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ORNITHOLOGIE/336: Wo sich Wasser und Land begegnen - Trondheimsfjord in Mittelnorwegen (Der Falke)


Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 7/2015

Europäische Highlights
Wo sich Wasser und Land begegnen: Trondheimsfjord in Mittelnorwegen

von Heiko Liebel


Wasser bestimmt die reiche Vogelwelt am Trondheimsfjord. Wo Wasser allgegenwärtig ist, sind auch Vögel überall. Niederschlagsgespeiste Moore in den Gebirgen, Flüsse mit Ästuaren und Deltas, der Fjord an sich und die vorgelagerten Inseln im Nordmeer: All diese Lebensräume sind vom Wasser im Überfluss bestimmt und ermöglichen einen ganz besonderen Vogelreichtum. Brut- und Rastgebiete nordischer Arten wie Doppelschnepfe, Sperbereule, Unglückshäher, Sterntaucher und viele mehr finden sich in einer von Vogelbeobachtern bislang wenig beachteten Gegend um Trondheim in Mittelnorwegen.

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Es ist Anfang Mai am Trondheimsfjord. Die kalte Nacht verbringe ich draußen in meinem kuschelig warmen Daunenschlafsack. Über mir und meinem Ornifreund flackern die mal grünlichen, mal rötlichen Polarlichter. Stundenlang lassen wir die Himmelsdisco auf uns wirken, gleichzeitig darüber meditierend, welche spannenden Vogelarten wohl am nächsten Morgen in den Stein- und Schlickwattflächen um den Fjord anwesend wären. Im Ramsargebiet "Trondheimsfjord Våtmarkssystem" rastet im Frühjahr nämlich nicht nur die komplette auf Spitzbergen brütende Teilpopulation der Kurzschnabelgans, sondern auch eine lange Liste weiterer Gänse, Enten und Limikolen auf dem Weg in ihre polaren und arktischen Brutgebiete. Rund um den Trondheimsfjord (mit 126 km Länge Norwegens drittlängster Fjord) bietet die Vogelwelt aber noch sehr viel mehr.

Artenvielfalt dank Eiszeiten

Mittelnorwegen besteht aus einer Vielzahl von Landschaftselementen, die von der kaledonischen Gebirgsbildung vor circa 450 Millionen Jahren und der folgenden Abtragung durch die verschiedenen Eiszeiten bis vor circa 10 Jahren geformt wurden. Dank der Gebirgsbildung wurden unterschiedliche Gesteinsarten gefaltet und übereinander geschoben. Kalkhaltige Gesteine grenzen an saure Gesteine und ermöglichen eine große Pflanzenvielfalt, die wiederum für verschiedenste Tiere die Grundlage für das Überleben bildet. Fast ausschließlich auf kalkreichen Mooren beispielsweise kommen Doppelschnepfen vor, Auerhühner bevorzugen die blaubeerreichen bodensauren Fichtenwälder. Während der Eiszeit war das komplette Trondheimsfjordgebiet unter einer mehrere Hundert Meter mächtigen Eisschicht begraben, die alles Leben unmöglich machte. Seit 10 Jahren wanderten Pflanzen und Tiere wieder ein und dieser Prozess ist bis heute noch nicht abgeschlossen. In den lockeren, seit der Eiszeit fichtenfreien Kiefernwäldern am Fjordausgang finden sich weiterhin gute Bestände des Weißrückenspechts, der aus den inneren Teilen des Trondheimsfjordgebietes inzwischen verschwunden ist, vermutlich aufgrund der intensiven wirtschaftlichen Nutzung der borealen Fichtenwälder. Nach Abschmelzen des Eises begann sich auch die Landoberfläche wieder anzuheben. Das enorme Gewicht der Eismassen hatte das Trondheimsfjordgebiet nach unten gedrückt. Das Land, das heute bis 170 m über dem Meeresspiegel liegt und sich derzeit um circa 4 mm/Jahr hebt, war einst der Grund des Fjordes. In den heutigen Flusstälern hatten sich mächtige marine Sedimente, vor allem bläulich-graue Tone abgelagert, die nun mit den Flüssen wieder in Richtung Fjord transportiert werden. An Flussmündungen der wichtigsten Flüsse (Gaula, Orkla, Stjørdalselva, Helgåa) konnten sich Ästuare und Flussdeltas bilden, die besonders zur Zugzeit wichtige Nahrungs- und Rastgebiete für eine Vielzahl von Zugvögeln stellen (vor allem Limikolen und Gänse). Das Trondheimsfjordgebiet weist die größten Höhen im schwedisch-norwegischen Grenzgebirge auf (bis 1762 m, Storsylen). Die Vielfalt der Lebensräume, der Wasserreichtum und die extrem dünne Besiedlung außerhalb der Städte sind der Schlüssel zur Vielfalt der vorkommenden Vogelarten.

Doppelschnepfe - der Auerhahn unter den Schnepfen

Norweger sind manchmal pragmatisch wie logisch bei der Namenswahl von Vogelarten. Die Zwergschnepfe heißt auf Norwegisch passend zur geringen Größe "kvartbekassin" (Viertelbekassine), die Bekassine "enkeltbekassin" (einfach Bekassine) und die große Schwester der Vorgängerinnen eben "dobbeltbekassin" (doppelte Bekassine = Doppelschnepfe). Sie auf dem Zug in Deutschland zu beobachten, ist ein seltener Glücksfall, da die Art auf dem Zug bis zu 96 Stunden nonstop durchfliegt und dabei Distanzen von 4300 bis 6800 km am Stück zurücklegt und somit selten in großer Zahl in Deutschland rastet. Ein ganz besonderes Erlebnis ist es aber, eine der nächtlichen Gruppenbalzen im Gebirge im warmen Dämmerlicht der Mitternachtssonne mitzuerleben. Um den Monatswechsel Mai/Juni ist es in den Fjällgebieten um den Trondheimsfjord soweit: Die Doppelschnepfen finden sich an traditionellen Balzplätzen an offenen Mooren meist nahe der Baumgrenze ein, um in aufrechter Pose mit den Schnäbeln zu klappern, ihre weißen Schwanzfedern zu präsentieren und die Gunst eines Weibchens zu erlangen. Ein sehr leicht erreichbarer Doppelschnepfenbalzplatz liegt direkt an der Landesgrenze zu Schweden oberhalb von Storlien auf der Hochebene, die sich unmittelbar an das Skigebiet nach Nordwesten hin anschließt, wo sogar eine Beobachtungshütte am Balzmoor errichtet wurde. Der Balzplatz hat sich in der Zwischenzeit aber um einige Hundert Meter von der Beobachtungshütte wegverlagert. Wie bei der Auerhahnbalz auch ist es oberstes Gebot, an der Balzarena weder als Vogelbeobachter noch als Naturfotograf die immer seltener werdenden Tiere zu stören. Die Benutzung eines Tarnzeltes, das während der Balzaktivität nicht verlassen werden darf (auch nicht zum Pinkeln) ist Voraussetzung für eine vertretbare Beobachtung.

Doppelschnepfen brüteten in Deutschland noch bis in die 1930er Jahre (letzter Brutnachweis 1931 in Schleswig-Holstein), bis die Art auch hier schließlich verschwand. In Norwegen hat sich die Doppelschnepfe inzwischen ebenfalls aus dem Flachland zurückgezogen, aufgrund von Trockenlegungen von Mooren und Flächenfraß für Siedlungen, Industrie- und Gewerbegebiete in diesem boomenden Land. Im Gebiet der enormen Shopping-Malls südlich von Trondheim balzten noch bis vor wenigen Jahrzehnten Doppelschnepfen. Der Bestand wurde in einer 2014 veröffentlichten Studie auf circa 13 balzende Männchen in ganz Norwegen geschätzt.

Trondheims Stadtwald - (fast) Wildnis pur!

Im Westen Trondheims grenzt direkt die Bymarka (Stadtwald) an Norwegens drittgrößte Stadt (185000 Einwohner). Die von den Trondheimern innig geliebte Bymarka wird von ihnen intensiv genutzt, vor allem zum Langlaufen im Winter und Wandern im Sommer. Dazu gehört auch das traditionsreiche Waffelessen auf einer der bewirtschafteten Hütten, wenn nicht einfach Bratwürste über dem Lagerfeuer zubereitet werden. Mit einem in Deutschland typischen Stadtpark hat die Bymarka aber wenig gemein. Ein Großteil des borealen Fichtenwaldes hat Naturwaldcharakter und steht unter Schutz. Die höchsten Kuppen erheben sich gerade über die Baumgrenze, die bei etwa 500 m ü. NN liegt (höchste Erhebung 565 m ü. NN). Ein Vielfraßweibchen könnte man inzwischen fast als Maskottchen der Bymarka bezeichnen, da es sich seit Jahren dort aufhält und immer wieder auf Überwachungskameras von Freizeithütten fotografiert wird und sogar regelmäßig die Essensreste einer bewirtschafteten Hütte stibitzt. Zu den attraktivsten Vogelarten im Gebiet gehören Raufußhühner, die leicht bei der Balz beobachtet werden können. Der traditionell größte Birkhahnbalzplatz (früher über 80 balzende Hähne, heute eher 5 bis 10) befindet sich am Südostufer des Sees Skjellbreia direkt am Moor (auf Wanderkarten leicht zu identifizieren). Während der Beobachtung der Balz vom Tarnzelt aus bilden die Rufe der überfliegenden Trupps von Kranichen und Kurzschnabelgänsen eine ganz besondere Stimmung. Häufig rufen auch Sperlingskäuze und das monotone Tückern der Bekassinen hallt von den umliegenden Mooren herüber. An der Baumgrenze kommen Moorschneehühner vor. Während Bindenkreuzschnäbel regelmäßig in den lärchenreichen Wäldern am Ostrand der Bymarka zur Zugzeit bei der Nahrungssuche beobachtet werden können und Fichtenkreuzschnäbel allgemein häufig sind, brüten Kiefernkreuzschnäbel auf den kieferndominierten Kuppen wie zum Beispiel am Geitfjell (GPS: 63,43328°N; 10,30442°O).

Tannenhäher der sibirischen Unterart fliegen immer wieder in Jahren mit schlechter Produktion von Zirbenzapfen, der Hauptnahrungsquelle der Art in Russland, in großer Zahl in Skandinavien ein. In der Bymarka blieben nach dem großen Einflug 1995 einige Individuen hängen. Seitdem wächst der Bestand kontinuierlich an. 2005 wurden bereits über 150 Individuen beobachtet. Seitdem breitet sich die sibirische Zirbe in und um Trondheim auch durch Naturverjüngung aus. Besonders auffällig sind die Vögel im August, wenn sie in die Stadt Trondheim fliegen, um dort aus den Gärten die Früchte der häufig gepflanzten sibirischen Zirben zu sammeln und mit vollem Kropf wieder in die Bymarka zurückzukehren.

Der Naturschutz ist in einem derart stadtnahen Gebiet immer wieder gefordert. Der bislang kleine alpine Skipark soll nun ausgebaut werden, sodass auch dieses Juwel von Naturschutzverbänden hartnäckig verteidigt wird. Im Bereich des Naturschutzgebietes konnten größere Eingriffe bislang erfolgreich verhindert werden.

Ramsargebiet "Trondheimsfjord Feuchtgebietssystem" und Ørland

Das Ramsargebiet Trondheimsfjord besteht aus dreizehn separaten Naturschutzgebieten und Vogelfreistätten, die allesamt im inneren Fjordbereich liegen und aus Schlick- und Steinwatt bestehen (Lundleiret, Vikaleiret, Bjørga, Kausmofjæra, Ørin, Rinnleiret, Tynesfjæra, Eidsbotn, Alnes, Falstadbukta, Vinnan und Velvangen, Vikanbukta, Gaulosen). Alle Flächen sind besonders zur Zugzeit wichtige Rast- und Nahrungsgebiete für Limikolen (vor allem Temminck- und Zwergstrandläufer, Pfuhl- und Uferschnepfe, Knutt, Alpen- und Sichelstrandläufer und viele mehr), Gänse und Enten, wo das Leben pulsiert und sich die Rufe der Gänse mit dem Trillern von Brachvogel und Co. vermengen. Mehrere Zigtausend Kurzschnabelgänse stärken sich im Ramsargebiet auf dem Weg vom Überwinterungsgebiet nach Spitzbergen. Der Bestand der Teilpopulation Spitzbergens wird derzeit auf etwas über 80 Individuen geschätzt. Unter die großen Gänsetrupps von Grau- und Kurzschnabelgans mischen sich immer wieder auch andere Arten wie Wald- und Tundrasaatgans, Blässgans und sehr selten Zwerggänse, die aber meist auf das schwedische Wiedereinbürgerungsprojekt zurückgehen (auf Beringung achten!). An Molen und felsigen Küstenbereichen des Fjords halten sich im Winter und zur Zugzeit regelmäßig Meerstrandläufer auf, die ganz besonders wenig fotoscheu sind.

Am Südufer des Trondheimsfjords wenige Kilometer östlich von Trondheim (Midtsandan) befindet sich ein traditionelles Laichgebiet von Heringsschwärmen, die im April vom offenen Meer in den Fjord ziehen. Alljährlich zieht es dann große Mengen Tauchenten in dieses Gebiet, die sich am Rogen der Fische laben. Mehrere Tausend Eiderenten, Samt- und Trauerenten, Eisenten, Schellenten, aber auch Möwen (vor allem Lach- und Sturmmöwen, aber auch Mantel-, Silber- und Heringsmöwen), Spießenten, Krickenten, Stockenten, Mittelsäger und Sterntaucher werden regelmäßig im Gebiet zur Heringslaichzeit beobachtet.

Am Fjordausgang befindet sich ein weiteres bemerkenswertes Naturschutzgebiet, das gleichzeitig Ramsargebiet ist: die Grandefjæra auf der Halbinsel Ørland. Der Landschaftseindruck in Ørland ist exotisch für mittelnorwegische Verhältnisse, da die Halbinsel komplett eben ist. Die Agrarlandschaft versetzt gedanklich unmittelbar nach Dänemark. Die großen Getreideäcker ziehen Gänse und Trupps von Sing- und Zwergschwänen magisch an. Die großen Seetaucher fühlen sich dagegen vor allem in der Bucht der Grandefjæra wohl, wo Pracht-, Stern- und Eistaucher regelmäßig zur Zugzeit und im Winter beobachtet werden können. Das gesamte "Who's who" der nordischen Limikolen rastet früher oder später in den Wattflächen und attraktive Greifvögel wie Ger- und Wanderfalke, Seeadler und Sumpfohreulen bedienen sich am reich gedeckten Tisch. Die geschützten Meeresflächen rund um Ørland sind das wichtigste Mausergebiet Mittelnorwegens von Samt- und Eiderente. Zu allem Überfluss lassen sich die Vögel an der Grandefjæra bequem und wettergeschützt vom komfortablen Vogelbeobachtungsturm "Amfiet" beobachten. Ein Spektiv ist in diesem Gebiet absolut notwendig, um die weitläufigen Wattflächen effektiv abscannen zu können. Die wichtigsten Monate für den Vogelzug der polar und arktisch verbreiteten Limikolen sind Mai und Juni, genau dann, wenn auch die Nächte nicht mehr dunkel werden und über viele Stunden die tief stehende Sonne die Landschaft inklusive Vögeln und allem anderen in ein warmes Licht taucht.

Der störende Lärm der Kampfjets, die auf dem nahegelegenen NATO-Stützpunkt starten und landen, reißt einen leider immer wieder aus der Vertiefung in die Vogelwelt. Der Druck auf die wenigen ebenen Flächen ist in Mittelnorwegen extrem. Deswegen sind Ørland und alle Flussdeltas ständig von weiterem Ausbau bedroht. Der norwegische Partner von BirdLife International (Norsk Ornitologisk Forening, www.birdlife.no) bringt sich regelmäßig aktiv ein, um die wichtigsten Vogellebensräume zu schützen.


Dr. Heiko Liebel arbeitet an der Staatlichen Vogelschutzwarte in Garmisch-Partenkirchen. Neben der Ornithologie widmet er sich der Botanik und Orchideenforschung.


Literatur zum Thema:

Tveit BO 2011: A Birdwatcher's Guide to Norway - Where, When and How to find the Birds of Norway including Svalbard. Ørnforlag, Bekkestua.

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Froan - Bombeninseln der Seltenheiten

Das Inselreich Froan vor der Mündung des Trondheimsfjords gelegen wäre einen eigenen Artikel wert, denn es gibt viel zu erleben. Der Archipel ist das wichtigste Brutgebiet von Gryllteisten in Skandinavien, das größte Aufzuchtgebiet der Kegelrobbe in Norwegen und zudem regiert hier voll und ganz die Natur. Auf kaum einer der vielen Inseln leben mehr als zehn Einwohner dauerhaft. Vor allem der Winter ist rau und extrem windig, sodass sich nur in einigen Gärten gepflanzte Bäume und Büsche halten können. Für verdriftete Zugvögel sind genau diese Büsche kleine Oasen, wo sie neue Kräfte schöpfen können, bevor sie weiterziehen. Seltenheiten werden hier jedes Jahr registriert, was den Inseln unter Vogelbeobachtern auf Norwegisch den Spitznamen "bombeøyene" eingebracht hat (Bombeninseln). Solche "Bomben" der vergangenen Jahre waren unter anderem Orpheusgrasmücke, Schwarzstirnwürger, Gelbkopf-Schwarzstärling und Goldhähnchenlaubsänger. Besonders lohnenswert ist eine Reise nach Halten, wo man in einem alten Fischerhaus übernachten kann (www.stiftelsenhalten.no), mit am Haus brütenden Krähenscharben und Dreizehenmöwen inklusive (von Nachtruhe kann keine Rede sein). Die wenigen Einwohner sind unwahrscheinlich herzlich. Uns wurde beispielsweise auf Gjessingen spontan angeboten, ob wir im ehemaligen Tante-Emma-Laden aus einer anderen Zeit übernachten wollen. Wir schliefen auf dem alten Sofa, neben der Theke mit Blick auf die fantastische Inselwelt. Am Morgen des 17. Mai wurden wir vom Besitzer geweckt, denn wir sollten doch unbedingt auf den Umzug zum Nationalfeiertag mitkommen. Wir waren dann insgesamt zehn Teilnehmer (alle acht Einwohner und wir). Gemeinsam mit den Norwegern feierten wir. Zum Abschluss kam noch die Musikkapelle von der Nachbarinsel, spielte uns die norwegische Nationalhymne und verschwand wieder so schnell, wie sie gekommen war - weiter zu den Umzügen auf den anderen Inseln.

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Hochmoore - Faszination durch Ästhetik und Funktion

Norwegen ist ein Land der Moore. In mittleren Höhenlagen zwischen 500 und 1000 m ü. NN sind über 20er Oberfläche von Mooren bedeckt. Norwegen und sein in Nord-Süd-Richtung verlaufendes Gebirge ist eine Barriere für die Tiefdruckgebiete, die von Westen permanent herangeführt werden. Sie regnen sich vor allem an der Westseite ab, wo bis zu 4000 mm Jahresniederschlag fallen können. Auch auf der Leeseite des Gebirges, wo die Niederschläge viel geringer ausfallen (unter 500 mm, bilden sich Moore rasch, da die Verdunstung dank geringer Temperaturen ebenfalls sehr niedrig ist. Hochmoore sind weit verbreitet und werden ausschließlich von Regenwasser gespeist. Der Aufbau der Hochmoore ist auf das dauernde Wachstum von Torfmoosen zurückzuführen (sie wachsen oben weiter, während sie unten absterben). Dadurch hebt sich die Oberfläche, das Moor wölbt sich zu den Rändern hin und es kommt zu Fließbewegungen der Bülte (meist Vegetationsstränge). Offene Wasserflächen (Schlänken) zwischen den Bülten entstehen und beeindruckende konzentrische oder in Hanglage exzentrische Muster formen sich durch deren Wechsel. Hochmoore sind faszinierend in ihrer Entstehungsgeschichte, ihrer Dynamik, Ästhetik und nicht zuletzt ihrer Funktion als Lebensraum für Vogelarten wie Wiesenpieper, Bekassine, Alpenstrandläufer, Doppelschnepfe, Kranich, Thunberg-Schafstelze, Bruchwasserläufer und Kampfläufer.

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Reisetipps

Die beste Reisezeit am Trondheimsfjord und den umliegenden Gebieten ist im Mai/Juni. Stech- und Kriebelmücken sind dann noch kaum ein Problem, der Mai gehört zu den durchschnittlich niederschlagsärmsten Monaten des Jahres und nicht zuletzt ist es die Zeit, in der die spannendsten Vogelbeobachtungen gemacht werden. Der Hauptdurchzug der Kraniche, Limikolen und Gänse findet in diesem Zeitraum statt, sodass die traditionellen Rastgebiete um den Trondheimsfjord eine Menge zu bieten haben. In den Wäldern ploppen die Auerhähne und auch alle anderen Raufußhühner balzen zu dieser Zeit. Im Gebirge kommen die Zugvögel in ihren Brutgebieten an, sodass dort zum Beispiel Alpenstrandläufer, Doppelschnepfe, Mornell- und Goldregenpfeifer ebenfalls gut beobachtet werden können. Nach extrem kurzen Tagen in den Wintermonaten wird es im Mai bereits kaum noch dunkel, sodass man es den Norwegern gleich tun und rund um die Uhr aktiv sein kann. Auch wenn Natur- und Vogelbeobachtung das vorrangige Ziel sein mögen, lohnt es sich, den norwegischen Nationalfeiertag am 17. Mai mitzuerleben, an dem die 1. Norwegische Verfassung (Verfassung von Eidsvoll 17. Mai 1814) mit Umzügen, Grillwürstchen, Limo und Eis egal bei welchem Wetter landauf, landab ausgiebig gefeiert wird.

Campieren und vorübergehendes Aufstellen von Tarnzelten zur Vogelbeobachtung sind im ganzen Land erlaubt, wenn nichts anderes auf Schildern angegeben ist (allemansretten = Jedermannsrecht). Um die Waldbrandgefahr zu verringern, ist es in Norwegen jedoch untersagt, zwischen dem 15.04. und 15.09. Lagerfeuer im Wald oder in Waldnähe zu machen (Ausnahmen sind etablierte Feuerstellen). In den Gegenden fern von Städten kann man Wasser aus Bächen bedenkenlos trinken, außer in Jahren mit einer Massenvermehrung von Lemmingen (nicht zu übersehen). Von toten Lemmingen werden dann Krankheitskeime im Wasser transportiert. Dann muss das Wasser abgekocht oder mit Chlortabletten sterilisiert werden. Günstige Übernachtungsmöglichkeiten bieten Campingplätze mit kleinen, spartanischen Hütten ("hytter") entlang der Hauptverkehrswege. In rustikalen und sehr schönen Hütten weiter entfernt von der Zivilisation kann man übernachten, wenn man die Wandervereinshütten von "Den Norske Turistforening" nutzt (http://deutsch.turistforeningen.no). Der Trondheimsfjord ist mit allen Verkehrsmitteln leicht erreichbar (Flugzeug, Bahn, Fernbus, Postschiff). Aktuelle Vogelbeobachtungen im Gebiet können auf der Internetplattform www.artsobservasjoner.no (auf Englisch verfügbar) abgerufen werden. Um die Vorfreude auf eine Norwegenreise zu steigern, kann die Identifikation der nordischen Vogelarten auf www.birdid.no (auf Deutsch verfügbar) vor Reiseantritt geübt werden.

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Quelle:
Der Falke - Journal für Vogelbeobachter 7/2015
62. Jahrgang, Juli 2015, S. 12-17
mit freundlicher Genehmigung des Autors und des AULA-Verlags
AULA-Verlag GmbH, Industriepark 3, 56291 Wiebelsheim
Tel.: 06766/903 141, Fax: 06766/903 320
E-Mail: falke@aula-verlag.de
Internet: www.falke-journal.de
 
Erscheinungsweise: monatlich
Einzelhelftpreis: 4,95 Euro
Das Jahresabonnement für 12 Hefte ist im In- und Ausland für 54,- Euro zzgl. Porto erhältlich.


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. August 2015

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