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UMWELTLABOR/242: Giftschleuder Computer - Schädlicher Flammschutz (SB)


Ersatz giftiger als das Original


Bislang galten Computer als umweltfreundliche Technologie, solange sie ganz normal in Betrieb genommen wurden und nicht auf irgendwelchen Deponien vor sich hin dümpelten, verbrannt oder von Laien in ihre Bestandteile zerlegt wurden. Dann enthüllen nämlich auch Computer ihr zunächst noch in Plastik verschweißtes, hochgiftiges Innenleben.

Vor einigen Jahren allerdings wurden in der gemeinsamen amerikanischen Untersuchung der Umweltorganisationen "Silicon Valley Toxics Coalition", "Computer TakeBack Campaign" und "Clean Production Action" hohe Konzentrationen an möglicherweise neurotoxischen bromierten Flammschutzmitteln in Staubproben von Computern und Monitoren festgestellt. Danach sind Computerbenutzer diesem "toxischem Staub" täglich vor dem Bildschirm ausgesetzt, denn dieser stammt von ihren Geräten und wird von den Plastikgehäusen an die Umwelt abgegeben.

Auch Drucker oder Fernsehgeräte erweisen sich als bromhaltige Giftschleudern. So hieß es damals in den Medien:

Wissenschaftler (...) im Auftrag der Umweltorganisationen 16 Staubproben von Computern und Monitoren in acht amerikanischen Bundesstaten gesammelt. Die Proben stammten aus Computerlabors in Universitäten, Büros in Parlamenten und einem Kindermuseum. Analysiert wurden die Proben auf bestimmte bromhaltige Flammschutzmittel, nämlich auf polybromierte Diphenylether (PBDE).
(Telepolis, 6. Juni 2004)

Der Begriff ähnelt vielen in dieser Rubrik schon behandelten Schadstoffen. Seine Schädlichkeit ist jedoch noch nicht so lange bekannt. Es wurde beispielsweise als legaler Ersatzstoff für die umstrittenen Polychlorbiphenyle (PCBs) eingesetzt, die als Flammschutzmittel den Brandschutz im Gerät garantieren, als jene in den 70er Jahren nicht mehr hergestellt werden durften.

Auch damals gab es schon die ersten deutlichen Hinweise für eine Beziehung zwischen der PCB-Konzentration im Körperfett und der niedrigen Vermehrungsrate bei Seehunden, Belugawalen und Ottern. Hohe PCB-Konzentrationen (10µg/l) wurden auch in menschlicher Muttermilch nachgewiesen. Darüber hinaus stand diese Gruppe von Verbindungen, bei denen 1 bis 10 Chloratome an verschiedene Kohlenstoffatome des Biphenylmoleküls gebunden sein können (s.u. in Abhängigkeit von den Reaktionsbedingungen kann jede der bezeichneten Positionen mit Chlor substituiert werden), schon lange in dem Verdacht, das Erbgut zu verändern und einen nachteiligen Einfluß auf die Fortpflanzungsfähigkeit zu haben.

PCB, polychlorierte Biphenyle, haben wir an dieser Stelle schon häufiger erwähnt. Sie wurden seinerzeit als Weichmacher in Dichtungsmassen oder als Brandschutzmittel in Deckenplatten eingesetzt. Mit einem Chlorgehalt von jeweils zwischen 30 und 60 Prozent gibt es über 200 verwandten Substanzen, die unter diesem Begriff definiert werden und die wohl umweltfeindlichsten Stoffe darstellen. Sie sind ubiquitär, also zu Land, zu Wasser und in der Luft, anzutreffen. PCBs sind extrem giftig, wobei ihre akute Toxizität vom Grad ihrer Chlorierung abhängt, gelten als krebsverdächtig und attackieren bzw. schwächen das Immunsystem.

Als "Problemmüll" werden sie erst durch Verbrennen ab 1.200 Grad Celsius in sauerstoffreicher Atmosphäre vollständig zerlegt. Bei niedrigeren Verbrennungstemperaturen können weitere Gifte entstehen, so die Polychlorierten Dibenzofurane - PCDF, eng verwandt mit bestimmten Dioxinen, unter ihnen auch das Seveso-Dioxin.

Betrachtet man die chemische Struktur des Diphenyl-Ethers mit seinen 10 Bindungsstellen für potentielle Bromsubstituenten, so ist die Ähnlichkeit frappierend, nur daß hier statt des umstrittenen Chlors ein anderes Halogen (Brom) die Nebengruppen bildet und außerdem eine Sauerstoffbrücke (Etherverbindung) zwischen den Ringen besteht. Entsprechend der Anzahl ihrer Substituenten spricht man von PentaBDP, HexaBDP oder DecaBDP (5,6 oder 10 Bromatome) und hiervon gibt es ebenfalls wie beim PCB über 200 verwandte Möglichkeiten, je nachdem, an welchen Ecken des Phenyl-Sechsrings die Bromatome plaziert wurden.

Seltsam, daß der naheliegende Verdacht, von der chemischen Ähnlichkeit zwischen PBDPs und PCBs auf die gleich Umweltschädlichkeit zu schließen, erst jetzt aufkam.

Auch bei den Polybromdiphenylethern handelt es sich nämlich um stabile, schwer abbaubare, fettlösliche Verbindungen, die sich in der Umwelt in Luft, Boden und Wasser sowie in Fisch, Fleisch oder Milch, also ebenfalls in menschlicher Muttermilch, anreichern.

So schreibt das Bundesinstitut für Risikobewertung nur vage:

Zwar handelt es sich bei diesen Flammschutzmitteln nicht um hochgiftige Substanzen - sie verändern weder das Erbgut, noch sind sie als krebserregend eingestuft und auch bei akutem Kontakt verursachen sie keine auffälligen Symptome. Aber es ist unklar, ob dauerhafter Kontakt mit den PBDE Einfluss auf die Gesundheit von Menschen haben könnte.

Die PBDEs sind aber den krebserregenden PCBs nicht nur strukturell ähnlich. Möglicherweise können sie synergistisch die Effekte von PCBs oder anderer chemischer Verbindungen noch verstärken, denen Menschen in ihrem Alltag ausgesetzt sind. PBDEs sind daher nur ein weiterer Bestandteil der vielen in industriellen Prozessen verwendeten chemischen Verbindungen, deren Wirkung und Wechselwirkung unbekannt sind.

Laut Telepolis sollten ab 1. Juli 2006 nach der Richtlinie zur Beschränkung der Verwendung bestimmter gefährlicher Stoffe in Elektro- und Elektronikgeräten in der EU die Verwendung von bromhaltigen Flammschutzmitteln in elektrischen und elektronischen Geräten verboten werden. Es kam aber nur eine Einschränkung der Anwendung für PentaBDE, OctaBDE und DecaBDE heraus. Zudem sind das "Inverkehrbringen und die Verwendung von PentaBDE und von OctaBDE und das Inverkehrbringen von Artikeln, die einen oder beide dieser Stoffe enthalten", verboten. Für DecaBDE wird eine Eindämmung empfohlen.

Doch ähnlich wie bei PCBs, von denen nach Schätzungen des Bundesgesundheitsamtes (BGA) allein in Berlin bis zu 40.000 Tonnen vor allem noch im Erdreich stecken und die von allen Lebewesen über Nahrungsmittel aufgenommen und angereichert werden (im menschlichen Fettgeweben werden PCB-Werte zwischen 0,1 und 10 ppm gemessen, Spitzenwerte liegen bei 52 ppm) sind auch Bromphenylether schon jetzt ubiquitär verbreitet. Importe von landwirtschaftlichen Produkten der Dritten Welt werden noch lange mit PCBs belastet bleiben.

In den USA sind ab Ende des Jahres zwar Penta- und Octabromdiphenylether verboten, nicht aber Decabromdiphenylether. Manche Hersteller haben bereits auf die Verwendung von bromhaltigen Flammschutzmitteln verzichtet, aber sie sind noch immer in vielen Geräten zu finden. Prozessoren mit DecaBDE sind, so der Bericht, schließlich um 30 Prozent billiger herzustellen als solche, die Alternativen verwenden.
(Telepolis, 6. Juni 2004)

Während die Industrie bislang DecaBDE als unbedenklich eingeschätzt und als Ersatz für die gesundheitsgefährdenden Chlorderivate empfohlen hatte, weil es sich angeblich nicht in Organismen anreichern würde, lassen jüngste Untersuchungen ganz andere Schlußfolgerungen zu.


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PBDE stört Wachstum und Entwicklung

Danach könnten gerade DecaBDE der Leber schaden und durch Veränderung der Thyroidhormon-Konzentrationen die Gehirnentwicklung beeinträchtigen. Selbst Spuren von DecaBDE, die im Tierversuch an Mäusesäuglingen getestet wurden, brachten irreversible Gehirnschäden, Lernstörungen und hyperaktives Verhalten mit sich.

Wie alle halogenierten Aromaten reichern sich alle PBDEs innerhalb der Nahrungskette bis zum Menschen an. Hierzu schrieb Telepolis:

In höheren Konzentrationen als bislang angenommen wurde es im Blut von 30 Prozent der EU-Bürger gefunden, im Blut von Amerikanern und Japanern hat man es ebenso nachgewiesen wie in der Muttermilch von europäischen und amerikanischen Frauen. Hier verdoppelt sich die Belastung alle zwei bis 5 Jahre.
(Telepolis, 6. Juni 2004)

Aus den Staubproben wurden unterschiedliche Diphenyletherderivate isoliert und analysiert: die höchsten Konzentrationen gab es für DecaBDE - bei Computern von Dell, Sun, Compaq, Mitsubishi, IBM oder Gateway. Dabei fand sich die höchste Konzentration sogar im Staub eines brandneuen Flachbildschirms aus einer Universität.

Der Bericht betont allerdings, daß PBDEs aus Computergeräten nur eine weitere Belastung zu dem Cocktail an Schadstoffen darstellen, denen Menschen in geschlossenen Räumen aus Klimaanlagen, Kopierern u.ä. ohnehin permanent ausgesetzt sind.

Besonders brisant werden die Verbindungen jedoch erst - wie auch PCBs - bei ihrer unsachkundigen Entsorgung. Denn beim Erhitzen oder Verbrennen entstehen daraus dioxin- oder furanähnliche Bromverbindungen, die mithin die giftigsten Umweltschadstoffe auf der Erde sind.

Obwohl ausreichend weniger gefährliche Alternativen ohne Brom oder Chlor zur Verfügung stehen, verzichten nur wenige Hersteller (z.B. Apple, Toshiba oder NEC) darauf und dann auch nur in einigen ihrer Produkte.

Allerdings würde auch ein weltweites Verbot die nicht abbaubaren Konzentrationen an Pbdes wieder aus der Umwelt schaffen wie man an den PCBs schon seit 30 Jahren feststellt. Dazu können diese Stoffe nicht nur mit Atemluft und Nahrung, sondern auch über die Haut aufgenommen werden.

Angesichts seiner Ähnlichkeit und synergistischen Wirkung zu PCBs sowie neuer Erkenntnisse über eine mögliche Einschränkung der Fortpflanzungsfähigkeit durch das ubiquitäre Umweltgift, offenbart sich hier erneut das unrühmliche Talent menschlicher Selbstüberschätzung, die Geister, die man rief, nicht mehr loszuwerden.

Wenn die menschliche Rasse tatsächlich auch dies überleben sollte, dann wird sich die Auswertung dieses gigantischen Menschenversuchs möglicherweise erst in einigen Jahren in der Ausprägung einer ganz neuen Menschenrasse mit vermutlich wesentlich kleineren und leistungsärmeren Gehirnen zeigen, die aber das Ausmaß dieses Fehlers sicher nicht mehr zu begreifen in der Lage sind.

Erstveröffentlichung 14. Juni 2004
überarbeitete Fassung

5. Februar 2009