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INSTRUMENTE/382: Gaia in der Testphase (Sterne und Weltraum)


Sterne und Weltraum 5/14 - Mai 2014
Zeitschrift für Astronomie

Gaia in der Testphase

Von Stefan Jordan



Die Aktivierung des Astrometriesatelliten Gaia geht gut voran. Derzeit testen die Wissenschaftler noch die Instrumente und stoßen dabei auf kleine Probleme. Die Himmelsdurchmusterung soll dennoch plangemäß Ende Mai beginnen. Gaia wird die Positionen, Bewegungen und Entfernungen von einer Milliarde Sternen unseres Milchstraßensystems mit bislang unerreichter Genauigkeit messen.


Start geglückt: Am 19. Dezember 2013 brachte eine russische Trägerrakete des Typs Sojus-Fregat den europäischen Astrometriesatelliten Gaia vom Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guayana in den Weltraum.

An Bord von Gaia befinden sich zwei gleichartige Spiegelteleskope mit rechteckigen Hauptspiegeln von jeweils 145 x 50 Zentimeter Öffnung und 35 Meter Brennweite, die zwei 106,5 Grad am Himmel voneinander entfernte Gesichtsfelder anvisieren. Im Laufe von fünf Jahren soll Gaia mit seinen beiden Teleskopen den gesamten Himmel mehrmals und aus verschiedenen Richtungen abtasten. Alle Sterne, die heller als 20 mag sind, werden von Gaia registriert. Dies geschieht mit der bisher größten Weltraumkamera aus 106 CCD-Detektoren, die zusammen Ein-Gigapixel-Bilder aufnehmen.

Aus etwa einer Billion Einzelmessungen sollen daraus die Positionen, Bewegungen und Entfernungen von rund einer Milliarde Sterne unserer Milchstraße bestimmt werden. Gaias genaueste Winkelmessungen werden bei einer Genauigkeit von 10 bis 20 Mikrobogensekunden liegen. Über die astrometrischen Messungen hinaus werden für alle Sterne ihre Helligkeiten und Farben ermittelt. Für die helleren Sterne werden auch noch Infrarotspektren aufgenommen. Sie dienen unter anderem dazu, die Radialgeschwindigkeiten zu bestimmen, mit der sich die Sterne dem Sonnensystem nähern oder sich von ihm entfernen. Nähere Einzelheiten zur Gaia-Mission hat Ulrich Bastian in den ausführlichen Artikeln in SuW 5/2013 und 6/2013 beschrieben.

Auf dem Weg zu L2

42 Minuten nach dem Abheben der Rakete erreichte Gaia die Transferbahn zu seinem eigentlichem Zielort in der Nähe des rund 1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernten Lagrange-Punkts L2 im Erde-Sonne-System (siehe SuW 6/2013, S. 51). Eine weitere dreiviertel Stunde später entfaltete sich der mehr als zehn Meter große Sonnenschirm, der den Satelliten vor der Strahlung der Sonne schützen soll und auf der Unterseite mit Solarzellen zur Stromversorgung versehen ist.

Der Einschuss auf die Transferbahn mit Hilfe der Fregat-Oberstufe der Sojus-Rakete erfolgte so präzise, dass am zweiten Tag nur ein kurzes geplantes Kurskorrekturmanöver nötig war. Danach richtete sich der Satellit so aus, dass der Sonnenschirm um 45 Grad gegenüber der Richtung zur Sonne geneigt ist. Dieser Neigungswinkel ist auch für die spätere wissenschaftliche Messphase von fünf Jahren vorgesehen.

Die Überprüfungsphase

Schon während der rund dreiwöchigen Transferphase zum L2 überprüften die Missionskontrolleure einige Systeme von Gaia: Sie untersuchten das Verhalten des Raumfahrzeugs als Ganzes. Außerdem erwärmten sie Gaias Oberteil, das die wissenschaftlichen Instrumente enthält, mit Hilfe von Heizelementen auf etwa Zimmertemperatur, um eventuelle Verunreinigungen durch Ausgasen zu beseitigen. Anschließend schalteten sie Gaias Kamera, die dazugehörige Elektronik und weitere Messinstrumente zum ersten Mal ein und analysierten deren Daten. In dieser Phase empfingen die Detektoren auch zum ersten Mal Licht von Sternen.

Am 7. Januar 2014 zündeten fünf von acht Schubdüsen von Gaias Bordantrieb rund zwei Stunden lang, um den Himmelsvermesser in seine Schleifenbahn um den Lagrange-Punkt L2 zu bringen. Eine Woche später erfolgte dann noch eine weitere kurze Zündung. Auf diese Weise erreichte der Gaia-Satellit präzise seinen endgültigen Orbit. Zwischen diesen beiden Manövern, am 8. Januar, wurde der Himmelsvermesser erstmals in seine vorgesehene Rotation versetzt. Er dreht sich nun einmal alle sechs Stunden um seine Achse.

Danach begann die Übergabephase zur Inbetriebnahme, die Commissioning-Phase, während der Gaias Instrumente nach und nach in Betrieb genommen, überprüft, feinjustiert und kalibriert werden. Diese Testphase dauert nach jetziger Planung noch bis Ende Mai an (siehe Kasten weiter unten).

Während der Übergabephase müssen die Teleskope eingestellt und fokussiert werden - eine Grundvoraussetzung dafür, dass Gaia seine wissenschaftliche Aufgaben erfüllen kann. Das Bild des Kugelsternhaufens NGC1818 wurde zu Testzwecken erstellt und belegt, dass die beiden Teleskope schon sehr gut justiert sind. Alle 106 CCD-Detektoren und die dazugehörige Elektronik funktionieren hervorragend.

Mittlerweile sind auch die Kaltgas-Steuerdüsen, die dafür sorgen, dass Gaias Ausrichtung und Rotation so hochpräzise erfolgt, wie es das Messprinzip des Astrometriesatelliten erfordert, nahezu optimal eingestellt. Anfänglich lieferte eine der Düsen deutlich zu viel Schub, was wegen der Kompensation dieses Effekts durch eine andere Steuerdüse zu einem erhöhten Verbrauch an Treibstoff geführt hätte.

Gaias Atomuhr tickt richtig!

In der Tagespresse wurde kurz nach dem Start von einem angeblichen Problem beim Verhalten von Gaias Atomuhr berichtet. Es war die Rede davon, dass sie zu langsam liefe und dass ein wichtiger Effekt der einsteinschen Relativitätstheorie zunächst nicht korrekt berücksichtigt würde. Tatsächlich war diese sehr wohl bekannte relativistische Korrektur bei der angesprochenen Überprüfung der Atomuhren weder nötig noch vorgesehen. Bei der wissenschaftlichen Datenauswertung kommt dann natürlich eine hochgenaue Berücksichtigung aller relevanten relativistischen Effekte zum Einsatz.

Streulicht in den Gaia-Teleskopen

Noch ungeklärt ist hingegen die Ursache dafür, dass deutlich mehr Streulicht auf die Fokalebene von Gaias Kamera trifft, als von der Konstruktion her vorgesehen. Die Menge des unerwünschten Hintergrundlichts ändert sich periodisch mit der Rotationsperiode von sechs Stunden. Eigentlich sollte der mehr als zehn Meter große Sonnenschirm dafür sorgen, dass die beiden Teleskopöffnungen und die zylinderförmige Schutzhülle für die Gaia-Instrumente vollständig im Schatten zur Sonne liegen. Da andere Ursachen für die unerwünschte Beleuchtung der Fokalebene weitgehend ausgeschlossen werden können, muss auf irgendeine Weise eine kleine Menge Sonnenlicht bis zur Fokalebene vordringen. Dieses Streulichtproblem würde die Genauigkeit der Positionsmessungen von Gaia an lichtschwachen Sternen ein wenig beeinträchtigen. Stärker betroffen wäre jedoch der Radialgeschwindigkeitsspektrograf von Gaia, der die Bewegung der Sterne auf uns zu oder von uns weg misst.

Da Gaia über keine äußere Kamera verfügt, wie zum Beispiel die chinesischen Chang'e-Sonden, kann man nur aus Messungen mit Gaias Instrumenten selbst auf die Ursache des Lichteinfalls schließen. Zu diagnostischen Zwecken erhöhte man am 17. Februar 2014 den Neigungswinkel des Sonnenschirms relativ zur Sonne von 45 auf 48 Grad und verfolgte die Veränderungen: Die Menge des Streulichts verringerte sich dadurch um rund ein Drittel. Am 6. März drehten die Missionskontrolleure den Sonnenschirm sogar senkrecht zur Sonne. Die Analyse der neuen Daten, von denen man sich erhofft, den Grund für das unerwünschte Streulicht zu finden und gegebenenfalls Maßnahmen zu dessen Verringerung zu ergreifen, war bei Redaktionsschluss noch nicht abgeschlossen.

Heizen putzt Gaias Teleskope

Weitere Untersuchungen der Gaia-Daten während der Commissioning-Phase ergaben, dass die Empfindlichkeit vor allem eines der beiden Teleskope im Laufe von drei Wochen um mehr als die Hälfte abgenommen hat. Inzwischen hat sich die Vermutung bestätigt, dass vor allem ein Spiegel im Strahlengang durch Ablagerungen verunreinigt wurde. Diese ließen sich durch lokales Aufheizen in der Umgebung des Spiegels glücklicherweise fast vollständig beseitigen. Am 13. März wurden die Heizelemente von Gaia noch einmal für mehr als eine Woche eingeschaltet, um die Quelle der Verunreinigungen endgültig auszuschalten. Anschließend wird analysiert, ob die Teleskope dann dauerhaft einen klaren Blick auf den Himmel bieten.

Bis zum Ende der Commissioning-Phase wird man den Gaia-Satelliten und seine Instrumente immer besser verstehen und noch genauer einstellen, damit es im Mai oder Juni 2014 mit den eigentlichen wissenschaftlichen Messungen losgehen kann. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Gaia bisher - von den erwähnten Problemen abgesehen - sehr gut arbeitet.


Stefan Jordan arbeitet seit 2004 am Astronomischen Rechen-Institut des Zentrums für Astronomie der Universität Heidelberg am Gaia-Projekt. Zur Zeit ist er vor allem mit der Planung der Datenbank, Visualisierung und für die Öffentlichkeitsarbeit für Gaia beschäftigt.


Literaturhinweise

Bastian, U.: Projekt Gaia: Die sechsdimensionale Milchstraße.
Teil 1: Warum und wozu Gaia gebaut wird. In: SuW 5/2013, S. 36-44, 2013
Teil 2: Wo, wann und wie Gaia arbeiten soll. In: SuW 6/2013, S. 48-55, 2013

Weblinks unter:
www.sterne-und-weltraum.de/artikel/1259203

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WiS in Sterne und Weltraum

Der WIS-Beitrag »Gaia - Die Milchstraßen-Weltkarte wird revolutioniert« empfiehlt sich für den Kurzbericht »Gaia in der Testphase«: Derzeit stehen wir an der Schwelle zur Revolutionierung unserer Karte vom Milchstraßensystem. Weltraumobservatorien wie Gaia machen dies möglich. Ziel dieses WIS-Beitrags ist es, ausgewählte Aspekte der Gaia-Mission mit Schulinhalten zu verbinden und jeweils mit einer Vielzahl von Aktivitäten für Schüler nachvollziehbar zu gestalten.
(ID-Nummer: 1156162)


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 26:
Der eigentliche Satellitenkörper von Gaia hat eine Höhe und einen Durchmesser von rund drei Metern und der Durchmesser des Sonnenschutzschirms beträgt mehr als zehn Meter. Auf seiner Unterseite sind Solarzellen zur Stromversorgung und eine Richtantenne für die Datenübertragung angebracht. Im Oberteil des Satelliten sieht man die beiden großen Teleskopöffnungen, durch die Gaia gleichzeitig zwei 106,5 Grad am Himmel auseinander liegende Gebiete am Himmel aufnimmt, sowie darunter im Vordergrund die Kühlplatte für die Fokalebene. Der Sonnenschirm sorgt dafür, dass die Teleskope auf einer konstanten Temperatur von -150 Grad Celsius und die CCD-Kamera auf -110 Grad Celsius gehalten werden.

Abb. S. 27:
Dieses Testbild des Gaia-Satelliten zeigt den jungen Kugelsternhaufen NGC 1818 in der Großen Magellanschen Wolke. Es wird eine der wenigen richtigen größeren Himmelsaufnahmen von Gaia bleiben, denn normalerweise sendet Gaia nur Datenpakete zur Erde, welche die unmittelbare Umgebung der einzelnen Sterne enthalten.


Der Artikel ist als PDF-Datei mit Abbildungen abrufbar unter:
http://www.spektrum.de/alias/pdf/suw-2014-05-s026-pdf/1280866

© 2014 Stefan Jordan, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg

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Quelle:
Sterne und Weltraum 5/14 - Mai 2014, Seite 26 - 29
URL: http://www.spektrum.de/alias/pdf/suw-2014-05-s026-pdf/1280866
Zeitschrift für Astronomie
Herausgeber:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann (ZAH, Univ. Heidelberg),
Prof. Dr. Thomas Henning (MPI für Astronomie)
Redaktion Sterne und Weltraum:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. September 2014