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ORNITHOLOGIE/115: Glocken-Honigfresser - Sitzenbleiben verschafft Sicherheit (Der Falke)


Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 3/2009

Ornithologie aktuell

Glocken-Honigfresser: Sitzenbleiben verschafft Sicherheit


Stillsitzen auf dem Nest hat sich für die neuseeländischen Glocken-Honigfresser (Anthornis melanura) ausgezahlt. Hätte der kleine Singvogel mit dem grünlichen Gefieder diese Verhaltensweise nicht erworben, würden die Neuseeländer auf den glockenähnlichen Gesang der aus diesem Grund "Bellbird" genannten Vögel heute verzichten müssen. Auf den Inseln weit im Süden des Pazifik gab es über viele Jahrmillionen keinerlei Säugetiere, die sich vom Boden anschleichen und den Vögeln sowie deren Nachwuchs hätten gefährlich werden können. So fanden die Menschen, als sie erstmals um 1300 Neuseeland erreichten, eine Insel voller Vögel, von denen die meisten Arten, wenn überhaupt, nur wenig Scheu zeigten. Daher fielen auf den Pazifikinseln rasch viele arglose Vögel den Ratten zum Opfer, die als blinde Passagiere in den Kanus der Polynesier mitgereist waren, ebenso den anderen Nesträubern, die ab 1769 mit James Cook und später vielen anderen Einwanderern aus Europa nach Neuseeland kamen, neben Wanderratten z. B. Igel, Katzen, Hermeline, Mauswiesel und Frettchen. Zusammen mit anderen Einflüssen rotteten die Neuankömmlinge in den letzten 700 Jahren rund 40 Prozent aller Vogelarten auf Neuseeland aus, die auf die neuen Beutegreifer nicht eingestellt waren.

Anfangs hatten auch die Bestände des Bellbird dramatisch abgenommen, und der nahe verwandte Chatham Bellbird auf den abgelegenen Chatham-Inseln ist schließlich auch ausgestorben. Doch offensichtlich hatten die Honigfresser es rechtzeitig geschafft, den Nesträubern zu trotzen. Bis zu den Poor Knights Islands 22 Kilometer vor der Ostküste der Nordinsel in Höhe der Stadt Whangarei hatten es flinke Landraubtiere nie geschafft. Die Bellbirds auf der Poor Knights-Insel Aorangi mussten sich daher nie mit solchen Feinden auseinandersetzen. Ganz anders die Situation im Kowhai-Urwald in der Nähe von Kaikoura an der Ostküste der Südinsel, wo Ratten, Hermeline und andere Nesträuber den Vögeln das Leben schwer machten. Die Kowhai-Bellbirds verhalten sich ganz anders als jene auf der Aorangi-Insel und haben offenbar ihre eigene Überlebensstrategie entwickelt, mit der sie auch erfolgreich waren. Völlig regungslos brüten die Weibchen auf dem Nest, sodass Mauswiesel & Co es schwer haben, sie zu entdecken. Und auch nach dem Schlüpfen der Jungen verhalten sie sich höchst unauffällig: Dann fliegen die Eltern möglichst selten zum Füttern zum Nest, um niemand auf ihren Nachwuchs aufmerksam zu machen. Möglicherweise gehört diese vorsichtige Verhaltensweise bei einigen wenigen Bellbirds schon immer zum Repertoire, sodass die eingeschleppten Nesträuber nach Ankunft in Neuseeland zunächst rasch die "unvorsichtigen" Vogelarten ausrotten, die "vorsichtigen" jedoch nur selten zu ihrer Beute wurden und sich wieder vermehren konnten. Ähnlich verhält sich eine entfernte Verwandtschaft der Bellbirds auf der Insel Tasmanien im Süden Australiens. Die dortigen Honigfresser (Phylidonyris spp.) müssen sich schon lange mit Nesträubern auf vier Beinen herumschlagen und haben wohl schon frühzeitig gelernt, dieser Gefahr am besten durch Stillsitzen zu entgehen. (wir)

M. Massaro u. a. PLoS ONE 3, 6: e2332. DOI. 101371/journal.pone.0002331


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Quelle:
Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 3/2009
56. Jahrgang, März 2009, S. 83-84
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. März 2009