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RATGEBER/270: Erlesener Wein nach Frankenstein (SB)


Wie sich schlechter Fusel in edlen Wein verwandeln läßt...

Reifung mittels Stromschlag beschleunigt


Dank modernster Technik soll sich nun die biblische Legende vom Essig, der zu Wein verwandelt wurde, in die Tat umsetzen lassen. Streng genommen sind es aber nur die sauren Essig- und Gerbsäureanteile, die (laut einem kürzlich in The New Scientist Magazine erschienenen Artikel von Stephanie Pain) billigen Wein ungenießbar werden lassen, und die man innerhalb von Minuten zur Bildung schmackhafter Ester anregen kann, wenn man ihn einer elektrischen Spannung aussetzt.

Weinexperten werden bei diesem an Frankensteins Methoden erinnernden Verfahren vermutlich protestieren, da sie bekanntlich auf eine lange und sachgemäße Reifung des Weins in Fässern aus besonderem Holz und in kühlen Weinkellern schwören.

Doch tatsächlich behauptet Pain, sie könne aus jeder billigen Flasche Wein, die man noch herumliegen oder zu Weihnachten geschenkt bekommen habe, einen wahren Genießertropfen produzieren - ohne Chemie oder Zucker oder was Weinpanscher sonst noch in ihrer Trickkiste haben, um Wein damit zu fälschen. Von solchen Machenschaften läßt sich jedoch ein echter Weinkenner nicht täuschen, der schmeckt trotz raffiniertester Chemie den alten Fusel heraus.

Doch etwas anderes sei es, wenn man schlechten Wein in den Einflußbereich elektrischer Hochspannung bringen kann. Diese Technik sei inzwischen mehrfach auch mit Hilfe von Weinexperten getestet und überprüft worden, im Doppelblindversuch mit anschließender Weinprobe. Nachdem die Ergebnisse veröffentlicht worden waren, hätten schon fünf Weinkellereien in die Hochenergietechnik investiert.

Vor allem ungenießbarer, roher Rotwein soll sich, zwischen die Hochspannungselektroden gebracht, zu einem angenehm süffigen Wein bester Lage entwickeln.

"Using an electric field to accelerate ageing is a feasible way to shorten maturation times and improve the quality of young wine." ["Mit Hilfe des elektrischen Feldes läßt sich der Reifungsprozeß verkürzen und die Qualität des jungen Weines erheblich verbessern".]

Das behauptet Professor Alexandre von der Universität von Burgund (Frankreich), der ganz in der Nähe einer der bekanntesten französischen Weinanbaugebiete forscht und arbeitet.

Normalerweise ist junger, unausgereifter Wein nicht nur ungenießbar, sondern hat auch recht unangenehme Nebenwirkungen. Abgesehen von Magenbeschwerden und einem starken Durstgefühl kann gerade er einen scheußlichen Kater verursachen.

Bisher konnte man Wein frühestens nach sechs Monaten in den Handel bringen. Aber vor allem rote Weine brauchen sehr lange, um die gewünschte Ausgewogenheit und Vollmundigkeit zu entfalten. Die besten Weine reifen oft 20 Jahre, bis sie die angestrebte Qualität erreichen.

Während dieses Reifeprozesses wird dem Wein die Säure entzogen, die gemeinsam mit Alkohol (Ethanol, Ethylalkohol) zu einer Vielfalt aromatischer, organischer Ester weiterreagiert.

Unangenehme Geschmackskomponenten dagegen fallen aus, so daß der Wein klarer und auch haltbarer wird. Die adstringierenden bitteren Begleitsubstanzen des Rotweins (Gerbstoffe bzw. Tannine) verbinden sich miteinander (polymerisieren gewissermaßen) und bilden größere Komplexe mit den ebenfalls vorkommenden, natürlichen Farbstoffen, wobei sie gleichzeitig jene flüchtigen, ätherischen Öle freigeben, an die sie zuvor gebunden waren. Letztere sind für das eigentliche Aroma des Weins verantwortlich.

Die chemischen Reaktionen brauchen in der Regel nicht nur Zeit, sondern auch eine geringe aber gleichmäßige Zufuhr von ausreichend Sauerstoff (O2). Das ist normalerweise durch die Porosität der Holzfässer ausreichend gegeben. In Stahlfässern führt man den Sauerstoff künstlich mit einer sehr langsam arbeitenden Pumpe zu, die winzige Bläschen freisetzt.

Vor allem in China hatte man sich für beschleunigte Reifungsmethoden interessiert, da die gerade boomende junge chinesische Lebensmittelindustrie ihre Weine in kürzerer Zeit auf den Markt bringen und Lagerungskosten erheblich senken will.

Die Idee mit dem elektrischen Feld wurde daher auch erstmals von dem chinesischen Chemiker Xin An Zeng aufgebracht, der schon seit 1980 zu diesem Zweck mit Hitze experimentiert hatte und nun mit elektrischen Feldern unterschiedlicher Spannung zu arbeiten begann.

Der Wein wird dabei durch Leitungen gepumpt, die zwischen zwei Titanium-Elektroden laufen. Letztere erhalten eine Grundspannung, die bis zur Hochspannung heraufgefahren werden kann.

Der für den Expertentest produzierte Wein bestand aus einem erst drei Monate alten Cabernet Sauvignon der Suntime Kellerei, einer der größten chinesischen Hersteller.

Nun wurden Proben einer 1-, 3- oder 8minütigen Prozedur zwischen den Titanelektroden unterzogen. Anschließend wurde der Wein chemisch analysiert und dann von 12 Weinexperten gekostet. Das Ergebnis wurde in dem Fachjournal Innovative Food Science and Emerging Technologies (Vol 9/2008, Seite 463) veröffentlicht.

Die Resultate waren überwältigend. Selbst die geringste Spannungsveränderung hatte den trockenen, adstringierenden Wein schon sehr viel lieblicher werden lassen. Eine längere Behandlung sorgte für eine weitere Qualitätssteigerung und die Entfaltung solcher Merkmale wie Blume, Ausgewogenheit, Vollmundigkeit oder Komplexität.

Die Wandlung erreichte schon nach 3 Minuten bei 600 Volt pro Zentimeter ihr Optimum, bei dem der Wein von den Weintestern noch als Cabernet Sauvignon, aber von höchster Qualität und Reife, identifiziert wurde.

Es konnten darüber hinaus die gleichen chemischen Reaktionen und Produkte nachgewiesen werden, die sonst bei langer Lagerung entstehen. Am auffälligsten dabei war wohl die Esterbildung, mit der gleichzeitig die Konzentration langkettiger Alkohole, die meist für den unangenehmen Beigeschmack und einen trockenen Mund verantwortlich sind, verringert wurde.

Wie ratsam es allerdings ist, derartige Reifungsmethoden tatsächlich in der Praxis einzusetzen, sei dahingestellt. Wenn die Hochspannungstechnik chemische Reaktionen beschleunigt, so geschieht dies nicht spezifisch nur für die gewünschten chemischen Verläufe.

Beispielsweise könnten dabei auch bisher noch nicht identifizierte, geschmacklose Stoffe erzeugt werden, die normalerweise nicht im Wein vorkommen und nach denen bisher daher auch nicht gesucht wurde. Abgesehen von den erwarteten Polyphenolen, Alkoholen, Fruchsäuren und anderen Inhaltstoffen, die bei der alkoholischen Gärung und späteren Reifung entstehen, enthalten moderne Weine aus dem landwirtschaftlichen Anbau leider auch eine Menge unerwünschter Begleitprodukte, Schadstoffe und Umweltgifte, die auf diese Weise ebenfalls zu beschleunigten Reaktionen angeregt werden könnten - mit unvorhersehbaren Ergebnissen...

Genaugenommen müßten diese Weine à la Frankenstein erst eine Art Unbedenklichkeitsnachweis erbringen, ehe man sie auf den freien Markt entlassen dürfte.

In diesem Sinne: Prost Gesundheit

2. Januar 2009