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PLANET/594: Eisvulkane auf Pluto? (Sterne und Weltraum)


Sterne und Weltraum 1/16 - Januar 2016
Zeitschrift für Astronomie

Kurzbericht
Eisvulkane auf Pluto?

Von Tilmann Althaus


Die von New Horizons zur Erde gefunkten Bilder und Messdaten vom Plutosystem erbrachten weitere Überraschungen: Auf Pluto scheint es Eisvulkane zu geben, und ein großer Teil seiner Oberfläche unterlag tektonischen Verwerfungen. Die vier kleinen Monde wenden Pluto nicht immer die gleiche Seite zu, sondern rotieren chaotisch um ihre Achsen.

Die Reihe an Überraschungen in den Messdaten und Bildern aus dem Plutosystem reißt nicht ab: In den seit September 2015 übermittelten Daten, welche die US-Raumsonde New Horizons Mitte Juli bei ihrem dichten Vorbeiflug am Zwergplaneten und seinen fünf Monden aufgenommen und gespeichert hatte, wurden die Forscher reichlich fündig. Die bislang vorliegenden Ergebnisse aus dem Plutosystem präsentierten die Forscher im November 2015 auf dem 47. Jahrestreffen der Division of Planetary Sciences der American Astronomical Society in Washington, D. C.

Eine der größten Überraschungen ist der Fund von ausgedehnten Strukturen auf Pluto, bei denen es sich möglicherweise um Eisvulkane handelt. Sie befinden sich südlich der hellen herzförmigen Region, die derzeit den inoffiziellen Namen Tombaugh Regio trägt. Die beiden Gebilde sind zwischen drei und fünf Kilometer hoch und erstrecken sich auf der Oberfläche über 130 beziehungsweise 170 Kilometer. Jeweils im Zentrum dieser Gebirge mit den informellen Namen Wright Mons und Piccard Mons findet sich eine Einwölbung, bei der es sich nicht um einen Einschlagkrater handelt. Es könnte eine Einbruchstruktur sein, also eine Caldera, wie sie von Vulkanen auf der Erde und anderen Himmelskörpern im Sonnensystem wohlbekannt sind. Calderen entstehen, wenn die Vulkane ihre Lava zum größten Teil gefördert haben und der leere Hohlraum unter ihren Gipfeln in sich zusammensinkt.

Die Forscher um Alan S. Stern, den Chefwissenschaftler der Mission New Horizons, vermuten, dass diese Vulkane eine Mischung aus flüssigem Wasser und Eis zusammen mit Beimischungen von Stickstoff, Ammoniak und Methan förderten. Diese Mischung muss man sich wie einen Brei vorstellen, ähnlich wie sulzigen Schnee bei Tauwetter. Insbesondere eine Beimischung von Ammoniak (NH3) hätte bedeutende Auswirkungen auf die Entstehung von Schmelzen, da es den Schmelzpunkt von Wassereis beträchtlich absenkt. Somit wäre sehr viel weniger Wärme notwendig, um das Material im Plutomantel zu schmelzen, als wenn dieser aus annähernd reinem Wassereis bestünde. Derartige Gebilde wie auf Pluto wurden noch auf keinem anderen aus Eis bestehenden Himmelskörper im äußeren Sonnensystem entdeckt - in dieser Hinsicht scheint der Zwergplanet einzigartig zu sein.

Auch die vielen auf den Detailfotos von Pluto sichtbaren Einschlagkrater weckten das Interesse der Forscher, weil sich mit ihnen die Oberfläche des Zwergplaneten geologisch datieren lässt. Auf der beim Vorbeiflug in hoher räumlicher Auflösung aufgenommenen Hemisphäre erfassten die Forscher um Kelsi Singer vom Southwest Research Institute in Boulder, Colorado, bislang 1070 verschiedene Einschlagkrater, die sich in den unterschiedlichsten Erhaltungzuständen befinden. Manche von ihnen sind offenbar sehr jung und zeigen ihre gut erhaltenen Formen, während andere vermutlich Einflüssen aus dem Inneren des Zwergplaneten unterlagen, die ihre Formen veränderten.

Aus der Zählung der Krater ermittelten die Forscher für die kraterreichsten Regionen auf Pluto ein wahrscheinliches Alter von rund vier Milliarden Jahren. Diese Gebiete stammen somit aus der Frühzeit des Sonnensystems, als sich die Planeten und ihre kleineren Geschwister bildeten. Andere Regionen mit einer geringeren Kraterdichte sind etwa eine Milliarde Jahre alt. Eine besondere Ausnahme ist der helle westliche Teil von Tombaugh Regio, der inoffiziell Sputnik Planum genannt wird. Diese auffallend glatte Region besteht aus einer Schicht aus Stickstoffeis mit Beimengungen von gefrorenem Methan (CH4) und Kohlenmonoxid (CO). Hier gibt es keinerlei Einschlagkrater, so dass sich Sputnik Planum innerhalb der letzten zehn Millionen Jahre gebildet haben muss. Diese Unterschiede bei den Oberflächenaltern sind ein Beleg dafür, dass Pluto bis in die jüngste Zeit geologisch aktiv war und wahrscheinlich noch ist.

Plutos Kruste hat sich gedehnt

Auf eine solche Aktivität weisen auch die zahlreichen Brüche und Verwerfungen auf Pluto hin, die weite Teile seiner Oberfläche durchziehen. Hier wurde die Kruste durch Vorgänge im Inneren des Zwergplaneten gedehnt, bis sie schließlich einriss und teilweise absank. Dabei bildeten sich ausgeprägte Grabenbrüche ganz ähnlich dem Oberrheingraben in Südwestdeutschland oder dem Great Rift Valley in Afrika. Manche dieser Grabenbrüche durchlaufen diskordant (unregelmäßig zueinander gelagert) Einschlagkrater, das heißt, sie durchbrechen deren Strukturen und sind damit auch eindeutig jünger.

Auch die überwiegend aus Stickstoff bestehende Atmosphäre von Pluto, die mit einem Druck von etwa zehn Mikrobar äußerst dünn ist, wurde von New Horizons eingehend untersucht. Sie enthält zahlreiche diskrete Dunstschichten, die aus komplexen organischen Molekülen aufgebaut sind, den so genannten Tholinen (siehe SuW 12/2015, S. 40). Sie schlagen sich nach und nach auf der Oberfläche von Pluto nieder und sorgen dabei für die lachsrosa Färbung der Oberfläche.

Zudem zeigte sich, dass die Atmosphäre des Zwergplaneten deutlich kühler und kompakter ist, als es anhand der Daten, die mit erdgebundenen Teleskopen vor dem Vorbeiflug gewonnen wurden, vorhergesagt wurde. Die kühlere Gashülle hat auch einen direkten Einfluss auf die Verlustrate der atmosphärischen Gase, sie ist um mehr als einen Faktor 1000 geringer als bislang angenommen. Der dennoch stattfindende Verlust geht auf die Wechselwirkung mit dem Sonnenwind zurück, der Atome und Moleküle zunächst ionisiert und dann mit sich reißt. Analoge Prozesse laufen beim Mars, der Erde und der Venus ab.

Eiernde Kleinmonde

Eine große Überraschung boten die vier kleinen Plutomonde Styx, Nix, Kerberos und Hydra. Wegen ihrer relativ geringen Nähe zu Pluto erwarteten die Astronomen, dass die Monde eine gebundene Rotation aufweisen, dem Zwergplaneten also immer die gleiche Seite zeigen. Stattdessen rotieren die Monde um ihre Achsen unabhängig von ihrer jeweiligen Umlaufdauer um Pluto. Außerdem stehen ihre Rotationsachsen nicht senkrecht auf der Bahnebene. Besonders krass ist die Neigung bei Nix, deren Rotationsachse um 132 Grad gegen die Umlaufebene geneigt ist. Somit rotiert sie rückläufig um Pluto.

Bei den anderen drei Monden sind die Achsen um rund 90 Grad gegen die Umlaufebene geneigt. Am schnellsten rotiert Hydra: Pro Umlauf vollführt sie 89 Umdrehungen. Nix rotiert 14-mal pro Umlauf, die beiden Kleinstmonde Styx und Kerberos jeweils sechsmal. Das Rotationsverhalten der Monde ändert sich zudem über längere Zeiträume hinweg. Dies geht aus vorherigen Beobachtungen mit dem Weltraumteleskop Hubble hervor. Sie zeigen, dass sich die Rotationsdauer von Nix im Zeitraum von 2012 bis 2014 um etwa zehn Prozent verkürzt hat.

Die Forscher gehen davon aus, dass für dieses ungewöhnliche Verhalten das inhomogene kombinierte Schwerefeld von Pluto und Charon verantwortlich ist. Die Himmelskörper befinden sich in einer so genannten Hantelrotation. Das heißt, beide wenden sich jeweils die gleiche Hemisphäre zu und rotieren um ihren gemeinsamen Schwerpunkt, der rund 2400 Kilometer außerhalb von Pluto in Richtung Charon liegt. Das kombinierte Schwerefeld der zwei Himmelskörper weist keine einfache sphärische Form auf, so dass die Kleinmonde durch die markanten Gezeiteneffekte auf Dauer daran gehindert werden, in eine stabile gebundene Rotation zu Pluto und Charon einzutreten.

Aber nicht nur das ungewöhnliche Rotationsverhalten der Kleinmonde überraschte die Forscher, sondern auch ihre Gestalten: Bei Kerberos und Hydra fanden sich auf den Bildern von New Horizons klare Hinweise darauf, dass sie wahrscheinlich aus der Verschmelzung von zwei kleineren Objekten hervorgingen. Sie erinnern damit an den Kern des Kometen 67P/Tschurjumow-Gerasimenko, der derzeit von der europäischen Raumsonde Rosetta erforscht wird. Bei den Monden Styx und Nix warten die Forscher noch auf die besten Bilder, um zu untersuchen, ob vielleicht auch sie Anzeichen einer Verschmelzung zeigen.

Nach wie vor befindet sich der größte Teil der Bilder und Messdaten noch in den Speichern von New Horizons, und bis November 2015 waren erst rund 20 Prozent übertragen. Die restlichen 80 Prozent werden im Lauf der nächsten zwölf Monate nach und nach zur Erde gefunkt. Somit sind uns weitere Überraschungen aus dem Plutosystem gewiss: Die Auswertung und Interpretation hat gerade erst begonnen.


Literaturhinweise

Brown, D. et al.: At Pluto, New Horizons Finds Geology of All Ages, Possible Ice Volcanoes, Insight into Planetary Origins. New Horizons Pressemitteilung:
pluto.jhuapl.edu/News-Center/News-Article.php?page=20151109, 9. November 2015

Althaus, T.: Die Welten des Pluto. In: Sterne und Weltraum 12/2015, S. 38-44


AstroViews 14: New Horizons erreicht Pluto
http://www.sterne-und-weltraum.de/astroviews14

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Didaktische Materialien zu diesem Beitrag

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»Pluto - vom kleinsten (Planeten) zum fast größten (Zwergplaneten)« möchten wir Ihnen zum Kurzbericht »Eisvulkane auf Pluto?« nahelegen. Der Beitrag bietet einen kurzen Überblick über die Entdeckung von Pluto auf Grund wissenschaftlicher Vorhersagen und die Geschichte seiner anschließenden Erforschung. Zudem behandelt er die Wechselwirkungen zwischen der sich stetig weiter entwickelnden Beobachtungstechnik und dem sich daraus ergebenden wissenschaftlichen Fortschritt. Dabei werden auch die Probleme bei der Eingruppierung kosmischer Körper in Kategorien aufgezeigt und der Stand der aktuellen Einordnung der Körper des Sonnensystems beschrieben.
(ID-Nummer: 1285838)

Didaktische Materialien:
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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 20:
Bis zu fünf Kilometer hoch und rund 170 Kilometer breit sind die Strukturen auf Plutos Oberfläche, die von den Forschern der NASA als mögliche Eisvulkane interpretiert werden. Sie befinden sich südlich der hellen herzförmigen Region. In ihren Zentren gibt es kraterähnliche Einsenkungen mit je etwa 50 Kilometer Durchmesser, die nicht durch einen Einschlag entstanden. Es könnte sich daher um vulkanische Calderen, also Einsturzkrater handeln.

Abb. S. 21 oben:
Der rund 80 Kilometer große Krater Elliot wird von einem ausgeprägten Verwerfungssystem durchzogen, einem Grabenbruch mit dem Namen Virgil Fossa. Er ist jünger als der Einschlagkrater. Hier riss die Kruste durch Überdehnung aus dem Inneren von Pluto ein, wobei Teile von ihr absanken. Die Namen sind derzeit noch informell.

Abb. S. 21 unten:
Wie Brummkreisel umrunden die vier kleinen äußeren Monde von Pluto ihren Zentralkörper. Anstatt Pluto immer die gleiche Seite zuzuwenden, so wie der Erdmond der Erde, rotieren sie mit unterschiedlichen Rotationsperioden um ihre Achsen. Wahrscheinlich ist dafür das inhomogene gemeinsame Schwerefeld von Pluto und Charon verantwortlich. Die Abstände sind maßstabsgerecht dargestellt, Charon ist hierzu um den Faktor zehn vergrößert (x10). Die übrigen Größen der Objekte sind gemäß dem aufgeführten Faktor skaliert.

Abb. S. 22:
Die beiden Monde Kerberos und Hydra sind offenbar das Produkt der Verschmelzung von zwei kleineren Himmelskörpern, wie aus den Bildern der Raumsonde New Horizons hervorgeht. Die violetten Kreise markieren die jeweiligen Teilkörper. Bei Styx und Nix steht der Nachweis von Verschmelzungen noch aus.

Die Kleinmonde von Pluto in Bewegung:
http://goo.gl/0KnLNl


Der Artikel ist als PDF-Datei mit Abbildungen abrufbar unter:
http://www.spektrum.de/pdf/suw-2016-01-s20-pdf/1381133


© 2016 Tilmann Althaus, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg

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Quelle:
Sterne und Weltraum 1/16 - Januar 2016, Seite 20 - 22
URL: http://www.spektrum.de/pdf/suw-2016-01-s20-pdf/1381133
Zeitschrift für Astronomie
Herausgeber:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann (ZAH, Univ. Heidelberg),
Prof. Dr. Thomas Henning (MPI für Astronomie)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Januar 2016

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