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STERN/259: Ein Magnetar nahe des galaktischen Zentrums (Sterne und Weltraum)


Sterne und Weltraum 8/13 - August 2013
Zeitschrift für Astronomie

Ein Magnetar nahe des galaktischen Zentrums

Von Benjamin Knispel



Astronomen überwachen das extrem massereiche Schwarze Loch im Zentrum unserer Galaxis derzeit besonders intensiv. Sie wollen das erwartete Verschwinden einer Gaswolke im Schlund des Schwerkraftgiganten genau dokumentieren. Die engmaschige Überwachung führte nun zu einer kosmischen Detektivgeschichte um die zufällige Entdeckung eines hochmagnetisierten Neutronensterns in der Nähe.


Seit Astronomen Ende 2011 eine gewaltige Gaswolke auf direktem Kurs zum Schwarzen Loch im galaktischen Zentrum entdeckten, war klar, dass 2013 ein aufregendes Jahr werden würde. Die engste Passage der auf den Namen »G2« getauften Wolke am extrem massereichen Schwarzen Loch in einem Abstand von nur 2200 Schwarzschildradien, wird gegen Ende dieses Jahres erwartet. Diese Distanz entspricht rund 180 Astronomische Einheiten (AE; eine AE ist der Abstand zwischen Erde und Sonne). Die Gezeitenkräfte sollten die Gaswolke dabei in eine Kette einzelner Bruchstücke zerlegen, die in der Folge im Schwarzen Loch verschwinden könnten. Bei dem finalen Absturz in den Schwerkraftgiganten würden sie jedoch noch einmal kräftig im Röntgenlicht aufleuchten und den Forschern so einen sehr genauen Blick auf den Aufbau des galaktischen Zentrums ermöglichen.

Daher überwachen Wissenschaftler seit Februar 2013 regelmäßig die Umgebung des Schwarzen Lochs in der aktiven Region Sagittarius A* (kurz: Sgr A*) mit dem Weltraumteleskop Swift, das im Röntgenbereich nach dem Aufleuchten der vergehenden Gaswolke Ausschau hält. Als Swift am 24. April 2013 einen plötzlichen Anstieg der Röntgenstrahlung von Sgr A* um rund einen Faktor zehn registrierte, glaubten die Astronomen daher zuerst an einen Zusammenhang mit der Gaswolke, auch wenn der Zeitpunkt unerwartet früh war. Sie veröffentlichten ihre Beobachtungen online in einem Astronomer's Telegram (ATel), und zahlreiche sollten folgen. Denn Beobachtungen mit weiteren Teleskopen würden in den nächsten Wochen zeigen, dass ein anderes Phänomen hinter dem Aufleuchten im galaktischen Zentrum steckt.

Der erste Hinweis darauf kam am 25. April von Swift selbst, als es einen nur 30 Millisekunden dauernden Ausbruch harter Röntgenstrahlung von derselben Himmelsposition wie zuvor aufspürte. Dieser Ausbruch schien in seinen Eigenschaften mit denen so genannter Soft Gamma Repeater übereinzustimmen. Dabei handelt es sich vermutlich um Neutronensterne mit extrem intensiven Magnetfeldern, so genannte Magnetare, die in unregelmäßigen Abständen starke Ausbrüche im Übergangsbereich zwischen kurzwelliger Röntgen- und langwelliger - weicher - Gammastrahlung erzeugen. Astronomen vermuten einen Zusammenhang mit den Magnetfeldern des Neutronensterns. Wird der Unterschied zwischen dem inneren Feld im Pulsar und seinem äußeren Feld zu groß, gleichen sie sich an. Dies führt zum teilweisen Zusammenbruch des äußeren Felds. Ähnlich wie bei Röntgenflares auf der Sonne würde dabei die im Magnetfeld gespeicherte Energie in Hitze und hochenergetische Strahlung umgewandelt.


Ein Röntgenpulsar beim galaktischen Zentrum?
Auch lange nach dem Ausbruch ist die Oberfläche des Neutronensterns noch ungleichmäßig erhitzt. Dreht er sich nun so, dass mal die etwas heißere, mal die etwas kühlere Seite in Richtung der Erde zeigt, entsteht eine Modulation der Röntgenhelligkeit mit der Umdrehungsperiode: Der Neutronenstern lässt sich als so genannter Röntgenpulsar beobachten.

Genau dieser Nachweis gelang am 26. April 2013 für das Objekt nahe Sgr A* mit Hilfe von Beobachtungen des Weltraumteleskops NuStar im Röntgenbereich. Die Auswertung der insgesamt rund 26 Stunden dauernden Messungen zeigte eindeutig die Modulation mit einer Periode von rund 3,76 Sekunden, die derjenigen anderer bekannter Magnetare ähnelt. Damit war klar, dass nicht die Gaswolke G2, sondern vermutlich ein neuentdeckter Magnetar für die Ausbrüche nahe des galaktischen Zentrums verantwortlich ist.

Am 29. April kam eine weitere Erfolgsmeldung: Das Weltraumteleskop Chandra vermeldete ebenfalls eine Beobachtung im Röntgenbereich, die nicht nur die Periode von 3,76 Sekunden bestätigte, sondern auch die Himmelsposition genauer als zuvor bestimmte. Der neu entdeckte Magnetar war danach nur rund drei Bogensekunden von Sgr A* entfernt. Rund die Hälfte der rund zwei Dutzend bekannten Magnetare befinden sich innerhalb von 30 Winkelgrad zum galaktischen Zentrum, doch kein einziger war bislang so nah in Richtung des extrem massereichen Schwarzen Lochs entdeckt worden.


Es ist ein Magnetar!
Aus der Kombination der verschiedenen Röntgenbeobachtungen ließ sich am 4. Mai 2013 erstmals eine deutliche Veränderung der Modulationsperiode des Magnetars nachweisen: Seine Umdrehung schien sich um Sekundenbruchteile verlangsamt zu haben. Das starke Magnetfeld des Neutronensterns führt zur Abstrahlung elektromagnetischer Wellen und bezieht die Energie dafür aus der Eigendrehung des Himmelskörpers. Der Energieverlust führt so zu einer Verlangsamung der Drehung, aus der sich auch die Magnetfeldstärke abschätzen lässt. Ergebnis: Die am 4. Mai in einem ATel veröffentlichten Werte für den PSR 1745-2900 getauften Himmelskörper ähneln denen anderer Magnetare.

Doch steht der damit nun endgültig bestätigte Magnetar wirklich nahe des Schwarzen Lochs oder lediglich zufällig in der gleichen Richtung am Himmel? Die beobachtete Absorption der Röntgenstrahlung deutet darauf hin, dass die Entfernung des Magnetars ähnlich derjenigen von Sgr A* ist. Unterstützt werden diese Ergebnisse durch eine weitere Folge von Beobachtungen mehrerer erdgebundener Radioteleskope, die Astronomen weltweit parallel zu denen der Weltraumteleskope durchführten.

Denn die meisten Neutronensterne werden anhand ihrer gepulsten Radiostrahlung als so genannte Radiopulsare entdeckt. Insgesamt nur drei Magnetare ließen sich bislang auch als Radiopulsare beobachten. Es war also keineswegs klar, ob dies auch hier der Fall sein würde. Eine zentrale Rolle bei den weltweit parallel verlaufenden Beobachtungen im Radiobereich spielte das 100-Meter-Radioteleskop bei Effelsberg, das vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie (MPIfR) in Bonn betrieben wird.

Am 29. April 2013 berichteten die Bonner Forscher in einem ATel von ihren ersten Beobachtungen, in denen sie kein Gegenstück zum Magnetar im Radiobereich finden konnten. Eine Beobachtung des 76-Meter-Radioteleskops im britischen Jodrell-Bank-Radioobservatorium, deren Ergebnisse in einem ATel am 1. Mai 2013 veröffentlicht wurden, schien dies zu bestätigen. Nur sechs Stunden später meldete eine weitere Forschergruppe im nächsten ATel, sie hätten einen passenden Radiopulsar mit dem Green-Bank-Teleskop in den USA und mit dem Parkes-Teleskop in Australien entdeckt. Doch einige Angaben ließen an der Echtheit dieser Entdeckung zweifeln. So war das entdeckte Radiosignal entgegen der Erwartungen kein schmaler Puls. Auch die abgeschätzte Entfernung entsprach nicht derjenigen aus den Röntgenbeobachtungen.

Am Abend des 2. Mai kam in einem weiteren ATel dann eine eindeutige Entdeckungsmeldung von den Astronomen des MPIfR, die alle Zweifel zerstreute. Der Magnetar beim galaktischen Zentrum ist auch als Radiopulsar sichtbar; er ist damit erst der vierte dieser Art. Beobachtungen bei Radiofrequenzen im Bereich um 8,35 Gigahertz zeigten klar die erwartet schmale Pulsform und eine mit den Röntgenbeobachtungen übereinstimmende Periode. Die Radiobeobachtungen liefern zudem eine unabhängige Entfernungsabschätzung. Diese ist ebenfalls damit vereinbar, dass der Magnetar in direkter Nähe des galaktischen Zentrums steht.

In den folgenden Tagen kam es zu einem regen Informationsaustausch über mehrere ATel-Veröffentlichungen, in denen über weitere Beobachtungen des Radiopulsars durch das Effelsberg-Teleskop, das Jodrell-Bank-Radioobservatorium, das neu gebaute Radioteleskop SRT auf Sardinien und das französische Nancay-Radioteleskop berichtet wurde. Diese detaillierten Messungen festigten das Bild eines Magnetars, der sich als Radio- und als Röntgenpulsar beobachten lässt.


Einsteins Theorie auf dem Prüfstand?
Warum aber betreiben die Forscher einen so großen Aufwand, um PSR 1745-2900 seine Geheimnisse zu entlocken? Zum einen sind bislang nur wenige Magnetare bekannt und ihre Eigenschaften und ihr Verhalten daher nur unzureichend genau erforscht. Jede Neuentdeckung hat daher das Potenzial, vollkommen neue Erkenntnisse über diese extremen Himmelskörper zu enthüllen. Die Entdeckung eines Magnetars so nahe am galaktischen Zentrum könnte außerdem helfen, die Population massereicher Sterne, aus denen die Magnetare entstehen, und die Umgebung des Schwarzen Lochs besser zu verstehen.

Besonders interessant ist im Fall von PSR 1745-2900 jedoch seine mögliche Nähe zum Schwarzen Loch im Zentrum. Sollte es der Magnetar tatsächlich umlaufen, so könnte er dazu dienen, Einsteins allgemeine Relativitätstheorie besonders genau zu überprüfen und eventuelle Abweichungen von Vorhersagen aufdecken. Dabei nutzen Astronomen das metronom-ähnliche Blinken des Neutronensterns, um seine Bewegung präzise abzubilden. Die sich bei einer möglichen Bahnbewegung ändernde Geschwindigkeit würde sich über den Dopplereffekt als Verlangsamung oder Beschleunigung der Blinkfrequenz bemerkbar machen - und mit atemberaubender Genauigkeit vermessen lassen. Mit diesem Magnetar könnten die Astronomen gleichermaßen die Raumzeit um das Schwarze Loch »abtasten«.

Noch ist jedoch nicht klar, ob PSR 1745-2900 wirklich in einer Bahn um das Schwarze Loch läuft. Sollte er in der gleichen Entfernung wie Sgr A* zur Erde stehen, entspricht der Winkelabstand von drei Bogensekunden einem räumlichen Abstand von rund 0,4 Lichtjahren. Eine Kreisbahn mit diesem Radius hätte eine Umlaufzeit von fast 2000 Jahren, während eine elliptische Bahn auch kürzere Bahnperioden aufweisen könnte.

In jedem Fall ist eine längere Beobachtungskampagne notwendig, um die wichtigen, noch offenen Fragen zu beantworten. Für eine rein zufällige Entdeckung beim Warten auf die Gas-Mahlzeit des Schwarzen Lochs sind diese Ergebnisse jedoch schon bemerkenswert.


Benjamin Knispel promovierte an der Leibniz Universität Hannover und am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik. Er widmet sich unter anderem der Suche nach Radiopulsaren mit Einstein@Home und der Simulation der galaktischen Neutronensternpopulation als Quelle von Gravitationswellen.



Literaturhinweise:

Kennea, J. A. et al.: Swift Discovery of a new soft gamma repeater, SGR J1745-29, near Sagitarius A*. The Astrophysical Journal Letters 770, L24, 2013

Mori, K. et al.: NuStar discovery of a 3.76-second transient magnetar near Sagitarius A*. The Astrophysical Journal Letters 770, L23, 2013

Astronomer's Telegram: 5027, 5032, 5033, 5035, 5040, 5043, 5046, 5053, 5058

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w i s - wissenschaft in die schulen

Didaktische Materialien zu diesem Beitrag

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WiS in Sterne und Weltraum

»Didaktisches Material zu Röntgenpulsaren« bezieht sich auf den Artikel »Ein Magnetar nahe des galaktischen Zentrums« auf S. 23. Originaldaten aus der Forschung ermöglichen einen direkten Bezug zur Wissenschaft. Im WiS-Beitrag wird gezeigt, wie sich die Bahnparameter von Centaurus X-3 aus Originalbeobachtungsdaten abschätzen lassen. Weitere Aufgaben beschäftigen sich mit den Eigenschaften von Neutronensternen und der Lichtablenkung in starken Gravitationsfeldern.
(ID-Nummer: 1051499)

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Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

Abb. S. 23:
Der Zentralbereich unseres Milchstraßensystems zeigt im Röntgenblick des Weltraumobservatoriums Chandra neben diffuser Röntgenstrahlung von heißem Gas auch tausende von Punktquellen, wovon einige Neutronensterne sind. Nahe des extrem massereichen Schwarzen Lochs in der Mitte des Bilds entdeckten Astronomen nun einen Magnetar - einen Neutronenstern mit einem besonders starken Magnetfeld.

Abb. S. 24 oben:
Die Eigenrotation des neuentdeckten Magnetars dreht unterschiedlich stark erhitzte Oberflächenbereiche des Neutronensterns zur Erde und führt so zur hier dargestellten modulierten Röntgenstrahlung mit drei Maxima pro Umdrehung (siehe Nummern). Die Grafik zeigt das vom Röntgensatelliten NuStar gemessene Signal während zweier Umdrehungen. Die Periode von rund 3,76 Sekunden lässt sich leicht erkennen.

Abb. S. 24 unten:
Das Effelsberg-Radioteleskop entdeckte, dass PSR J1745-2900 als einer von nur drei weiteren Magnetaren auch als Radiopulsar sichtbar ist. Aus einer rund 2,5-stündigen Beobachtung im einem Band um 8,35 Gigahertz mit dem 100-Meter-Teleskop sind hier zwei Umdrehungen des Neutronensterns dargestellt. Sie zeigen die vergleichsweise schmale Pulsbreite des Radiosignals.

© 2013 Benjamin Knispel, Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH, Heidelberg

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Quelle:
Sterne und Weltraum 8/13 - August 2013, Seite 23 - 25
Zeitschrift für Astronomie
Herausgeber:
Prof. Dr. Matthias Bartelmann (ZAH, Univ. Heidelberg),
Prof. Dr. Thomas Henning (MPI für Astronomie),
Redaktion Sterne und Weltraum:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Februar 2014