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RATGEBER/307: Aktiver Sauerstoff fördert den Verschleiß (SB)


VON APFELESSIG BIS ZITRONE

Werbebegriff "aktiver Sauerstoff" verschleiert die eigentliche Wirkweise


Schmutz ist für Waschmittelchemiker, wie es der Herausgeber eines populärwissenschaftlichen Werks über Alltagschemie ausdrückt, "Materie am falschen Ort". Von dieser Grundeinstellung getrieben, ist die Fleckbeseitigung für sie zum Selbstzweck generiert, der sie sich Tag für Tag mit zweifelhaften Erfolgen stellen. Wenn nämlich die Spurenbeseitigung zur Obsession wird, kann die Wäsche dabei nur auf der Strecke bleiben.

Der Verbraucher, der mit völlig unchemisch klingenden Slogans wie "waschaktiver Sauerstoff", niedrigen und somit kostensparenden Waschtemperaturen ("so sauber wie gekocht") und sogenannten Biokatalysatoren (d.h. proteinauflösenden Enzymen, "so daß selbst Blutflecke rausgehen") von der Umweltfreundlichkeit und ausgezeichneten Qualität dieser Waschmittel überzeugt werden soll, weiß oft nicht, daß er mit seinen nicht nur blendend sauber, "sondern rein" waschenden Mitteln auch das Verfallsdatum seiner Ober- und Unterbekleidung erheblich verkürzt. So greifen kohlehydratabbauende Cellulasen (Farbauffrischer) und Amylasen beispielsweise das Baumwollgewebe an. Lipasen und Proteinasen (Fett- und Eiweißspalter) hingegen greifen Wollfasern, aber auch Latex und Gummi an. Während viele jedoch den spaltenden und verdauenden Charakter der Enzyme schon durch den Schulunterricht vermittelt bekommen haben, denkt wohl niemand an etwas Aggressives bei dem harmlos klingenden, sogenannten "aktiven Sauerstoff". Schließlich braucht jedes Lebewesen Sauerstoff zum Atmen, er kann also gar nicht zerstörerisch sein.

Doch weit gefehlt: Der chemische Ursprung des vermeintlichen Sauerstoffs klingt schon weniger harmlos. Denn er wird von einer Klasse von Chemikalien freigesetzt, die umgangssprachlich besser als Bleichmittel bekannt sind. Chemisch verwendete man früher zu diesem Zweck Perborate wie Natriumperborat oder Natriumpercarbonat. Bei entsprechend hohen Temperaturen setzen diese Chemikalien bei der Wäsche Wasserstoffperoxid (also H2O2) frei, das die farbgebenden Strukturen von hartnäckigen Flecken wie Tee-, Obst oder Rotwein zerstört. Genaugenommen zerfällt H2O2 zu Wasser (H2O) wobei es einen Sauerstoff an eine oxidierbare Verbindung abgibt, bei der dann in der Regel eine Doppelbindung aufgeknackt wird. Die Farbintensität nimmt dadurch ab. D.h., die "Materie" bleibt auch hier noch "am falschen Ort" bestehen, man sieht sie nur nicht mehr.

Daß der Reaktionsmechanismus hierbei (ähnlich wie bei der Oxidation von Fetten zu ranzigen Produkten) gewisse unerklärliche Momente enthält, die man im Falle der Fettoxidation mit dem kurzfristigen, hypothetischen Auftreten von sogenanntem "radikalen", besonders aggressiven und reaktiven Sauerstoff (·O) erklärt, verschweigt man im Zusammenhang mit der Fleckentfernung lieber. Das klingt dann wohl doch zu negativ. Genau die chemische Umgebung, die in der Medizin mit Radikalenfängern (d.h. bestimmten Vitaminen) bekämpft werden soll, weil sie möglicherweise zellschädigend sein und Alterungsprozesse fördern könnte, letztlich aber auch nur wirksamer Sauerstoff ist, wird hier absichtlich und künstlich erzeugt.

Die hier eingesetzten, waschwirksamen Peroxide wirken allerdings erst bei Temperaturen über 60°C gut. Da sie leicht zerfallen, müssen sie so hoch dosiert werden, daß ihr Austrag in die Natur umwelttoxisch wird. Außerdem kann Bor in Kläranlagen nicht entfernt werden und geht somit direkt ins Flußwasser. Schon manche Baumart wurde von mit Bor und Bleichmitteln belastetem Flußwasser bedroht.

Nun machen die neuen Enzymzusätze in den Waschmitteln höhere Temperaturen unmöglich, denn Enzyme entfalten ihre höchste Wirksamkeit zwischen 30° und 40°C, helfen auf diese Weise aber auch zwangsläufig, Stromkosten zu sparen.

Um auch bei tiefen Temperaturen bleichen zu können, sind die Chemikalien "TAED" und "EDTA" nötig.

Ethylendiamintetraacetat (EDTA) fängt Eisen-, Nickel- und ähnliche Kationen aus dem Waschpulver, damit das Peroxid länger wirksam bleibt. Diese Metallsalze bewirken einen rascheren Zerfall des Bleichborats, was durch den Zusatz verhindert wird. Damit andererseits das Perborat beim Waschen trotz niedriger Temperatur wirken kann, kommt Tetraacetylethylendiamin (TAED) hinzu. Es reagiert mit Peroxid zur Peressigsäure, die schon ab 40°C dem Fleck an den Kragen geht. Sie ist ungefähr doppelt so wirksam wie Perborat, aber eigentlich für die häusliche Anwendung viel zu aggressiv, weshalb die Chemiker z.B. im Hause Hoechst fieberhaft nach einem Ersatz für diese hochwirksame Substanz suchen, die leider auch die Wäsche in Mitleidenschaft zieht. Bisher untersuchten sie 700 synthetisierte Bleichaktivatoren, von denen bisher erst 30 in die engere Wahl gezogen wurden. Ein wichtiges Kriterium, nämlich die ausschließliche Vorliebe für den organischen Schmutz bei gemäßigter Oxidationswirkung, die nicht die davon verunreinigten Fasern behelligt, konnte allerdings bisher noch nicht befriedigend erfüllt werden.

Die Bilanz für die 100prozent "reine" Wäsche ist allerdings haarsträubend. Für die meisten Verschmutzungen in der Wäsche wird kein Bleichmittel benötigt. Etwa ein Viertel des Schmutzes in der Waschmaschine stammt aus Fetten und Ölen, ein weiteres Viertel aus Lebensmitteln wie Soßen oder Kakao. Körperschmutz trägt nur ein Fünftel bei, gefolgt von Partikeln wie Staub mit 18 Prozent. Die Spuren von Getränken stellen sechs Prozent der Aufgaben für ein Waschmittel.

Wenn man bedenkt, daß allein durch Wasser, moderne Tenside und Enzyme der größte Teil dieses Schmutzes beseitigt wird und vielleicht im Durchschnitt noch zwei bis drei Flecken (Tee, Obst oder Rotwein) in der täglichen Wäsche übrig bleiben, gegen die normale waschaktive Substanzen machtlos sind, die aber jede Hausfrau früher mit entsprechender Vorbehandlung bzw. rechtzeitiger Behandlung ebenfalls in den Griff bekommen hätte, Bleichmittel im Waschmittel, ganz gleich in welcher Dosierung, eigentlich immer überdosiert.

Denn größere Mengen sind nur dafür da, um bei dem gesamten Wasser und Wäscheumfang auch für geringfügige Verschmutzung überall in ausreichender Konzentration vorzuliegen.

Daß Wäsche in sehr viel kürzeren Zyklen erneuert werden muß, ist eine vielleicht unbeabsichtigte, vielleicht aber zumindest von der Bekleidungsindustrie begrüßte Begleiterscheinung, die Waschmittelhersteller und Modebranche mit ihren kurzlebigen Saisonartikeln quasi Hand in Hand arbeiten läßt.

Erstveröffentlichung 2003
neue, aktualisierte Fassung

2. Oktober 2009