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UMWELTLABOR/144: Persönlichkeitsmanipulation aus dem Wasserhahn (SB)


Persönlichkeitsmanipulation aus dem Wasserhahn

Antidepressiva im britischen Trinkwasser


Das Antidepressivum Prozac wird in England so häufig verabreicht, wie das Fachmagazin Telepolis vor kurzem in seiner Internetausgabe schrieb, daß inzwischen schon das Trinkwasser mit pharmazeutisch relevanten Mengen belastet sein könnte. Das erklärt möglicherweise auch, warum die Briten trotz der vorherrschenden Probleme so entspannt in die Zukunft blicken. Wer seine Sorgen nicht direkt mit Medikamenten behandelt, der wird durch den täglich konsumierten, mit kochendem Wasser aufgebrühten traditionellen Tee glücklich. Und selbst dies doch recht bedenkliche Umweltproblem, das von Umweltschützern und Politikern, beispielsweise Norman Baker von den Liberal Democrats, schon als "versteckte Massenmedikamentation" bezeichnet wurde, wird von Umweltkritikern auf die leichte Schulter genommen. So flachste der britische Observer in seiner Titelzeile geradezu:

"Stay calm everyone, there's Prozac in the drinking water"

["Bleibt alle ganz ruhig, es gibt Prozac im Trinkwasser", Übersetzung Schattenblick-Red.]
(Observer, 2004 )

Die staatlich unterstützte Umweltagentur Environment Agency hatte nämlich herausgefunden, daß das Antidepressivum Prozac bereits in Flußsystemen und im Grundwasser nachzuweisen ist, und somit auf Wegen wie an dieser Stelle schon unter dem Index: "UMWELTLABOR/83: Pille und Hustensaft gleich aus der Wasserleitung?" beschrieben, auch ins Trinkwasser gelangt.

Prozac ist ein wirksames aber auch umstrittenes Antidepressivum aus der Gruppe der "Selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer". Aus dem englischen Begriff: selectiv serotonin re-uptake inhibitor leitet sich die Kurzform SSRI für diese Substanzgruppe ab. Hierzulande ist Prozac, das den Wirkstoff Fluoxetin enthält unter den Medikamentennamen Fluctin, Fluoxetin-ratiopharm, Felicium, Fluctine, Fluoxetin "arcana", Fluoxetin "Genericon", Fluoxibene, Flux, Fluxil, Fluxomed, Mutan und Positivum im Handel. Andere auf die gleiche Weise wirkenden SSRI-Wirkstoffe sind als Citalopram (Medikamente: Cipramil, Sepram, Seropram), Fluvoxamin (Fevarin Floxyfral), Paroxetin (Seroxat, Tagonis) und Sertralin (Gladem Zoloft, Tresleen) bekannt.

Die Stoffgruppe wurde bereits in den 80er-Jahren als "Glückspille" gefeiert. Denn sie verhindert wie der Name schon sagt, daß Serotonin (quasi nach seiner natürlichen Ausschüttung als Botenstoff) wieder in die Nervenzellen aufgenommen und unwirksam gemacht wird. So steht dem Gehirn nicht nur mehr von diesem Botenstoff zur Verfügung, es wird z.B. bei Gesunden durch Einnahme von SSRI geradezu mit Serotonin überschwemmt. Die Wirkung ist mit einem euphorischen Wohlgefühl nur schwer zu beschreiben.

Die Hersteller der SSRI gehen davon aus, daß ein Mangel an Botenstoffen, von denen einer das Serotonin ist, das Erscheinungsbild der Depression und Angststörungen hervorruft. Bisher konnte jedoch noch nicht nachgewiesen werden, daß eine bestimmte Depressionsform ausschließlich auf den Mangel eines bestimmten Botenstoffs zurückgeht und daß diese Substanzgruppe anderen Antidepressiva in ihrer Wirksamkeit tatsächlich überlegen ist.

Unbestritten moduliert der Neurotransmitter Serotonin Gefühle, Schlaf sowie Appetit. Medikamente wie Prozac bzw. Fluoxetin bewirken, daß der "Glücksbotenstoff" in höherer Konzentration zur Verfügung steht und somit die Stimmungslage positiv beeinflußt wird.

Allerdings weist das Medikament, selbst wenn es vom Arzt verordnet und nicht nur wenn es unfreiwillig mit dem Trinkwasser eingenommen wird, starke Nebenwirkungen und Wechselwirkungen auf. Zusammen mit MAO-Hemmern (ebenfalls Antidepressiva) kann es zu Bewußtseinstrübung, Muskelzittern oder -krämpfen kommen. Auch durch Tryptophan (z.B. im Schlafmittel) kann ein lebensbedrohliches sogenanntes Serotonin-Syndrom ausgelöst werden, das in Einzelfällen auch schon zum Tode geführt hat.

Durch SSRI werden zudem andere Arzneimittel langsamer abgebaut und wirken dadurch länger und stärker.

Menschen mit Diabetes, die unwissentlich SSRIs z.B. über das Trinkwasser einnehmen, können unkontrollierbare lebensgefährliche Blutzuckerspiegelabfälle erleiden, die vor allem von Prozac (sprich Fluoxetin) hervorgerufen werden. Darüber hinaus verstärken alle SSRIs die durch Alkohol verursachte dämpfende Wirkung.

Weitere bedenkliche wenn auch nicht so schwerwiegende Nebenwirkungen, die man durch die erzwungene Massenmedikation überhaupt nicht im Griff hat, sind: "Gewichtszunahme, nervöses Gesichtszucken, Vergeßlichkeit, sexuelle Störungen, Selbstmord, Gewalttätigkeit und Hirnschäden. Dazu kommen seltener Atemnot, Anschwellen von Schleimhäuten, Hautausschlag, Bewegungsstörungen, Krampfanfälle, Entzündungen von Lunge Nieren und Leber.

Häufiger aber unbedenklich, um einmal einen kleinen Ausschnitt der beschriebenen Beschwerden, die das Mittel hervorrufen kann, zu nennen, sind Erbrechen, Übelkeit Bauchschmerzen, Blähungen, Durchfall, Verstopfung, Kopfschmerzen, Schwindel, Angst, Zittern, Unruhe, Nervosität, Schlafstörungen, Alpträume, Müdigkeit und Parästhesien (Kribbeln in Armen und Beinen). Auch die Sehfähigkeit kann beeinträchtigt werden, weshalb die Fahrtüchtigkeit während der Therapie eingeschränkt ist.

Das alles hat der Beliebtheit der "Glückspille" in den USA und Großbritannien bisher noch keinen Abbruch getan. Telepolis schätzte den Konsumentenkreis auf mindestens 28 Millionen US-Bürger. In Großbritannien soll die die Verschreibung von Antidepressiva zwischen 1991 und 2001 von neun Millionen auf 24 Millionen jährlich gestiegen sein. Prozac bzw. Fluoxetin gilt inzwischen als Volksmedikament Nummer eins.

Nun wird das Medikament vom Organismus teilweise unverändert ausgeschieden und gelangt über das Abwasser und die Aufbereitungsanlagen wieder in Flußsysteme oder andere Wasserläufe. Dort wird es von Fischen und Wassertieren aufgenommen oder gelangt auf verschiedensten denkbaren Wegen (Aufbereitungsanlagen u.dgl.) wieder ins Grund- und somit auch ins Trinkwasser.

Über die aktuelle Menge an Fluoxetin im britischen Wasser konnte jedoch bisher niemand genau Auskunft erteilen. Die Medikamentrückstände haben inzwischen auch die britische Regierung auf den Plan gerufen. Der höchste Umweltberater der Regierung traf sich erst kürzlich zu Gesprächen mit Vertretern der Pharmaindustrie. Das Thema: die Auswirkungen auf das Ökosystem und die menschliche Gesundheit.

Insgesamt zeigt die Massenberuhigung schon Wirkung, denn die oberste Wasserbehörde Großbritanniens, das Drinking Water Inspectorate (DWI), sieht in dem Antidepressivum keine akute Gefahr. Schließlich sei es nur in Spuren, also "stark verwässert" nachgewiesen worden. Darüber hinaus würde das Flußwasser aufbereitet, ehe es als Trinkwasser Verwendung findet. Und schließlich baue sich Prozac/Fluoxetin biologisch ab. Die Environment Agency, die zuerst das Fluoxetin im Trinkwasser entdeckt hat, hält ein Risiko für die Gesundheit weitgehend ausgeschlossen.

Man müsse die Auswirkungen dieser geringen, aber stetigen Belastung erst genauer untersuchen hieß es im Observer, der damit die immer noch aufgebrachten oder durch Science-fiction Literatur für dieses Thema sensibilisierten Gemüter zu beschwichtigen sucht.

Schon Francis Fukuyama schrieb in seinem Buch "Das Ende des Menschen" (2002), in dem er sich ganz allgemein über die Gefahren der Biotechnologie Gedanken macht, daß man schon heute an dem massiven Gebrauch von Psychopharmaka wie Ritalin und Prozac feststellen könne, daß Millionen von Menschen nur allzu bereit seien, ihr Wesen in großem Ausmaß manipulieren zu lassen, um Unannehmlichkeiten aus dem Weg zu gehen.

Für den Rest der Bevölkerung, der noch bereit ist, sich den Problemen und Schwierigkeiten des Alltags zu stellen, bieten sich dann eben essentielle Lebensmittel und Trinkwasser zur Persönlichkeitsmanipulation oder -gleichstellung an, und das ganz ohne zusätzliche Kosten, wenn der Konsum der entsprechenden Medikamente auf breiter Ebene nur noch ein ganz klein wenig steigt.

Erstveröffentlichung 17. August 2004

17. April 2007