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GALAXIS/227: MUSE enthüllt die wahre Geschichte hinter galaktischem Zusammenstoß (idw)


Max-Planck-Institut für Astronomie, ESO Science Outreach Network - 10.11.2014



MUSE enthüllt die wahre Geschichte hinter galaktischem Zusammenstoß

Pressemitteilung der Europäischen Südsternwarte (Garching) - Das neue Instrument MUSE am Very Large Telescope (VLT) der ESO hat Forschern die bislang beste Aufnahme eines spektakulären kosmischen Zusammenstoßes geliefert. Die neuen Beobachtungen zeigen zum ersten Mal die Bewegung des Gases, während es aus der Galaxie ESO 137-001 herausgerissen wird und mit Höchstgeschwindigkeit in einen riesigen Galaxienhaufen stürzt. Die Ergebnisse sind der Schlüssel zur Lösung eines alten Rätsels - der Frage warum die Sternentstehung in Galaxienhaufen abgeschaltet wird.

Bild: © ESO/M. Fumagalli

Blick mit MUSE auf die gasleere Galaxie ESO 137-001.
Bild: © ESO/M. Fumagalli

Das Wissenschaftlerteam unter der Leitung von Michele Fumagalli von der Extragalactic Astronomy Group und dem Institute for Computational Cosmology an der Universität Durham war mit unter den Ersten, die nach seiner Installation am VLT der ESO mit dem Multi Unit Spectroscopic Explorer (MUSE) gearbeitet haben. Die Beobachtung von ESO 137-001 - einer Spiralgalaxie in etwa 200 Millionen Lichtjahre Entfernung im Sternbild Triangulum Australe (das südliche Dreieck) - machte es ihnen möglich die bislang beste Aufnahme davon anzufertigen, was im Detail mit der Galaxie passiert, während sie in den Norma-Galaxienhaufen stürzt.

MUSE erstellt für die Astronomen nicht nur ein Bild, sondern stellt ein Spektrum für jedes Pixel in der Aufnahme bereit, in dem das Licht in seine Farben zerlegt wird. Mit Hilfe dieses Instruments sammeln Forscher jedes Mal wenn sie ein Himmelsobjekt beobachten um die 90.000 solcher Spektren und zeichnen somit unglaublich detaillierte Karten von der Bewegung und anderen Eigenschaften des beobachteten Objekts auf [1].

ESO 137-001 wird durch einen Prozess namens Ram Pressure Stripping, der einsetzt, wenn ein Objekt sich mit hoher Geschwindigkeit durch eine Flüssigkeit oder ein Gas bewegt, ihres Rohmaterials beraubt. Die Vorgänge dabei haben Ähnlichkeit damit, wie das Fell einer Hundes von der Luft nach hinten geblasen wird, wenn er seinen Kopf aus dem Fenster eines fahrenden Autos hält. Im Fall von ESO 137-001 ist das Material Teil einer riesigen Wolke dünnen, heißen Gases, das den Galaxienhaufen umgibt, in den die Galaxie mit einigen Millionen Kilometern pro Stunde hineinfällt [2].

Der Galaxie wird das meiste Gas entzogen - und damit der Treibstoff für die nächsten Generationen von jungen blauen Sternen. ESO 137-001 befindet sich dadurch mitten in der Übergangsphase von einer blauen gasreichen Galaxie zu einer gasarmen roten Galaxie. Wissenschaftler glauben, dass der beobachtete Prozess dabei helfen wird, ein altes wissenschaftliches Rätsel zu lösen.

"Es ist eine der wichtigsten Aufgaben der modernen Astronomie, herauszufinden wie und warum sich Galaxien in Galaxienhaufen in sehr kurzen Zeitperioden von blauen zu roten Galaxien verwandeln", sagt Fumagalli. "Eine Galaxie gerade dann einzufangen, wenn sie von einem Stadium ins andere übergeht, erlaubt es uns zu untersuchen, wie das passiert."

Dieses kosmische Schauspiel zu beobachten ist jedoch keine leichte Aufgabe. Der Norma-Galaxienhaufen befindet sich nahe der Scheibe unserer eigenen Galaxie, der Milchstraße, so dass er hinter beträchtlichen Mengen an galaktischem Gas und Staub verborgen ist.

Mit MUSE, das an einem der 8-Meter-Hauptteleskope des VLT am Paranal-Observatorium in Chile montiert ist, waren Wissenschaftler nun in der Lage, nicht nur das Gas in und um die Galaxie zu detektieren, sondern auch zu messen wie es sich bewegt. Das neue Instrument ist so effizient, dass eine einzige Stunde Beobachtungszeit genügt, um sowohl hochaufgelöste Bilder der Galaxie als auch Aufnahmen von der Verteilung und Bewegung des Gases zu erhalten.

Die Beobachtungen zeigen, dass die Außenbereiche von ESO 137-001 schon vollkommen frei von Gas sind. Dies ist eine Folge davon, dass das Gas des Galaxienhaufens - auf Millionen von Grad aufgeheizt - das kühlere Gas aus ESO 137-001 herausdrückt, während sie auf die Mitte des Galaxienhaufens zusteuert. Dies passiert zunächst in den Spiralarmen, wo Sterne und Materie dünner verteilt sind als in der Mitte und die Gravitationskraft einen vergleichsweise geringen Einfluss auf das Gas hat. Im Zentrum der Galaxie jedoch ist die gravitative Anziehung stark genug, um das kosmische Tauziehen länger auszuhalten und daher ist dort noch Gas zu beobachten.

Letzten Endes wird das ganze galaktische Gas in helle Streifen hinter ESO 137-001 gezogen - verräterische Überreste dieses dramatischen Raubzuges. Das Gas, das der Galaxie entrissen wird, vermischt sich mit dem heißen Gas des Galaxienhaufens und bildet atemberaubende Schweife, die sich über 200.000 Lichtjahre weit erstrecken. Das Wissenschaftlerteam hat diese Gasströme genauer untersucht, um die Turbulenzen besser verstehen zu können, die durch die Wechselwirkung entstehen.

Die neuen MUSE-Beobachtungen haben gezeigt, dass diese Gasfahne überraschenderweise weiterhin genau so wie die Galaxie rotiert, sogar nachdem sie in den Weltraum hinausgefegt wird. Außerdem waren Forscher in der Lage festzustellen, dass die Rotation der Sterne in ESO 137-001 sich nicht verändert. Dies belegt weiterhin, dass das Gas des Galaxienhaufens und nicht die Gravitationskraft dafür verantwortlich ist, dass der Galaxie Gas entzogen wird [3].

Matteo Fossati von der Universitäts-Sternwarte München und vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik in Garching, Koautor des Fachartikels, erläutert abschließend: "Mit Hilfe der Details, die MUSE enthüllt hat, sind wir näher daran die Prozesse vollständig zu verstehen, die in solchen Kollisionen am Werk sind. Wir sehen die Bewegungen der Galaxie und des Gases im Detail - etwas, das ohne das neue und einzigartige MUSE-Instrument nicht möglich wäre. Diese und zukünftige Beobachtungen werden dabei helfen eine bessere Idee von den treibenden Prozessen der Galaxienevolution zu entwickeln."


Endnoten

[1] MUSE ist der erste große Integralfeldspektrograf, der je an einem 8-Meter-Teleskop angebracht wurde. Zum Vergleich: bisherige Untersuchungen von ESO 137-001 haben nicht mehr als 50 Spektren aufgenommen.

[2] Das NASA/ESA Hubble Space Telescope hat ein eindrucksvolles Bild von diesem Objekt erstellt - konnte jedoch im Gegensatz zu MUSE die Bewegungen des Materials nicht veranschaulichen.

[3] Wenn Gravitation eine Rolle in diesem Prozess spielen würde, hätten die Forscher erwartet Verzerrungen in der Galaxie zu sehen.

Zusatzinformationen

Die hier vorgestellten Forschungsergebnisse von Fumagalli et al. werden am 10. November 2014 unter dem Titel "MUSE sneaks a peek at extreme ram-pressure stripping events. I. A kinematic study of the archetypal galaxy ESO137-001" in der Fachzeitschrift Monthly Notices of the Royal Astronomical Society veröffentlicht.

Die beteiligten Wissenschaftler sind Michele Fumagalli (Extragalactic Astronomy Group und Institute for Computational Cosmology, Durham University,Großbritannien), Matteo Fossati (Universitäts-Sternwarte München und Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik, Garching), George K. T. Hau (ESO, Santiago de Chile), Giuseppe Gavazzi (Università di Milano-Bicocca, Italien), Richard Bower (Extragalactic Astronomy Group und Institute for Computational Cosmology, Durham University, Großbritannien), Alessandro Boselli (Laboratoire d'Astrophysique de Marseille, Frankreich) und Ming Sun (Department of Physics, University of Alabama, USA).

Die Europäische Südsternwarte ESO (European Southern Observatory) ist die führende europäische Organisation für astronomische Forschung und das wissenschaftlich produktivste Observatorium der Welt. Getragen wird die Organisation von 15 Ländern: Belgien, Brasilien, Dänemark, Deutschland, Finnland, Frankreich, Großbritannien, Italien, die Niederlande, Österreich, Portugal, Spanien, Schweden, die Schweiz und die Tschechische Republik. Die ESO ermöglicht astronomische Spitzenforschung, indem sie leistungsfähige bodengebundene Teleskope entwirft, konstruiert und betreibt. Auch bei der Förderung internationaler Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Astronomie spielt die Organisation eine maßgebliche Rolle. Die ESO betreibt drei weltweit einzigartige Beobachtungsstandorte in Nordchile: La Silla, Paranal und Chajnantor. Auf dem Paranal betreibt die ESO mit dem Very Large Telescope (VLT) das weltweit leistungsfähigste Observatorium für Beobachtungen im Bereich des sichtbaren Lichts und zwei Teleskope für Himmelsdurchmusterungen: VISTA, das größte Durchmusterungsteleskop der Welt, arbeitet im Infraroten, während das VLT Survey Telescope (VST) für Himmelsdurchmusterungen ausschließlich im sichtbaren Licht konzipiert ist. Die ESO ist der europäische Partner bei den neuartigen Teleskopverbund ALMA, dem größten astronomischen Projekt überhaupt. Derzeit entwickelt die ESO ein Großteleskop mit 39 Metern Durchmesser für Beobachtungen im Bereich des sichtbaren und Infrarotlichts, das einmal das größte optische Teleskop der Welt werden wird: das European Extremely Large Telescope (E-ELT).

Die Übersetzungen von englischsprachigen ESO-Pressemitteilungen sind ein Service des ESO Science Outreach Network (ESON), eines internationalen Netzwerks für astronomische Öffentlichkeitsarbeit, in dem Wissenschaftler und Wissenschaftskommunikatoren aus allen ESO-Mitgliedsländern (und einigen weiteren Staaten) vertreten sind. Deutscher Knoten des Netzwerks ist das Haus der Astronomie in Heidelberg.



Weitere Informationen unter:

http://www.eso.org/public/germany/news/eso1432/
- Webversion der Pressemitteilung mit weiteren Bildern und einem Video

http://www.eso.org/public/archives/releases/sciencepapers/eso1437/eso1437a.pdf
- Fachartikel

http://www.eso.org/public/images/archive/category/paranal/
- Fotos vom VLT

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution1413

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Max-Planck-Institut für Astronomie,
Dr. Carolin Liefke - ESO Science Outreach Network, 10.11.2014
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. November 2014