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STERN/199: Mahlstrom oder Nabelschnur? (Sterne und Weltraum)


Sterne und Weltraum 2/12 - Februar 2012
Zeitschrift für Astronomie

Mahlstrom oder Nabelschnur?
Die verborgenen Fütterungsmechanismen junger Riesensterne

Von Jürgen Steinacker


Die massereichsten Sterne sorgen selbst für die Geheimhaltung ihrer Entstehung: Kurzlebig und eingehüllt in dichte Staubwolken, zerstören sie mit ihrem enormen Strahlungsdruck und ihren starken Winden noch während der Geburt die Spuren ihrer Vorgeschichte. Beobachter und Theoretiker setzen die größten verfügbaren Teleskope und Computer ein, um die Geburt der Riesensterne zu enträtseln.


In Kürze

• Der Kollaps interstellarer Wolken zu neuen Sternen führt vorübergehend zur Ausbildung von Scheiben aus Gas und Staub, aus denen die Sterne ihr Wachstum speisen.

• Bei sonnenähnlichen Sternen ist dieser Prozess gut untersucht und weitgehend verstanden. Er geht mit der Entstehung der Planeten einher.

• Die aktuelle Frage, ob sich auch die massereichsten und heißesten Sterne auf diese Weise bilden können, oder ob die Natur in diesem Grenzfall andere Wege geht, stellt für Beobachter und Theoretiker eine große Herausforderung dar.


Der Kollaps eines Molekülwolkenkerns unter der Last seines eigenen Gewichts führt zur Entstehung eines neuen Sterns in seiner Mitte. Dabei fällt die Materie aus der Umgebung nicht direkt auf das heranwachsende zentrale Objekt, vielmehr entsteht zunächst eine zirkumstellare Scheibe, in der das Gas auf spiralförmigen Bahnen auf das stetig wachsende zentrale Objekt zuströmen. Dieser bei Sternen geringer bis mittlerer Masse gut untersuchte und weitgehend verstandene Prozess ist die Folge eines grundlegenden physikalischen Prinzips - der »Drehimpulserhaltung«.

Das Wort klingt sehr theoretisch, aber es beschreibt einen universellen Effekt, den wir auch aus dem täglichen Leben gut kennen. Die Kugelbahn meines Sohnes bietet dafür ein gutes Beispiel. Den Einstieg an ihrem höchsten Punkt bildet ein flacher Trichter. Setzt man eine Kugel auf dessen äußeren Rand, so rollt sie direkt zum mittleren Loch und beginnt ihren Weg auf der angeschlossenen Rollbahn. Gibt man ihr aber einen seitlichen Schwung, so wird sie noch eine ganze Weile im Trichter herumkreisen, bevor sie das Loch erreicht.

Den Gasteilchen um einen sich bildenden Stern geht es ähnlich. Könnten sie allein der vom Zentralstern ausgehenden Schwerkraft folgen, so würden sie direkt auf ihn einstürzen. Sie besitzen aber einen zusätzlichen Schwung, den sie als Teil der langsam rotierenden Molekülwolke vor dem Einsetzen ihres Kollapses bereits hatten, und diesen Schwung können sie nicht ohne Weiteres loswerden. Dementsprechend folgen sie nicht einfach der Anziehungskraft des jungen Sterns, sondern laufen zunächst um ihn herum. Nur durch die Reibung mit benachbartem Gas oder durch die Wechselwirkung mit dem Magnetfeld, das die kollabierende Molekülwolke durchsetzt, können die um den Zentralstern rotierenden Teilchen ihren ursprünglichen »Drehimpuls«, wie man physikalisch korrekt sagt, Schritt für Schritt abgeben, während sie auf einer spiralförmigen Bahn nach innen fallen.

Materie, die sich nahe der Hauptrotationsachse der kollabierenden Gasverteilung aufhält, hat weniger Drehimpuls mitbekommen und fällt entsprechend leichter zum Zentrum. So flacht die Verteilung des Gas- und Staubgemisches um den jungen Stern schnell ab und es entsteht eine scheibenförmige Struktur. Sie steht für die enge Kopplung zwischen der Entstehung des Zentralsterns und seines Planetensystems - das Zauberwort, welches das Bindeglied zwischen beiden bezeichnet, heißt »zirkumstellare Scheibe«: In ihrem Inneren entstehen die Planeten des neuen Sterns. Wenn aus ihr Materie auf den Stern herabfällt, spricht man von einer Akkretionsscheibe (aus dem lateinischen accretio für »Anwachsen«), sonst von einer zirkumstellaren Scheibe. Möglicherweise bekommt der fertige Stern einen Bruchteil des in der zirkumstellaren Materie vorhandenen Drehimpulses noch mit und rotiert schließlich um dieselbe Achse wie die Scheibe und der ursprüngliche Molekülwolkenkern.


Flache Ursuppen

Zirkumstellare Akkretionsscheiben sind also der Ausdruck eines fundamentalen Prinzips. Das erkennen wir auch daran, dass die Astronomen ihnen zwar schon gleich bei der ersten Entdeckung von Planeten außerhalb unseres Sonnensystems begegneten, allerdings unter Umständen, die von denen der Geburt junger Sterne denkbar verschieden sind. Diese Entdeckung geschah gänzlich unerwartet, als im Jahr 1991 Aleksander Wolszczan von der Pennsylvania State University das Radiosignal des etwa 1000 Lichtjahre entfernten Pulsars PSR B1257+12 untersuchte.

Ein Pulsar ist ein kompakter Neutronenstern - er ist nur etwa 20 Kilometer groß, aber seine Masse entspricht ungefähr derjenigen unserer Sonne, und er besitzt ein starkes Magnetfeld, dessen Achse gegen die Achse seiner schnellen Rotation geneigt ist. Der Neutronenstern bleibt zurück, wenn ein Riesenstern mit einem Dutzend Sonnenmassen oder mehr nach dem Erschöpfen seines Brennstoffs kollabiert und in einer gewaltigen Supernovaexplosion vergeht. An Pulsare als mögliche Zentralsterne extrasolarer Planetensysteme hatten die Forscher bis zur Entdeckung von PSR B1257+12 gewiss nicht gedacht!

Der Pulsar PSR B1257+12 rotiert mit einer Periode von nur 6,2 Millisekunden. Die genaue Analyse seiner Pulse ergab, dass seine Umlaufperiode in charakteristischer, regelmäßiger Weise schwankt. Aus diesen Schwankungen ließ sich ableiten, dass PSR B1257+12 in seiner Äquatorebene von mindestens drei Planeten umrundet wird. Es ist kaum vorstellbar, dass es diese Planeten schon vor der Explosion des Zentralsterns als Supernova gab, und dass sie nach der Explosion - bei welcher der Stern einen Großteil seiner Masse verliert - auf stabilen Bahnen zurückblieben.

Wahrscheinlicher ist, dass die Planeten sich nach der Supernovaexplosion aus Materie gebildet haben, die vom neu entstandenen Pulsar eingefangen wurde, oder dass der Pulsar sie als fertige, anderswo bereits entstandene Planeten eingefangen hat. Aber der Umstand, dass die Planeten um PSR B1257+12 wie die Planeten in unserem Sonnensystem ihren Zentralstern nahezu in einer Ebene umkreisen, spricht deutlich für ihre gemeinsame Entstehung - eben in einer Akkretionsscheibe, die den neu entstandenen Pulsar umgab.

Für sonnenähnliche Sterne sind diese Scheiben in ihrer letzten Phase, wenn der Zentralstern schon fast alle seine Masse aufgesammelt hat, bereits sehr gut beobachtet. Das ist nicht verwunderlich, denn Sterne geringer Masse wie die Sonne sind häufig und entstehen deshalb auch in unserer kosmischen Nähe. Sie entwickeln sich relativ langsam und ruhig, und verweilen in diesem als »T-Tauri-Phase« bezeichneten Stadium der Akkretion bis zu zehn Millionen Jahre lang.

In dem dichten Scheibenmaterial findet sich alles, was zur Bildung eines Planeten dient - Staubteilchen, die dem ursprünglichen Molekülwolkengas bereits beigemischt waren und später die festen Bestandteile der Planeten bilden, wie auch das Gas für die großen jupiterähnlichen Gasplaneten. Oben sind drei typische Beispiele für junge Sterne zu sehen, denen über ihre Akkretionsscheibe vor unseren Augen Materie zugeführt wird. Die Sterne selbst sind verdeckt, da wir auf die Scheiben genau von der Kante blicken. Allerdings streuen die Staubteilchen in den weniger dichten, aber besonders hellen Bereichen ober- und unterhalb der Scheiben das Sternlicht zum Beobachter hin.

Auch wenn es in den Außenbereichen der beobachteten Scheiben sonnenähnlicher Sterne auf kleinen Skalen Inhomogenitäten im Gas gibt, weisen sie keine starken Strukturen oder Störungen auf. Die theoretisch berechneten Dichteverteilungen, die einen glatten, zur Achse und zur Äquatorebene der Scheiben hin dichter werdenden Mahlstrom annehmen, können die Eigenschaften der beobachteten Scheiben gut wiedergeben. Charakteristisch ist auch die in allen drei oben gezeigten Beispielen gut sichtbare, eng gebündelte und knotige Ausströmung von Gas senkrecht zur Scheibe, die auf viel größeren Skalen zu beobachten ist und häufig dort, wo sich das ausströmende Gas seinen Weg durch das interstellare Medium pflügt, in einer spektakulären Stoßfront endet. Diese »bipolaren Jets« entstehen vermutlich durch die Verdrillung von Magnetfeldlinien ober- und unterhalb der Scheibe infolge der differenziellen Rotation. (Die Gas- und Staubteilchen in der Scheibe rotieren um den Zentralstern, gemäß den keplerschen Gesetzen, innen schneller als außen.) In den so erzeugten Magnetfeldspiralen wird Gas durch die Zentrifugalkraft beschleunigt und entlang der Feldlinien in Richtung beider Pole mit hoher Geschwindigkeit weggeschleudert. Die Magnetfelder bündeln die turbulenten Strömungen, in denen die Gasatome durch Stöße miteinander ionisiert und zum Leuchten angeregt werden. Nach unserem aktuellen Kenntnisstand deutet ein solcher bipolarer Jet immer darauf hin, dass das zentrale Objekt von einer aktiven Akkretionsscheibe umgeben ist.

Zirkumstellare Scheiben sind der Ausdruck eines fundamentalen Prinzips - der Drehimpulserhaltung.

Viel diskutierten die Astronomen über den Abtransport des Drehimpulses. Damit das Gas in der Scheibe - dort, wo auch die Dichte am höchsten ist - auf Spiralbahnen zum Stern herabfallen und ihm damit weitere Masse zuführen kann, muss sein Drehimpuls nach außen abgeführt werden. Doch naheliegende Versuche, in den Simulationsrechnungen diesen Drehimpulstransport etwa durch die Reibung der Gasteilchen aneinander zu erklären, scheiterten zunächst.

So befand sich die Physik der Akkretionsscheiben für lange Zeit in einem »parametrisierten« Zustand: In den Modellrechnungen beschrieb man die Reibung oder »Viskosität« in der Scheibe mit einer Konstanten α, ohne dabei wirklich zu wissen, welche physikalischen Prozesse diese Größe bestimmen.

Inzwischen glauben die Forscher, dass ein schwaches Magnetfeld in der Scheibe eine hinreichend starke Kopplung zwischen den Gasteilchen und damit eine innere Reibung in der Scheibe erzeugen kann, falls es in dem Gas genügend viele geladene Teilchen gibt. Aus den inneren Bereichen der Scheibe kann zudem der schnelle Wind, der auch den Jet speist, einen kleinen, aber ausreichenden Anteil der Materie mit hoher Geschwindigkeit (und damit viel Drehimpuls) nach außen abtransportieren, so dass der größte Teil der Materie, von seinem Drehimpuls weit gehend befreit, langsam auf den entstehenden Stern absinken kann. Schließlich können auch konvektive Bewegungen des Scheibengases zusätzliche Reibung erzeugen oder sogar zu stabilen Wirbeln in der Scheibe führen.


Größer, massereicher, unklarer...

Funktioniert das Scheibenmodell der T-Tauri-Sterne auch für massereichere Objekte? Junge Sterne mit einigen Sonnenmassen sind viel seltener als masseärmere. Sie werden Herbig-AeBe-Sterne genannt und sind auch von scheibenförmigen Strukturen umgeben, in denen Akkretion stattfindet. Der amerikanische Astronom George Herbig hatte als erster diese jungen Sterne vom Spektraltyp A oder B von anderen Sternen abgegrenzt, das »e« in ihrem Namen verweist auf ihre Emissionslinien, die für Sterne mit dichten Hüllen und Scheiben (wie auch für T-Tauri-Sterne) typisch sind. Aber im Unterschied zu den T-Tauri-Sternen zeigt das Gas in den Scheiben und Hüllen der massereicheren AeBe-Sterne deutlich stärkere Variationen in der lokalen Dichte (Klumpung) und auch ihre Akkretionsrate ist zeitlich stark variabel.

Nehmen wir an, dass die noch massereicheren O-Sterne auf ähnliche Weise entstehen. Entsprechend größer und massereicher sollten ihre zirkumstellaren Scheiben sein, mit enormen Ausflüssen und mit weit ins interstellare Medium hinaus strömenden bipolaren Jets. Allerdings erwarten wir nicht, dass viele solcher Objekte zu beobachten sind, denn O-Sterne sind noch viel seltener als die AeBe-Sterne, und die Dauer ihrer Akkretionsphase ist viel kürzer als die der T-Tauri-Sterne. Aufgrund der starken Klumpung des Gases in der turbulenten Umgebung dieser gewaltigen Energiespender können die assoziierten Strukturen auch stark gestört sein.


Der bipolare Nebel S 106

In den 1980er Jahren galt der mit IRS4 bezeichnete Zentralstern des bipolaren Nebels Sharpless 106 (kurz: S) als heißer Kandidat für einen in der Akkretionsphase befindlichen O-Stern. Der Emissionsnebel steht im Zentrum einer dichten kompakten Dunkelwolke, die von einem etwa in Richtung seiner Polachse verlaufenden Magnetfeld durchsetzt ist. Ein Blick auf die hier oben gezeigte Infrarotaufnahme lässt die wichtigsten Elemente innerhalb des etwa ein Lichtjahr großen Bildes erkennen. Ein dunkler, nahezu horizontal verlaufender Streifen verhüllt den Zentralstern und teilt den Nebel in zwei hell leuchtende Lobes (englisch für »Lappen«) auf. Senkrecht zu diesem Streifen strömt ionisiertes Gas in Polrichtung fort - im südlichen Lobe auf uns zu und aus der Dunkelwolke heraus, im nördlichen Lobe von uns fort und in die Dunkelwolke hinein: Die unterschiedliche Dichte des kalten molekularen Gases in der Umgebung beider Lobes verursacht deren unterschiedliche Morphologie. Ober- und unterhalb des dunklen Streifens lässt helles, an weniger dichtem Staub gestreutes Licht die Position des Zentralsterns erahnen: Erst weiter im Infraroten ist er genauer lokalisierbar, denn im Visuellen, wo seine Extinktion durch vorgelagerten Staub rund 20 Größenklassen beträgt, ist vom Zentralstern selbst keine Spur zu sehen. Nach Norden und nach Süden hin fällt die Extinktion durch den vorgelagerten Staub in der Dunkelwolke ab. Das Spektrum des ionisierten Gases zeigt, dass der anregende Stern ein später O-Stern ist. Die Entfernung von S 106 ist nach wie vor unsicher, Die ermittelten Werte liegen zwischen 1800 und 6000 Lichtjahren.

Die eigentliche, den Stern verdunkelnde »Scheibe« wurde erst 1996 mit dem Radiointerferometer MERLIN in Cheshire (England) entdeckt und mit einer Auflösung von 30 Millibogensekunden kartiert. Mit einem Durchmesser von etwa einer Bogensekunde, entsprechend 600 bis 2000 Astronomischen Einheiten, ist sie viel kleiner als das ausgedehnte, im Sichtbaren so prominente dunkle Band. (Eine Astronomische Einheit [AE] entspricht dem Abstand Erde-Sonne von 150 Millionen Kilometern.) Das dunkle Band entsteht dadurch, dass die als Scheibe im Radiobereich kartierte Materie auf das weiter außen befindliche Gemisch aus Gas und Staub ihren Schatten wirft, sodass dort das Gas nicht ionisiert und zum eigenen Leuchten angeregt wird.

Inzwischen ist auch klar geworden, dass S 106-IRS 4 nicht als Einzelstern in seiner Dunkelwolke entstanden ist: Auf tiefen Aufnahmen wie der hier gezeigten sind rund 600 weitere, massearme junge Sterne zu erkennen, die in dieselbe Dunkelwolke eingebettet sind - offenbar ist S 106-IRS 4 der massereichste Stern eines ganzen, gleichzeitig mit ihm entstandenen Sternhaufens. Das Alter von S 106-IRS 4 lässt sich nicht ohne weiteres abschätzen, aber seit der Bildung seines ersten stabilen, noch nicht durch die Fusion von Wasserstoff gespeisten Kerns mögen etwa 100.000 Jahre vergangen sein. Höchstwahrscheinlich wird dieser mächtige Nachzügler die Dunkelwolke vollständig auflösen und damit weitere Sternentstehung unterbinden.

Das leuchtende ionisierte Gas in den beiden Lobes des bipolaren Nebels strömt mit etwa 100 bis 200 Kilometer pro Sekunde von S 106-IRS 4 in Richtung der Pole ab, aber es ist nicht klar, woher die flache äquatoriale »Scheibe« stammt, die im Radiobereich in unmittelbarer Umgebung des Zentralstern beobachtet wurde. Entweder ist sie ein Überbleibsel und Ausläufer einer sehr kompakten, nicht direkt beobachtbaren Akkretionsscheibe, oder der kräftige Sternwind hat aus einer urprünglich eher ellipsoidalen Wolke große, weniger dichte Teile entfernt und wir erblicken hier die noch nicht abgetragenen Gasreste, die aber nie Teil einer Akkretionsscheibe gewesen sind.

Scheibenartig um den akkretierenden O-Stern verteilte Materie ist langlebiger als sphärisch angeordnete.

Aus theoretischer Sicht gab es schon früh Hinweise, dass auch für die Bildung massereicher Sterne die Akkretion durch abgeflachte, scheibenartige Strukturen notwendig sein mag. Der Astrophysiker F. D. Kahn von der Universität Manchester zeigte 1974 durch seine Rechnungen, dass die Strahlung eines massereichen Sterns aufgrund des Drucks, den sie auf die im umgebenden Gas schwebenden Staubteilchen ausübt, eine kugelsymmetrische Akkretion auf den Stern komplett stoppen kann - damit würde der Stern selbst sein eigenes weiteres Wachstum unterbinden.

Eine zirkumstellare Scheibe würde dem Druck, den der Zentralstern ausübt, auch bei höherer Dichte der anströmenden Sternwinde, eine weit geringere Angriffsfläche bieten. Auch die durch das in Richtung beider Pole ausströmende Gas freigefegten Bereiche ober- und unterhalb der Scheibe können helfen, Strahlung abzuführen und so den Strahlungsdruck nahe der Äquatorebene zu vermindern.


Wie entstehen massereiche Sterne?

Versuchen wir nun, die Entstehung zu massereicher Sterne mit Hilfe eines numerischen Entwicklungsmodells beschreiben. Dabei gehen wir von folgender Situation aus: Die Natur stellt uns freundlicherweise ein dichtes Gebiet mit, sagen wir, 2000 Sonnenmassen molekularen Wasserstoffs zur Verfügung und verdichtet dieses Gebiet durch großskalige Strömungen weiter. Das Gas ist dabei nicht homogen verteilt, sondern zeigt filamentartige Dichteschwankungen und lokale Dichtemaxima. Diesen Anfangszustand überlassen wir nun in unserer Simulationsrechnung den uns bekannten Kräften der Natur. Was wird passieren, und was werden wir beobachten?

Die Schwierigkeiten im Verständnis treten schon bald zutage. In der Umgebung verschiedener Dichtemaxima beginnen die Gasmassen gleichzeitig zu kollabieren, weil lokal die Schwerkraft dafür nun hinreichend stark ist. Weil in den Entstehungsgebieten massereicher Sterne so große Gasmassen vorhanden sind, ist die Bildung einzelner Sterne sehr unwahrscheinlich. Vielmehr entstehen sie nahezu alle in Gruppen und beeinflussen sich dabei gegenseitig. Dadurch wird die Modellierung nicht gerade vereinfacht.

Deshalb haben Theoretiker neben einer hochskalierten Version des Modells für massearme Einzelsterne ein Modell der »konkurrierenden Akkretion« entwickelt. In dem in unserem Rechner bereitgestellten Sternentstehungsgebiet läuft dabei Folgendes ab: Zwei benachbarte Kollapsgebiete entnehmen beide Gas aus einem dichten, zwischen ihnen verlaufenden Filament. Wieviel dabei von jedem von ihnen aufgenommen wird, hängt auch von der Entwicklung des anderen Gebiets ab. Da der Drehimpuls des einströmenden Gases nicht schnell genug abgeführt werden kann, bildet das Gas scheibenartige Strukturen um die jeweiligen Verdichtungen, die sich durch das Gebiet bewegen und so den Einzugsbereich des Gases verändern.

Mark Krumholz von der Universität Princeton (USA) und Kollegen haben 2007 auf einem Großrechner eine solche Simulation Monate lang laufen lassen, um die Entwicklung einer großen, sich verdichtenden Gaswolke zu verfolgen (siehe Bild oben). In der Simulation entwickelt sich eine komplexe Dichtestruktur mit mehreren Protosternen, die aus ihrer Umgebung Materie aufsammeln und sich dabei durch die Gaswolke bewegen. Dabei entstehen zwar lokal um die Protosterne flache scheibenartige Verteilungen von der Größenordnung 1000 AE. Aber diese Scheiben sind stark asymmetrisch, und durch filamentartige Verbindungen zum umgebenden Medium fließt ihnen weitere Materie zu. Es handelt sich also nicht um einen stetigen Zufluss aus allen Richtungen in Form eines Mahlstroms, sondern um Filamente als Anzeichen lokaler gravitativer Instabilitäten. Doch beschreiben diese Simulationen die Physik der Entstehung massereicher Sterne korrekt?


Staubkühlung und ihre numerischen Tücken

Der junge Wissenschaftszweig Computational Astrophysics, der sich mit der Lösung komplexer astrophysikalischer Probleme mit Hilfe numerischer Methoden beschäftigt, stößt hier an seine derzeitigen Grenzen. Das von Mark Krumholz und seinen Kollegen verwendete, ursprünglich vom amerikanischen Militär entworfene Programm ist in der Lage, die Entwicklung des Gases zu verfolgen. Es verfeinert dabei seine Auflösung in den wichtigsten Gebieten und berechnet pro Zeitschritt die Dichte und Geschwindigkeit des Gases in Millionen einzelner Zellen. Beginnt nun ein Filament unter der eigenen Schwerkraft zu kollabieren, so stemmt sich der innere thermische Druck dem einsetzenden Kollaps entgegen. Kann das Gas seine thermische Energie durch Strahlung abgeben, so schreitet der Kollaps ungebremst fort.

Diese Kühlung durch Abstrahlung von Energie korrekt zu berechnen, ist derzeit nicht möglich. Sie geschieht über die im Gas schwebenden Staubteilchen, und man müsste das Strahlungsfeld in den Millionen von Gaszellen für alle Richtungen und bei allen Energien berechnen, wobei viele dieser Größen miteinander gekoppelt sind. Inzwischen sind Krumholz und seine Kollegen dabei, verbesserte Näherungsmethoden in das Programm einzubauen, um die Kühlung realistischer zu berechnen. Allerdings ist noch nicht klar, inwieweit die Scheiben im Inneren massereicher Sternentstehungsgebiete in Spiralen und Filamente aufbrechen.


Scheiben um O-Sterne

Aber werfen wir doch einen Blick über die Schulter der beobachtenden Astronomen, die mit den derzeit verfügbaren Teleskopen versuchen, massereiche Scheibenkandidaten ausfindig zu machen, um deren Eigenschaften zu bestimmen. Welche Kandidaten für Scheiben um massereiche Sterne konnten bisher gefunden werden?

Die Masse einer Akkretionsscheibe lässt sich nur dann zuverlässig abschätzen, wenn das Licht von allen ihren Teilen unseren Detektor erreichen kann. Damit ist eine Massenbestimmung allein im nahen und mittleren Infrarot nicht möglich, weil die vielen Staubteilchen im vorderen Teil der Scheibe das von den hinteren Teilen emittierte Licht absorbieren. Die Astronomen sagen: Bei diesen Wellenlängen ist die Scheibe »optisch dick«.

Im langwelligen, fernen Infrarot oder im Millimeterwellenbereich fällt diese Absorption weg: Die von allen ihren Teilen emittierte Strahlung kann die Scheibe verlassen und den Detektor erreichen - für diese Strahlung ist die Scheibe »optisch dünn«, sie eignet sich hervorragend zur Ermittlung der Scheibenmasse. Allerdings ist nun die räumliche Auflösung der Bilder viel schlechter, denn die Auflösung ist umgekehrt proportional zur Wellenlänge, sodass die Bilder der Scheibenkandidaten im fernen Infrarot typischerweise nur einige zehn Bildelemente (Pixel) enthalten.

Auch aus den Emissionslinien der in den Scheiben enthaltenen Moleküle, zum Beispiel Kohlenmonoxid (CO), lässt sich die Scheibenmasse ableiten, allerdings ist die Interpretation dieser Daten umstritten. Darüber hinaus liefern die Emissionslinien auch Informationen über den Bewegungszustand des Gases. Die Emissionslinien einer Akkretionsscheibe besitzen ein charakteristisches Linienprofil, und diese Signatur verrät unter anderem, ob das Gas in der Scheibe gravitativ durch den Zentralstern gebunden ist; in diesem Fall lässt sich dessen Masse ableiten. Doch handelt es sich überhaupt um ein einziges Zentralobjekt? Oder sind es mehrere, eng beieinander stehende Sterne? Diese Frage lässt sich nicht leicht durch Beobachtungen beantworten, insbesondere dann nicht, wenn Teile des umliegenden Materials die direkte Sicht auf das zentrale Gebiet versperren.

Im Jahr 2004 entdeckte Rolf Chini von der Universität Bochum zusammen mit Kollegen aus Innsbruck und Santiago de Chile im Omeganebel (M 17) eine mit M 17 SO-1 bezeichnete Struktur, die sich als riesige zirkumstellare Scheibe deuten ließ. Ihre Position ist im großen Bild auf S. 31 markiert. Das untenstehende Falschfarbenbild zeigt sie in einer Aufnahme im nahen Infrarot. Hier ist die scharf definierte, dunkle Silhouette einer von der Kante betrachteten, sich nach außen stark aufweitenden Scheibe zu sehen, in deren Zentrum der eingebettete Stern leuchtet. Man erkennt die gesamte Scheibe nicht nur, weil sie durch das Zentralobjekt beleuchtet wird, sondern vor allem, weil sie sich gegen den hellen (grün kodierten) Hintergrund abhebt.

Die Scheibe liegt im vorderen Bereich der Wolke, so dass ihr Licht auf dem Weg zu uns nicht allzu stark absorbiert wird. Daher ließ sich in diesem Fall die Dichteverteilung um den Zentralstern mit der hohen räumlichen Auflösung der Acht-Meter-Teleskope des VLT und adaptiver Optik im nahen Infrarot ableiten: Bei dieser Wellenlänge und der Entfernung von M 17 SO-1 wird auf einem Pixel ein Bereich kleiner als 100 Astronomische Einheiten abgebildet, während die gesamte Scheibe einen 100-mal größeren Durchmesser hat.

Das Forscherteam fand Hinweise darauf, dass die Masse des Zentralobjekts etwa 20 Sonnenmassen beträgt und die Scheibe einschließlich ihrer Außenbereiche mehr als 100 Sonnenmassen Gas enthält. Zudem schließt die durch das Objekt abgeblockte rückwärtige Beleuchtung aus, dass wir hier - wie im Fall von S 106-IRS4 - nur den Schatten einer viel kleineren, den Zentralstern abdeckenden Struktur beobachten.

Allerdings bestimmten ein Jahr später S. Sako von der Universität Tokyo und Kollegen aus Beobachtungen am 8,2-Meter-Teleskop Subaru auf Hawaii und am Nobeyama-Radioteleskop in Japan für die Masse von Stern und Scheibe neue, deutlich kleinere Werte: Demnach handelt es sich um einen B-Stern, dessen Masse zwischen 2,8 und 8 Sonnenmassen liegt. Und es gibt eindeutige Anzeichen für einen bipolaren Jet, der die Scheibe entlang ihrer Achse verlässt - wie gesagt, ein starker Hinweis auf noch andauernde Akkretion.

Um die Masse der Scheibe zu ermitteln, habe ich zusammen mit Rolf Chinis Team die vorliegenden Daten einer aufwendigen Strahlungstransportanalyse unterzogen. Das Bild links oben illustriert diese Modellrechnung: Die linke Spalte zeigt die angenommene Dichteverteilung in der Scheibe jeweils unter verschiedenen Blickwinkeln, und rechts ist das resultierende Bild bei 1,6 Mikrometer Wellenlänge zu sehen. Die Schwierigkeit dieser Rechnungen lag nicht nur in der Berechnung der Streulichtbilder für verschiedene Dichteverteilungen, sondern auch in der Auswahl jener Verteilungen, die unter den vielen möglichen die Daten am besten wiedergeben.

Unsere Analyse belegt, dass sich das beobachtete Bild erstaunlich gut durch eine um etwa zehn Grad gegen unsere Blickrichtung geneigte Akkretionsscheibe wiedergeben lässt, deren Masse einige Sonnenmassen beträgt. Wir konnten außerdem zeigen, dass massereiche Scheiben durchaus stabil sein können, wenn sie sich, wie es bei M17 SO-1 der Fall ist, nach außen hin stark aufweiten. Im Jahr 2008 konnten wir anhand neuer Daten bestätigen, dass die Masse des zentralen, noch im Wachsen begriffenen Objekts in M17 SO-1 bis zu acht Sonnenmassen betragen kann.

Inzwischen sind weitere Kandidaten für junge massereiche Objekte mit zirkumstellaren Scheiben entdeckt worden. Viele zeigen im Millimeterwellenbereich eher eine toroidale oder ringförmige Struktur, während die zentralen Gebiete bei kürzeren Wellenlängen keine Strahlung zu uns durchlassen. Bei diesen ausgedehnten Gasringen bleibt zu klären, ob sich das Material noch am Akkretionsprozess beteiligen wird, oder ob es den nicht mehr akkretierten Rest des kollabierten Molekülwolkenkerns darstellt, der sich im Laufe der Entwicklung abgeflacht hat.


Die heiße Blase

Die Strahlung der massereichen jungen Sterne ionisiert die Wasserstoffmoleküle in dem umgebenden kalten Material bereits während der Kollapsphase, wenn die Zentralgebiete noch allein durch den Fall im Schwerefeld aufgeheizt werden. Es entsteht somit ein im Lauf der Sternentwicklung schnell expandierendes Gebiet - eine heiße Blase geringer Gasdichte, die ab einer gewissen Größe als kompakte HII-Region zu beobachten ist. Mit fortschreitender Beobachtungstechnik wurden solche Objekte in immer früheren Entwicklungsstadien entdeckt und untersucht - man nannte sie bei Ausdehnungen unter 20.000 Astronomischen Einheiten ultrakompakt, und bezeichnete schließlich die allerjüngsten, mit einer Größe unter 10.000 Astronomischen Einheiten, auch hyperkompakt. Falls sich massereiche Sterne durch Akkretionsscheiben bilden, so wäre zu hoffen, dass sich in solchen extrem jungen Objekten noch Überreste der Scheibe erkennen lassen.

Beim Durchsehen ihrer am Very Large Telescope der ESO gewonnenen Aufnahmen fiel Markus Nielbock und seinen Kollegen die HII-Region M17-UC1 auf. Sie war bereits 1980 als ultrakompakt mit Tropfenform klassifiziert worden. Die neuen, hoch auflösenden Daten zeigten sie kleiner (daher hyperkompakt) und als hellen Fleck mit einem dunklen Band vor der verhüllten Quelle der ionisierenden Strahlung. Deren Stärke lässt vermuten, dass der massereiche Stern im Innern von der Spektralklasse B0 ist. Das nebenstehende Bild zeigt links eine Aufnahme des Objekts und daneben die Ergebnisse unserer Modellrechnungen. Die beste Übereinstimmung erhalten wir, wenn wir die Existenz einer zirkumstellaren Scheibe annehmen, während ein vor dem Stern liegendes Filament die Beobachtung deutlich schlechter wiedergibt.


Warme Scheibenreste

Wie sieht die Endphase des Sternentstehungsprozesses aus, bevor die massereichsten Sterne frei und leuchtstark im Raum stehen wie die Zentralsterne im Omeganebel M 17? Da das Material des kollabierenden Molekülwolkenkerns in der Akkretionsscheibe komprimiert ist, während der von der Scheibe ausgehende Teilchenstrom und der Strahlungsdruck des Zentralsterns zunächst die Bereiche oberhalb der Scheibe von Gas und Staub befreit haben, sind die Gasmassen der äußeren Scheibenbereiche wahrscheinlich die letzten Strukturen in der Nähe des Sterns, die vor ihrer vollständigen Auflösung noch zu beobachten sind.

Bei der Quelle M17-IRS15 glauben wir einen solchen kurzlebigen großen Scheibenüberrest gefunden zu haben, der einen massereichen Stern umgibt. Den von Rolf Chini und seinem Team in Bochum, München und Chile gesammelten Daten zufolge weist das Spektrum dieses Objekts auf einen B0-Stern mit 26 Sonnenmassen hin. Interessant ist das bei zehn Mikrometern Wellenlänge aufgenommene und hier oben in Falschfarben wiedergegebene Bild. In einem 0,2 mal 0,3 Lichtjahre großen Gebiet um den Stern leuchtet warmer, vom Stern angestrahlter Staub, wobei der Strahlungsfluss annähernd elliptisch verteilt ist. Die Strahlung dieses Objekts habe ich sowohl mit ellipsoidalen Staubwolken als auch mit Scheibenverteilungen modelliert. Tatsächlich ließen sich die Aufnahmen am besten mit der Annahme einer flachen Staubscheibe wiedergeben - allerdings ergab sich eine gute Übereinstimmung nur mit der Annahme, dass in der Staubverteilung um den Stern herum ein 2500 Astronomische Einheiten großes Loch besteht. Ein solches Loch entspricht aber genau der Erwartung: Am Ende des Akkretionsprozesses fällt der innerste Teil der Scheibe noch in den Stern. Danach beginnen Strahlung und Sternwind ihr zerstörerisches Werk. Die inneren Bereiche der Restscheibe werden dabei zuerst abgetragen. Dennoch ist der zentrale Teil auf der Zehn-Mikrometer-Aufnahme am hellsten, weil der sternnahe Staub stärker aufgeheizt wird und daher mit Abstand am hellsten leuchtet. Die Scheibe sollte keine Spiralstrukturen mehr aufweisen, da sie nur noch wenig Masse besitzt und daher gravitativ stabil ist.

Es bleibt die Frage, ob in solch einer dünnen Scheibe Planeten entstehen oder entstandene Planeten verborgen sein können. Immerhin ist M17-IRS15 ein Einzelstern, und darum ist die Scheibe keinen starken Gezeitenkräften, wie in einem Mehrfachsystem, ausgesetzt. Planeten auf Umlaufbahnen ähnlich denen der solaren Planeten wären auf einer Aufnahme wie der oben gezeigten räumlich jedoch nicht vom Stern zu trennen, da die Scheibe 12.000 bis 17.000 astronomische Einheiten groß ist. Die große Entfernung der massereichen Sterne verhindert derzeit die Beantwortung dieser wie vieler anderer Fragen zu ihrer Entstehung.

Mahlstrom oder Nabelschnur? Die im Titel dieses Beitrags gestellte Frage bedeutet: Wachsen neugeborene O-Sterne indem ihnen die zirkumstellare Materie, wie allen anderen Sternen auch, aus einer Akkretionsscheibe (dem Mahlstrom) zufließt? Oder wird sie ihnen in filamentartigen Strömungen wie durch Nabelschnüre aus der Umgebung zugeführt? Diese beiden Alternativen stehen gegenwärtig zur Diskussion.

Eine Aufdeckung der Fütterungsmechanismen junger massereicher Sterne erhoffen sich die Astrophysiker durch den baldigen Einsatz der derzeit im Testbetrieb arbeitenden Interferometeranlage ALMA (Atacama Large Millimeter Array). Mark Krumholz und Kollegen haben bereits ausgerechnet, dass das im Endausbau aus 66 Einzelantennen mit je zwölf Metern Durchmesser bestehende Interferometer für Millimeter- und Submillimeterwellen auch kleine zirkumstellare Scheiben in massereichen Molekülwolkenkernen wird nachweisen können.


Glossar

Akkretionsscheiben aus Gas und Staub umgeben junge, noch im Wachstum begriffene Sterne. Sie entstehen, wenn rotierende Wolken interstellarer Materie unter der Last des eigenen Gewichts in sich zusammenstürzen und in ihrem Zentrum neue Sterne bilden. Die Rotation der Wolken hat ihren Ursprung in der Rotation der gesamten galaktischen Scheibe.

Bipolare Jets sind schnelle, eng gebündelte Gasströme, die aus aktiven Akkretionsscheiben in Richtung ihrer beiden Pole abströmen.

Bipolare Nebel bestehen aus dem dünnen Staub und Gas, das zu beiden Seiten dicker zirkumstellarer Scheiben liegt. Sie werden vom Zentralstern beleuchtet und gegebenenfalls zum eigenen Strahlen angeregt.

HII-Regionen (sprich: »H-Zwei-Regionen«) sind Gasnebel, die durch die Strahlung heißer O-Sterne ionisiert und damit zur Emission eigenen Lichts angeregt werden. Der bipolare Nebel S 106 ist eine HII-Region.

O-Sterne sind die massereichsten Sterne. Infolge ihrer großen Masse sind sie auch die leuchtkräftigsten und heißesten, und sie haben die geringste Lebenserwartung. Ihre schnellen Winde und ihre energiereiche Strahlung fegen innerhalb weniger zehntausend Jahre das Gas und den Staub aus ihrer Umgebung hinweg und verwischen die Spuren ihrer Geburt.

Pulsare sind nur etwa 20 Kilometer große, sekundenschnell rotierende Neutronensterne. Die Polachse ihres Magnetfelds ist gegen ihre Rotationsachse gekippt. Infolgedessen emittieren sie in Richtung beider magnetischer Pole einen schnell umlaufenden, eng gebündelten Strahlungskegel. Trifft dieser Kegel die Erde, so können wir die charakteristischen »Pulse« beobachten.

T-Tauri-Sterne sind sonnenähnliche Sterne in ihrer Akkretionsphase. Diese Phase dauert einige Millionen Jahre an und verläuft viel ruhiger als bei den O-Sternen. Sie kommen relativ häufig vor und ihre Akkretionsscheiben und bipolaren Jets lassen sich im Detail untersuchen.


Jürgen Steinacker promovierte in Bonn und war am Raumflugzentrum der NASA in Maryland tätig. Seit 2003 forscht er am MPI für Astronomie in Heidelberg. Ab 2012 wird er in Grenoble als Chaire d'Excellence für zwei Jahre eine Forschergruppe zum Staub in Dunkelwolken leiten.


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Literaturhinweise

Bastian, U.: Die ersten Planeten außerhalb des Sonnensystems. In: Sterne und Weltraum 11/1994, S. 774.782

Hodapp, K. W., Schneider, N.: S106. In: Handbook of Star Formation Regions, Vol.1, PASP 2008, S. 90-107

Klahr, H., Henning, T.: Aufregende neue Planetenwelten. In: Sterne und Weltraum 6/2009, S. 32-43

Menten, K. M., Wyrowski, F.: Blick ins staubige Universum. In: Sterne und Weltraum 5/2009, S. 28-37

Steinacker, J.: Leuchtende Dunkelwolken. In: Sterne und Weltraum 9/2011, S. 44-51


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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 31:
Dieser Blick in den zentralen Bereich des etwa 7000 Lichtjahre entfernten Omega nebels Mzeigt die anregenden O-Sterne in ihrem komplexen, turbulenten Umfeld. Markiert ist ein eingebetteter Protostern, der im Zentrum einer großen scheibenartigen Struktur steht. (Siehe auch das Bild auf S. 37).

Abb. S. 33:
Massearme Akkretionsscheiben
Drei Beispiele für die klassische Konfiguration massearmer Akkretionsscheiben: Der Stern, von dem der bipolare Jet HH 30 ausgeht, ist von einer Gasscheibe umgeben, aus der er gegenwärtig noch Materie aufsammelt, seine Position ist durch ein Kreuz markiert. Da wir die Scheibe recht genau von der Seite sehen, ist er durch den Staub im Gas verhüllt und man erkennt nur das grünliche Streulicht und den bipolaren Jet auf beiden Seiten der Scheibe.
Bei HH 34 und HH 47 ist die Situation nicht ganz so symmetrisch, folglich ist jeweils nur der auf uns zukommende Jet zu sehen. Die bipolaren Jets sind dann gut sichtbar, wenn sie aus der dichten Molekülwolke austreten, und lassen sich über große Entfernungen verfolgen; in jedem Bild entspricht der angegebene Maßstab jeweils 1000 Astronomischen Einheiten oder etwa fünf Lichttagen.

Abb. S. 34:
Ein Klassiker unter den Kandidaten massereicher Sterne mit den möglichen Resten einer Akkretionsscheibe ist der Zentralstern IRS 4 des bipolaren Nebels S 106. Der Stern selbst ist nicht sichtbar, aber ionisiertes Gas und Streulicht leuchten in seiner unmittelbaren, turbulenten Umgebung. Die bipolare Struktur weiter außen wurde durch das schnelle polwärts ausströmende Gas geprägt und gibt dem Nebel die Form eines Stundenglases. Das Bild ist ein Komposit aus Aufnahmen im nahen Infrarot (J, H, K).

Abb. S. 36:
Falschfarbendarstellung der projizierten Dichteverteilung in einer simulierten, kollabierenden 100-Sonnenmassen-Gaswolke. Die oberen (unteren) vier Bilder zeigen den Stand der Entwicklung 17.400 (20.000) Jahre nach Beginn des Kollapses. Von links nach rechts verkleinert sich der betrachtete Bereich um den zentralen Stern bei jedem Schritt um einen Faktor 4 von einem Lichtjahr bis auf 33 Lichtstunden. Die entstehenden Sterne sind durch rote Kreuze markiert.

Abb. S. 37:
Dieses Falschfarbenbild zeigt das »Silhouettenobjekt« M 17 SO-1, aufgenommen mit adaptiver Optik bei 1,6 Mikrometer Wellenlänge am Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte ESO. Auf die dunkle, scharf definierte und zum Rand hin aufgeweitete Scheibe blicken wir von der Kante, im Zentrum leuchtet der eingebettete Stern, zu beiden Seiten sein diffuses Streulicht (orange) und der helle Hintergrund (grün). Die Konturen zeigen Linien emission molekularen Wasserstoffs an, die für Materieausflüsse typisch ist.

Abb. S. 38 oben:
Zur Modellierung der massereichen Scheibe M17 SO-1 wurde die angenommene Dichteverteilung und ihre Lage im Raum variiert, bis das entsprechende bei 1,6 Mikrometer Wellenlänge berechnete Bild der am Very Large Telescope erhaltenen Aufnahme entsprach. Die linke Spalte zeigt die angenommene Dichteverteilung der Scheibe mit unterschiedlicher Neigung zum Sehstrahl (der Neigungswinkel ist angegeben), und rechts daneben die berechneten Bilder.

Abb. S. 38 unten:
Modelle auf dem Prüfstand: links das bei 2,2 Mikrometer Wellenlänge aufgenommene Bild der hyperkompakten ionisierten Region M17-UC1, daneben synthetische Bilder, wie sie die Streulichtmodellierung mit einer geneigten Scheibe (Mitte) oder mit einem vor dem Stern liegenden, länglichen Gasfilament erzeugen (rechts). Dabei kommt das Scheibenmodel der Wirklichkeit näher.

Abb. S. 39:
Warmer Staub um den jungen Stern M17-IRS15 mit 26-facher Sonnenmasse. Das Falschfarbenbild links wurde im mittleren Infrarot bei zehn Mikrometer Wellenlänge aufgenommen. Rechts die modellierte Emission einer Restscheibe um den Stern, bei einer Scheibengröße von 0,3 mal 0,2 Lichtjahren. Die Pfeile geben die Richtung zu den hellen O-Sternen im Zentrum von Man, deren Strahlung den Staub zusätzlich aufheizt, aber in der Modellrechnung nicht berücksichtigt wurde.


© 2012 Jürgen Steinacker, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg


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Quelle:
Sterne und Weltraum 2/12 - Februar 2012, Seite 30 - 39
Zeitschrift für Astronomie
Herausgeber:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann (ZAH, Univ. Heidelberg),
Prof. Dr. Thomas Henning (MPI für Astronomie),
Dr. Jakob Staude
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Februar 2012