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RATGEBER/259: Mit Sonnenlicht gegen Zwiebel- und Bratwurstdunst (SB)



Chemiker der Universität Jena bekämpfen Gerüche mit photokatalytischen Verfahren

Hieß es einst landläufig: "Chemie ist das, was stinkt und knallt", so konnten Chemiker dieses Image inzwischen beinahe schon ganz ins Gegenteil verkehren. Ein Beispiel für die Anti-Gestank-Chemie, soll ein photokatalytisches Verfahren sein, mit dem man Dunstabzugshauben in Küchen überflüssig machen bzw. zusätzlich aufrüsten will.

Was aber zunächst einfacher und effektiver zu handhaben scheint, als konventionelle Küchenfilter, erweist sich bei näherer Betrachtung doch als ausgesprochen aufwendig, energieverzehrend und teuer. Das hindert die Forscher in Jena nicht, ihren sogenannten "Titandioxid-Sandwich" doch noch unter die besagte Haube zu bringen, koste es was es wolle. Der Informationsdienst Wissenschaft berichtete schon vor Jahren darüber:

Die chemischen Experimente, die Dr. Susann Meyer in den letzten zweieinhalb Jahren durchgeführt hat, könnten [...] zukünftig dazu dienen, Gestank zu vermindern. In ihrer Promotionsarbeit testete und optimierte die Chemikerin von der Friedrich-Schiller- Universität Jena die Voraussetzungen für photokatalytische Reinigungsprozesse. Ein renommierter Schweizer Ausrüster für Großküchen hat jetzt sein Interesse bekundet, die neue Technologie in seinen Küchenabzugshauben einzusetzen. Die 26-jährige Chemikerin, die am Institut für Technische Chemie und Umweltchemie arbeitet, hat kürzlich ihre Dissertation zum Thema "Plasmachemische Beschichtung: Eine Methode zur Herstellung substratunabhängiger photokatalytisch aktiver Titandioxid-Schichten" vorgelegt. Die im Rahmen eines durch das Bundesforschungsministerium (BMBF) geförderten Projektes angefertigten Arbeit wurde kürzlich mit dem höchsten Prädikat "summa cum laude" bewertet.
(idw, 28. Juli 2003)

Heutzutage sorgen hochabsorbierende Aktivkohlefilter und Filterwatte dafür, in ihren Poren geruchsintensive Gase aufzusaugen, so daß die "Emissionen" an Bratenwurst- und Pommesduft in der Abluft reduziert werden. Die Kohle wird dann mit dem Hausmüll entsorgt oder verbrannt. Von dieser Art der Abluftreinigung haben die Köche selbst allerdings kaum etwas, denn auf dem Weg von der Bratpfanne in die Abzugshaube breiten sich noch genügend küchentypisches Aroma, Zwiebeldämpfe und dergleichen aus, das ihnen in Nase, Augen und Tränendrüsen steigt.

Nun schürt die "photokatalytische Geruchsbeseitigung" vielleicht die Hoffnung auf eine Verbesserung der Luftqualität der Küche selbst, um der Küchenmannschaft eine freiere Atmung zu ermöglichen. Das würde denn auch den Aufwand an Technik, der bei diesem Verfahren betrieben werden muß, möglicherweise rechtfertigen.

Doch bei Beibehaltung der ursprünglichen technischen Voraussetzungen geht die verbesserte und gefilterte Luft immer noch den gleichen Weg in die Umwelt. Die Köche bleiben im Dunst zurück.

Zwar sollen durch UV-Licht am Katalysator die in Frage kommenden Geruchsmoleküle vollständig zertrümmert werden, so daß auch der Filter selbst anschließend nicht mehr riecht. Man muß aber davon ausgehen, daß auch die neue Generation von Dunstabzugshauben küchen- und abgastechnisch keine Qualitätssprünge aufweist, dafür aber eine sehr viel kompliziertere und chemisch anspruchsvollere Herstellung und Technik erfordert, wie der idw-Text schon andeutete:

In der Arbeit geht es - um im Küchenjargon zu bleiben - um Metall- oder Keramik-Toastscheiben, die in einem komplizierten chemischen Prozess mit Titan- und Titandioxidschichten belegt werden. Regt man die oberste Schicht dieses Sandwichs, nämlich das Titandioxid, mit UV-Licht an, wird ein katalytischer Reaktionsprozess in Gang gesetzt. Dieser zerstört Geruchsträger aber auch beliebige andere ungewollte Verbindungen, die in flüssiger oder fester Phase am angeregten Titandioxid-Belag vorbeigeleitet werden.
(idw, 28. Juli 2003)

Den Vorteil gegenüber herkömmlichen Verfahren (Aktivkohlefilter) ist wenig überzeugend:

"Die müssen aber häufig ausgetauscht werden", nennt
Susann Meyer einen Nachteil.

(idw, 28. Juli 2003)

Auch ihr Doktorvater Prof. Dr. Günter Kreisel führt ein bei genauerer Prüfung wenig überzeugendes Argument an:

"Bei anderen gängigen Verfahren wird mit dem problematischen UVC- Licht gearbeitet und es entsteht Ozon als Nebenprodukt des photokatalytischen Prozesses."
(idw, 28. Juli 2003)

Die in Jena entwickelte Variante soll dagegen mit dem weniger schädlichen UVA-Licht auskommen, das z.B. in Diskolampen eingesetzt wird und inzwischen mittels Halbleiterdioden erzeugt werden kann. Man erinnere sich, UVA-Strahlung ist derjenige Anteil des Sonnenlichts, der am tiefsten in die Schichten der Haut eindringen kann und dort die Hautalterung, Trocknung, den Faltenwurf und möglicherweise auch Krebs verursachen kann. Die wesentlich härtere und energiereichere UVB- Strahlung bleibt an der Oberfläche, kann nicht eindringen, zerstört jedoch nachhaltiger das Gewebe (Sonnenbrand). UVC-Strahlung dringt gewöhnlich nicht einmal bis zur Haut vor, da sie schon durch einfache Gasmoleküle in der Luft reflektiert wird. Sie ist allerdings kurzwelliger, und somit noch energiereicher als UVB.

Aber alle drei Arten entwickeln sowohl bei ihrer Erzeugung in UV-Lampen als auch beim Kontakt mit Luftmolekülen aggressives Ozon. Doch selbst, wenn bei der UVA-Strahlung Ozon als Nebenprodukt in irgend einer Weise ausgeschaltet werden könnte, bleibt dennoch die Frage offen, was wirklich für den Menschen weniger beeinträchtigend bzw. gefährlich ist: atemwegsreizendes Ozon oder frühzeitige Hautalterung.

Auch die weiteren vermeintlichen Vorteile der neuen Erfindung leuchten nicht so ganz ein:

"Mit dem Titandioxid setzen wir eine ungiftige, preiswerte und chemisch träge Substanz ein, die wir ganz kontrolliert zur Reaktion anregen können", zählt Meyer die Vorteile auf. Die Substanz ist überall im Alltag zu finden, zum Beispiel als Weißmacher in Zahnpasta oder in Sonnenschutzprodukten ab Lichtschutzfaktor 10.«
(idw, 28. Juli 2003)

Das kann man von Aktivkohle genauso sagen. Doch was alles mit dem harmlosen Weißpigment angestellt werden muß, damit es Moleküle klein macht, ist für die einfache Aktivkohlegewinnung keine Konkurrenz:

Für ihre photokatalytischen Reaktionen mussten die Jenaer Chemiker das Titandioxid jedoch in einer dünnen kristallinen Schicht bändigen. Ihr Ziel war es, Titandioxid-Schichten definierter Dicke auf unterschiedlichen Ausgangsmaterialien zu erzeugen. "Das geht jedoch nur, wenn auf dem gewünschten Trägermaterial schon eine hauchdünne Titanschicht als Reaktionsbasis vorhanden ist", erklärt Prof. Kreisel, der seit vielen Jahren auf dem Gebiet forscht.
(idw, 28. Juli 2003)

Zudem ist es technisch nicht so einfach, Titan auf Metalle oder Keramiken aufzubringen. Ein Problem, das von einem Industriepartner der Universität Jena mit großem Einsatz von Materialien, Technik und Wärmeenergie gelöst werden konnte. Letztlich kam dabei die Beschichtung von "netzartigen Aluminiumstreckmetallen mit Titandioxid" heraus:

PVD (Physical Vapour Deposition) heißt das Schlagwort für Eingeweihte. Kreisels Team arbeitete seinerseits daran, das "Sandwich" in einer kontrollierten elektrochemischen Reaktion mit dem Titandioxid "zu belegen". Dazu kommt das Ausgangswerkstück in ein Elektrolysebad, in dem eine Titanverbindung gelöst ist. Unter hohen Spannungen von 150 Volt vollzieht sich an der Titanmutterschicht die Reaktion, kristallines Titandioxid lagert sich an. "Das Knattern der 'plasmaartigen' Entladungen an der Reaktionsoberfläche kann man sogar hören", sagt Susann Meyer. Die Analyse, Charakterisierung und Quantifizierung dieses Prozesses brachte ihr den Doktorhut ein.
(idw, 28. Juli 2003)

Das fertige Produkt würde vermutlich sogar überzeugen und seine aufwendige Herstellung rechtfertigen, wenn es nun tatsächlich nur noch durch das UVA-Spektrum der Sonne aktiviert würde. Doch welche Großküche oder welche normale Haushaltsküche läßt so die Sonne ins Innere, daß es für technische Geräte nutzbar wäre. Statt dessen muß das UVA-Licht zum Betrieb des Titanoxid-Geruchsfilters erst technisch erzeugt werden, und dabei wird bekanntlich (Höhensonneneffekt) Ozon in der Lichtquelle freigesetzt. Doch darüber schweigen die Erfinder...

Erstveröffentlichung 2003
neue überarbeitete Fassung
14. Oktober 2008