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ZOOLOGIE/949: Unter den kleinsten Reptilien der Welt - Neue Zwergchamäleons in Madagaskar entdeckt (idw)


Hessisches Landesmuseum Darmstadt - 14.02.2012

Unter den kleinsten Reptilien der Welt: Neue Zwergchamäleons in Madagaskar entdeckt


In der Zeitschrift PLoS One berichtet ein deutsch-amerikanisches Forscherteam unter Leitung von Frank Glaw (Zoologische Staatssammlung München) über neue Zwergchamäleonarten aus Madagaskar. Ausgewachsene Männchen von Brookesia micra, der kleinsten der vier neu entdeckten Arten, messen inklusive Schwanz weniger als 24 mm und gehören damit zu den kleinsten Reptilien der Welt. Jungtiere passen bequem auf einen Streichholzkopf. Alle vier neuen Arten haben sehr kleine Verbreitungsgebiete und können aufgrund der fortschreitenden Waldzerstörung als stark bedroht gelten.

Madagaskar ist für seine artenreiche und einzigartige Tierwelt bekannt, die nirgendwo sonst zu finden ist. Fast dreihundert Froscharten und knapp vierhundert Reptilienarten tummeln sich dort in den Regenwäldern, Bergen und Trockengebieten und bei jeder Expedition werden weitere Arten neu entdeckt. Über 40% der 193 Chamäleonarten leben ausschließlich auf dieser Insel vor der ostafrikanischen Küste. Bemerkenswert sind auch Madagaskars zahlreiche Winzlinge wie Zwergfrösche, mausgroße Halbaffen und Zwergchamäleons.

Foto: © Jörn Köhler

Klein genug, um auf einem Streichholzkopf Platz zu finden. Ein Jungtier von Brookesia micra, eines der kleinsten Reptilien der Welt.
Foto: © Jörn Köhler

Ein deutsch-amerikanisches Biologenteam hat vier weitere Zwergchamäleons im Norden Madagaskars aufgespürt und in der Zeitschrift PLoS ONE beschrieben, darunter eine Art, die deutlich kleiner ist als alle bisher bekannten Chamäleons. Männchen von Brookesia micra haben eine Körperlänge von maximal 16 mm und die Gesamtlänge beider Geschlechter ist kleiner als 29 mm. Damit gehört diese Art zu den kleinsten Reptilien der Welt und findet bequem auf einem Streichholz Platz.

"Dass die kleinsten Arten vieler Tiergruppen vor allem auf Inseln zu finden sind, ist kein Zufall", erklärt Frank Glaw von der Zoologischen Staatssammung in München, "sondern ein typisches Phänomen". Warum Brookesia micra so extrem klein ist, wissen die Forscher noch nicht genau, es könnte aber an einem doppelten Inseleffekt liegen, denn diese Art ist bisher nur von einer zerklüfteten, 115 ha kleinen Kalkfelsinsel bekannt, die wenige Kilometer vor der großen Hauptinsel liegt. Die extreme Miniaturisierung von Brookesia micra dürfte jedenfalls mit zahlreichen Anpassungen des Körperbauplans einhergehen - ein spannendes Feld für zukünftige Untersuchungen.

Alle neu entdeckten Zwergchamäleons besiedeln anscheinend nur sehr kleine Gebiete, die zum Teil nur wenige Quadratkilometer groß sind. "Durch Lebensraumzerstörung sind sie daher besonders bedroht", befürchtet Jörn Köhler vom Hessischen Landesmuseum Darmstadt. "Eine der neuen Arten, Brookesia desperata, ist nur aus einem kleinen Regenwald bekannt und obwohl dieses Gebiet offiziell unter Schutz steht, wird hinter der Kulisse im Inneren des Reservats fleißig Raubbau betrieben". Auch Brookesia tristis schaut in eine ungewisse Zukunft. Seit der Lebensraum des Chamäleons vor wenigen Jahren unter Schutz gestellt wurde, nahm die Abholzung des Gebietes noch zu - wohl auch eine Folge der gegenwärtigen politischen Instabilität im Land. Die Artnamen dieser beiden Chamäleons (desperata = verzweifelt, tristis = traurig) haben die Forscher bewusst gewählt, um auf ihre Bedrohung aufmerksam zu machen.

"Erstaunlich an den kleinen Chamäleons ist auch die große genetische Distanz zwischen den Arten, die sich auf den ersten Blick relativ stark ähneln. Das zeigt, dass sich ihre Evolutionswege bereits vor vielen Millionen Jahren getrennt haben - deutlich früher als zwischen vielen anderen Chamäleonarten", sagt Miguel Vences, von der Technischen Universität Braunschweig. "Die Gattung Brookesia ist die ursprünglichste Gruppe innerhalb der Chamäleons", ergänzt Ted Townsend von der San Diego State University, der die genetischen Untersuchungen durchgeführt hat. "Das könnte bedeuten, dass die Evolution der großen bunten Chamäleons in Madagaskar mit kleinen unscheinbaren Vorfahren startete".

Foto: © Frank Glaw

Trauriger Blick in die Zukunft: Der Lebensraum der gerade erst entdeckten Chamäleonart Brookesia desperata ist von
Abholzung bedroht.
Foto: © Frank Glaw

Originalartikel:
F. Glaw, J. Köhler, T. Townsend, M. Vences: Rivaling the World's Smallest Reptiles: Discovery of Miniaturized and Microendemic New Species of Leaf Chameleons (Brookesia) from Northern Madagascar. PLoS ONE (DOI 0031314)

Weitere Informationen unter:
http://www.mvences.de/Tiny_chameleons.zip
- Hochaufgelöste Versionen dieser Fotos

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution947


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Hessisches Landesmuseum Darmstadt, Yvonne Mielatz, 14.02.2012
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Februar 2012