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UMWELTLABOR/207: Kunststoffe (1) - Styropor statt Papier? (SB)


Plastik statt Papier?

(ergänzte und überarbeitete Fassung)


Etwa eine Handvoll kleiner Kunststoffperlen werden auf ein feinmaschiges Kupferdrahtnetz gelegt und über Wasserdampf gehalten. In wenigen Sekunden blähen sich diese Kunststoffkügelchen um ein Vielfaches ihres Volumens aus - und hokus pokus simsalabim, vor uns entsteht ein Gebirge aus weißen Kugeln.

Das funktioniert natürlich nicht mit jedem x-beliebigen Kunststoff. Wir haben es hier mit dem Grundstoff zu tun, aus dem Joghurtbecher und Tonbandkassetten gemacht sind - Polystyrol PS. Mit einem Treibmittel versetzt läßt sich das harte und spröde Material (sogenanntes expandierbares PS oder EPS) allein mit heißem Wasserdampf (100°C) zu Styropor verschäumen. Das Endprodukt besteht zu etwa 98% aus "Luft". Nur 2% bestehen aus Polystyrol.

Durch die Wärme dehnt sich das in den Kügelchen eingelagerte Gas - z.B. Pentan - aus und bläst die ebenfalls bei dieser Temperatur formbaren Kunststoffkügelchen von innen auf wie kleine Luftballons. Das Volumen einer solchen Perle kann sich auf diese Weise um das 50fache vergrößern. Nach dem Abkühlen behalten die Polystyrolblasen ihre Form. Der so erzeugte Schaumstoff wird Styropor genannt und ist durch die eingeschlossene Luft das wohl beste, bekannte Isoliermaterial mit einer äußerst geringen Wärmeleitfähigkeit. Seine Einsatzmöglichkeiten sind nahezu unbegrenzt, und reicht von Wärmedämmung bis hin zur Weltraumtechnik.

Durch diese immer häufiger eingesetzten Schaumstoffe - z.B. als Isolierplatten, Wärmedämmplatten oder Verpackungsmaterial verwendet, entsteht verständlicherweise sehr viel Müll.

"Fast Food" wie bei "Kingdonalds MacBurger", Chinasuppen aus dem "Pekingimbiß" oder andere Häppchen, die heiß nach Hause gebracht werden sollen, bietet man in den inzwischen schon unverwechselbaren Isolierpackungen oder -bechern an. Statt dem früher üblichen, gewachsten Imbiß-Pappgeschirr, das für diese Zwecke in mehrere Lagen Zeitungspapier eingewickelt wurde, nimmt man heute die schon serienmäßig hergestellten Isoboxen, die gewissermaßen schon Kultstatus erreicht haben. Denn die guten Isoliereigenschaften stehen gar nicht so sehr im Vordergrund, auch die Gerichte, die der Kunde noch im Restaurant verzehrt, kommen - um Personalkosten zu sparen oder als besonderer Clou - ebenfalls in diesen Packungen auf den Tisch. Millionen Tonnen aufgeschäumten Plastiks kommen so in die Umwelt.

Die Entsorgung von Kunststoffen findet meist in Müllverbrennungsanlagen statt, wobei giftige Stoffe in die Atmosphäre gelangen können, wenn die Verbrennung nicht kontrolliert und vollständig abläuft. Darüber hinaus werden immer noch Gase zum Aufschäumen der Polystyrole gebraucht, die entweder die Ozonbildung in den unteren Atmosphärenschichten fördern (Pentan) oder sich als Treibhausgas an der isolierenden Decke um die Erde beteiligen und somit die Klimaerwärmung fördern.

Ein weit größerer Nachteil besteht allerdings darin, daß immer noch nicht alle Polystyrole mit Pentan aufgeschäumt werden, sondern nach wie vor mit chlorierten Kohlenwasserstoffen oder einer Form der bekannten FCKWs. Solche Treibgase sind wegen ihrer ungewöhnlichen Reaktionsträgheit für diese Zwecke besonders geeignet. Sie werden gern zur Herstellung verschiedener Schaumstoffe, aber auch in Kühlschränken oder in Spraydosen verwendet, wo chemische Inertheit gefragt ist.

Alle chlorierten Kohlenwasserstoffe verursachen wie die als FCKW bekannten Fluorchlorkohlenwasserstoffe einen Abbau der Ozonschicht, die in 20 bis 50 km Höhe die gefährlichen UV-Strahlen aus der Sonnenstrahlung herausfiltert. Erst seit steigende Hautkrebsstatistiken die unmittelbare Veränderung der Lebenssituation dokumentieren, beginnt man auch diese Gefahr ernst zu nehmen und strebt den Austausch von Stoffen an. Bei Pentangas als Treibmittel soll diese Gefahr jedoch nicht bestehen.

Nun könnte man meinen, die ganze Problematik sei zu umgehen, wenn die Lebensmittelhersteller wieder auf gewachste Papierbecher und Packungen umstiegen. Doch weit gefehlt: So gibt es in Victoria (Kanada) Untersuchungen des Chemikers M. Hocking, wonach das Fertigen eines einzigen Papierbechers 12mal soviel Prozeßdampf, 36mal soviel Strom und das Doppelte an Kühlwasser verbraucht wie die Herstellung eines Trinkbechers aus aufgeschäumten Plastik. Zudem sollen je Papierbecher zusätzlich 1,8 g, für Kunststoffbecher hingegen nur 0,05 g anorganischer Chemikalien benötigt werden. Allerdings belastet verrottendes Papier die Umwelt nur mit dem Treibhausgas Methan, während die bei der Aufschäumung eingesetzten Chemikalien sowie die spätere Entsorgung des Plastikmülls zu den oben geschilderten Umweltproblemen beitragen können. Darüber hinaus verrottet Styropor selbst überhaupt nicht. Allerdings hat man es angesichts des großen Luftanteils selbst bei großen Styropormüllbergen letztlich mit nur recht wenig "Chemie" zu tun.

Beim Aufschäumen verkleben die Kügelchen miteinander und erstarren beim Abkühlen. Auf diese Weise lassen sich beliebige Styroporfiguren in entsprechenden Blechformen erzeugen. Die gewählte Form bleibt erhalten, obwohl auch die einzelnen Kügelchen noch erkennbar bleiben.

Das Ganze kann man problemlos mit einem einfachen Ester (z.B. der typisch nach Uhu riechende Acetessigester) zerstören. Auf Polystyrol geschüttet, löst sich der Kunststoff in wenigen Sekunden auf.

Doch damit wäre das Müllproblem noch nicht gelöst, denn auch in gelöster Form liegen die Moleküle des Kunststoffes noch im Ester vor und belasten die Umwelt. Übrigens ist der Ester selbst auch nicht gerade eine umweltfreundliche Chemikalie.

Polystyrol oder Styropor wird nicht biologisch abgebaut - es besteht aus ringförmig angeordneten Kohlenstoffatomen, die keine Angriffsfläche für Mikroorganismen bieten. Wenn Sie die Struktur von Polyethen (früher: Polyethylen) kennen:


H H
C=C
H H

Ethen




H H H H H H -C-C-C-C-C-C-
H H H H H H

Polyethen (PE)

- so wird im Polystyrol jeweils das zweite H-Atom des Ethens gegen einen Benzolring ausgetauscht.








/ \
¦ O ¦
\ /
¦ H
C=C
H H


Styrol









Warum viele Kunststoffe so leicht den Verrottungsstrategien der Natur widerstehen, soll an der enormen Länge der Molekülketten liegen, aus denen sie aufgebaut sind. Mikroorganismen in der Natur können offensichtlich nur kurze Molekülketten angreifen. Das erklärt u.a. die riesigen Müllberge aus Kunststoffen.

In Kanada hat man vor kurzem einen Kunststoff entwickelt, in den gezielt Sollbruchstellen für die Kunststoffmoleküle eingebaut wurden, sogenannte Ketonverbindungen, die empfindlich auf UV-Licht reagieren. Daraus lassen sich dann Plastiktüten fertigen, die einfach im Sonnenlicht in kleine Fetzen zerfallen. Die UV-Strahlung zerstört diese Bindeglieder, so daß die lange Molekülkette in biologisch angreifbare Längen zerfällt. Das funktioniert aber nur dann, wenn man den Plastikmüll nicht vergräbt.

Ein derartiger Kunststoff eignet sich aber kaum für Lebensmittel. Werden nämlich Getränkebecher oder Plastikflaschen aus diesen Polyketon-Kunststoffen dem Sonnenlicht ausgesetzt, beginnt sofort der Zerfallsprozeß - mit oder ohne Inhalt.

Die Endprodukte, die beim biologischen Abbau letztlich entstehen, sind noch unklar. Nach der Wunschvorstellung der Hersteller sollen die organischen Molekülketten zu Wasser und Kohlendioxid umgewandelt werden. Doch das entspricht nicht der Realität. Die meisten Mikroorganismen sind darauf spezialisiert, sich kleine Untereinheiten des Kunststoffs einzuverleiben und in ihrem Stoffwechsel umzuwandeln. Wenn aber ein Polymer in kleinere Bruchstücke aufgelöst ist, die man chemisch nicht kennt, so lassen sich diese oft gar nicht mehr in der Natur nachweisen, obwohl sie noch vorhanden sind.

Würde allerdings z.B. im Falle von Polystyrol oder Styropor dabei reines Styrol in die Umwelt entlassen, so hätte man es dann mit einem recht unangenehmen Stoff zu tun:

Styrol belastet die Atemluft und reizt Augen und Haut. Styrol gehört außerdem zu den neurotoxischen Lösungsmitteln und kann auf lange Sicht Nervenerkrankungen und krankhafte Veränderungen des Gehirns hervorrufen. Deshalb gilt für Styrol ein Arbeitsplatzgrenzwert, der bei 86 mg pro Kubikmeter liegt. (idw, 7. Juli 2006, Berufsgenossenschaftliches Institut für Arbeitsschutz
(BGIA))

Diese gesundheitschädlichen Styrolemissionen sind jedoch von einem ausgesprochen belästigenden Geruch begleitet. Solange man geruchlich nichts wahrnehmen kann, müssen auch keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen befürchtet werden, denn dann kommt Styrol in so geringen Spuren vor, daß es keine Gefährdung für den Menschen darstellt. Die Hersteller von Hartschäumen sind darüber hinaus der Ansicht, daß Styrol infolge seiner äußerst geringen Halbwertszeit in der Natur schneller abgebaut wird als sein Aufschäumungsmittel Pentan. Es wäre nicht einmal in unmittelbarer Nähe von Produktionsstätten zu messen.

Das heißt aber nur, daß es in seiner meßbaren Form nicht mehr zur Verfügung steht, zumal auch hier gilt, daß man überhaupt nichts über seine Abbauprodukte weiß, in die es durch Mikroorganismen zersetzt werden kann.

Man muß damit rechnen, daß sich zumindest der Gehalt von organischen Chemikalien und Kohlenwasserstoffen in der Umwelt erhöht, wenn man Kunststoffe einfach auf Mülldeponien zerfallen läßt und das auch nur, wenn man den Zerfall auf irgendeine Weise beschleunigt. Ansonsten wird die Halbwertszeit von Styropor oder Polystyrol von Fachleuten auf etwa 5000 Jahre geschätzt. Was man dann in der Erde findet, sind die gleichen vereinzelt abgebrochenen, aufgeschäumten Kunststoffperlen, von denen eingangs die Rede war und somit kann sich in 5000 Jahren eine ganze Menge ansammeln, was nicht ins Erdreich oder in die Mägen von kleinem Getier gehört.

Mehr über das Verrotten von Plastik in der nächsten Folge "Kunststoffe (2) Verrottendes Plastik? (SB)

Erstveröffentlichung 1998
ergänzte und überarbeitete Fassung:

11. Januar 2008