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RATGEBER/264: Schluß mit dem Gerücht - ein Apfel pro Tag sei nachweislich gesund (SB)


SCHLUSS MIT DEM GERÜCHT ...

daß die im Apfel enthaltene Gesundheit meßbar sei

und was es mit den gesunden Inhaltsstoffen tatsächlich auf sich hat


"One apple a day keeps the doctor away", diese alte Weisheit aus dem angelsächsischen Raum, die sich vermutlich im wesentlichen auf Erfahrung stützt, hatte sich auch schon in der Generation unserer Großeltern hierzulande durchgesetzt. Im Zuge der inzwischen ebenfalls schon überholten Vorstellungen der orthomolekularen Medizin von hochdosierten Vitamingaben war dann "ein Apfel pro Tag" nicht mehr ausreichend genug, um alle zur Gesunderhaltung notwendigen Vitamine zu sich zu nehmen. Außerdem verkündeten die Anhänger dieser Lehre, daß die hochgezüchteten Sorten sehr viel weniger Vitamine und Nährstoffe enthalten als die früher verbreiteten Gartenäpfel. Wenn schon echtes Obst, dann sollte man zumindest fünf verschiedene Sorten und Portionen am Tag verteilt zu sich nehmen, und zusätzlich alle fehlenden Nahrungsergänzungsmittel in Pulver oder Tablettenform.

Inzwischen ist man angeblich in der Lage, die Gesundheit eines Apfels ganz exakt zu bestimmen. Das behauptete zumindest ein Artikel in der Internetausgabe Pressetext.de vor einigen Jahren, in dem über eine kanadische Forschergruppe des Agriculture and Agri-Food (AAFC), Ontario berichtet wurde. Diese legten die unterschiedliche gesundheitliche Wertigkeit von Äpfeln anhand ihres Polyphenolgehaltes fest.

Danach unterschieden sich Apfelsorten signifikant in ihrer Konzentration an diesen gesundheitsfördernden Substanzen. Die kanadischen Forscher wiesen nach, daß die Menge krankheitsabweisender Antioxidantien und gesundheitsförderender Polyphenole bei den einzelnen Sorten um bis zu 60 Prozent variieren können.

Und doch war das Ergebnis recht überraschend, denn den höchsten Polyphenolgehalt konnten ausgerechnet die Apfelsorten Red Delicious, Ida Red und Northern Spy aufweisen, die danach also als die gesündesten gelten, aber bekanntlich auch hochgezüchtete Rassen mit hohem Marktanteil sind.

Die Experten von Agriculture and Agri-Food (AAFC) untersuchten auch tatsächlich nur handelsübliche Apfelsorten - Red Delicious, McIntosh, Cortland, Northern Spy, Ida Red, Golden Delicious, Mutsu und Empire - und ermittelten zudem nur deren Gehalt an Antioxidantien, also eine einzige Stoffklasse. Die Konzentration von Vitaminen, Mineralien und Spurenelementen wurden nicht festgehalten. Nun ist die Frage der gesundheitlichen Relevanz von Antioxidantien allerdings nicht unbedingt geklärt:

Polyphenole sind sehr schnell bei Kontakt mit Luft oxidierbar und gelten daher als Antioxidantien. Kurz gesagt fangen sie den schädlichen Sauerstoff ab, ehe er z.B. Fett ranzig werden läßt.

Seit vor einiger Zeit der Begriff der freien Radikale geprägt wurde, die allgemein für gesundheitsschädigende instabile Moleküle und im besonderen für sehr aggressive, ungepaarte Sauerstoffatome gehalten werden, nennt man diese Gruppe der Antioxidantien auch Radikalenfänger, weil sie angeblich die freien Radikale neutralisieren könnten. Letztere sollen in der Luft vorkommen und Zellen und Zellgewebe schädigen und gelten zudem noch als möglicher Auslöser für Herzerkrankungen, Prostata- und Dickdarmkrebs.

All das relativiert sich aber, wenn man bedenkt, daß Radikale genaugenommen und per Definition eine äußerst kurzlebige, mit technischen Mitteln nicht identifizierbare Zwischenstufe sein sollen, die von Chemikern allein zu dem Zweck erfunden wurde, um einen logischen Bruch im speziellen Fall des Reaktionsmechanismus' der Photooxidation von Fetten (d.h. dem Ranzigwerden durch UV- oder Lichteinfluß) zu schließen. Damit sie nicht selbst zum logischen Stolperstein werden, mußten Radikale drei Bedingungen erfüllen: 1. chemisch sehr aggressiv sein, damit sie 2. sofort weiterreagieren, so daß sie 3. analytisch nicht erfaßt werden können. Auf deutsch heißt das: Es gab sie nicht, es gibt sie nicht, es soll sie aber geben!

Auch wenn es sich bei den ·OH-, ·O-Radikalen bzw. Hydroxy- oder Sauerstoffradikalen um reine fiktive Denkakrobatik handelt, ändert das nichts an der Tatsache, daß eben diesen Radikalen heute und zumindest in der Medizin der schwarze Peter für viele unerwünschte Reaktionen und Krankheiten zugeschoben wird. Durch den häufigen Gebrauch des Begriffs haben aber offenbar selbst Chemiker, zumindest aber Lebensmittelchemiker, vergessen, daß es diese Teilchen definitiv nicht gibt und sie das selbst so festgelegt haben.

D.h. auch alle weiteren Überlegungen, die antioxidative Wirkung von Äpfeln auf ihren Polyphenolgehalt zurückzuführen, haben dann eigentlich nichts mehr mit einem gesunderhaltenen Effekt in den Zellen selbst zu tun. Ehe man dem normalen Luftsauerstoff, der tatsächlich die Polyphenolen unter Lichteinfluß schneller oxidiert als alles andere und außerdem essentiell zum Leben notwendig ist, einen negativen zellschädigenden Effekt nachsagen könnte, ist dieser aber schon an roten Blutfarbstoff gebunden und in den Tiefen des Organismus verschwunden. Wie also sollte Sauerstoff in einer schädlichen Form bis in die Zellen vordringen, in denen er dann von den Apfelpolyphenolen erwartet und unschädlich gemacht wird.

Die Unterschiede, die die Forscher überraschend zwischen den getesteten Sorten ermitteln konnten, sind somit ziemlich unerheblich, zumal nur diese bestimmte Wirkstoffgruppe untersucht wurde. Sie dienen somit nur Marketing-Zwecken.

Äpfel bestehen aber aus einem ganzen Cocktail verschiedener Nährstoffe, Vitaminen und Inhaltsstoffen, die man möglicherweise bis heute noch nicht identifiziert hat, so daß man die Gesamtwirkung eines Apfels kaum an einem einzigen Inhaltsstoff festmachen kann. Und möglicherweise sind jene Äpfel, die hier gar nicht getestet wurden, wie der saure Boskop oder ein ganz gewöhnlicher, aber ungewöhnlich schmackhafter wilder Gartenapfel einer längst vergessenen Apfelsorte in ihrer Wirkstoffkomposition viel effektiver als alle hier besonders hervorgehobenen und in jedem Supermarkt erhältlichen Exemplare. Und jeder Apfelliebhaber wählt schon automatisch die Sorten aus, die ihm am besten bekommen.

Dennoch will ich das Ergebnis nicht vorenthalten: So sollen Red- Delicious-Äpfel eine zweifach stärkere antioxidative Wirkung als Empire-Äpfel gehabt haben. Zudem habe die Schale der Äpfel fünfmal so viele Polyphenole als das Fruchtfleisch enthalten.

Die Polyphenole Epicatechin, das auch für das Braunwerden der Äpfel verantwortlich ist und u.a. auch in Tee vorkommt und Procyanidin B2 stellen nach Meinung der Experten die stärksten Antioxidantien dar.

Wer nun in Zukunft nur noch Äpfel mit ausgewiesenem Nährstoff bzw. Polyphenolnachweis kaufen will wie die Experten im übrigen raten, dem sei gesagt, daß auch ein ausgewiesener hoher Polyphenolgehalt auf der Tüte beispielsweise nur ein Mittelwert ist, nicht aber unbedingt etwas über den einzelnen Apfel aussagt, den man gerade ißt.

Da Äpfel nach wie vor in der Natur wachsen, sind sie je nach Platz am Ast oder im Baum in einer vorteilhaften Lage zur Sonne oder auch nicht. Entsprechend bilden sich auch innerhalb einer Apfelsorte Unterschiede in den Nährstoffkonzentrationen heraus und zwar von Apfelbaum zu Apfelbaum und von Apfel zu Apfel.

Die Äpfel, die man in der Tüte kauft, auf der ein Nährstoffnachweis aufgeführt ist, sind aber garantiert nicht analysiert, da man zur Analyse den jeweiligen Apfel zermusen müßte, um an die Inhaltsstoffe zu kommen. Sie können also soviel Nährstoffe enthalten wie die Tüte ausweist, oder auch nicht.

Kurzum kann man einfach jeden x-beliebigen Apfel essen, Hauptsache er schmeckt, macht dem Gaumen Freude und tut auch sonst gut. Dann ist er garantiert immer noch so bekömmlich und gesundheitsfördernd wie das unsere Großväter ihrer Erfahrung nach empfunden haben. Nicht mehr und nicht weniger.

Erstveröffentlichung 2006
aktualisierte Fassung

2. Dezember 2008