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ZOOLOGIE/1141: Dem Tiefseefisch tief in die Augen geschaut (idw)


Eberhard Karls Universität Tübingen - 19.03.2014

Dem Tiefseefisch tief in die Augen geschaut

Anatom der Universität Tübingen entdeckt bisher unbekannten Typ von Spiegelaugen bei dem Gespensterfisch Rhynchohyalus natalensis



Wissenschaftler haben einen Tiefseefisch mit einer einzigartigen und neuen Augenform entdeckt: Der Rhynchohyalus natalensis, ein Gespensterfisch, lebt in 800 bis 1000 Metern Tiefe und besitzt als Erweiterung seiner nach oben gerichteten Röhrenaugen sogenannte "Spiegelaugen", wie Professor Hans-Joachim Wagner vom Anatomischen Institut der Universität Tübingen berichtet. Der Wissenschaftler hatte das 18 Zentimeter lange Exemplar aus der südlichen Tasmanischen See zwischen Australien und Neuseeland im Rahmen eines internationalen Forschungsprojekts untersucht.

Foto: © D. A. Flynn (CSIRO)

Der Tiefseefisch Rhynchohyalus natalensis
Foto: © D. A. Flynn (CSIRO)

Sein Befund war unerwartet: Spiegelaugen sind sonst nur bei Wirbellosen wie Muscheln oder Krebstieren bekannt - und bisher bei einem einzigen Wirbeltier, dem Tiefseefisch Dolichopteryx longipes. Durch eine Art "Spiegeloptik" aus Guaninkristallen ermöglichen sie diesen Tiefseebewohnern ein fokussiertes Bild auf einer Nebenretina abzubilden und auf diesem Wege das eingeschränkte Gesichtsfeld der "Röhrenaugen" wesentlich zu erweitern.

Der neu untersuchte Rhynchohyalus natalensis ist somit das zweite bekannte Wirbeltier überhaupt, das Spiegelaugen besitzt. Doch als Wagner dem Gespensterfisch noch tiefer in die Augen schaute, erwartete ihn eine weitere Überraschung: Obwohl die Fische eng miteinander verwandt sind, sind die Spiegelstrukturen in den Augen völlig unterschiedlich aufgebaut und haben sich aus verschiedenen Geweben entwickelt. Demnach hat sich bei zwei verwandten Arten auf verschiedenen Wegen eine ähnliche Lösung gefunden, um die Funktion der "Röhrenaugen" zu ergänzen und das Gesichtsfeld der Tiefseebewohner zu erweitern.

Da nur wenig Sonnenlicht in den Tiefen des Ozeans ankommt, haben manche Tiefseefische die nach oben gerichteten Röhrenaugen entwickelt. So sehen sie in Richtung Wasseroberfläche und nehmen zum Beispiel andere Tiere als Silhouetten gegen das restliche Sonnenlicht wahr. Bis in einige Hundert Meter tief unter die Wasseroberfläche dringt nur noch sehr wenig Sonnenlicht vor - allerdings ist es dort nicht so dunkel, wie man lange angenommen hat, weil viele Organismen in der Tiefe selbst Licht erzeugen (Biolumineszenz). Wie Wagner bereits erforscht hatte, sind die Augen des Gespensterfischs Dolichopteryx longipes optimal an diese Bedingungen angepasst: Mit den konventionellen Röhrenaugen werden Objekte oberhalb wahrgenommen, während in seitlichen Aussackungen der Röhrenaugen mit den Spiegeln zusätzlich auch das gesehen werden kann, was seitlich und unterhalb von ihm passiert.

Beim dem neu untersuchten Gespensterfisch ähnelten die Augen nur oberflächlich denen seines Verwandten: Bei Dolichopteryx longipes entstammen die Kristalle des Spiegels aus einer Pigmentschicht der Netzhaut. Sie haben abhängig von ihrer Position im Spiegel verschiedene Reflexionswinkel; im seitlichen Querschnitt besitzt der Spiegel mehrere Stufen. Bei Rhynchohyalus natalensis hingegen sind die Kristalle anders angeordnet. "Hier bildet sich der Spiegel aus der Silberhaut des Auges, die Kristalle im Spiegel sind fast parallel zur Spiegeloberfläche orientiert", beschreibt Anatom Wagner. Mithilfe von Modellen konnte er feststellen, dass diese Art Spiegel ein helles, recht scharfes Bild auf der Netzhaut des Fisches erzeugt. "Offenbar ist ein weites Gesichtsfeld auch in der Tiefsee von Vorteil, wenn sich ähnliche Strukturen unabhängig voneinander entwickeln."

Publikation:
Julian Partridge, Ron Douglas, Justin Marshall, Wen-Sung Chung, Thomas Jordan, Hans-Joachim Wagner:
"Reflecting optics in the diverticular eye of a deep-sea barreleye fish (Rhynchohyalus natalensis)."
Proceedings of the Royal Society B, 19. März 2014.

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Eberhard Karls Universität Tübingen, Antje Karbe, 19.03.2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. März 2014