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ORNITHOLOGIE/177: Streifengänse - Weltrekord mit Hochleistungsmuskeln (Der Falke)


Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 12/2009

Ornithologie aktuell

Streifengänse: Weltrekord mit Hochleistungsmuskeln


Streifengänse (Anser indicus) halten den Weltrekord im Ausdauerhöhenflug unter den Vögeln: Beim Zug zwischen Nordindien und den mongolischen und chinesischen Hochplateaus überqueren sie regelmäßig den Himalaya und scheuen auch nicht den Gipfel des Chomolungma (Mt. Everest) in fast 9000 Metern Höhe zu überfliegen. Blutkreislauf, Physiologie und Flugmuskelanatomie sind auf besonders effizienten Hochleistungs-Sauerstofftransport ausgerichtet. Bei verwandten, in geringeren Höhen ziehenden Gänsen und Enten wurden solche Anpassungen nicht nachgewiesen. Die Höhenweltrekordhalter unter den Vögeln müssen trotz der physiologischen Höchstleistung des Langstreckenflugs mit knapp einem Drittel des Sauerstoffs auskommen, der auf Meereshöhe zur Verfügung steht. Dies gelingt auf Grund einer Reihe von Anpassungen, wie sich nun anhand histologischer Detailanalysen der Gänsemuskulatur herausstellte. Die Weltrekordler erhöhen vor allem unter Bedingungen niedrigen Sauerstoffpartialdrucks die Effizienz der Sauerstoff(O2)-Transportprozesse vom Blut in die Mitochondrien der Muskellzellen und haben dafür spezielle Hochleistungsmuskelfasern "entwickelt", die nur bei ihnen vorkommen. Diese Hochleistungsmuskelfasern vom "schnellen oxidativen Typ IIa" sind von einem insgesamt dichteren Geflecht von feinen Kapillaren umgeben. Zudem liegen die Mitochondrien ungewöhnlich dicht an den Zellmembranen, sodass die Diffusionsstrecken für gelieferte Sauerstoff-Moleküle kürzer sind. Die typische Anatomie findet sich auch bei in Gefangenschaft gehaltenen Gänsen: Dies zeigt, dass der Muskelaufbau wohl bei der Art genetisch festgelegt ist und sich nicht erst in jedem Vogel in der Folge eines Hochleistungsflugtrainings ausbildet. Die neuen Erkenntnisse über die anatomisch-physiologischen Veränderungen der Muskulatur passen im Gesamtbild zu den bereits bekannten evolutionären Anpassungen der Streifengänse an die Anforderungen des Höhenflugs. So verfügen die Vögel auch über eine Variante des Blutfarbstoffes Hämoglobin, die stärker an Sauerstoff bindet: Durch den Austausch einer Aminosäure in der Eiweißkette des Hämoglobins wird Sauerstoff aus der Lunge schneller im Blut gebunden. Auch Atemfrequenz und Lungenventilation sind bei Streifengänsen an niedrige Sauerstoffmengen angepasst. (wir)

G. R. Scott, u. a., Proc. Royal Society B 10.1098/
rspb.2009.0947, 2009.


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Quelle:
Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 12/2009
56. Jahrgang, Dezember 2009, S. 444
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Dezember 2009