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UMWELTLABOR/250: Fliegen macht krank (1) Nervengift in der Kabinenluft (SB)


Forscher bestätigen: Die trockene und dünne Luft in der Kabine führt nicht zu Gesundheitsschäden...

Tricresylphosphat und Kohlenmonoxid vergiften das Flugklima


Das Fazit einer dreijährigen Studie bringt die Ignoranz, mit der dieses Thema allgemein behandelt wird, auf den Punkt: Die trockene und dünne Kabinenluft in Flugzeugen führt nicht zu Gesundheitsschäden! Dieses Ergebnis eines gesamteuropäischen Forschungsprojekts, das vermeintlich nach den Bedingungen für ein ideales Kabinenklima gesucht haben will, stellten Forscher vom Fraunhoferinstitut für Bauphysik kürzlich auf einer Konferenz in München vor.

Damit wird das Problem unangenehmer Begleiterscheinungen, von dem viele Flugreisende betroffen sind, gewissermaßen unter den Teppich gekehrt. Diese Tatsache wurde auf der Konferenz gleichfalls erörtert und vom Deutschlandfunk in der Sendung Forschung aktuell deutlich formuliert: An den Befindlichkeitsstörungen von Fluggästen und Personal läßt sich nichts ändern!

Bei genauerer Betrachtung stellt sich allerdings heraus, daß bei den jahrelang andauernden Testreihen und Untersuchungen in einer Niederdruck-Röhre, in die man in aufwendiger Kleinarbeit ein halbes Flugzeug hineinpraktiziert hatte, nur bestimmte Auswirkungen von Luftdruck und Luftfeuchtigkeit untersucht wurden, aber längst nicht alle für diese Empfindlichkeitsstörungen in Frage kommenden Ursachen. Dieses Ergebnis, das an den eigentlichen Problemen direkt vorbeigeht, hätte keine aufwendigen und langwierigen Versuchsreihen mit jeweils 40 Pseudopassieren gebraucht, die jeweils einen Tag in diesem Flugzeugsurrogat verbrachten. Die gleichen Bedingungen hätten sich auch in einer einfachen Druckkabine bzw. Einpersonen-Simulator erzeugen lassen.

Dafür, daß sich an den unangenehmen Bedingungen an Bord nichts ändern lasse, gibt es "zum Trost" technische Erklärungen: Eine höhere Luftfeuchtigkeit als 10 Prozent sei nicht tragbar, wenn die Bordelektronik keinen Schaden erleiden soll, da das Wasser an der kalten Außenhülle kondensiert. Außerdem, so berichtete der Deutschlandfunk, würden die Dämmstoffe auch schon unter diesen Bedingungen in den ersten Betriebsmonaten bis zu 600 Kilogramm Wasser aufnehmen. Anders gesagt wäre das Flugzeug bei einer feuchteren Kabinenluft dann schnell zu schwer zum Fliegen...

Auch der geringe Luftdruck ist technisch bedingt und unvermeidbar. Er entspricht einer Meereshöhe von 2500 Metern. Da die Luft in der wahren Flughöhe des Flugzeugs noch sehr viel dünner (d.h. der Druck noch geringer) ist, wurde die Erzeugung des Luftdrucks in der Kabine beim Start und bei der Landung mit dem Aufblasen eines Luftballons verglichen. Das Material leide laut Deutschlandfunk unter dieser Belastung so wie ein Ballon ausleiert und irgendwann kaputt geht. Um diese so gering wie möglich zu halten, hat man für den Luftdruck in der Kabine das für Menschen unangenehme, aber noch erträgliche Level gewählt. Nun ja, damit könnten Reisende vielleicht leben, schließlich geht man nicht alle Tage in die Luft...

Was aber sehr selten zur Sprache kommt, und vor allem im Zusammenhang mit den in der Kabine herrschenden Druckbedingungen keine Erwähnung findet, ist der unangenehme Geruch nach Öl und Kerosin, Nagellackentferner und manchmal auch nach feuchten Socken, der nicht nur Passagiere, sondern auch das Flugpersonal erheblich beeinträchtigt. Dieser stammt von entsprechenden Chemikalien, die sich auf den Nasenschleimhäuten ablegen und sich unter den unnatürlichen Druck- und Feuchtigkeitsverhältnissen auch noch besonders leicht in der molekülverarmten Atmosphäre des Flugzeuginneren ausbreiten können. Letztere gelangen u.a. durch die angewärmte Luft, mit der man den Luftdruck ausgleicht und die Innentemperatur regelt, und die praktischerweise aus dem Verdichterbereich der Triebwerke gewonnen wird, in die Kabine. So hieß es dazu im Deutschlandfunk:

"Etwa die Hälfte der Kabinenluft wird nämlich aus dem Bereich der Triebwerke angesaugt und verdichtet. Eigentlich sollten Sperrventile verhindern, daß giftige Chemikalien nach Innen gelangen, doch die funktionieren nicht immer.
(DLF, 10. März 2009, Forschung aktuell 16:35 Uhr)

Welche Chemikalien im einzelnen auf diese Weise ins Innere des Flugzeugs gesaugt werden, wollen Forscher aus Großbritannien erst jetzt in einer größeren Studie untersuchen. Im englischsprachigen Raum werden die Probleme mit kontaminierter Kabinenluft seit etwa 10 Jahren öffentlich diskutiert und als "Aerotoxisches Syndrom" bezeichnet. Hierzulande ist es bisher eher unbeachtet geblieben.

Dabei wurde man schon in den 70er Jahren durch eigentlich nicht zu ignorierende Beschwerden darauf aufmerksam. Besonders stark betroffen scheinen bestimmte Flugzeugtypen zu sein, nämlich die mit Rolls Royce- Motoren (RB511 Triebwerken) ausgestattete B 757, sowie die BAe 146/Avros.

Aus Erfahrungsberichten und medizinischen Bulletins, die Piloten für die inzwischen eingeleitete Untersuchung zur Verfügung gestellt haben, geht hervor, daß möglicherweise einige Unfälle nicht auf menschliches Versagen zurückzuführen sind, sondern weil die Verantwortlichen wegen einer Vergiftung nicht mehr handlungsfähig waren:

Bei einem dieser Vorfälle konnte ich meine Finger nicht mehr zählen, es war wie im Vollrausch," berichtet einer der Piloten
(DLF, 10. März 2009, Forschung aktuell 16:35 Uhr)

Captain John Hoyte, ehemaliger Pilot einer BAe 146 und Vorsitzender der im Juni 2007 gegründeten Aerotoxic Association, beschreibt in einem Erfahrungsbericht auf seiner Website www.aerotoxic.org ähnliche Zustände:

Bright lights would "jump around" and he found it hard to focus, his speech was sometimes slurred, and he had difficulty with memory and thought processing. The overall effect was of being permanently intoxicated, but without the alcohol.

Regarded by his friends and family as a cheerful and equable person he began to suffer from mild depression and confusion. With a growing family and worried about keeping his job, he dismissed his symptoms as an unwelcome side effect and carried on flying for another sixteen years.

Er halluzinierte tanzende Lichtpunkte, seine Sprache wurde verschwommen, Konzentrationsfähigkeit, Denkvermögen und Reaktionsgeschwindigkeit ließen nach. Er fühlte sich insgesamt wie ständig betrunken, dazu depressiv und verwirrt. Wie viele Leidensgenossen verschwieg er die Symptome zunächst, um seinen Job nicht zu verlieren.

Alle Verunreinigungen die in die Umgebungsluft der Triebwerke ausdünsten, gelangen auf diese Weise in die Kabine. Das sind beispielsweise Rückstände von Enteisungsflüssigkeit, Hydrauliköl, Verpuffungsgase, Schmieröldestilate u.v.a.m.. Ein nennenswertes Ausfiltern schädlicher Substanzen, wie man es eigentlich erwarten würde, findet hier nicht statt, obwohl es seit einiger Zeit Filter gibt, die jedoch nicht vorgeschrieben sind. Man kann das an den regelmäßig auftretenden Rauchvorfällen erkennen, die bei der Verdampfung der genannten Flüssigkeiten in der 'Klimaanlage' auftreten können.

Triebwerksöl oder abdampfende flüchtige Bestandteile daraus können nur in diese Luft gelangen, wenn z.B. an einem Lager eine nennenswerte Undichtigkeit auftritt oder der Motor gegebenfalls mit zuviel Öl versorgt wurde.

Darüber hinaus kann genau das passieren, wenn die Druckluft am Boden oder in der Luft von der sogenannten APU Bleed-Air (Auxiliary Power Unit Bleed Air oder Engine Air - Hilfskraftanlage für Zapfluft aus dem Turbinenbereich) erzeugt wird, wonach laut Erfahrungsberichten die Klimaanlage "den Geruch nach alten, übervollen Staubsaugerbeuteln" verströmt.

Dieser von manchen auch als nach "Schweißsocken" riechende, unangenehme Geruch ist typisch für das Umweltgift Tricresylphosphat, das als Additiv dem Triebwerksöl zugesetzt wird. Neben Kohlenstoffmonoxid, das bei unvollständiger Verbrennung des Treibstoffs entsteht, ist Tricresylphosphat ein sogenanntes Organophosphat, das eine ähnliche Struktur aufweist wie man sie von bestimmten, sehr giftigen Insektiziden z.B. "E 605" kennt.

Anders gesagt leiden Passagiere wie Besatzung unter diesen Bedingungen unter regelrechten Vergiftungserscheinungen wie man sie u.a. beim Golfkriegs-Syndrom kennengelernt hat.

Da aber Tricresylphosphat nur vier Stunden im Körper nachweisbar ist und die Luftfahrtindustrie jedweden Zusammenhang abstreitet, um ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen zu wahren, werden die Erscheinungen von vielen Ärzten nicht wirklich ernst genommen. Neben ihren Einschränkungen haben es dann viele Patienten noch damit zu tun, als Hypochonder, Sensibelchen oder Hysteriker diskriminiert zu werden.

Über die Gifte im einzelnen, den kleinen Unterschied zu Giftgasen, chemischen Kampfstoffen, über Vergiftungsfolgen und Diagnosemöglichkeiten siehe nächster Teil: "Fliegen macht krank (2)"

Fortsetzung folgt...

11. März 2009