit weniger Mitgliedern, so dass es manchmal schwierig ist, sie vom allgemeinen Sternfeld zu trennen. Aber alle Mitglieder eines offenen Haufens sind am gleichen Ort und zur gleichen Zeit entstanden und erinnern sich während ihres gesamten Sternenlebens an ihre Geburt: Sie alle ...

• sind gleich weit von der Erde entfernt,
• haben die gleiche chemische Zusammensetzung,
• sind gleich alt und
• bewegen sich mit annähernd gleicher Geschwindigkeit durch den Raum.

Das dynamische Verhalten der Haufenmitglieder bewirkt, dass sie für einige Zeit zusammenbleiben. Schließlich jedoch werden sie von den Gezeitenkräften der Milchstraße auseinandergetrieben. Wir kennen deshalb keine offenen Sternhaufen, die so alt wären wie die galaktische Scheibe selbst.

Betrachten wir die Verteilung der 650 von uns untersuchten offenen Sternhaufen in der Sonnenumgebung, projiziert auf die galaktische Ebene (siehe Bild auf S. 32). Ein solches Bild würden Astronomen in der »Black-Eye-Galaxie« M 64 erhalten, sollten sie mit ihrem Weltraumteleskop unser Milchstraßensystem beobachten. Diese Galaxie steht senkrecht über der Ebene unserer Galaxis, und sie ist so weit von uns entfernt, dass das Bild gerade einer Aufnahme des Weltraumteleskops Hubble mit der ACS-Kamera entsprechen würde. Die Darstellung zeigt, dass die jüngsten und hellsten offenen Sternhaufen die Spiralstruktur des Milchstraßensystems nachzeichnen. Dies hängt damit zusammen, dass Sterne bevorzugt in Spiralarmen entstehen.

Auch die jüngsten, massereichen Sterne der Spektralklassen O und B zeichnen die Spiralstruktur nach, allerdings nicht in der gleichen Klarheit. Denn ihre Entfernung lässt sich weniger genau bestimmen als diejenige der offenen Sternhaufen. Deshalb haben die offenen Haufen große Bedeutung für die Bestimmung astronomischer Entfernungen (siehe Kasten auf S. 32/33).


Sternhaufen - wichtige Entfernungsindikatoren

Die Bestimmung von Entfernungen im Weltall ist eine grundlegende Aufgabe, die sich den Astronomen immer wieder stellt. Ohne deren Kenntnis wäre zum Beispiel die Energieerzeugung der Sonne und der Sterne nicht zu verstehen. Die trigonometrische Entfernungsbestimmung ist der erste Schritt ins Weltall, aber ihre Reichweite ist durch den Durchmesser der Erdbahn um die Sonne und die Genauigkeit der Messinstrumente begrenzt. Daher konnte selbst Hipparcos, der astrometrische Satellit der ESA, nur Entfernungen bis etwa 150 Parsec mit einer Genauigkeit von besser als zehn Prozent bestimmen.

Mit einem anderen Verfahren, der »Hauptreihenanpassung«, lässt sich die Entfernungsbestimmung der offenen Sternhaufen auf mehrere tausend Parsec ausdehnen. Die Methode beruht auf theoretischen Entwicklungsmodellen, die für jeden Stern gegebenen Alters, gegebener Masse und chemischer Zusammensetzung dessen Leuchtkraft und effektive Temperatur liefern. Daraus lassen sich über die Kenntnis des Aufbaus der Sternatmosphären für verschiedene Metallhäufigkeiten die zugehörigen absoluten Helligkeiten und Farben berechnen. Trägt man im Farben-Helligkeits-Diagramm (FHD) eines neugeborenen Haufens die Farben und Helligkeiten seiner Mitglieder unterschiedlicher Masse ein, so kommen sie alle auf der Alter-Null-Hauptreihe zu liegen - die massereichen links oben (hell und heiß), die massearmen rechts unten (lichtschwach und kühl).

Später, nach Jahrmillionen der Entwicklung, bilden die Haufenmitglieder eine so genannte Isochrone (Linie gleichen Alters, siehe Bild oben). Solche Isochronen wurden für Sternhaufen beliebigen Alters berechnet. Die für Sternhaufen verschiedenen Alters berechneten Isochronen unterscheiden sich in der absoluten Helligkeit und im Farbindex, bei denen sie von der Alter-Null-Hauptreihe abweichen. Das höhere Alter bewirkt ein Abknicken der Isochrone bei geringerer Helligkeit (oder geringerer Masse) und größerem Farbindex (oder geringerer Temperatur).

Aus fotometrischen Beobachtungen erhalten wir scheinbare Helligkeiten und Farben (zum Beispiel V und B - V) für Haufenmitglieder. Die gemessene Sequenz ist gegenüber der für absolute Helligkeiten berechneten, theoretischen Isochrone um einen festen Betrag senkrecht im FHD verschoben, und zwar um den Entfernungsmodul V - Mv (die Differenz der scheinbaren und der absoluten Helligkeit in Größenklassen). Die Entfernung R ergibt sich daraus im Prinzip einfach, und zwar nach der Beziehung

V - Mv = 5 log R - 5.

Die Wirklichkeit ist jedoch komplizierter, da gleichzeitig auch interstellare Verfärbung und Extinktion bestimmt werden müssen. Dies verursacht eine waagerechte und zusätzlich eine senkrechte Verschiebung der empirischen Sequenz gegenüber der theoretischen Isochrone im FHD.

Es kommt hinzu, dass das Alter eines untersuchten Haufens zunächst nicht bekannt ist. Deshalb vergleicht man alle möglichen Isochronen mit den Beobachtungen, bis die beste Übereinstimmung gefunden ist. Die Methode liefert recht gute Abschätzungen für Entfernung, Alter und interstellare Verfärbung der Sternhaufen. Voraussetzung ist jedoch, dass die theoretischen Modelle zuverlässig sind. Die Modellparameter müssen zu Anfang mit Hilfe naher Sternhaufen kalibriert werden, für die möglichst genaue trigonometrische Parallaxen vorliegen. Wie problematisch das sein kann, zeigt der Streit um die Entfernung der Plejaden.

Der Streit brach nach den Beobachtungen des Hipparcos-Satelliten der ESA zwischen Astrometern und theoretischen Astrophysikern aus. Hipparcos hatte die trigonometrischen Parallaxen der Plejaden gemessen, woraus sich deren Entfernung zu 120,2 ± 1,9 Parsec ergab. Andererseits hatte die Anpassung der Hauptreihe an theoretische Isochronen im Farben-Helligkeits-Diagramm stets mindestens 131,8 ± 2 Parsec ergeben. Die Differenz von mehr als elf Parsec lässt sich durch die jeweiligen Messfehler nicht erklären. Wir hoffen nun, dass die bevorstehende astrometrische Gaia-Mission der ESA diese Diskrepanz auflösen wird.


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 33 oben:
In diesem Farben-Helligkeits-Diagramm sind die Alter-Null-Hauptreihe (schwarz) sowie die berechneten Isochronen (Linien gleichen Alters) für 10, 100 und 1000 Millionen Jahre alte Sterne dargestellt. Zum Beispiel liegen auf der blauen Kurve (Alter zehn Millionen Jahre) Sterne mit 0,4 Sonnenmassen bei Mv = 10 mag, Sterne mit einer Sonnenmasse bei Mv = 4,82 mag und Sterne mit 20 Sonnenmassen am oberen Ende der Kurve.

Abb. S. 33 unten:
Dieses Farben-Helligkeits-Diagramm zeigt die Lage der Sterne verschiedener offener Sternhaufen sowie des Kugelhaufens M 3. Rechts unten liegen kühle, massearme, links oben heiße, massereiche Sterne. Alle Sterne eines Haufens haben das gleiche Alter und liegen auf der diesem Alter entsprechenden Isochronen. Aus dem Abknickpunkt ihrer Isochronen von der Alter-Null-Hauptreihe weg, besser noch aus der Lage des Knies lässt sich durch den Vergleich mit theoretischen Isochronen das Alter der Haufen und ihre Entfernung ermitteln. Für einige Haufen ist in Klammern das so ermittelte Alter (in Millionen Jahren) angegeben: Es variiert zwischen 1,2 und 2500 Millionen Jahren.


Viele eingebettete Sternhaufen lösen sich schon sehr früh auf

Sterne entstehen in Gruppen oder Haufen im Innern von dichten, mit Staub angereicherten Molekülwolken. Folglich sind solche Sternentstehungsgebiete im sichtbaren Licht durch die diffuse Materie in ihrer Umgebung weit gehend verhüllt. Infrarotes Licht hingegen wird durch das Gas und den Staub weit weniger geschwächt, so dass Aufnahmen in diesem Wellenlängenbereich den Blick auf gerade entstehende Sternhaufen gestatten.

Junge Sterne sind zunächst noch in die Gas- und Staubwolken eingebettet, aus denen sie kürzlich entstanden sind. Vor einigen Jahren haben die US-amerikanischen Astronomen Charles und Elizabeth Lada eine umfassende Sammlung von Messungen an solchen »eingebetteten Sternhaufen« zusammengestellt, als deren Prototyp der unten zweimal gezeigte innere Teil des Orionnebels gilt: Während im Optischen wenig mehr als die vier Trapezsterne sichtbar sind, erscheint im Infraroten ein Sternhaufen mit tausenden Mitgliedern, von denen die ältesten wenige Millionen, die jüngsten nur 500.000 Jahre alt sind. Und sehr wahrscheinlich entstehen dort auch heute noch Sterne.

Charles und Elizabeth Lada haben sich besonders für die Gesamtmassen der eingebetteten Haufen interessiert. Die Bestimmung der Massen ganzer Sternhaufen ist kompliziert, und unterschiedliche Methoden führen oft zu widersprüchlichen Ergebnissen. Am einfachsten wäre es, alle Mitglieder eines Sternhaufens zu zählen, und jedem einzelnen entsprechend seiner Helligkeit eine Masse zuzuordnen. Die Addition der Einzelmassen ergäbe dann die Gesamtmasse. Allerdings lassen sich die Sterne nur bis zu einer bestimmten Grenzhelligkeit erkennen, und man muss extrapolieren, wie viele schwächere Sterne es zusätzlich gibt. Diese Extrapolation ist unsicher. Alternativ nutzt man die Tatsache, dass die Sternhaufen den Gezeitenkräften der Milchstraße ausgesetzt sind. Die am Rand eines Haufens liegenden Sterne sind gerade noch durch Gravitation an ihn gebunden und können nicht entweichen. Deshalb lässt sich aus der Größe des Haufens auf seine Masse schließen; die so bestimmten Massenwerte heißen »Gezeitenmassen«, von ihnen wird noch die Rede sein.

Auch aus der gemessenen Geschwindigkeitsverteilung der Mitglieder lässt sich auf die Masse der Haufen schließen, da im Gleichgewicht die kinetische, in der Bewegung steckende Energie der Sterne halb so groß ist wie ihre potenzielle, durch die vorhandene Masse und deren Verteilung bestimmte Energie. Die erforderlichen Beobachtungen sind kompliziert und fehleranfällig. Bei eingebetteten Haufen wird die Massenbestimmung zusätzlich durch die Extinktion erschwert. Charles und Elizabeth Lada haben die vorhandenen Daten aus der Literatur zusammengestellt, die Haufenmitglieder gezählt, ihre Massen bestimmt, zu kleineren Sternmassen extrapoliert und damit die in der Grafik auf S. 36 oben dargestellte Massenfunktion der ein gebetteten Sternhaufen abgeleitet. Sie gibt an, wie viele Haufen der Masse M in den einzelnen Massenintervallen dM vorhanden sind.

Wie aus dieser Grafik ersichtlich, liegen die Massen eingebetteter Sternhaufen im Bereich zwischen 10 und 3000 Sonnenmassen, und die Verteilung folgt in diesem Bereich einem Potenzgesetz der Form n(M) = MαdM mit dem Exponenten α = -1,7. Ein Exponent mit dem Wert α = -2 würde bedeuten, dass jedes Massenintervall gleich viel zur Gesamtmasse aller eingebetteten Sternhaufen beiträgt. Wäre der Exponent kleiner als -2, so trügen die vielen massearmen Haufen den Löwenanteil. Der Exponent -1,7 besagt, dass die wenigen massereichen eingebetteten Sternhaufen den Hauptanteil zur Gesamtmasse beitragen. Interessanterweise werden kaum eingebettete Sternhaufen mit Massen größer als etwa 3000 Sonnenmassen gefunden. Erst in den letzten Jahren hat man einige wenige entdeckt. Alle eingebetteten Sternhaufen sind ähnlich jung wie NGC 3603 oder der Sternhaufen um das Trapez im Orionnebel, die ältesten sind nur etwa fünf Millionen Jahre alt.

Die Auswertung der Sammlung von Charles und Elizabeth Lada hat gezeigt, dass in der galaktischen Scheibe die Entstehungsrate der eingebetteten Sternhaufen pro Flächeneinheit und pro Million Jahre etwa zehnmal so hoch ist wie die Entstehungsrate der klassischen offenen Sternhaufen, von denen hier die Rede sein wird. Dies führte zu dem Schluss, dass sich etwa 90 Prozent der eingebetteten Sternhaufen schon nach wenigen Millionen Jahren auflösen und somit nicht zu offenen Sternhaufen werden. Dieses Phänomen wird als »Kindersterblichkeit« der eingebetteten Haufen bezeichnet.

Mit den überlebenden zehn Prozent wollen wir uns in der Folge beschäftigen. Diese Haufen haben die sie umgebende Gas- und Staubwolke im Wesentlichen verloren und sind nun im sichtbaren Licht zu beobachten. Unsere Untersuchungen aus den letzten Jahren sprechen dafür, dass aus diesen zehn Prozent der eingebetteten Haufen letztlich die klassischen offenen Sternhaufen hervorgegangen sind.


Klassische offene Sternhaufen

Statistisch aussagefähige Ergebnisse zur gesamten Population der offenen Sternhaufen erhält man nur, wenn man eine große Stichprobe gleicher Qualität mit wissenschaftlich überprüfbaren Methoden untersucht. Eingehende Untersuchungen einzelner Objekte wie der Plejaden, der Hyaden, von Praesepe oder M 67 haben ihre Bedeutung, aber das Studium der Gesamtheit der offenen Sternhaufen in der galaktischen Scheibe erfordert eine größere Stichprobe.

Vor einigen Jahren haben wir zusammen mit Kollegen in Kiew, Moskau und Potsdam mit einer systematischen Untersuchung der offenen Sternhaufen in Sonnenumgebung begonnen. Unsere Arbeitsgrundlage war eine vollständige Himmelsdurchmusterung, bestehend aus dem Tycho-2-Katalog, der die astrometrischen und fotometrischen Messungen des Hipparcos-Satelliten sowie die Daten des Astrographischen Katalogs aus dem frühen 20. Jahrhundert enthält. Somit standen uns für 2,5 Millionen Sterne Eigenbewegungen und Fotometrie im Blauen und im Visuellen zur Verfügung.

Tycho-2 ist vollständig bis zur scheinbaren visuellen Helligkeit V = 11,5 mag. In diesen Daten haben wir nach der folgenden objektiven Methode offene Sternhaufen gesucht: Am ganzen Himmel haben wir unseren Rechner für jeden Stern heller als V = 9,5 mag prüfen lassen, ob die Sterndichte in seiner Umgebung erhöht war, ob es in einer eventuellen Dichteerhöhung weitere Sterne gleicher Eigenbewegung gab und ob diese Sterne im Farben-Helligkeits-Diagramm auf einer einheitlichen Isochronen lagen. Es gibt insgesamt etwa 250.000 Sterne heller als V = mag, und erwartungsgemäß fiel der Test in den allermeisten Fällen negativ aus. Jedoch fanden wir 520 Sternhaufen, die bereits in einer 1700 Mitglieder zählenden Liste möglicher Sternhaufen aufgeführt waren. Zusätzlich entdeckten wir im Tycho-2-Katalog 130 neue Sternhaufen, die zuvor noch nirgends verzeichnet waren, so dass die Gesamtzahl der bestätigten Haufen 650 beträgt. Ihre Verteilung in der galaktischen Ebene zeigt das Bild auf S. 32. Die Untersuchung der räumlichen Verteilung unserer Stichprobe ergab, dass sie bis zu einem Abstand von 850 Parsec von der Sonne vollständig ist. In diesem Bereich liegen 250 offene Haufen. Daraus können wir auf deren Gesamtzahl schließen, die sich gegenwärtig in der galaktischen Scheibe befinden. Es sind etwa 100.000 - weitaus mehr als die Zahl der Kugelsternhaufen, die wohl nur einige hundert Mitglieder beträgt.


Woran erkennt man die echten Haufenmitglieder?

Sternhaufen fallen dadurch auf, dass an der betreffenden Stelle des Himmels die Konzentration absolut heller Sterne frühen Spektraltyps höher ist als in der Umgebung; dies allein will aber noch nicht viel heißen, denn zunächst sind die Entfernungen der einzelnen Sterne ja unbekannt. Ein schönes Beispiel hierfür sind die Plejaden, deren Zentralteil im nebenstehenden Bild gezeigt wird. Die beiden mit Pfeilen markierten Sterne sechster Größe sind Vordergrundsterne und gehören nicht zum Sternhaufen. Auch eine stark variable Extinktion kann an einer Stelle eine höhere Sternkonzentration als in der Umgebung vortäuschen.

Das erste starke Kriterium dafür, dass ein offener Sternhaufen ein einheitliches Gebilde ist, ist das kinematische - die gemeinsame Bewegung aller seiner Mitglieder im Raum. Dies bedeutet, dass die Radialgeschwindigkeiten und Eigenbewegungen aller echten Mitglieder nur wenig um ihren gemeinsamen Mittelwert streuen. Über die Eigenbewegungen von Sternen gab es schon immer mehr Information, als über deren Radialgeschwindigkeiten, deshalb hat man zunächst Eigenbewegungen von Sternen verwendet, um damit Mitglieder offener Haufen zu finden.

Eigenbewegungen bestimmt man aus den Differenzen der Sternpositionen über mehrere Beobachtungsepochen hinweg. Nehmen wir als Beispiel die Plejaden: Wie der Kasten unten zeigt, haben die allermeisten Sterne in der Umgebung der Plejaden nahezu verschwindende Eigenbewegungen - sie gehören zum Hintergrund. Nur etwa 2,5 Prozent haben stark abweichende, aber einheitliche Eigenbewegungen und sind echte Mitglieder der Plejaden. Die beiden im Bild auf S. 36/37 mit Pfeilen markierten Sterne liegen im Bild oben weder in der Konzentration um den Nullpunkt noch bei den Plejaden, sondern besitzen große Eigenbewegungen. Also müssen sie weit im Vordergrund stehen.


Mitglieder der Plejaden

Wir haben die Eigenbewegungen von 40.000 Sternen bis zur 17. Größe in einem 16 Quadratgrad großen Feld um die Plejaden in Rektaszension und Deklination untersucht. Dazu haben wir 20 Schmidt-Platten der Thüringer Landessternwarte in Tautenburg vermessen, die über einen Zeitraum von 25 Jahren aufgenommen worden waren. Das Ergebnis ist im nebenstehenden Diagramm dargestellt.

Die gemessenen Eigenbewegungen zeigen zwei Konzentrationen. Die allermeisten untersuchten Sterne konzentrieren sich in der Nähe des Nullpunkts - sie befinden sich in großer Entfernung im Hintergrund. Dagegen gibt die kleine Konzentration von nur etwa 750 Sternen bei (+20, -40) Millibogensekunden pro Jahr die gemeinsame Eigenbewegung der echten Plejadenmitglieder wieder. Sterne mit (den Beträgen nach) noch höheren Eigenbewegungen befinden sich im Vordergrund.


Weniger eindeutig als dieses dynamische Kriterium für die Mitgliedschaft ist die Forderung, dass die Mitglieder eines offenen Sternhaufens alle gleich alt sein müssen. Es könnten ja im Haufen immer wieder neue Sterne entstanden sein, bis der Vorrat an Gas und Staub durch Sternbildung aufgebraucht ist. Dennoch können wir davon ausgehen, dass Sterne in einem Haufen gleichzeitig gebildet werden oder zumindest innerhalb eines Zeitraums entstehen, der kurz ist im Vergleich zu seiner Lebensdauer. Trägt man nämlich die gemessenen scheinbaren Helligkeiten und Farben eines Sternfelds um einen offenen Haufen herum in ein Farben-Helligkeits-Diagramm ein, so stellt man fest, dass sich die - zum Beispiel aus Eigenbewegungen bestimmten - echten Mitglieder des Haufens auf einer gemeinsamen Sequenz anordnen, die seinem Alter entspricht - der so genannten Isochronen (siehe die Bilder unten rechts und den Kasten auf Seite 32/33).

Weil alle Mitglieder eines Haufens gemeinsam entstanden sind, dienen sie zum Test für unser Verständnis der Sterne.

Aufgrund der Lage der Isochrone eines Haufens im Farben-Helligkeits-Diagramm lässt sich sowohl seine Entfernung als auch die Größe der interstellaren Staubextinktion im Vordergrund bestimmen. Diejenige Isochrone, die zur beobachteten Verteilung im Farben-Helligkeits-Diagramm am besten passt, liefert das Alter des Sternhaufens. Grob gesagt, ist dieses Alter durch den Punkt gegeben, an dem die Isochrone von der Alter-Null-Hauptreihe abzweigt. Auf der Alter-Null-Hauptreihe gehört zu diesem Punkt eine ganz bestimmte Sternmasse. Alle Sterne größerer Masse haben die Alter-Null-Hauptreihe bereits verlassen, diejenigen geringerer Masse liegen noch auf ihr. Wenn, wie oben angenommen, alle Sterne eines Haufens gleichzeitig entstanden sind, dürfte es keine Mitglieder geben, die oberhalb des Abknickpunkts auf der Alter-Null-Hauptreihe liegen. Auf die große Mehrzahl der Fälle trifft dies auch zu.

Dennoch gibt es in einzelnen Haufen (alle älter als eine Milliarde Jahre) solche eigentlich verbotenen Mitglieder. Ihre Mitgliedschaft wird durch die Messung ihrer Eigenbewegung bestätigt. Wie lässt sich dies erklären? Im zentralen Bereich eines Sternhaufens kommt es immer wieder zu Kollisionen zwischen Sternen. Wenn zwei Sterne dabei verschmelzen, bildet sich aus der Summe ihrer Massen ein neuer Stern. Er ist später entstanden und massereicher, entwickelt sich schneller und erscheint uns dennoch jünger und blauer als die übrigen Haufenmitglieder auf der Hauptreihe. Solche Sterne werden »Blaue Nachzügler« genannt, sie liegen oberhalb des Abknickpunkts auf der Hauptreihe, und ihre Zahl ist im Vergleich zur Gesamtzahl der Haufenmitglieder sehr gering.

Alternativ zu dieser Erklärung könnte in einem engen Doppelstern von der massereicheren, bereits zu einem Riesen entwickelten Komponente Massenübertragung auf die masseärmere stattgefunden haben. Letztere entwickelt sich dann als scheinbar jüngerer, massereicherer Stern.


Die Population der Sternhaufen in unserer Umgebung

Nachdem wir die Mitglieder der 650 Haufen unserer Stichprobe mit den verfügbaren Daten so gut wie möglich bestimmt haben, wenden wir uns den integralen Eigenschaften der offenen Sternhaufen in der Sonnenumgebung zu. Es geht um die Fragen: Wie groß, wie massereich, wie alt und wie hell sind die offenen Sternhaufen in der Milchstraße? Wir wollen die »einfacheren« Fragen zuerst behandeln.

Die Bestimmung des Alters wurde bereits besprochen, ähnlich unkompliziert ergibt sich auch die Gesamtleuchtkraft der Sternhaufen. Man beginnt in jedem Wellenlängenbereich mit dem jeweils hellsten Mitglied und schreitet dann zu den schwächeren Mitgliedern fort, indem man jeweils die Leuchtkraft, das heißt die pro Zeiteinheit abgestrahlte Energie, aufsummiert. Dabei zeigt sich, dass die Leuchtkraft aller Sternhaufen meist von dem halben Dutzend ihrer hellsten Sterne bestimmt wird. Wie viele weitere Mitglieder ein Haufen auch hat, sie tragen zur Gesamtleuchtkraft kaum noch bei. Der Grund hierfür ist, dass die massereichen Sterne wesentlich mehr Energie pro Masseneinheit erzeugen als die massearmen.

Die Frage nach der Größe der Sternhaufen scheint einfach zu sein: Man muss doch nur an den Himmel schauen! Jedoch erweist sie sich aus mehreren Gründen als ähnlich schwierig wie diejenigen nach der Leuchtkaft oder dem Alter. Banal ist die Tatsache, dass früher das Gesichtsfeld eines Teleskops die scheinbare Größe eines Haufens begrenzte. Hatte man seinen dichten Zentralteil erfasst, so gab man sich zufrieden, und leitete so einen zu kleinen Haufendurchmesser ab. Jedoch hat auch eine flächendeckende Himmelsdurchmusterung ihre Probleme. Bei tiefen Durchmusterungen, etwa beim Palomar Sky Survey, reicht die fotometrische Genauigkeit bei weitem nicht aus, um Mitglieder von Nichtmitgliedern zu unterscheiden, und auch die Qualität der Eigenbewegungen ist zu gering. Denn geht man in einem Sternhaufen von den helleren zu den schwächeren Sternen, so nimmt die Genauigkeit der Positionsmessungen, und folglich auch der Eigenbewegungen ab. Das bedeutet: Je lichtschwächer und weiter entfernt die zu vermessenden Sterne sind, desto genauer muss die Messung sein. Dieses Problem lässt sich nicht umgehen.

Anders als beim Palomar Sky Survey ist die Fotometrie des Two-Micron-All-Sky-Survey (2MASS) im nahen Infrarot zwar ausgezeichnet, aber er verzeichnet keine Eigenbewegungen, ist also auch nur bedingt hilfreich. Die Grenzgröße der von uns benutzten Durchmusterung auf der Basis von Tycho-2 beträgt V = 11,5 mag, wir können also in den Haufen nur die Verteilung der helleren Sterne bestimmen und den Winkeldurchmesser über die Bestimmung der Mitgliedschaft, sowie den linearen Durchmesser über die Bestimmung der Entfernung ableiten.

Es ergab sich dabei auch, dass sich in den Sternhaufen die massereichsten und somit hellsten Sterne verstärkt im Zentrum konzentrieren - dies wird als »Massensegregation» bezeichnet. Auch Simulationen der Entwicklung von Sternhaufen zeigen, dass massereiche Sterne sich mit der Zeit verstärkt im Zentrum der Haufen ansammeln. Verständlich ist dies, wenn man annimmt, dass sich eine Gleichverteilung der kinetischen Energie einstellt. Dann besitzen die massereichen Sterne im Mittel geringere Geschwindigkeiten als die massearmen. Letztere bewegen sich also weiter vom Gravitationszentrum des Haufens weg, unterliegen dadurch verstärkt den Gezeitenkräften der Milchstraße und gehen dem Haufen leichter verloren.

Aber auch im Sternhaufen um das Trapez im Orionnebel sind die massereichsten Sterne - trotz seiner Jugend - bereits im Zentrum konzentriert. Man kann dies so verstehen: Wenn in einer Molekülwolke Sterne entstehen, geschieht dies zuerst im dichtesten Teil. Hier ist auch die Wahrscheinlichkeit für enge Begegnungen am größten. Dadurch erhalten massearme Sterne sehr bald höhere Geschwindigkeiten und können sich weiter vom Zentrum entfernen, während die massereichen langsamer bleiben und sich stärker zum Zentrum hin konzentrieren. Hier entwickeln sie auch bald stellare Winde, die ihre Umgebung so weit leer fegen, dass sich dort keine weiteren Sterne mehr bilden.

Wenn also Massensegregation vorliegt, muss die Durchmusterung so empfindlich sein, dass der wesentliche Teil des Massenspektrums, bis zu hinreichend massearmen Sternen, erfasst wird.

Wie lässt sich der »Rand« oder der Radius eines Haufens physikalisch sinnvoll bestimmen? Eine Definition lautet: Der Rand ist dadurch gegeben, dass sich hier die Gravitationswirkung des Haufens und diejenige der Milchstraße gerade die Waage halten. Innerhalb dieses »Gezeitenradius« gehören die Sterne zum Haufen, außerhalb haben sie ihn verlassen. Wir finden eine Analogie im Sonne-Erde-Mond-System: Der Mond befindet sich innerhalb des Gezeitenradius des Erde-Mond-Systems, er ist somit ein Trabant der Erde und kein Planet.

Vor fast 50 Jahren hat der amerikanische Astronom Ivan King eine Theorie entwickelt, wie man aus der Verteilung der Sterne eines Haufens am Himmel auf dessen Gezeitenradius schließen kann. Die Anwendung dieser Theorie auf Kugelsternhaufen gelingt einfacher als auf offene Sternhaufen, da der Kontrast zum Hintergrund groß und die Mitgliedschaft leichter bestimmbar ist. Bei offenen Sternhaufen spielt die Bestimmung der Mitgliedschaft die entscheidende Rolle. Obwohl der Tycho-2-Katalog keine hohe Reichweite besitzt, gelang es uns, die Gezeitenradien von 236 Haufen zu bestimmen. Es zeigte sich, dass sie etwa 3,5-mal so groß sind wie die großen Halbachsen der Haufen im Tycho-2-Katalog. Mit dieser Umrechnungsformel konnten wir die Gezeitenradien aller 650 Haufen unserer Liste ableiten.

Aus den Gezeitenradien lässt sich die Masse der Sternhaufen abschätzen. Derart bestimmte Massenwerte werden »Gezeitenmassen« genannt. Der Gezeitenradius ist ja dadurch gegeben, dass sich in diesem Abstand vom Zentrum des Haufens die Gravitationskräfte von Haufen und Milchstraße gerade aufheben. Kennt man die Gravitationswirkung der Milchstraße am Ort des Haufens, so ist auch die Haufenmasse gegeben. Damit waren die Massen aller Haufen unserer Liste bestimmt.


Die zeitliche Entwicklung offener Sternhaufen

Damit liegen die wichtigsten Informationen vor, um die Entwicklung der offenen Sternhaufen in der Sonnenumgebung zu beschreiben. Wir kennen die Häufigkeitsverteilung Ihres Alters, ihrer Leuchtkraft und Masse. Betrachten wir zunächst die Altersverteilung der Haufen in der Grafik oben: Ihre Interpretation ist aufschlussreich. Würden einmal entstandene Haufen nicht zerfallen, so müsste es Sternhaufen geben, die so alt sind wie die galaktische Scheibe (etwa zehn Milliarden Jahre). Dann ließe sich aus der Altersverteilung die Entstehungsrate der Haufen im Laufe der Zeit direkt ablesen. Dies ist offensichtlich nicht so: Ab einem bestimmten Alter nimmt die Anzahl der offenen Sternhaufen drastisch ab. Ähnlich wie beim radioaktiven Zerfall gibt es eine typische Lebenszeit, bei der die anfängliche Zahl der Haufen um den Faktor 1/e = 0,37 abgenommen hat. Unter Annahme einer konstanten Bildungsrate der Haufen lassen sich aus dem Verlauf der Kurve sowohl diese Bildungsrate als auch die typische Lebenszeit ableiten. Die Rechnung ergibt, dass sich im Bereich bis 1000 Parsec um die Sonne im Mittel 1,25 Haufen pro Million Jahre bilden, ihre mittlere Lebensdauer beträgt 330 Millionen Jahre. Bezogen auf das Alter der Scheibe erleben wir damit heute die 30. bis 40. Generation der offenen Sternhaufen.

Allerdings zeigen Computersimulationen, dass die Lebenserwartung der Haufen stark von ihrer Masse abhängt: Je massereicher ein Haufen ist, umso länger dauert es, bis ihn die Gezeitenkräfte der Milchstraße »zerrieben« haben. Weiter finden wir, dass die Massenverteilung aller Sternhaufen in der Sonnenumgebung von den massearmen Haufen dominiert wird. Die Massenfunktion der jüngsten offenen Sternhaufen ist jener der eingebetteten Haufen ähnlich (siehe Grafik auf S. 36). Ein weiterer Befund: Unter den jüngsten offenen Sternhaufen ist der Anteil derer mit Massen unter 1000 Sonnenmassen wesentlich geringer als bei den älteren Haufen. Der flache Verlauf der Massenverteilung bei den jüngsten Haufen bedeutet, dass hier die massereicheren Haufen am meisten zur Gesamtmasse beitragen.

In der Tat zeigt sich, dass die jüngsten Haufen im Mittel 4500 Sonnenmassen besitzen, die durchschnittliche Masse der Haufen in Sonnenumgebung beträgt dagegen nur 700 Sonnenmassen. Offenbar verlieren die offenen Sternhaufen während ihres Lebens stark an Masse. Die jüngsten Sternhaufen verlieren ihre Masse zum Teil durch Entwicklung und Sterben ihrer massereichsten Mitglieder in den ersten Millionen Jahren. Allerdings kommt der hauptsächliche Massenverlust dadurch zu Stande, weil den Haufen vor allem massearme Sterne durch die Gezeitenwirkung der Milchstraße entrissen werden.


Der Beitrag offener Sternhaufen zum Aufbau der Scheibe

Nun schätzen wir ab, wie viele Sterne der galaktischen Scheibe sich jemals in einem Sternhaufen aufgehalten haben, bevor er aufgelöst wurde. Wie die Grafik oben zeigt, erreichen nur wenige Haufen ein Alter von einer Milliarde Jahren; dagegen können Sterne von einer Sonnenmasse und weniger um ein Vielfaches älter sein, ohne dass sie sich merklich verändert haben - die Sterne eines Haufens können dessen Auflösung bei Weitem überleben.

Um den Beitrag der offenen Haufen zur galaktischen Scheibe abzuschätzen, müssen wir das Produkt aus der Bildungsrate der Haufen mit ihrer mittleren Anfangsmasse über das Alter der Scheibe aufsummieren. Wie oben beschrieben, beträgt die Bildungsrate im Umkreis von 1000 Parsec um die Sonne 1,25 Haufen pro Million Jahre und ihre mittlere Anfangsmasse 4500 Sonnenmassen. Da die Milchstraßenscheibe, in der sich die Haufen bilden, im Vergleich zu ihrem Durchmesser sehr dünn ist, gehen wir die Frage zweidimensional an. Der Wert von 1,25 übersetzt sich damit in 0,4 Haufen pro Quadratparsec und Million Jahre. Nun benötigen wir nur noch das Alter der Scheibe. Sie ist die jüngste Komponente der Galaxis, ihre ältesten Sterne sind etwa zehn Milliarden Jahre alt. Damit liefert die oben beschriebene Rechnung für den Beitrag aller jemals gebildeten offenen Sternhaufen zur Massendichte der Scheibe den Wert von 18 Sonnenmassen pro Quadratparsec.

Aus der Analyse der Sternbewegungen senkrecht zur galaktischen Scheibe konnten die Astronomen Johan Holmberg und Chris Flynn 2004 die gesamte Massendichte der Scheibe (Gas, Staub und Sterne) am Ort der Sonne bestimmen. Für die Sterne allein ergaben sich 35 Sonnenmassen pro Quadratparsec. Aber die meisten der jemals in der Milchstraße gebildeten massereichen Sterne sind inzwischen schon vergangen und haben einen Großteil ihrer Masse in Form von Gas und Staub wieder an die Scheibe abgegeben. Daraus sind bereits mehrfach wieder Sterne entstanden. Wenn wir dies berücksichtigen, ergibt sich, dass in der galaktischen Scheibe insgesamt 48 Sonnenmassen pro Quadratparsec in Form von Sternen gebildet wurden. Demnach haben die offenen Sternhaufen 18/48 oder rund 40 Prozent zur Gesamtmasse beigetragen. Für die Sonne wie für jeden anderen Stern gilt also, dass sie mit 40 Prozent Wahrscheinlichkeit in einem - inzwischen längst aufgelösten - offenen Sternhaufen entstanden ist.

Und woher kommen die übrigen 60 Prozent der Sterne der Scheibe? Die Beobachtungen zeigen immer deutlicher, dass Sterne nur selten allein entstehen - demnach stammen diese 60 Prozent aller Sterne vermutlich aus den 90 Prozent aller eingebetteten Sternhaufen, die das Kindesalter nicht überleben.

So schließt sich der Kreis, der bei den eingebetteten offenen Sternhaufen begann. Die Massenfunktionen der eingebetteten und der jungen offenen Sternhaufen haben die gleiche Gestalt. Aber während man kaum eingebettete Sternhaufen mit mehr als 3000 Sonnenmassen findet, gibt es umgekehrt eigentlich zu wenige junge offene Haufen mit weniger als 3000 Sonnenmassen. Daraus folgt, dass massearme eingebettete Haufen schnell zerfallen und nicht zu vergleichsweise langlebigen, gravitativ gebundenen offenen Sternhaufen werden.

Und warum sind eingebettete Haufen mit mehr als 3000 Sonnenmassen so selten? Diese Frage haben Pavel Kroupa und Chris Boily schon 2002 beantwortet: In Sternhaufen mit 3000 Sonnenmassen und mehr bilden sich viele O- und B-Sterne, die ihre Umgebung mit ihren Winden schnell von Gas und Staub reinigen. NGC 3603 ist hierfür ein gutes Beispiel. Die Chance, einen massereichen jungen Sternhaufen zu entdecken, in dem die O- und B-Sterne ihre Umgebung noch nicht freigefegt haben, ist sehr gering. Wenn andererseits in einem massearmen eingebetteten Haufen ein massereicher Stern entsteht, so bläst er nicht nur Gas und Staub hinweg, sondern auch gleich den ganzen kleinen Haufen auseinander. Auf diese Weise kommen die restlichen 60 Prozent der Masse der galaktischen Scheibe zu Stande. So könnte es der Sonne also auch ergangen sein.


Siegfried Röser und Elena Schilbach erforschen am Astronomischen Recheninstitut, Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg die offenen Sternhaufen und ihre Rolle bei der Entwicklung unserer Galaxis.


Literaturhinweise

Bastian, U.: Hipparcos, die wissenschaftliche Ernte beginnt. In: Sterne und Weltraum 11/1997, S. 938-941

Burbidge, G.: Fred Hoyle - Astrophysiker, Kosmologe, Querdenker. In: Sterne und Weltraum 1/2003, S. 26-31

Lada, C., Lada, E.: Embedded Clusters in Molecular Clouds. In: Annual Review of Astronomy and Astrophysics 41, 2003, S. 57-115

Pfau, W.: Streifzüge im HertzsprungRussell-Diagramm. Teil 1 in: Sterne und Weltraum 6/2006, S. 32-40, Teil 2 in: Sterne und Weltraum 11/2006, S. 45-52

Weitere Literatur im Internet: www.astronomie-heute.de/artikel/1114729


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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 30-31:
Die Sterne dieser lockeren Gruppe sind erst kürzlich aus einer dichten Wolke aus Gas und Staub entstanden. Die heißesten unter ihnen haben mit ihrer Strahlung und ihrem Wind die Reste der Wolke aufgelöst. Die gemeinsame Bewegung der Sterne im Raum bezeugt ihren gemeinsamen Ursprung. Das Gebilde ist ein »offener Sternhaufen«, seine offizielle Bezeichnung ist NGC 4755, und sein glitzernder Anblick hat ihm den Namen »Schatzkästlein« eingebracht. Er ist nur zehn Millionen Jahre alt, seine Entfernung beträgt knapp 2000 Parsec oder 6600 Lichtjahre.

Abb. S. 32:
So verteilen sich die 650 offenen Sternhaufen der in diesem Artikel vorgestellten Untersuchung auf die galaktische Ebene. Jeder Punkt stellt einen Haufen dar und hat etwa dessen gemessene Farbe. Die jüngsten Haufen, in denen noch Sterne der Spektralklassen O und B leuchten, sind als blaue Punkte dargestellt, ihre Verteilung folgt dem Verlauf der galaktischen Spiralarme in der weiteren Sonnenumgebung. Der Pfeil weist zum Galaktischen Zentrum hin, die galaktische Rotation um das Zentrum verläuft im Uhrzeigersinn.

Abb. S. 34 oben:
Der junge offene Sternhaufen NGC 3603 enthält neben mehr als 50 hellen und massereichen O-Sternen mit insgesamt mindestens 1000 Sonnenmassen auch zahlreiche Sterne, deren Masse geringer ist als diejenige der Sonne. Alle Mitglieder sind innerhalb der letzten Million Jahre aus einer riesigen Gas- und Staubwolke entstanden. Das Bild ist ein Komposit aus Aufnahmen in den Wellenlängenbereichen J, H und Ks im nahen Infrarot, das den Staub durchdringt und auch Sterne im Inneren der Wolke sichtbar macht.

Abb. S. 34 und 35 unten:
Der Orionnebel ist uns als farbenprächtiges Gebilde aus leuchtendem Gas und dunklen Staubstrukturen vertraut, denn so erscheint er im sichtbaren Licht. Nur die Trapezsterne in seiner Mitte und wenige andere sind zu erkennen, und früher kam niemand auf die Idee, dass sich in der dichten Wolke noch weitere Sterne verbergen (linkes Bild). Ganz anders als im Sichtbaren sieht die Umgebung der Trapezsterne im nahen Infrarot aus. Das infrarote Licht durchdringt die vorgelagerten Staubmassen, und nun zeigt sich, dass das Trapez in Wahrheit aus den fünf hellsten Sternen eines großen Sternhaufens mit mehreren tausend Mitgliedern besteht (rechtes Bild).

Abb. S. 36 oben:
Die Massenverteilung der »eingebetteten Sternhaufen« nach Lada und Lada lässt sich durch ein Potenzgesetz mit dem Exponenten α = -1,7 darstellen. Die dunkle Fläche zeigt die wenigen in den letzten Jahren gefundenen massereichen eingebetteten Sternhaufen.

Abb. S. 36 unten:
Die meisten hellen Sterne im Zentralteil der Plejaden sind Mitglieder des Haufens, aber die beiden durch Pfeile markierten Sterne stehen im Vordergrund, denn ihre allzu großen Eigenbewegungen passen nicht zu denen der Plejaden (siehe das Bild auf S. 38).

Abb. S. 39:
Diese Farben-Helligkeits-Diagramme einiger naher offener Sternhaufen basieren auf den Messungen des Hipparcos-Satelliten. Aufgetragen ist die absolute Helligkeit gegen die Farbe. Die durch Einzelsterne definierte Hauptreihe ist sehr gut erkennbar. Die darüberliegenden Haufenmitglieder sind Doppelsterne, die nicht in Einzelsterne aufgelöst werden konnten. Die Farbe B2-V1 bezieht sich auf das Genfer fotometrische System, das sich leicht vom Standardsystem unterscheidet.

Abb. S. 40:
Die Altersverteilung der offenen Sternhaufen in Sonnenumgebung zeigt, dass die Zahl der Haufen ab einem Alter von einigen hundert Millionen Jahren dramatisch abnimmt. Die rote Kurve stellt einen exponentiellen Abfall mit einer Zerfallszeit von 330 Millionen Jahren dar.


© 2011 Siegfried Röser, Elena Schilbach, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg


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Quelle:
Sterne und Weltraum 8/11 - August 2011, Seite 30 - 41
Zeitschrift für Astronomie
Herausgeber:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann (ZAH, Univ. Heidelberg),
Prof. Dr. Thomas Henning (MPI für Astronomie),
Dr. Jakob Staude
Redaktion Sterne und Weltraum:
Max-Planck-Institut für Astronomie
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Internet: www.astronomie-heute.de

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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. September 2011