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UMWELTLABOR/211: Luftreinigende Steine mit unabsehbaren Folgen (SB)


Beton soll die Luft reinigen,

Wasserverschmutzung und Feinstaubabrieb sind die Folgen.

Wie "intelligente" Baustoffe Schadstoffe in der Atmosphäre abbauen sollen


Jahrhundertsommer wie im Jahr 2003 sollen bekanntlich nach den jüngsten Prognosen der Klimaforscher in Zukunft eher die Regel als die Ausnahme werden. Wenn allerdings die heiße Luft regungslos über den Städten steht, breiten sich Dunstglocken aus Ruß und Stickoxiden über die Häuser und lassen die Stadtbewohner nach Luft schnappen. Erleichterung findet man bestenfalls in den seltenen Oasen der Städte, den Parks, die man deshalb auch häufig als "die Lungen der Städte" bezeichnet. Da wäre es nicht schlecht, wenn auch andere Einrichtungen oder Bauwerke in den Städten die Luft filtern könnten.

Zu diesem Zweck unterstützt die EU-Kommission in Brüssel ein spezielles Forschungsprojekt, das "schlaue" Baustoffe entdecken oder entwickeln soll, die die Luft sauberer machen sollen. So könnten spezielle Materialien wie Putz, Mörtel, Baubeton und Anstriche mit Hilfe der Sonnenenergie Schadstoffe wie Stickoxide und organische Verbindungen abbauen. Die Idee ist gar nicht so neu. So hieß es vor ein paar Jahren in einer Meldung der AFP:

Dabei machen sich die Forscher die photokatalytische Wirkung von Titandioxid zu Nutze. Die Schadstoffe diffundieren durch die poröse Oberfläche und heften sich an die Titanoxid-Partikel in den Beschichtungen. Mit Hilfe der UV-Strahlung im Sonnenlicht werden die Stoffe abgebaut. (AFP, 4. März 2004)

Inzwischen mehren sich die Feldversuche. Anders gesagt werden in immer mehr Städten vor allem im sonnigen Süden Europas große Flächen kurzerhand mit titanoxidhaltigen Baustoffen verputzt, ohne daß die mögliche Wirkung für die Umwelt wirklich jemals überprüft worden wäre. In Thüringen versucht man es derzeit sogar mit einem Spezial-Trottoir, dessen Verlegung am 18. Januar 2008 begonnen wurde, wie es in einer Meldung der ddp hieß:

Äußerlich sehen sie ganz unspektakulär aus. Doch die neuen "Air- Clean-Steine" sind nicht einfach nur grau und viereckig, sondern sollen es im wahrsten Sinne des Wortes auch in sich haben. Mit ihrer besonderen Oberfläche aus Titandioxid könnten die innovativen Pflastersteine die schlechte Luft am Gothaer Platz in Erfurt verbessern, verspricht die Herstellerfirma Nüdling aus Wandersleben.
(ddp-lth, 18. Januar 2008)

Der Gothaer Platz ist eine der meist befahrenen Straßenkreuzungen in Erfurt. Eine Meßstation der Thüringer Landesanstalt für Umwelt- und Geologie ergab, daß die aktuellen Stickoxid-Werte bereits heute schon sehr hoch sind und den vorgeschriebenen Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter in naher Zukunft übersteigen könnten. Das neue "Wundermittel" soll hier nun Abhilfe schaffen, damit der Verkehr so weiterlaufen kann wie bisher.

Mittels Sonnenlicht sollen die titanoxidhaltigen Betonsteine alle giftigen Abgase der Autos in saubere Luft verwandeln, sagt der Hersteller. Insgesamt 1500 Quadratmeter des speziellen Trottoirs werden laut Erfurter Tiefbauamt am Gothaer Platz bis Ende dieses Jahres verlegt.

Das stellt sich so dar, als hätte es nur einen kleinen Anstoß gebraucht, um Forscher und Baustoffhersteller einen Stoff entwickeln zu lassen, der den Smog ganz einfach auffrißt bzw. seine giftigen Bestandteile in harmlose Verbindungen umwandelt.

Tatsächlich gründet sich die ganze Aufregung um photokatalytische Baustoffe auf einen reinen Zufallsfund und auch neu sind diese Erkenntnisse nicht.

Es gibt schon seit den 60er Jahren umfangreiche Literatur über Photokatalysatoren. 30 Jahre später wurde in Japan schon im Bereich Werkstoffe, Keramik und Glas mit Titandioxid experimentiert und einfache Abwasserreinigungsanlagen konzipiert, die nur mit Sonnenlicht und Titandioxid arbeiten. Der Sektor Zement kam dann vor wenigen Jahren eher zufällig neu dazu.

Am Anfang stand eine Kirche, über die der Deutschlandfunk schon am 8. Januar 2004 berichtete, ein Neubau des amerikanischen Stararchitekten Richard Meyer am Stadtrand Roms mit drei großen, weißen Betonsegeln. Da diese strahlend weiß bleiben sollten, entwickelte der Zulieferer Italcementi einen besonderen HighTec-Beton, TX-Milennium, der sich im wahrsten Sinne des Wortes gewaschen hat. Denn das Farbpigment Titandioxid, das dem Beton u.a. sein strahlend reines Weiß verleiht, hat einen kleinen, geringfügigen Nebeneffekt, der dieses Weiß auch rein erhält. Es zersetzt nämlich unter Lichteinwirkung tatsächlich ein kleines bißchen Smog. Die Entwickler des Baustoffs stellten das allerdings noch ganz anders dar, so einer von ihnen in der Übersetzung des Deutschlandfunks:

Wir haben es mit einem Zement zu tun, der außer den üblichen Eigenschaften von Weißzementen eine besondere Eigenschaft hat. Er ist photokatalytisch, d.h. unter Lichteinwirkung bringt er Reaktionen in Gang, die verunreinigende Substanzen in der Luft abbauen, so Auto- und Fabrikgase, Stickoxide, Schwefeloxide oder Ruß, allesamt Partikel, die in der Atmosphäre vorkommen.
(DLF, 8. Januar 2004)

Im Kontakt mit dem weißen Beton sollen Stickoxide zu Stickstoff und Sauerstoff werden. Schwarzer Ruß verwandele sich zu einfachem Kohlenstoffdioxid (CO2). Titanoxid, ein normalerweise ungiftiger Stoff, der in der Natur vorkommt, hat hierbei ausschließlich katalytische Funktion.

Doch so schön einfach geht es nicht immer. Allein schon beim aktuellen Projekt räumte der Betriebsingenieur der Firma Nüdling, Werner Tischer, ein, daß die mit Titanoxid versetzten Zementsteine zwar ebenfalls nach dem Prinzip der "Photokatalyse" funktionieren sollen. Nur werden in diesem Fall während des chemischen Prozesses die Stickoxide aus den Autoabgasen mit Hilfe des Tageslichtes nicht in harmlosen Stickstoff, sondern in wasserlösliche Nitrate umgewandelt. An der Oberfläche bildeten sich danach mikrokleine Nitratkristalle, die vom Regenwasser weggespült werden. Eine Zunahme von Nitrat in Fließgewässern ist aber keine zufriedenstellende Lösung, sondern nur eine Umlastung des Luftschadstoffproblems, auch wenn Tischer gegenüber der ddp behauptete, daß eine Gefahr der Grundwasserverseuchung dadurch nicht entstünde.

In dem fraglichen Beton verwendeten die Hersteller künstlich synthetisiertes Titandioxid, wie es in der Farb- und Papierindustrie verwendet wird. Es ist zunächst ein Pigment, d.h. ein Farbstoffpartikel, der besonders gut abdeckt und mit einem Teil der von ihm reflektierten Strahlung sogar Grauschleier in der Nähe überstrahlt.

Titandioxid ist aber auch ein anorganischer Halbleiter. Ein Stoff also, der normalerweise keinen Strom leitet. Erst unter Einfluß von Wärme oder Licht wird das Material leitfähig.

Diese Eigenschaft nutzen die Erfinder, um die katalytische Wirkung des Betons zu erklären. Dazu hieß es im Deutschlandfunk: Im Normalfall habe Titandioxid als Halbleiter ein mit Elektronen gefülltes Valenzband, aber ein leeres Leitungsband. Deshalb leite das Material nicht. In der Sonne würden nun Photonen aus dem langwelligen UV- Bereich des Sonnenlichts auf das Titandioxid auftreffen und die Elektronen beeinflussen.

Photonen sind, nebenbei bemerkt, Teilchen, die man ebenso wie Elektronen bisher nicht eindeutig nachweisen konnte, von deren Existenz allerdings jeder Chemiker und Physiker überzeugt ist. Sie haben deshalb theoretisch große Ähnlichkeit miteinander. Ebenfalls kann keine der auf Photonen basierenden Theorien wirklich befriedigen.

Nun gehen die Forscher aber davon aus, daß die von der Sonne ausgeschickten "Lichtteilchen" die Elektronen von dem vollen Valenzband in das leere Leitungsband stoßen, sie also gewissermaßen kurzfristig ersetzen können. Währenddessen würde das Leitungsband mit Energie, sprich: Elektronen, aufgeladen werden, die es dann wieder an andere Verbindungen abgeben kann. Auf dieser Theorie, nur mit anderen Trägern als Titanoxid, basiert die gesamte Photovoltaik.

Der Vorgang soll im Prinzip einer Oxidation (Elektronenabgabe) entsprechen. Das stimmt jedoch nur, wenn man den Titananteil der Verbindung gesondert betrachtet. Schließlich müßten Stickstoff oder Schwefel gleichzeitig reduziert werden, wenn sie sich in harmlose oder unschädliche Luftbestandteile (Stickstoff, Schwefel und Sauerstoff) verwandeln sollen. Dafür reicht die photokatalytische Energie jedoch nicht.

Laut dem Bericht des Deutschlandfunks hätten Labortests ergeben, daß der Beton dazu in der Lage sei, 90% des umgebenden Smogs abzubauen. Und einer firmeninternen Hochrechnung nach würde schon eine sichtbare Oberfläche von nur 15% einer Stadt aus TX-Millenium ausreichen, um die Luftverschmutzung zu halbieren.

Auch wenn Endergebnisse der ersten Praxistests noch ausstehen, ist das Interesse an dem neuen Material jetzt schon groß. So verbaute beispielsweise die smoggeplagte Olympiastadt Athen den Baustoff aus Bergamo ungetestet auch deshalb, weil er vom ästhetischen Standpunkt her überzeugt. Für das makellose Weiß mischte der Hersteller eigens weißes Marmorpulver aus Garat in die Betonmischung. Durch unterschiedliche Korngrößen des Marmors soll eine möglichst dichte Packung und eine große Haltbarkeit erreicht werden. 7 Jahre Forschungsarbeit hatte der italienische Hersteller in diesen Zement gesteckt und internationale Patente dafür angemeldet.

Für die Firma Nüdling soll der Gothaer Platz ihr erstes Referenz- Objekt, besser gesagt, ein vom Land finanzierter Feldversuch werden, mit dem man die versprochene Luftverbesserung nachweisen will. Im Frühjahr und im Herbst sollen erste Messungen in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer-Institut aus Schmallenberg erfolgen. Dann wird sich zeigen, ob das Pflaster tatsächlich die gewünschte Luftverbesserung bringt und weitere Steine in Erfurt verlegt werden.

Betriebsingenieur Tischer schätzt, daß sich die Stickoxide vor Ort um 30 bis 40 Prozent verringern ließen (wohlgemerkt auf Kosten von in das darunter liegende Erdreich eingebrachten Nitraten).

In den Metropolen Mailand, Turin oder Athen sollen bereits Luftverbesserungen bis zu 55 Prozent erreicht worden sein. Allerdings ist dort die Sonneneinstrahlung im Jahr auch unvergleichbar intensiver als hierzulande. Auch die Wirksamkeit der Katalysatoren im Stein ist begrenzt:

Die Lebensdauer der Luft reinigenden Steine schätzt der Ingenieur auf 30 Jahre. "Solange an der Oberfläche das Titandioxid erhalten bleibt, funktioniert der Prozess weiter", betont Tischer. Einschränkungen in der Funktionalität könnten aber durch starke Verschmutzungen eintreten. Wenn beispielsweise dicke Farb- oder Gummireste auf den Belag gelangen, müsste eine zusätzliche Reinigung erfolgen. (ddp-lth, 18. Januar 2008)

Vielleicht hätte man doch erst noch auf die Ergebnisse weiterer Langzeitstudien im Labormaßstab warten sollen. Denn ob die hochaktiven Katalysatoren, mit denen man beispielsweise nun den Gothaer Platz durchsetzt, möglicherweise nicht auch noch ungewünschte Reaktionen in der Luft beschleunigen und nicht allein harmlose Gase produzieren helfen, ist nicht unbedingt sicher.

Auch die Verwendung von Titanoxid im Straßenbelag (statt wie bisher an Fassaden) könnte sich als Fehlgriff erweisen, der nach hinten losgeht. Um seine Aktivität als Photokatalysator zu entfalten, muß das Titanoxid erreichbar an der Oberfläche liegen und ist dort auch möglichem Abbrieb durch den Verkehr ausgeliefert. Die Firma hält sich auch darüber bedeckt, ob der größeren Oberfläche zuliebe in diesem Fall besonders feinpulvriges, möglicherweise sogar nanoskaliges Titanoxid verwendet wird, das derzeit wegen seiner großen Wirksamkeit und vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten regelrecht in Mode gekommen ist und günstig angeboten wird.

Letzteres könnte dann durch den Abrieb in den Feinstaubanteil der Luft geraten, was nicht zu begrüßen wäre. Einem ins Internet gestellten Auszug aus dem Buch "Die Joghurt-Lüge" vom 16. August 2006 zufolge, der das Thema unter einem anderen Aspekt behandelt, bestätigt ein schon durchgeführter Tierversuch mit Ratten, die man Titanoxidhaltige Luft einatment ließ, leider diese Befürchtungen: Das darin verwendete Titandioxid löste nach einer zweijährigen Verabreichung Lungenkrebs bei den Tieren aus.

30. Januar 2008