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STERN/278: Gigantischer Fund - größter Stern in der größten Sternenkinderstube unserer Heimatgalaxie (idw)


Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung Max-Planck-Institut für Astronomie - 28.08.2014

Gigantischer Fund: Der größte Stern in der größten Sternenkinderstube unserer Heimatgalaxie



Eine Astronomengruppe unter der Leitung von Shiwei Wu vom Max-Planck-Institut für Astronomie hat den massereichsten Stern in W49, dem größten Sternentstehungsgebiet unserer Milchstraße identifiziert. Der Stern, der als W49nr1 bezeichnet wird, besitzt zwischen 100 und 180 Mal soviel Masse wie unsere Sonne - nur einige Dutzend solcher Sterne sind überhaupt bislang bekannt. Von der Erde aus gesehen ist W49 hinter dichten Staubwolken verborgen. Nur mit Infrarotbeobachtungen gelang es, den Stern zu identifizieren. Von der Entdeckung erhoffen sich die Astronomen neue Einsichten in die Entstehung derart massereicher Sterne sowie zu der Rolle, die sie in den größten Sternhaufen spielen.

© S.-W. Wu, A. Bik, Th. Henning, A. Pasquali, W. Brandner, A. Stolte. Die J-und H-Daten wurden ursprünglich publiziert von Alves und Homeier 2003

Infrarotaufnahme des zentralen Bereichs von W49. Der massereiche Stern W49nr1 ist mit einem weißen Pfeil gekennzeichnet.
© S.-W. Wu, A. Bik, Th. Henning, A. Pasquali, W. Brandner, A. Stolte. Die J-und H-Daten wurden ursprünglich publiziert von Alves und Homeier 2003

Die Entdeckung eines neuen, sehr massereichen Sterns ist für Astronomen aus mehreren Gründen spannend. Solche Sterne mit mehr als hundert Mal der Masse unserer Sonne bergen nach wie vor einiges an Rätseln: Im Vergleich mit der Sonne sind sie sehr kurzlebig (einige Millionen Jahre im Vergleich mit den 10 Milliarden Jahren der Sonne) und unter anderem deshalb sehr selten. Unter den Milliarden von Sternen, die Astronomen erfasst und untersucht haben, fallen nur wenige Dutzend in diesen Massenbereich - und die meisten davon kennt man erst seit einigen Jahren.

Die massereichen Sterne haben andererseits einen enormen Einfluss auf ihre Umgebung: Sie sind extrem hell und senden große Mengen sowohl hochenergetischer UV-Strahlung als auch von Teilchenstrahlung aus (Sternwind). Damit »pustet« ein solcher Stern eine große Blase in das ihn umgebene Gas; sternnahes Gas wird dabei sofort in seine Bestandteile zerlegt (ionisiert), weiter entferntes Gas schiebt der Stern von sich weg. Das verdrängte Gas könnte dabei dazu führen, dass noch fernere Gaswolken kollabieren und neue Sterne bilden.

Bis vor einigen Jahren war nicht einmal sicher, wie Sterne mit derart großer Masse entstehen können. Erst kürzlich ist es den Astrophysikern, die sich mit der Sternentstehung beschäftigen, gelungen, die Entstehung solcher Sterne zu simulieren. Derzeit gibt es konkurrierende Modelle für die Entstehung. In einem davon entstehen Sterne dieser Klasse, wenn in einem ausgedehnten Sternhaufen zwei Sterne miteinander verschmelzen. Bislang gab es allerdings nur drei Sternhaufen (NGC 3603 und Arches-Sternhaufen in der Milchstraße sowie R136 in der Großen Magellan'schen Wolke), in denen derart massereiche Sterne nachgewiesen werden konnten.

Jetzt hat eine Gruppe von Astronomen unter der Leitung von Shiwei Wu vom Max-Planck-Institut für Astronomie einen solchen massereichen Stern entdeckt - und das nicht irgendwo, sondern in der größten bekannten Sternentstehungsregion unserer Milchstraße. Die Region trägt die Bezeichnung W49, und die Entdeckung war alles andere als einfach: W49 ist rund 36.000 Lichtjahre (11,1 kpc) von der Erde entfernt. Ganze zwei Spiralarme unserer Heimatgalaxie mit all ihrem Staub liegen zwischen uns und dem Sternhaufen.

Shiwei Wu erklärt: »Weil W49 hinter großen Mengen interstellaren Staubs verborgen ist, erreicht uns nur ein Billionstel des sichtbaren Lichts, das seine Sterne in Richtung Erde schicken. Daher haben wir unsere Beobachtungen im Infrarotbereich durchgefürt - Infrarotlicht kann den Staub weitgehend unbehindert durchqueren.«

Mithilfe eines Infrarot-Spektrums, das sie mit dem Very Large Telescope der Europäischen Südsternwarte (ESO) aufgenommen hatten, konnten die Astronomen den Typ des Sterns bestimmen (»O2-3.5If*«). Zusammen mit der gemessenen Sternhelligkeit erlaubt es diese Information, die Temperatur ebenso abzuschätzen wie die Gesamtmenge an Licht, die der Stern aussendet. Im Vergleich mit Sternmodellen ergab sich dann, dass der Stern eine Masse zwischen 100 und 180 Mal der Masse der Sonne besitzen sollte.

Aufgrund seiner enormen Größe ist W49 eine der wichtigsten Regionen in unserer Galaxie, in der sich die Entstehung und Entwicklung sehr massereicher Sterne untersuchen lässt - und mit W49nr1 haben die Astronomen nun das Schlüsselobjekt des Haufens identifiziert. Aus den vorliegenden und aus zukünftigen Beobachtungen erhoffen sie sich Antworten auf eine der schwerwiegendsten offenen Fragen der Astronomie: jener nach der Geburt der massereichsten Sterne.


Hintergrundinformationen:

Weitere Bilder und die Pressemitteilung im Original finden Sie hier:
http://www.mpia.de/Public/menu_q2.php?Aktuelles/PR/2014/PR_2014_07/PR_2014_07_de.html

Die hier beschriebenen Ergebnisse sind als S.-W. Wu et al., »The Discovery of a Very Massive Star in W49« in der Fachzeitschrift Astronomy & Astrophysics veröffentlicht.
http://dx.doi.org/10.1051/0004-6361/201424154

Die Koautoren sind Shi-Wei Wu (Max-Planck-Institut für Astronomie [MPIA]), Arjan Bik (MPIA und Universität Stockholm), Thomas Henning (MPIA), Anna Pasquali (Zentrum für Astronomie der Universität Heidelberg), Wolfgang Brandner (MPIA) und Andrea Stolte (Argelander-Institut für Astronomie, Bonn).

Die Untersuchungen nutzten ein K-Band-Spektrum mittlerer Auflösung, das mit dem Instrument ISAAC am Very Large Telescope der ESO in Chile aufgenommen worden war. Ergänzende Infrarotbilder wurden mit dem Instrument SOFI am New Technology Telescope am La Silla-Observatorium der ESO (J- und H-Band) sowie mit dem Instrument LUCI am Large Binocular Telescope (LBT) in Arizona (K-Band) aufgenommen.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution1413

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Informationsdienst Wissenschaft - idw - Pressemitteilung
Max-Planck-Institut für Astronomie, Dr. Klaus Jäger, 28.08.2014
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. August 2014