Schattenblick →INFOPOOL →NATURWISSENSCHAFTEN → CHEMIE

UMWELTLABOR/204: Wie giftig wird das Silvesterfeuerwerk? (SB)


Beißender Rauch, flammende Buketts - Silvesterraketen


Erst wenn sich am Neujahrstag die Rauchwolken senken und die Umweltdaten erhöhte Schadstoffkonzentrationen wie Schwefeldioxid, Nitrat und vor allem den in seiner Zusammensetzung undefinierbaren feinen Schwebstaub melden, fragen sich vielleicht manche, was sie da eigentlich im wahrsten Sinne des Wortes in der Silvesternacht verpulvert haben. Da es aber nicht so einfach ist, den Inhalt der von Pyrochemikern ausgetüftelten und meist geheimgehaltenen Mischungen herauszubekommen, wiederholt sich dieser beinahe rituelle Ablauf jedes Jahr aufs neue: erst knallen, heulen und feuern - und sich anschließend hustend und röchelnd über den beißenden Gestank von Schwefelwasserstoff und Ammoniak beklagen.

Um der Sache auf den Grund zu gehen, nimmt man am besten einen Feuerwerkskörper richtiggehend unter die Lupe. Der besteht nämlich laut Expertenaussage (und damit er nicht in der Sektflasche oder auf dem Nachbardach explodiert) aus drei Bauteilen: die den sogenannten "Effektsatz" enthaltende Spitzkappe, dann eine kleinere Papphülse und schließlich den Stab, dessen Funktion von vielen unterschätzt wird. Letzterer ist in der Regel exakt 775 mm lang, aus leichtem Kiefer- oder Fichtenholz und sorgt dafür, daß die Rakete in einer ballistischen Kurve ausbalanciert in den Himmel steigt.

Damit die Rakete gut startet, ist auch eine Startrampe wichtig, d.h. eine schwere Flasche mit einem langen Flaschenhals, der ein wenig in die Flugrichtung geneigt sein sollte.

Normale Silvesterraketen können eine Flughöhe von 60 bis 80 Meter erreichen, ehe sie unter Goldregen oder bunten Kugeln explodieren. Daß dies wunderschön anzusehen ist, vor allem die des Nachbarn, die ihr Bukett nämlich genau in der richtigen Richtung entfalten, während die eigenen wieder der Nachbar besser in Augenschein nehmen kann, steht wohl außer Frage. Doch die Chemie, die das ganze in den Himmel treibt und den Luftraum von 60 Metern über der Erde durchwirkt, sollte man keineswegs unterschätzen.

Nach einer traditionellen, aus dem Orient stammenden Rezeptur besteht der Treibsatz aus gewöhnlichem Schwarz- oder Schießpulver, ein feines Gemisch aus Holzkohle, Schwefel und Kaliumnitrat bzw. Salpeter (KNO3). Dessen Folgen wurden schon in Kriegszeiten, als noch Gewehre auf Schwarzpulverbasis die am weitest entwickelte Technik waren, historisch beklemmend als die "vom Rauch verbrannten Hänge, auf denen seit langem kein Grashalm mehr wuchs" und "die Beschwerden des beißenden Rauchs, der sich in der Kehle festsetzte und zu den grausamsten Krämpfen führen konnte" (Luigi Pirandello, 1922 in seiner Novelle "Der Rauch"), beschrieben.

Damit alles schön bunt wird, fehlen noch ein paar chemische Ingredienzien: Um Goldeffekte zu erzeugen, sind Kohlenstoff oder weitere Holzkohle im Effektsatz, für Silbereffekte wird Aluminium verwendet, andere Farben, zum Beispiel rot, gelb oder blau, werden mit Hilfe von Zusätzen aus Barium, Strontium oder Kupferverbindungen vorgenommen.

Was uns da gewissermaßen nach gelungener Zündung um die Ohren fliegt, klingt wie die Bestandsaufnahme einer Sondermülldeponie. Doch laut Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und angewandte Ökologie in Schmallenberg sei das alles halb so schlimm, denn die giftigen Schwermetalle würden zu ungefährlicheren Oxiden verbrannt. Allerdings bleiben beispielsweise Strontium (Sr) und Barium (Ba) auch in ihren harmloseren Verbindungen immer noch in der gesundheitschädlichen Kategorie und können laut Gefahrstoffkategorie Xn bzw. Xi durch Einatmen (!) Verschlucken oder Aufnahme durch die Haut Gesundheitsschäden nach sich ziehen (weitere Details siehe unten).

Dagegen sind die zusätzlichen Atmosphäreneinträge, die durch den Treibsatz der Feuerwerkskörper und Böller entstehen, regelrecht banal. Laut einer Meldung des Deutschlandfunks vor einigen Jahren würden die Immissionen von Kohlendioxid und Stickoxiden durch alle Feuerwerke eines Jahres zusammen gerade mal soviel ausmachen wie die Abgase der 50 größten Städte - in fünf Minuten.

Auch das Umweltbundesamt in Berlin will kein Spielverderber sein und relativiert die bedrohlichen Kurvenausschläge der Luftdaten. So kam in der Sendung auch der Umwelt-Mediziner Dr. Norbert Englert zu der folgenden nichtssagenden Äußerung:

Insgesamt ist die Beeinträchtigung sicher nicht sehr groß, es gibt allerdings Beobachtungen, daß zum Beispiel die Feinstaubkonzentration in der Silvesternacht doch deutlich höher ist als in anderen Nächten, und man könnte da umrechnen, wie viel Leute theoretisch zu Schaden kommen. Ob das dann in der Praxis wirklich ins Gewicht fällt, ist ne andere Frage.
(DLF, 31. Dezember 2003)

Während sich hinter dem Begriff Feinstaub sonst zahlreiche Stoffe wie Asbestfasern oder hochreaktive, chemische Prozesse fördernde Katalysatormetalle verbergen können, die wirklich gefährlich oder krebserregend sind, dagegen aber auch harmlose Pollen, Gummiabrieb und gewöhnlicher Staub, was nur Asthmatikern zu schaffen macht, stammt der erhöhte Feinstaubanteil in der Silversternacht ganz klar aus den Verbrennungsrückständen.

Dazu kommt, daß die kommerziell verfügbaren Feuerwerkskörper wie ihre Verbrennungsprodukte chemisch überhaupt nicht genau definiert werden können. Zwar gibt es auch exakte Rezepturen, die deutsche Pyrochemiker entwickeln, doch arbeiten solche Fachleute nur für Großabnehmer, sprich: Großfeuerwerke, die von Spezialisten gezündet werden. Normale Feuerwerksartikel, wie sie ab heute verkauft werden, kommen dagegen aus Fernost. Zwar müssen sie im Vorfeld durch deutsche Behörden zugelassen werden, aber die Produktion läßt sich über diese Distanzen nicht kontrollieren. So mußte die Bundesanstalt für Materialforschung- und -prüfung in Berlin bei Warenstichproben auch schon so manche Zulassungen wieder zurücknehmen.

Da letztlich allein dem Hersteller die Überprüfung der fertigen Serien obliegt, d.h. nur er gewährleisten muß, daß auch die Substanzen verwendet werden, die ursprünglich für die Herstellung genehmigt worden sind, bleibt bei manchen Massenprodukten die Qualität zweifelhaft. Auch hierzu hieß es in der Sendung des Deutschlandfunk:

Für Silvesterknaller und -raketen zählt bisher jedoch einzig Ökonomie, nicht die Ökologie. Und da die Waren sehr kurzlebig sind, gibt es auch noch keine Produktbewertungen, beispielsweise durch die Stiftung Warentest. Wer umweltbewusst handeln will, hat also derzeit bei den Herstellern kaum Alternativen.
(DLF, 31. Dezember 2003)

Gibt es aber vielleicht gute oder schlechte Böller-, Raketenarten oder Farben, auf die der Verbraucher eventuell achten oder verzichten könnte?

Abgesehen von Wunderkerzen (Magnesium) und einfachen Schwarzpulverböllern gibt es heutzutage keine klaren Effekte mehr, bei denen man ihre Umweltschädigung abschätzen kann. Der Verbraucher hat somit nur die Möglichkeit, ganz auf derartige Artikel zu verzichten, wenn ihm die Umwelt und die eigene Gesundheit lieb ist.

Alle anderen Feuerwerksgegenstände mit roten, grünen und blauen Kugeln oder Farbregen ändern in der Regel während des Abbrennens ihre Farben oder es sind zusätzliche Knalleffekte eingebaut. Es ist somit tatsächlich kaum möglich, aus Umweltgesichtspunkten bestimmte Feuerwerksgegenstände zu empfehlen beziehungsweise davon abzuraten.

Die Ausmaße der Silvesterumweltverschmutzung sind jedoch nur die Spitze des Eisbergs.

Weniger beachtet bleibt, daß selbst zur Gewinnung der harmlosen Holzkohle schon Unmengen heimischer Hölzer verschwelt werden müssen, d.h. kostbare Kohlendioxidspeicher und Luftfilter in das Treibhausgas Kohlendioxid und Kohle umgewandelt werden (von den für die Raketen notwendigen Holzstäben einmal abgesehen).

Auch elementarer Schwefel kommt in Europa nur in vulkanisch geprägten Gegenden vor, vor allem auf Sizilien. Sein Abbau und die Technik des Destillierens mit Schwefel als Brennmaterial führten durch die Freisetzung ungeheurer Mengen von Schwefeldioxid bis heute zu einer gigantischen Umweltzerstörung und zu sozialen Katastrophen.

Im 19. Jahrhundert hatte beispielsweise die sizilianische Schwefelindustrie als Lieferantin für die europäischen Pulver- und Schwefelsäurehersteller eine solche Bedeutung, daß es bei internationalen Schwefelkrisen zu machtvollen Demonstrationen der britischen Flotte in der Straße von Messina kam, ähnlich, wie wir es heute bei großen Ölkrisen erleben.

Schwierig und befremdlich mutet die frühere Gewinnung des im Pulver als Oxidationsmittel wirkenden Salpeters an. Er entsteht durch Zersetzungsbakterien beim Faulen organischer Substanzen. So speichert sich in der chemischen Verbindung KNO3 die Energie der Sonne, mit deren Hilfe das faulende Lebewesen einst entstanden war.

Diesen Salpeter konnte man in früheren Zeiten regelrecht von der Straße kratzen. Denn in stark bevölkerten Städten in engen Straßen, wo sich die Exkremente der Zugtiere, der Abfall der Schlächtereien, Spülwasser aus den Häusern, Fleisch-, Geflügel- Fisch und Nahrungsmittelabfälle von den Märkten sammelten und mit dem flüssigen Inhalt der Gossen vermischten und in fortwährender Fäulnis begriffen waren, wurde der Mörtelverputz an den Häusermauern allmählich zerfressen und mit schneeartigen, weißen, kristallenen Ausblühungen bedeckt, die man "Salpeterfraß" nannte.

Heutzutage, wo man andere und effektivere Methoden besitzt, die Umwelt zu verschmutzen, wird der Kali-Salpeter im Tagebau gefördert oder chemisch als Salz der Salpetersäure gewonnen.

Diese Pulvermischung aus brisanten umweltschädlichen Stoffen ist für jede Pyrotechnik essentiell, denn sie sorgt dafür, daß sich im Treibsatz ein hoher Druck entwickelt, der die Rakete in die Höhe schießt. Damit sie relativ gefahrlos gezündet werden kann, führt eine Zündschnur, die durch eine Schutzkappe geschützt wird und vor dem Zünden abgezogen werden muß, durch einen unbrennbaren Tonstopfen in die Brennkammer. Für jede Rakete erlaubt der Gesetzgeber "nur" 20 Gramm Pyrotechnik, auf deutsch: Chemie. Damit die Rakete den erforderlichen Abstand gewinnt, braucht man allein 8 Gramm für diesen Treibsatz. Mit dem verbleibenden Rest müssen alle anderen Effekte erzeugt werden.

In manchen Raketen klappern vor der Zündung offenbar sogar feste Gegenstände. Das sind kleine Metallkugeln, in denen sich der kostbare und meist geheime Effektsatz verbirgt. Sie sind wiederum von einer Schwarzpulverschicht überzogen und enthalten außerdem starke Oxidationsmittel wie Kaliumchlorat, das Sauerstoff schnell und reichlich abgibt und dabei wesentlich höhere Temperaturen liefert als der trägere Salpeter. Diese Substanz steht unter dem Verdacht, krebserregend zu sein.

Neben weiteren Chemikalien, die die Hersteller gewöhnlich nicht preisgeben, enthalten die Kugeln jene Salze, die in der Flamme so schön bunt leuchten. Es handelt sich dabei durchweg um gesundheitsschädliche Stoffe wie

Strontiumnitrat (Sr(NO3)2) leuchtet rot,
Bariumnitrat (Ba(NO3)2) leuchtet grün,
Kupferkarbonat (CuCO3) leuchtet blau oder violett,
und Magnesium (Mg), das man schon von den relativ harmlosen Wunderkerzen her kennt und das blendend weißes Licht abgibt.

Durch die Chemie um die Kugeln herum wird wiederum ein Druck aufgebaut, der die Kugeln aus der Hülse heraussprengt und entzündet.

Manche dieser Effektsätze blinken, als besonderer Gag. Dafür mußten die Kugeln in eine Aluminium-Magnesium-Legierung eingekleidet werden, die bei der Entzündung kurzzeitig verschlackt und die Kugel äußerlich löscht, während sie innen weiterglüht. Ist der Druck innen groß genug, wird die Schlackehülle gesprengt, die Kugel leuchtet wieder auf und das Spiel geht von neuem los. Gute Blinkeffektsätze machen das 5 bis 6 Mal, ehe sie ganz verlöschen.

Goldregen enthält dagegen verschieden große Holzkohlestückchen in einer Schwarzpulvermischung. Diese werden durch eine ausgefeilte Chemie nach und nach herausgesprüht, so daß feurige Räder und ähnliches möglich werden.

Auch hinter den sogenannten Heulern verbirgt sich ein ganz einfacher Trick: Die Tonkappe am Ende des Treibsatzes enthält hier ein kleines Loch bzw. eine Düse, durch die der Luftdruck herausgedrückt wird. Das pfeift dann wie bei einer Flöte.

Die Unfälle, die gewöhnlich in der Silvesternacht mit diesen Knallkörpern verursacht werden und bei denen auch schon furchtbare Verstümmelungen wie abgerissene Finger u.ä. vorgekommen sind, werden allgemein als unsachgemäße Handhabung abgetan. Das ist in den meisten Fällen wohl auch so, eben weil die Betroffenen oft gar nicht ahnen, mit was für gefährlichen Explosivstoffen sie leichtfertig Scherze treiben. Dabei denkt man jedoch hauptsächlich an die brennbaren oder explosiven Substanzen, die in einem Feuerwerkskörper enthalten sind.

Bariumnitrat gilt als gesundheitsschädlich beim Einatmen und Verschlucken. Beim Berühren mit der Haut soll man es sofort mit viel Wasser abwaschen. Auch die Entsorgung ist gemeinhin mit Verdünnen, Neutralisieren und in den Ausguß geben viel komplizierter als die schlichte Verbrennung in der Luft, bei der der gesundheitsschädliche Bariumanteil voll erhalten bleibt und sich mit dem Staub absetzt.

Auch Strontium ist in seinen verschiedenen Salzen stark reizend, der Staub sollte keinesfalls eingeatmet werden. Und das ist wohl kaum zu verhindern, wenn die Atemluft voll davon ist, weil doch gerade rote Kugeln so beliebt sind. Auch hier soll eigentlich jede Berührung mit Haut oder Schleimhäuten vermieden werden, was ebenfalls kaum möglich ist, wenn sich diese Substanzen mit Nebel oder Staub auf Händen und Gesicht niederschlagen (Entsorgung und Gegenmaßnahmen sind entsprechend wie oben).

Kurz gesagt wird die Bevölkerung abgesehen von einer lapidaren Ermahnung zum vorsichtigem Umgang mit Feuerwerkskörpern über die eigentliche Vergiftung der Umwelt und die Gefahren für die eigene Gesundheit schlicht im Dunkeln gelassen, denn auf den konjunkturankurbelnden Effekt des Silvesterfestes, d.h. den Konsum von Gegenständen allein zu dem Zweck ihrer Zerstörung, so daß Mangel und Bedarf jedes Jahr wieder aufs neue entstehen, wollen weder Hersteller noch die staatlichen Nutznießer der Umsatzsteuer verzichten. Die Gesundheit zu schützen ist in diesem Falle ein relativer Begriff.

Wichtig daher für den eigenen Schutz: Niemand sollte länger direkt in den Rauchschwaden stehen, und in geschlossenen Räumen ist besondere Zurückhaltung geboten: Dort können Wunderkerzen und Tischfeuerzeug in schlecht belüfteten Räumen ebenfalls stark die Atemwege reizen und konzentriert in den Organismus gelangen.

31. Dezember 2007