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FORSCHUNG/565: Am seidenen Faden der Reproduktion (DFG)


forschung 3/2008 - Das Magazin der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Am seidenen Faden der Reproduktion

Ohne Lutropin keine Nachkommen: Hormone spielen bei der Fortpflanzung die entscheidende Rolle. Ihre molekularen Mechanismen werden nun entschlüsselt

Von Alexander Henke, Caroline Michel und Jörg Gromoll


"Das sind bestimmt wieder die Hormone", so sagen viele spöttelnd, häufig auch vorwurfsvoll, wenn sie bei Mitmenschen Launenhaftigkeit oder Hitzewallungen, Stresssymptome oder Gewichtszunahme feststellen. Die meist nur dahingesagte Vermutung trifft häufig zu. Denn Hormone sind an vielen wichtigen physiologischen Prozessen im Körper beteiligt, die nicht direkt vom Nervensystem gesteuert werden.

Der Londoner Physiologie-Professor Ernest H. Starling prägte 1905 den Begriff "Hormon" für eine Substanz, die in einem Organ produziert und freigesetzt wird, über den Blutkreislauf transportiert wird und schließlich auf ein Zielorgan einwirkt. Die Zielorgane besitzen Rezeptoren, die spezifisch für das jeweilige Hormon sind und die Hormonwirkung in die Zelle übertragen.

Bei der Fortpflanzung spielen Hormone und deren Rezeptoren eine grundlegende Rolle. Ohne sie kann weder die sexuelle Differenzierung von Mann und Frau noch eine normale Pubertät oder Fortpflanzung stattfinden. Von besonderer Bedeutung ist hierbei das luteinisierende Hormon, kurz Lutropin, das eine Schlüsselfunktion in der Reproduktion von Wirbeltieren hat. Darunter fällt auch die Fortpflanzung des Menschen. Gebildet wird das Hormon Lutropin in der Hypophyse, der Hirnanhangsdrüse des Gehirns. Von dort wird es in den Blutkreislauf ausgeschüttet und wirkt auf die Eierstöcke (Ovarien) und Hoden. Bei Frauen bewirkt Lutropin den Eisprung während des Zyklus, beim Mann hingegen stimuliert es im Hoden die Bildung des Sexualhormons Testosteron, das wiederum verantwortlich für den Eintritt in die Pubertät und den damit verbundenen Stimmbruch ist. Es ist ebenso verantwortlich für den Aufbau der Muskeln, das Wachstum der Körperbehaarung und für die Libido.

Übertragen wird die Hormonwirkung durch den Lutropin-Rezeptor, der von Zellen im Hoden und im Eierstock gebildet wird. Die Signalübertragung erfolgt von einem in der Zellmembran sitzenden Rezeptor in das Innere der Zelle. Die hierbei ausgelöste Signalkaskade führt zur Produktion anderer Hormone wie beispielsweise Östrogen oder Testosteron.

Obwohl die hormonelle Regulation der Fortpflanzung und sexueller Differenzierung seit Jahrzehnten bekannt und weitgehend erforscht ist, sind die evolutionären und molekularen Mechanismen der Hormon-Rezeptor-Funktion bisher kaum geklärt. Dabei ist die Wirkung von Lutropin bisher vor allem an Ratten und Mäusen studiert worden. Diese Nager können jedoch nur unzureichend die Fragen nach den molekularen Mechanismen beim Menschen beantworten - dafür ist das reproduktive Hormonsystem von Mensch und Nagetier zu unterschiedlich. Manche Hormone sind zudem erst spät in der Evolution aufgetreten und deshalb nur bei Primaten zu finden. Aus diesem Grund sind Studien an Affen zu Wirkungsweisen von Hormonen für die Fortpflanzung des Menschen wichtig.

Vor allem durch die Untersuchung des Fortpflanzungssystems des Weißbüschelaffen ist das wissenschaftliche Verständnis der reproduktiven Hormone enorm gewachsen. Der Weißbüschelaffe (Callithrix jacchus) gehört zu den in Südamerika beheimateten Neuweltaffen, die sich vor etwa 35 bis 40 Millionen Jahren von den Altweltaffen Afrikas und Asiens evolutionär abgespalten haben. Weißbüschelaffen sind vergleichsweise klein, haben eine relativ kurze Fortpflanzungdauer und sind einfach zu halten. Deshalb eignen sie sich für die biomedizinische Forschung, insbesondere zur Erforschung des Nervensystems und des Gehirns, der Immunabwehr, der Fortpflanzung sowie vorklinischen Medikamententests.

Paradoxerweise zeigten unsere Studien, dass der Weißbüschelaffe kein Lutropin in der Hirnanhangsdrüse produziert. Wie kann das sein? Ohne dieses Hormon sind andere Individuen zwar lebensfähig, aber nicht fortpflanzungsfähig. Deshalb haben solche gravierenden Veränderungen normalerweise zur Folge, dass das betreffende Individuum keine Nachkommen mehr zeugen kann und damit ausstirbt. Dies allerdings kann man vom fortpflanzungsstarken Weißbüschelaffen und den anderen Neuweltaffenarten ganz und gar nicht behaupten.

Die Erklärung für die Fruchtbarkeit des Weißbüschelaffen ist ein anderes Hormon, das als Chorion Gonadotropin (CG) bezeichnet wird. Dieses nur bei Affen und beim Menschen vorhandene Hormon wird von spezialisierten Zellen des Embryos produziert und unterstützt die Entwicklung des Embryos im Muttertier. Somit schafft CG überhaupt erst die Voraussetzung, dass es zu einer Schwangerschaft kommen kann. Im weiteren Verlauf der Schwangerschaft wird seine Produktion von einem Gewebe in der Gebärmutter, der Plazenta, übernommen. Doch das CG-Hormon hat im Laufe der Evolution eine weitere faszinierende Rolle erhalten: Während der Schwangerschaft stimuliert es bei männlichen Föten die Produktion geringer Testosteronmengen, die enorm wichtig für die Entwicklung der noch unausgereiften Hoden und die Ausbildung des Penis sind.

Beim Weißbüschelaffen wird das CG-Hormon nun aber nicht nur in der Plazenta, sondern auch in der Hirnanhangsdrüse produziert, wo es die Funktion des fehlenden Lutropin schlichtweg ersetzt hat. Lutropin- und CG-Hormone sind nicht nur eng miteinander verwandt, sondern besitzen auch einen gemeinsamen evolutionären Ursprung: Das CG-Hormon ist aus den Lutropin-Hormonen durch eine Genverdoppelung hervorgegangen. Während die eine Genkopie seine ursprüngliche Funktion beibehielt, veränderte sich die andere und erlangte eine neue Funktion, die inzwischen für die Aufrechterhaltung der Schwangerschaft der Neuweltaffen unentbehrlich ist.

Der Weißbüschelaffe und die übrigen Neuweltaffen halten darüber hinaus noch eine weitere Überraschung parat. Nicht nur das Hormonsystem hat sich verändert, sondern auch der Lutropin-Rezeptor. Diesem fehlt bei den Neuweltaffen die Möglichkeit zur Unterscheidung von Lutropin und CG-Hormonen. Mit anderen Worten: der Lutropin-Rezeptor der Neuweltaffen kann sehr gut mit CG-Hormonen interagieren, aber nur schlecht mit Lutropin selbst. Das ist aber auch gar nicht mehr erforderlich, da das Hormon Lutropin beim Weißbüschelaffen nicht mehr vorkommt. Ob die Ausschaltung von Lutropin in der Hirnanhangsdrüse zuerst stattfand oder der Verlust der Bindungsfähigkeit für Lutropin an seinen Rezeptor, wird zurzeit weiter untersucht.

Sowohl Lutropin als auch CG vermitteln ihre Hormonwirkung über den Lutropin-Rezeptor, sodass ein System von zwei Hormonen und einem Rezeptor vorliegt. Dessen komplexe zeitliche Abfolge von Interaktionen (CG-Hormone in der Schwangerschaft, Lutropin für die normale Fortpflanzung) ist essenziell für Fruchtbarkeit und eine normale sexuelle Differenzierung beim Menschen. Ist eine der Komponenten des Hormon-Rezeptor-Systems defekt, so hat dies schwerwiegende Konsequenzen für die hormonell gesteuerte sexuelle Differenzierung. Bei Patienten mit solch einem genetischen Defekt kann dies zum Ausbleiben der Pubertät, Unfruchtbarkeit und im schwersten Fall zu einer Störung in der Bildung der sekundären Geschlechtsorgane wie zum Beispiel dem Penis führen. Die betroffenen Patienten zeigen dann einen weiblichen Phänotyp, obwohl genetisch ein männlicher Genotyp mit einem Y-Chromosom vorliegt. Daraus ergibt sich, dass der normale Weg der sexuellen Differenzierung in die weibliche Richtung verläuft und die männliche Entwicklung die Wirkung zusätzlicher Hormone benötigt, wie zum Beispiel das über CGWirkung produzierte Testosteron.

Da beim Menschen CG-Hormone nur von Embryonen schwangerer Frauen und deren Plazenta gebildet werden, ist dies auch diejenige Substanz, die bei Schwangerschaftstests ausschlaggebend für das positive Testergebnis ist. Hierbei kann man eine interessante historische Entwicklung der Schwangerschaftstests verfolgen. Bis in die 1950er-Jahre wurde der sogenannte "Froschtest" in Apotheken durchgeführt. Den von Apothekern gehaltenen Krallenfröschen wurde der Urin der betreffenden Frau unter die Haut gespritzt. War die Frau schwanger, löste das CG-Hormon beim Froschweibchen innerhalb von 48 Stunden das Ablaichen aus. Parallel dazu entwickelten in den 1930er-Jahren Dr. Selmar Aschheim und Dr. Bernhard Zondek einen weiteren Test. Hierbei wurde der Urin der Frau in vorpubertäre Mäuseweibchen gespritzt. Zwei Tage später wurde das Tier getötet und die Eierstöcke auf eisprungspezifische Änderungen hin untersucht. Wenn dies der Fall war, dann war der Schwangerschaftstest positiv ausgefallen.

Analog wurden auch junge Kaninchenweibchen anstelle der Mäuse mit Urin injiziert. Im angloamerikanischen Sprachgebrauch setzte sich deshalb der Ausdruck "the rabbit died" für einen positiven Schwangerschaftstest durch, obwohl das Kaninchen bei negativen Testergebnissen ebenso sein Leben lassen musste. Diese Tests waren relativ zuverlässig und ein damals weit verbreitetes Testsystem zum Nachweis von Schwangerschaften.

Die Erforschung des reproduktiven Hormonsystems ist aber nicht nur vom wissenschaftlichen und medizinischen Standpunkt aus faszinierend. Reproduktion ist unmittelbar mit dem Fortbestand der Menschheit verknüpft und gerade in einer Zeit, in der immense Umwelt- und soziokulturelle Einflüsse die Fruchtbarkeit des Menschen beeinträchtigen, von großer Bedeutung. Aus diesem Grund versucht die Wissenschaft, häufig wiederholte Sätze wie "Das sind bestimmt wieder die Hormone" in ihrer wahren Bedeutung zu verstehen und zugleich die biologischen Zusammenhänge verständlich und transparent zu machen.


Dr. Alexander Henke, Dr. Caroline Michel und Prof. Dr. Jörg Gromoll
sind am Universitätsklinikum Münster tätig.

Adresse:
Universitätsklinikum Münster
Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie
Domagkstraße 11, 48129 Münster

Die Studien wurden von der DFG im Normalverfahren gefördert.

www.klinikum.uni-muenster.de


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Quelle:
forschung 3/2008 - Das Magazin der Deutschen Forschungsgemeinschaft, S. 18-21
mit freundlicher Genehmigung der Autoren
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Januar 2009