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UMWELTLABOR/190: Feigenblatt Feinstaub - oder der Sauerstoff auf der Flucht (SB)


Neue statistische Untersuchungen machen Feinstaubbelastung für das Geburtsgewicht verantwortlich

Staatlicher Zugriff auf werdende Mütter qualifiziert sich


Feinstaub ist einer der am wenigsten präzise zu erfassenden Umweltschadstoffe. Darunter versteht man so ungefähr alles, was eine bestimmte Größenordnung nicht überschreitet und mit einem kleineren Durchmesser als 2,5 Mikrometer (PM 2,5) auch noch lungengängig ist.

Teilchen dieser Kategorie stören zunächst schon einmal die Atmung sehr empfindlich, selbst wenn es sich um harmlose Sand- oder Cellulosepartikelchen, also gewissermaßen Abrieb aus der Umwelt, handelt. Durch die veränderten Umwelt- und Klimaverhältnisse sind diese Art von Staubpartikeln, die aus der Verkarstung und Erosion der Böden stammen, ohnehin vermehrt vorhanden, was die Qualität der Luft insgesamt verschlechtert.

Staubteilchen können jedoch außerdem noch mit allen möglichen chemischen Schadstoffen zusätzlich belastet sein und dann über die Lunge in den Organismus gelangen, wo sie je nach chemischer Fracht großen Schaden anrichten. In dem Abrieb von Straßenbelag und Gummireifen oder ihren Verbrennungsprodukten sowie in Asbest, der ebenfalls im Staub enthalten sein kann, verbergen sich beispielsweise unzählige krebserregende Stoffe.

Was sie in Form eines nicht zu identifizierenden chemischen Mikrococktails, dessen einzelne Bestandteile theoretisch auch noch miteinander reagieren können, im Körper anrichten, läßt sich nicht vorhersagen, auch nicht, ob die Gefahr, die von solchen Stäuben ausgeht, nicht maßlos überschätzt wird.

Feinstaub eignet sich allerdings gerade deshalb auch gut als Sündenbock für alle möglichen Gesundheitsschäden und Krankheiten, die man ansonsten auf andere genauer definierte, aber vielleicht noch unerfreulichere Zusammenhänge zurückführen müßte. Der Feinstaubfaktor, der u.a. auch von der Luftfeuchtigkeit oder der Sonneneinstrahlung abhängt, läßt sich kaum beeinflussen, d.h. selbst gründlichere Staubfilter an Automobilen und Fabrikanlagen können an der aktuellen Staubdichte nur wenig ändern. Was auf der einen Seite eingespart wird, gleicht der Feinstaubeintrag aus der ausgetrockneten Natur auf der anderen Seite wieder aus.

Anders gesagt, um an den bestehenden Verhältnissen absolut nichts ändern zu müssen und von den gravierenderen, eigentlichen Problemen abzulenken, genügt es vollkommen, einen Sündenbock wie Feinstaub nachweislich mit bestimmten Zivilisationskrankheiten oder Veränderungen in Beziehung zu bringen. Damit lassen sich dann zwar wenig effektive Restriktionen wie Rauchverbote oder neue Bestimmungen für Filteranlagen durchsetzen, mehr aber auch nicht.

In diesem Sinne muß man wohl auch den neuerlich erbrachten Nachweis verstehen, Feinstaubpartikel aus dem Verkehr würden das Geburtsgewicht von Neugeborenen beeinflussen. Das soll letztlich bedeuten, daß schon das Ungeborene im Mutterleib durch die normale schadstoffbelastete Großstadtluft, die ihre Mütter einatmen, in seiner Entwicklung gestört wird.

Nun scheint es zunächst einmal plausibel, daß schlechte Luft wie die deutsch-französische Auswertung von Statistiken an Münchner Müttern und ihren Kindern schließlich zusammenfaßte, auch für das Ungeborene nicht gut sein kann. So hieß es wörtlich in einem Bericht des Informationsdienstes Wissenschaft am 25. Juni 2007:

Wissenschaftler des GSF - Forschungszentrums für Umwelt und Gesundheit in der Helmholtz-Gemeinschaft - konnten gemeinsam mit Kollegen des französischen Instituts für Gesundheit und medizinische Forschung INSERM zeigen, dass die Exposition von schwangeren Frauen mit Feinstaubpartikeln aus dem Verkehr zu einer Minderung des Geburtsgewichts ihres Kindes führen kann. Nachdem die Forscher in der Vergangenheit die Effekte der Feinstaubbelastung bei Erwachsenen und Kindern untersucht hatten, konzentrieren sie sich mit dieser neuen Untersuchung nun erstmals auf die Risiken für das ungeborene Leben.
(idw, 25. Juni 2007)

Man fragt sich nur, warum die an der Studie beteiligten Wissenschaftler diese schon durch den gesunden Menschenverstand längst begriffene Tatsache noch einmal so genau definieren und vor allem auf den Feinstaubbegriff konzentrieren wollten. Die näheren Umstände der nun veröffentlichten Studienauswertung verstärken noch den Eindruck, daß damit eine bestimmte Aussage herauskristallisiert werden sollte.

Für sie wurden ausschließlich statistische Daten aus der Kohortenstudie LISA verwendet, in der der Einfluß von Lebensbedingungen und Verhaltensweisen auf die Entwicklung von Immunsystem und Allergien untersucht wird. Anders gesagt handelt es sich dabei schon von vornherein um Probanden oder Freiwillige, die ein Interesse hatten, an einer solchen Studie teilzunehmen, d.h. möglicherweise schon eine starke Empfindlichkeit gegenüber Umweltverhältnissen oder eine Neigung zu allergieähnlichen Befindlichkeitsstörungen besitzen. Auf diese Weise wurden vor allem solche Daten erfaßt, die das gewünschte Ergebnis stützen oder begünstigen.

Die weitere Auswahl des Kreises von erfaßten Personen erfolgte ebenfalls unter besonders erfolgversprechenden Kriterien:

Untersucht wurden 1016 Mütter und ihre Kinder, die im Zeitraum von 1998 bis 1999 in München geboren waren. Es wurden nur Frauen einbezogen, die während der Schwangerschaft keinen Wohnortwechsel vorgenommen hatten. Auf Basis einer Messkampagne an 40 Standorten im Stadtgebiet von München konnte die Exposition der Mütter verkehrsbedingten Luftschadstoffen während ihrer Schwangerschaft, darunter lungengängigen Feinstaubpartikeln mit einem Durchmesser kleiner 2,5 Mikrometer (PM2,5), modelliert werden. Das Modell bezog die Entfernung des Wohnstandorts zu Straßen ein, die Populationsdichte in der Nähe der Wohnung sowie die zeitlichen Konzentrationsschwankungen der Luftschadstoffe während der Schwangerschaft.
(idw, 25. Juni 2007)

Daß man es bei der Auswertung wohl von vornherein darauf angelegt hatte, einen Zusammenhang zwischen Geburtsgewicht und Großstadtluft herzustellen, läßt sich auch aus den Fragestellungen ablesen, mit denen andere Einflüsse, die bekanntermaßen für das Geburtsgewicht eine Rolle spielen, herausfiltriert werden sollten. Dazu zählen nach Meinung der Autoren der Studie vor allem das Rauchverhalten der Mutter, Größe und Gewicht der Mutter vor der Schwangerschaft, das Ausbildungsniveau der Mütter sowie die Dauer der Schwangerschaft und das Geschlecht des Kindes. Darüber hinaus hatten schon frühere amerikanische Studien hypothetisch angedeutet, daß Feinstaub einen Einfluß auf das Geburtsgewicht haben könnte. Und tatsächlich:

Frauen, die während ihrer Schwangerschaft höheren Konzentrationen an lungengängigem Feinstaub mit einem Durchmesser von kleiner als 2,5 Mikrometer (= PM 2,5) exponiert waren, brachten überdurchschnittlich viele Kinder mit einem Geburtsgewicht von weniger als 3.000 Gramm zur Welt. Ein ähnlicher Zusammenhang wurde zwischen der Schwärze von Feinstaub und dem Geburtsgewicht beobachtet. Dieser Faktor gilt als Marker für die Herkunft der Partikel aus dem Verkehr und insbesondere aus Diesel-Fahrzeugen.
(idw, 25. Juni 2007)

Gleichzeitig räumten die Wissenschaftler jedoch ein, daß die biologischen Mechanismen, die den Einfluß von Luftschadstoffen auf das Wachstum des ungeborenen Kindes erklären könnten, noch nicht geklärt seien.

Nun gibt es Studien, die in den USA und Polen durchgeführt wurden, in denen gezeigt werden konnte, daß sogenannte polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAH) wie Benzpyren, die während unvollständiger Verbrennungsprozesse entstehen, plazentagängig sind, d.h. über den Blutkreislauf der Mutter in den Fötus gelangen und dessen Wachstum beeinflussen können. Auf diese Weise und später über die Muttermilch gelangen auch viele andere Umweltschadstoffe in den Fötus oder das Kind.

Mit den aus Verbrennungsprozessen stammenden Polyzyklen hatten Mütter jedoch schon immer zu tun, vor allem in den Zeiten, in denen noch mit Kohle oder Holz geheizt oder Küchenherde befeuert wurden. Aber nicht nur Schadstoffe können die Entwicklung des Ungeborenen stören oder ungünstig beeinflussen.

Daß die zunehmend schlechte Luft (nicht nur in den Großstädten, sondern auch auf dem Land) neben vermehrten Abgasen und Staub aber auch sehr viel weniger Sauerstoff (O2) enthält, geht aus der nun vorliegenden Untersuchung nicht hervor, die ja auch im wesentlichen auf den Einfluß verkehrsabhängiger Luftschadstoffe hinweisen soll.

Doch ist dieser simple Faktor, der Mangel des für alle Stoffwechselvorgänge essentiell notwendigen Oxidationsmittels, das auch nicht durch die Zunahme von bodennahem Ozon (O3) zu ersetzen ist, möglicherweise noch wesentlich gravierender für das Wachstum als sämtliche undefinierbaren Schadstoffe. Das geringe Geburtsgewicht könnte sogar eine erste Umweltanpassung darstellen, denn ein kleinerer Organismus läßt sich besser mit weniger Sauerstoff versorgen.

Zum Vergleich gibt es fossile Versteinerungen von durchschnittlich wesentlich größeren Insekten als heutzutage, die als Tracheenatmer ein Hinweis dafür sind, daß auf der frühen Erde ein besonders hoher Sauerstoffdruck geherrscht hat. Die hypothetische Beziehung zwischen Sauerstoffdruck der Atmosphäre und Größenwachstum wäre demnach nicht einmal neu. So wurde schon 2005 in einer Kurzmeldung im Videotext der ARD folgende wissenschaftliche Hypothese aufs kürzeste zusammengefaßt:

Sauerstoffboom half Säugetieren

Ein Anstieg des Sauerstoffgehalts in der Atmosphäre hat vor 50 Millionen Jahren den Säugetieren den nötigen Anstoß gegeben, an Artenvielfalt und individueller Größe zuzunehmen.

Das vermuten US-Wissenschaftler, die anhand von Bohrkernen aus dem Meeresgrund den atmosphärischen Sauerstoffgehalt der vergangenen 205 Millionen Jahre rekonstruiert haben. Verdoppelt habe sich der Sauerstoffgehalt vermutlich durch die Photosynthese einzelliger Algen im Meer. Das erhöhte Algenwachstum könne durch das Auseinanderbrechen des Kontinents Pangää entstanden sein.

Allerdings läßt sich der Sauerstoffgehalt der Luft nicht beeinflussen, so daß man mit dieser Interpretation der Versuchsergebnisse keinen weiteren Zugriff auf werdende Mütter und deren Nachkommenschaft nehmen könnte.

Letztere ist inzwischen sogar von staatlichem Interesse, zumindest was Geburtenziffer und Gesundheitszustand angeht und schon allein aus demographischen Gesichtspunkten zu einem Politikum geworden, weshalb jede wissenschaftliche Erkenntnis, die eine Einflußnahme möglich werden läßt, ungemein begrüßt wird.

Was die jüngsten Ergebnisse nun für jene Frauen bedeuten, die einer Mutterschaft entgegenblicken, läßt sich kaum erahnen. Von Sanktionen für Fehlverhalten bis zu steuerlichen Vergünstigungen bei optimaler Versorgung des Ungeborenen lassen sich viele instrumentelle Möglichkeiten denken, das Geburtsergebnis nach Wunsch zu manipulieren. Doch vielleicht reicht ja schon bald allein das Versprechen oder Privileg, reine schadstoff- und staubfreie Luft atmen zu dürfen, aus, um gebärunwillige Frauen von der Notwendigkeit einer Mutterschaft mit allen dafür notwendigen Konsequenzen zu überzeugen und der demographischen Kurve eine kleinen Schubs in die gewünschte Richtung zu geben.

29. Juni 2007