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PLANET/545: Kleinplanet Chariklo hat Ringe (Sterne und Weltraum)


Sterne und Weltraum 6/14 - Juni 2014
Zeitschrift für Astronomie

Kleinplanet Chariklo hat Ringe
Ein Mini-Saturn im äußeren Sonnensystem

Von Tilmann Althaus



Bisher konnten nur die Gasriesen im Sonnensystem mehr oder weniger stark ausgeprägte Ringsysteme vorweisen. Nun wurde beim Kleinplaneten (10199) Chariklo während einer Sternbedeckung ein System aus zwei schmalen Ringen entdeckt.


Ein Kleinplanet mit Ringen - damit rechnete bislang kaum ein Planetenforscher. Solche Gebilde fanden sich in unserem Sonnensystem bisher nur in den Umlaufbahnen der vier Riesenplaneten Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun. Nun aber macht ein Kleinplanet mit rund 250 Kilometer Durchmesser den exklusiven Anspruch der Gasriesen zunichte. (10199) Chariklo ist von einem Ringsystem aus zwei schmalen, unterschiedlich dichten Ringen umgeben, das einen Durchmesser von rund 800 Kilometern aufspannt. Entdeckt wurden die Ringe bei einer Bedeckung des 12,4 mag hellen Sterns UCAC4 248-108672 am 3. Juni 2013. Diese Verfinsterung nahm eine internationale Forschergruppe um Felipe Bragas-Ribas vom brasilianischen Observatorio Nacional in Rio de Janeiro zum Anlass, den Durchmesser und die Form von Chariklo genauer zu bestimmen und Ausschau nach eventuellen Monden zu halten. Zu ihrer Überraschung fanden sie jedoch keine Monde, sondern das Ringsystem.

Teleskoparmada beobachtet

(10199) Chariklo gehört zur Objektgruppe der Zentauren, einer Klasse von Kleinplaneten, welche die Sonne zwischen den Bahnen von Jupiter und Neptun umrunden. Ihre Bahnen sind auf längere Sicht instabil, da die Bewegungen dieser Himmelskörper durch die Schwerefelder der vier Gasriesen starken Schwankungen unterworfen sind. Nur wenige dutzend Millionen Jahre halten sie sich auf ihren Bahnen, dann werden sie entweder aus dem Bereich der Gasriesen herauskatapultiert oder kollidieren sogar mit ihnen.

Der Kleinplanet wurde im Jahr 2007 im Rahmen des Projekts Spacewatch entdeckt und umkreist die Sonne auf seiner elliptischen Bahn überwiegend zwischen den Umlaufbahnen von Saturn und Uranus einmal in 63,2 Jahren. Mit einem Durchmesser von rund 250 Kilometern ist er das größte Mitglied der Zentauren, von denen derzeit 387 Mitglieder bekannt sind.

Für ihre Beobachtungen setzten die Forscher um Braga-Ribas acht Teleskope ein, die sich in Brasilien, Argentinien und Chile befinden. Die große Zahl an Teleskopen war notwendig, da es eine gewisse Unsicherheit über den exakten Verlauf der Schattenzone entlang des südlichen Südamerikas gab. Tatsächlich gelang es nur mit drei Teleskopen, die eigentliche Sternbedeckung durch den Hauptkörper zu verfolgen. Wenige Sekunden, bevor Chariklo den Stern verdeckte, wurde das Licht jedoch für rund eine Sekunde deutlich abgeschwächt. Das Gleiche geschah nach der eigentlichen Bedeckung in zeitlich gleichem Abstand. Drei weitere Teleskope, die sich außerhalb der Schattenzone des Hauptkörpers befanden, registrierten ebenfalls zwei kurzzeitige Verfinsterungen des Sterns. An den beiden anderen Teleskopen ergab sich immerhin jeweils noch eine kurze Verfinsterung.

Die Astronomen erklären ihre Beobachtungen mit einem schmalen Ringsystem, das Chariklo im Bereich seines Äquators umgibt. Mit dem dänischen 1,54-Meter-Teleskop der Europäischen Südsternwarte ESO auf dem chilenischen Berg La Silla ließ sich die Bedeckung von UCAC4 248-108672 durch Chariklo mit extrem hoher zeitlicher Auflösung verfolgen. Aus den Messungen ergibt sich, dass der Asteroid von zwei schmalen Ringen umgeben ist, dessen Hauptring A etwa sechs bis sieben Kilometer breit und optisch etwa so dicht wie der A-Ring von Saturn ist. Die große Halbachse des A-Rings zum Zentrum von Chariklo beträgt 391 Kilometer, von der Oberfläche trennen ihn rund 266 Kilometer. Weiter außen ließ sich ein wesentlich dünnerer Ring B nachweisen, der etwa drei Kilometer breit ist. Dazwischen befindet sich eine neun Kilometer weite Lücke, in der es offenbar kein Ringmaterial gibt.

Die Forscher vermuten, dass die Ringe das Überbleibsel einer Kollision sind. Bei dieser wurde Material aus Chariklo herausgesprengt, das in seinem Schwerefeld gefangen blieb, obwohl die Fluchtgeschwindigkeit mit nur 100 Meter pro Sekunde weniger als ein Prozent derjenigen der Erde beträgt. Braga-Ribas und seine Koautoren schätzten die Masse des in den Ringen befindlichen Materials ab. Aus ihren Berechnungen ergibt sich ein eishaltiger Himmelskörper mit einem Durchmesser von 2,4 Kilometern, könnte man das Ringmaterial zusammenfegen und vereinigen.

Hinweis auf Schäferhundmonde

Erstaunlich ist auch, dass beide Ringe so scharfe Begrenzungen aufweisen. Eigentlich sollte sich das Material in den Ringen schon innerhalb weniger Jahre vom Außenrand bis nahe an die Oberfläche von Chariklo ausgebreitet haben und somit eher eine diffuse Scheibe um den Kleinplaneten bilden. Darauf gibt es jedoch keine Hinweise. Daher vermuten die Astronomen, dass kleine Schäferhundmonde mit Durchmessern von wenigen 100 Metern die Ringe stabilisieren, ähnlich wie es in größerem Maßstab beim F-Ring von Saturn beobachtet wird. Ihn halten die Monde Prometheus und Pandora zusammen.

Braga-Ribas und seine Mitarbeiter diskutieren in ihrer Arbeit auch Alternativen zu einem Ringsystem um Chariklo. Eine Möglichkeit wären schmale Jets aus Gas und Staub, die ähnlich einem Kometen aus der Oberfläche des Kleinplaneten hervorbrechen. Tatsächlich wurde schon bei mehreren Zentauren kometare Aktivität gesichtet. Um aber die beobachteten zeitlichen Verläufe der Verfinsterungen zu erklären, müssten diese Ausbruchsstellen aber schon sehr speziell über die Oberfläche verteilt sein. Eine weitere Erklärung könnte eine kugelförmige Schale aus Staub sein, die den Kleinplaneten umhüllt. Beiden Vorschlägen billigen die Astronomen aber nur sehr geringe Wahrscheinlichkeiten zu. Somit ergibt sich der faszinierende Schluss, eine Art von Mini-Saturn in den Weiten des äußeren Sonnensystems aufgespürt zu haben.


Literaturhinweis

F. Braga-Ribas, B. Sicardy, J.L. Ortiz, C. Snodgrass et al.: A ring system detected around the Centaur (10199) Chariklo, Nature, Advance Online Publication am 26. März 2014

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"Die koorbitalen Saturn-Monde 1980 S1 und 1980 S3": Der WIS-Beitrag präsentiert ein kleines astronomisches Problem, das sich bei der Lektüre von Berichten über die Voyager-Mission findet. Dabei werden möglichst geringe physikalische Kenntnisse vorausgesetzt. Somit werden Dinge ausführlich dargelegt, die vielleicht vielen Lesern bekannt oder mit ein wenig Rechnung mühelos abzuhandeln sind.
(ID-Nummer: 1051540)


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 18:
Wie eine Miniaturausgabe von Saturn wirkt der Asteroid (10199) Chariklo in dieser künstlerischen Darstellung. Er umrundet die Sonne zwischen den Bahnen von Uranus und Saturn. Der Himmelskörper selbst hat einen Durchmesser von 250 Kilometern, das Ringsystem von rund 800 Kilometern. Der hellere Ring ist rund sieben Kilometer breit.

Abb. S. 19 oben:
Mit dem dänischen 1,54-Meter-Teleskop auf dem Berg La Silla in Chile ließ sich die Verfinsterung des Sterns UCAC4 248-108672 durch (10199) Chariklo mit besonders hoher zeitlicher Auflösung erfassen. Vor und nach der Passage des Kleinplaneten sorgten die Ringe für kurzzeitige Verfinsterungen des Sterns.

Abb. S. 19 unten:
Mit acht verschiedenen Teleskopen wurde die Passage von (10199) Chariklo vor dem Stern UCAC4 248-108672 beobachtet. Eingezeichnet sind in Grün die beobachteten Verfinsterungen durch die Ringe des Kleinplaneten, drei Teleskope erfassten auch die Bedeckung durch Chariklo selbst. Die Länge der Striche verdeutlicht die zeitliche Auflösung der jeweils eingesetzten Detektoren.


Der Artikel ist als PDF-Datei mit Abbildungen abrufbar unter:
http://www.spektrum.de/alias/pdf/suw-2014-06-s018-pdf/1284660

© 2014 Tilmann Althaus, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg

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Quelle:
Sterne und Weltraum 6/14 - Juni 2014, Seite 18 - 20
URL: http://www.spektrum.de/alias/pdf/suw-2014-06-s018-pdf/1284660
Zeitschrift für Astronomie
Herausgeber:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann (ZAH, Univ. Heidelberg),
Prof. Dr. Thomas Henning (MPI für Astronomie)
Redaktion Sterne und Weltraum:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. September 2014