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UMWELTLABOR/232: Raubbau auf Luna nicht mehr bloß Science Fiction (SB)


Raubbau auf Luna nicht mehr bloß Science Fiction

Warum der Mond (ver)duftet


Noch ist es nicht viel mehr als ein Plan, der immer klarere Formen annimmt, doch der Ausverkauf des Erdtrabanten zum Zwecke des Abbaus aller chemischen und für die terrestrische Industrie brauchbaren Rohstoffe und Bodenschätze steht kurz bevor. Für derartige Begehrlichkeiten hinsichtlich der wirtschaftlichen Nutzung gibt der Weltraumvertrag quasi einen Blankoscheck: Er räumt allen Ländern eine weitgehende Freiheit der Forschung und der wirtschaftlichen Nutzung ein.

Der erste Deutsche könnte nach Ansicht des deutschen Raumfahrtchefs Johann-Dietrich Wörner, der diese der Nachrichtenagentur ddp kundtat, schon im Herbst 2016 auf dem Mond landen.

"Aber es wird kein Mensch sein, sondern ein Roboter", sagte der Vorstandsvorsitzende des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt in Köln-Porz dem Hamburger Nachrichtenmagazin "Der Spiegel". Bislang gebe es allerdings erst Vorarbeiten für den "Rovonaut".
(ddp, 10. August 2008)

Das Projekt mußte aus finanziellen Gründen auf diesen Termin verschoben werden. Eigentlich sollte sich die Leo-Sonde schon viel früher, nämlich 2012, auf den Weg zum Mond machen. Doch die Beteiligten des deutschen Raumfahrtprojekts konnten ungestraft abpusten, nachdem auch die Konkurrenz nicht im Zeitplan ihrer ehrgeizigen Pläne bleiben konnte. Inzwischen wollen nämlich alle zum Mond, außer den USA, Rußland, China, Indien, Japan nun auch Deutschland.

War es früher noch ein Wettlauf um die weltraumtechnologische Vormachtstellung vor dem Hintergrund verschleierten militärischen Machtanspruchs, geht es heute nach dem Motto "wer zuerst kommt - mahlt zuerst" vor allem um wirtschaftliche Interessen. Besonders in China sieht man den Erdtrabanten als Rohstoffquelle der Zukunft: In einigen Jahrzehnten schon, so das Kalkül, könnte Bergbau auf dem Mond von entscheidender Bedeutung für eine nationale Wirtschaft werden.

Hierzulande wird das goldrauschähnliche Ausbeutungsinteresse am Trabanten noch mit allerlei vermeintlicher Forschungsarbeit zum Vorteil aller Länder verschleiert und zukunftsträchtige Technologien entwickelt, mit denen man gerne Vorreiter sein möchte:

Der Mond werde für die Industrienationen "zur Bühne für ein technologisches Schaulaufen". Wer eine solche Mission im nationalen Alleingang stemmen könne, helfe indirekt der Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Industrie.
(ddp, 10. August 2008)

Dagegen plant Rußland schon seit Jahren ganz unverblümt, eine Förderanlage für Helium-3 auf dem Mond zu errichten:

"Wir planen, bis 2015 eine dauerhafte Basis auf dem Mond zu errichten und 2020 mit der industriellen Förderung des seltenen Isotops Helium-3 zu beginnen", sagte der Chef der Weltraumgesellschaft Energia, Nikolai Sewastyanow, nach Angaben der russischen Nachrichtenagentur ITAR-TASS bei einer wissenschaftlichen Konferenz. Die Internationale Raumstation ISS spiele bei dem Vorhaben eine entscheidende Rolle. Eine regelmäßige Transportverbindung solle mit Hilfe des in der Planung befindlichen Raumschiffs Clipper aufgebaut werden sowie mit der Weltraumkapsel Parom, die schwere Container durch den Weltraum transportieren könne, führte Sewastyanow demnach weiter aus.
(AFP, 25. Januar 2006)

Und Novosti antwortete auf die selbstgestellte Frage, wozu Rußland ein neues Mond-Programm brauche:

Dafür gibt es eine ökonomische Begründung: Auf dem Mond könnten große Mengen von Helium-3 gewonnen werden, mit dem in ferner Zukunft Energieprobleme der Erde gelöst werden könnten.
(Novosti, 24. Februar 2007)

Dabei ist gerade die Sache mit dem Helium noch gar nicht spruchreif: Helium-3 ist ein nicht radioaktives Isotop des Helium-4, das von Kernphysikern als ideales Ausgangsprodukt für Kernfusionen angesehen wird. Die Atomkerne des leichteren Helium-Isotops bestehen lediglich aus zwei Protonen und einem Neutron, sie besitzen damit ein Neutron weniger als gewöhnliches Helium. Dieses Defizit macht Helium-3 zu einem interessanten Ausgangsstoff für die Energieerzeugung in Anlehnung an die Kernfusion in der Sonne. Denn die Kernverschmelzung von Helium-3 mit Wasserstoff zu gewöhnlichem Helium-4 setzt Energie frei. Einige Physiker glauben damit einen sauberen und kraftvollen "Kraftstoff" gefunden zu haben, bei dessen Verbrennung "fast" keine radioaktiven Abfallprodukte entstünden, auch wenn der Energiegewinn dabei geringer als bei der gewöhnlichen Fusion von Wasserstoff zu Helium sei, wie sie heute schon in Forschungsreaktoren wie "Iter" im südfranzösischen Cadarache versucht wird.

Doch die Helium-Fusion hat einen entscheidenden Vorteil: Sie ist erheblich sauberer. Denn die Wasserstofffusion setzt große Mengen an hochenergetischen Neutronen frei. Diese Neutronen verseuchen die Reaktorkammern radioaktiv und führen zu einer starken Materialermüdung. Bei der Fusion von Helium-3 wird dagegen ein Proton frei, das sich durch elektromagnetische Felder abfangen und ebenfalls zur Energieerzeugung nutzen lässt.
(Hamburger Abendblatt, 7. Mai 2007)

Da aber Helium-3 auf der Erde kaum vorkommt, gibt das neuerwachte Interesse am Mond diese Interpretation geradezu vor. So betonte Wörner vor kurzem:

"Viel später als 2016 dürfen wir da oben nicht ankommen." Schon ab 2020 wollten die Amerikaner wieder Menschen zum Mond schicken. Mit Blick auf die "Leo"-Sonde, die erste deutsche Mondexpedition, deren Verwirklichung aus finanziellen Gründen verschoben wurde, sagte der Experte, "die Vorbereitungen laufen weiter". Das Projekt sei nicht gescheitert, sondern nur vertagt. Eine Verschiebung um ein Jahr "wäre noch kein Weltuntergang". (ddp, 10. August 2008)

... der Mond sei auch "das nächste logische Ziel für eine bemannte Basis, das ideale Sprungbrett für alle weiteren Missionen. [...] Wörner drückte zugleich aufs Tempo: Wenn nicht bald die nächsten Schritte vorbereitet würden, stehe Deutschland "in zehn Jahren mit leeren Händen da".
(ddp, 10. August 2008)

Warum man die neuen Helium-3 Fabrikationsstätten ausgerechnet auf dem Mond stationieren will, scheint zunächst rätselhaft.

Nun machte allerdings vor einiger Zeit das inzwischen schon in Vergessenheit geratene Phänomen eines spezifischen Mondgeruchs von sich reden, das in diesem Zusammenhang eine ganz andere Bedeutung bekommen könnte. Astronauten hatten dem Mondgestein einen seltsamen Geruch nachgesagt, dem die Forscher immer noch nicht auf die Spur gekommen sind, da er auf der Erde regelrecht verduftet. Manche bringen damit nun den Geruch des Sonnenwindes und damit auch im Mondgestein festgehaltene Sonnengase in Verbindung:

Den Schießpulverduft des Mondstaubs haben viele amerikanische Astronauten der Apollo-Missionen nach ihren Mondspaziergängen wahrgenommen, als sie an Bord ihrer Mondfähren Schutzanzüge und Helme abnehmen konnten. "Es ist ein wirklich intensiver Duft", funkte im April 1972 der Apollo-16-Pilot Charlie Duke an die Bodenstation. "Es riecht, als hätte hier jemand einen Karabiner abgefeuert", berichtete bei der nächsten Mission einige Monate später der Astronaut Gene Cernan. Bei dessen Mitflieger Jack Schmitt löste der Staub sogar Heuschnupfen ähnliche Symptome mit einer zugeschwollenen Nase aus.

Zur Verwunderung von Wissenschaftlern verlor sich der Duft des Mondstaubs jedoch nach und nach. Die Staubproben und Gesteinsbrocken, die die Astronauten auf die Erde brachten, sind heute vollkommen geruchlos. Seither rätseln Forscher, was denn die Astronauten damals an Bord ihrer Raumfähren wahrgenommen haben könnten.
(DDP, 31. Januar 2006)

Eine dem Schießpulver ähnliche Substanz scheidet jedoch definitiv aus: Der Staub besteht hauptsächlich aus glasähnlichen Siliziumverbindungen, die sich in der Hitze des Aufpralls von Meteoriten auf der steinigen Mondoberfläche bilden, ergaben Analysen. Zwar fanden Geologen Verbindungen aus Eisen, Calcium oder Magnesium, aber nichts, das den Geruch erklären könnte.

Eine der bevorzugten Theorien derzeit vertritt Gary Lofgren vom Johnson Space Center der NASA. Er glaubt, daß die Astronauten den Duft des Sonnenwinds wahrgenommen hätten:

Dieser bringt Wasserstoff-, Helium- und andere geladene Teilchen auf den Mond, die dann mit dem Sauerstoff in der Kabine reagieren oder auch direkt wahrgenommen werden können. Der Astronaut Jack Schmitt schließlich vermutet, dass der Mondstaub noch chemisch reaktiv ist. Gelangt er in der Nase, löst das so lange Geruchsreaktionen aus, bis die möglichen chemischen Reaktionen abgeschlossen sind. (DDP, 31. Januar 2006)

Und damit wären wir wieder bei Helium-3. Tatsächlich nimmt man inzwischen an, daß die Sonne mit dem Sonnenwind auch Helium-3 ins All bläst. Während aber die Erde durch ihr Magnetfeld gegen den Zustrom der elektrisch geladenen Helium-Ionen abgeschirmt wird, kann Helium-3 nach Ansicht der Wissenschaftler den magnetfeldlosen Mond ungehindert erreichen. Deshalb könnte sich der Stoff über Jahrmilliarden hinweg in der Oberfläche des Erdtrabanten abgelagert haben. Das ist jedoch nur eine Theorie.

Es sieht so aus, als plane zumindest das russische Projekt, die hier gelagerten Helium-3 Reste aus dem Mondstaub zu extrahieren, also Mondtagebau im klassischen Sinne zu betreiben. Das wäre eine revolutionäre Idee, für die zunächst erst einmal neue Abbau- und Gewinnungsmethoden für das Helium gefunden werden müßten. Tatsächlich läßt sich Helium nämlich im Gegensatz zu den anderen verwandten Edelgasen nur selten im technischen Maßstab aus der Luft und schon gar nicht aus adsorbierendem Gestein oder Kohle extrahieren.

Helium kommt großzügig in gewissen Erdgasen und im Erdmantel als Folgeprodukt radioaktiver Zerfallsprozesse vor und kann daraus in technischem Maßstab gewonnen werden. Auch sind die Helium-3 Vorkommen auf dem Mond bisher nicht bestätigt. Der Aufbau von Förderstätten wird somit noch etwas auf sich warten lassen:

Als Zukunftsperspektive über die Nutzung von lunarem Helium-3 nachzudenken, hält Planetenforscher Gerhard Neukum von der Freien Universität Berlin deshalb durchaus für sinnvoll, "aber es wird sicherlich Jahrzehnte, vielleicht 50 Jahre dauern, bis es so weit ist".
(Hamburger Abendblatt, 7. Mai 2007)

Doch was wird wohl auf dem Mond gebaut, wenn die Ausbeute an Helium-3 doch nicht so hoch ist, wie man es scheinbar erhofft. Radioaktive Vorgänge wie im Erdkern scheinen der Schlüssel zu sein:

Helium-4 entsteht im Erdkörper beim radioaktiven Zerfall (Alphazerfall) schwerer Elemente wie Uran oder Thorium, wobei Helium- Kerne als Alphateilchen ausgesandt werden und anschließend Elektronen einfangen. Es kann in verschiedenen uran- und thoriumhaltigen Mineralen wie der Pechblende gefunden werden.

Das Isotop Helium-3 ist nur zu ca. 1,4 ppm (parts per million) in natürlichem Helium enthalten und daher sehr teuer. Prinzipiell kann es auch aus Kernreaktionen gewonnen werden. Es entsteht beispielsweise beim Betazerfall von Tritium. Tritium und Helium-4 können durch Neutronenbeschuß von Lithium in einem Kernreaktor gewonnen werden.

Das reine Schmelzen von Gestein, um beispielsweise andere Rohstoffe des Mondes vor Ort abzubauen (hauptsächlich Eisen, Nickel, Kobalt und Platin sind schon im Gespräch) wird im Gegensatz zur anderslautenden Behauptungen wohl kaum ausreichen, um die Schmelzprozesse zur Heliumfreisetzung im Innern der Erde zu kopieren.

Folglich läßt sich vorstellen, daß die Helium-3 Produktionsstätte der Zukunft auf dem Mond zunächst in noch größerem technischen Ausmaß die nötigen radioaktiven Prozesse erzeugen muß, ehe das gewünschte Produkt abgeerntet werden kann.

Da aber bis heute weder solche radioaktiven Vorgänge noch die wesentlich unerforschtere Kernfusion als Energiequelle vom Menschen wirklich beherrscht werden und man davon ausgehen muß, daß derartige Produktionsstätten Kräfte entfesseln, die in der weiteren Qualifizierung des durch die Kernspaltung möglichen Zerstörungsmodus kein Beispiel kennen, scheint die Verlegung des Schauplatzes auf den Mond nicht von ungefähr.

Fraglich nur, ob die Distanz Erde-Mond auch ausreicht, um nicht vorhergesehene und nicht vorhersehbare Folgen von der Erde fernzuhalten, von den Auswirkungen auf den Trabanten selbst und Erschütterungen kosmischen Ausmaßes einmal ganz abgesehen.

Erstveröffentlichung 1. Februar 2006
neue überarbeitete Fassung

12. August 2008