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UMWELTLABOR/272: Zeitbombe CCS - Wie undicht ist die Erde? (SB)


Hoher Preis für ein Klimaschutzversprechen

Von Kamerun bis Kanada - CO2 entweicht auf unvorhersehbaren Wegen



Einen kleinen Zeitsprung zurück, 22. August 1986, Schauplatz Kamerun, Afrika:

Grabesstille liegt über den Hängen des Nyos-Sees. Kein Hahn, der das Erwachen des Tages bekräht. Statt frühmorgendlicher Geschäftigkeit wie sie zum Markttag vielstimmig zu erwarten wäre, schleppen sich nur vereinzelt angeschlagene Gestalten, gerädert und mit Schmerzen, aus ihren Hütten und erblicken ein Szenario des Grauens: Alle Lebewesen in den Dörfern, Hühner, Hunde, Ziegen, Rinder, Schweine und den größten Teil der Menschen, hat über Nacht lautlos und ohne weitere Spuren ein stiller Tod hinweg gerafft.

Mancher wird sich vielleicht noch an das mysteriöse Massensterben erinnern, das in den Medien seinerzeit die Runde machte, da es die gesamte Vulkanlandschaft im Nordwesten Kameruns um den Nyos-See "in ein Leichenfeld" verwandelt hatte, wie es in einem archivierten Beitrag des WDR so plastisch hieß [1]. Über 1.700 Menschen waren der zunächst unerklärlichen Katastrophe zum Opfer gefallen:

Nichts deutet auf eine Ursache des Massensterbens hin, Lehmhütten und Bäume sind unbeschädigt. Bis auf die vielen Leichen und die verstreut liegenden Tierkadaver sieht rund um den Kratersee alles normal aus. Als wäre eine Neutronenbombe eingeschlagen, berichtet ein Zeuge. [1]

Was dann auch zu wilden Spekulationen über die Ursache führt, die von einem Einsatz chemischer Waffen über einen Terroranschlag bis hin zum Abwurf einer Neutronenbombe reichen. Die verwüstete Vegetation in einem 100 Meter breiten Streifen rund um den See, die von einer mindestens fünf Meter hohen Flutwelle zu stammen scheint, sprechen jedoch dafür, daß der Grund für das Unglück im See zu suchen ist. Forscher aus aller Welt versuchen das Geheimnis zu lösen, reisen teilweise vor Ort, um Überlebende zu befragen, die auch erste Hinweise geben, wie den bitter-sauren Geschmack der feuchten Luft am Morgen danach:

In der Unglücksnacht hörte er [Ephraim Che] ein seltsames Geräusch, wie von einer Maschine. Ephraim schaute hinunter auf den See und sah über dem Wasser eine Wolke aus Schaum. Einen Terroranschlag, wie von manchen Einheimischen und Politikern vermutet, hält der deutsche Geophysiker Klaus Tietze für ausgeschlossen. Er glaubt, dass dem Nyos-See eine tödliche Gaswolke entstiegen ist. Systematisch untersucht Tietze mit anderen Experten das Vulkangewässer. Als er Proben aus der Tiefe des Sees holt, sprudelt Gas daraus hervor. Es ist fast zu hundert Prozent Kohlendioxid, geruchlos, farblos und in hoher Konzentration absolut tödlich. [1]

Damit hätte man eigentlich rechnen können, denn bereits 1984 hatte eine ähnliche Gaswolke am Lake Monoun bereits 37 Menschen das Leben gekostet. Eine Gruppe von Wissenschaftlern, Haraldur Sigurdsson, J.D. Devine und F. Tchoua, hatten die Umstände der Katastrophe untersucht. Dennoch kam es 1986 beim Lake Nyos zu einer weiteren Katastrophe.

Bis heute konnte nur ein Teil der Vorgänge dieser Nacht wissenschaftlich aufgeklärt werden. Vor allem der eigentliche Auslöser des Unglücks, der möglicherweise wortwörtliche Stein des Anstoßes, wurde nie gefunden, so daß der "Lake Nyos" auch heute noch eine Zeitbombe bleibt, die jederzeit neue Opfer fordern könnte:

Ausgehend von einer langsam erkaltenden Magmakammer unter dem See sollen beständige Mengen von Kohlenstoffdioxid in die unteren kalten Wasserschichten des 209 Meter tiefen Sees gelangen. Die Gruppe um Sigurdsson spricht hingegen von unterirdischen vulkanischen Schloten, aus denen CO2 in den See freigesetzt wird. "Die Gewässer in Kamerun werden vorrangig mit CO2 gespeist, das aus der Gesteinsschmelze in einem alten, etwa 80 bis 90 Kilometer unter den Seen liegenden Reservoir stammt" heißt es wiederum in einem Beitrag dazu in "scinexx", dem Wissenschaftsmagazin des Springer Verlags. [2] Kurzum, diese woher-auch-immer freigesetzten, gewaltigen Mengen an CO2 - von einem jährlichen Eintrag von 90.000 Tonnen ist hier die Rede - können offensichtlich zunächst in den kalten, unteren Wasserschichten der tiefen Bergseen relativ stabil gebunden werden. Besonders kaltes Wasser kann bekanntlich beträchtliche Mengen an Kohlenstoffdioxid "speichern", wird dabei aber zunehmend kohlensauer [3], d.h. mit Kohlensäure angereichert. Erwärmt man das Wasser, wird die Kohlensäure freigesetzt, wie man sich an jedem Glas ausperlender Brause vergegenwärtigen kann, das man in die warme Hand nimmt.

Zu dem Zeitpunkt der Probennahme, d.h. direkt nach dem Unglück, soll das Wasser des Nyos-Sees mit Kohlendioxid geradezu gesättigt gewesen sein. Das tiefer liegende, kältere Wasser vermag ein Zehnfaches dessen an Kohlendioxid zu speichern, als die höher liegenden, wärmeren Wasserschichten zu halten in der Lage sind. Da die Wasserschichten in tiefen Seen für gewöhnlich sehr stabil, d.h. unbewegt, sind, wird das kohlendioxidreiche Wasser durch den Druck der Wassersäule darüber gewissermaßen "am Platz" gehalten.

Trotzdem hat offenbar eine kleinere, seismische Aktivität (ein kaum spürbares Beben oder auch ein Erdrutsch) dazu geführt, daß sich die Kohlendioxid-gesättigten kalten Schichten bzw. die darin enthaltenen CO2-Blasen mit dem warmen Wasser an der Oberfläche des Sees abrupt vermischten, was die CO2-Löslichkeit erheblich verringerte und den See wie eine warme, geschüttelte Sektflasche zum Aufschäumen brachte. Die überaus gesättigten Wasserschichten setzten das darin enthaltene CO2 urplötzlich frei.

Ob es zu einer riesigen Fontäne und Flutwelle kam, zu einem massiven Aufschäumen des Sees, oder nur eine riesige Gasblase ihren erstickenden Inhalt freigab, ist letztlich unerheblich. In jedem Fall wurden etwa 200 Millionen Kubikmeter - das ermittelten die Wissenschaftler später - hoch konzentriertes, geruchloses CO2-Gas in die Umgebung entlassen, das sich, schwerer als Luft, kriechend über dem Boden ausbreitete und einem Umkreis von 23 Kilometern um den Nyos See einen Schleier des Todes auflegte.

Kohlenstoffdioxid ist an sich kein Gift, sondern das Stoffwechselprodukt, das sämtliche Sauerstoff einatmende Lebewesen ausscheiden. In der Atemluft ist es zu etwa 0,03 Prozent notwendig enthalten, da diese Menge erst das Atemzentrum anregt. Durch die zusätzlichen CO2-Emissionen hat dieser Normalwert in der Atmosphäre inzwischen fast 0,04 Prozent erreicht (s.u.). Ein Anstieg des CO2-Partialdruckes führt normalerweise beim gesunden Menschen zu einer gesteigerten Atemtätigkeit, diese wiederum läßt den CO2-Partialdruck sinken, da auch vermehrt CO2 ausgeatmet wird.

Bereits ab ca. drei bis fünf Prozent C02 in der Atemluft entfaltet es eine schädigende Wirkung, die sich beispielsweise mit Kopfschmerzen bemerkbar macht. Eine weitere Steigerung hat zunehmend narkotisierende Wirkung. Ab etwa sieben bis acht Prozent folgen dann schmerzhafte Krämpfe und eine zunehmende Atemlähmung. Das Atemzentrum wird nicht mehr aktiviert, sondern stark gedämpft. Dadurch atmet man nicht mehr genügend Sauerstoff ein bzw. CO2 aus und erstickt, weshalb acht Prozent Kohlenstoffdioxid als tödliche Dosis angesehen werden kann.

Genau genommen müßte trotz des erhöhten CO2 Anteils immer noch etwa 19 Prozent Sauerstoff (normalerweise etwa 20,9 Prozent auf Meerespiegelniveau) in der Atemluft sein, das zum Überleben reichen würde.

Durch die Lähmung des Atemzentrums werden diese jedoch einfach nicht mehr eingeatmet, gelangen also nicht in den Organismus. Dies erklärt auch, warum es dennoch einige Überlebende der Katastrophe gab, die beispielsweise auf einer höher gelegenen Schlafstatt übernachteten und bei denen dieser Mechanismus in irgendeiner Weise unterbrochen werden konnte. Da CO2 schwerer ist als Luft, sammeln sich die höchsten Konzentrationen in Bodennähe. Deshalb sterben die kleinen Tiere zuerst.

Auch wenn das Rätsel um den Gasausbruch am Nyos als teilweise gelöst gilt und seit 2001 Maßnahmen zur Entgasung des Tiefenwassers ergriffen wurden, bleibt der See nach wie vor eine Zeitbombe. Noch immer dürfen die Überlebenden der Katastrophe nicht zurück in ihre Heimat, das fruchtbare Gebiet bleibt Sperrzone. Darüber hinaus ist der Nyos nicht der einzige See in Kamerun, der auf diese Weise mit CO2 aus dem Erdmantel gespeist wird.

Das Beispiel Kamerun zeigt, daß sich "natürliche CO2-Ausgasungen" nicht verhindern und nicht einmal bis zu ihrem Ursprung verfolgen lassen. Die einzige Vorsorgemaßnahme besteht hier darin, die Konzentration von lebensgefährlichen Gasmengen in Bodennähe durch vorsorgliches Durchmischen und Entlassen des Gases in höhere Luftschichten einzugrenzen. Daß sich das Kohlendioxid jedoch über alte vulkanische Schlote neue, ungeahnte Wege an die Erdoberfläche bahnen und die Zusammensetzung der Atemluft in den toxischen Bereich verschieben könnte, läßt sich nie vollkommen ausschließen.

Eine Lösung, wie man das Problem des aus der Erde dampfenden Kohlenstoffdioxids angehen oder in den Griff bekommen könnte, wird in Ermangelung von Einfällen offensichtlich gar nicht erst diskutiert, so daß sich unmittelbar die Frage aufdrängt:


Wie beherrschbar ist CO2 in der Erde überhaupt?

Diese Frage stellen sich Vertreter der CCS-Technologie offenbar nicht, für welche die geschilderte Katastrophe eigentlich nur eine von vielen denkbaren "Worst case"-Szenarien darstellen sollte, für die Vorkehrungen zu treffen wären, wenn man die zahlreichen Risiken in der praktischen Anwendung klein halten will. CCS steht seit der jüngsten Einigung des Vermittlungsausschusses von Bundesrat und Bundestag über ein Kohlendioxid-Speicherungsgesetz nun wieder auf der Agenda von Energiekonzernen wie Vattenfall Europe, E.ON, RWE, EmBW usw.

CCS steht für den englischen Begriff Carbondioxide Capture and Storage (deutsch: Kohlenstoffdioxid Extraktion und Speicherung) und nicht für die meist verwendete, leichter sprechbare Abkürzung: Carbon Capture and Storage. Bei Carbon (engl. für Kohlenstoff) würde es sich um das feste Element (auch unter den Bezeichnungen Ruß, Kohle, Graphit, Diamant bekannt) handeln, das definitiv leichter im Erdboden zu verstauen wäre, als das gasförmige CO2.

Kohlenstoffdioxid gilt trotz seines vergleichsweise geringen Anteils mit gegenwärtigen 391,7ppm (ppm = parts per Million) bzw. 0,03917 Prozent an der Zusammensetzung der Atmosphäre als Grund für den Treibhauseffekt [4] und ist damit ein wichtiger Faktor für die zunehmende, globale Erwärmung.

Das vermeintliche Ziel mancher Energiekonzerne, ihren CO2 Ausstoß zu drosseln, indem sie das Gas mit zusätzlichem technologischen und energetischen Aufwand verflüssigen, um es transportieren und unterirdisch verpressen zu können, wird aber schon angesichts der Mengen hinfällig, die auf diese Weise untergebracht werden müßten. So ist seit der jüngsten Einigung des Vermittlungsausschusses eine Verpressung der CO2-Emissionen von 1,3 Millionen Tonnen pro Jahr und Speicher offiziell erlaubt worden (ursprünglich waren sogar drei Millionen im Gespräch). Bedenkt man, daß allein 2007 bei der Braunkohleverstromung im Kraftwerk Jänschwalde (Betreiber: Vattenfall) 24,2 Millionen Tonnen C02 erzeugt wurden, ist das eine Farce und man fragt sich, worum es bei diesem Gesetz eigentlich geht.

Insgesamt darf die Höchstspeichermenge in Deutschland 4 Millionen Tonnen nicht überschreiten. Ursprünglich war eine jährliche Speichermenge von drei Millionen und eine Gesamtspeichermenge von acht Millionen Tonnen Kohlendioxid vorgesehen.
Zudem gibt es eine Länderklausel, mit der Bundesländer unter bestimmten Bedingungen Speicher in ihrem Gebiet verhindern können. Schleswig-Holstein und Niedersachsen hatten darauf gedrungen. [5]

Global betrachtet müßte sogar über drei Milliarden Tonnen CO2 aus Kohlekraftwerken und Zementöfen in Zukunft jährlich eingelagert werden. Dafür würde man allerdings weit mehr als die 3000 Untertage-Deponien in tiefen, porösen Gesteinsschichten benötigen, die bislang weltweit im Gespräch sind oder bereits genutzt werden.

Angesichts von 90.000 Tonnen CO2, welche der Erdmantel gewissermaßen jedes Jahr in den Nyos spuckt, weil er das Gas nicht mehr halten kann, scheint allerdings die technische Idee, die 14fache, aber selbst für eine einzige CO2-Schleuder wie Jänschwalde völlig unzureichende, Menge von 1,3 Millionen Tonnen CO2 künstlich in einen Untergrund zu verpressen, in dem es unter natürlichen Bedingungen nie vorkommen würde, geradezu absurd.


Stanford, Kalifornien - Leckagen und undichte Stellen vorprogrammiert?

Nahezu kriminell erscheint einem die Methode allerdings, wenn man an die Vielzahl ungeklärter Auslöser denkt, die diese Fracht wieder zutage fördern könnten und die schon vor Beschluß des neuen Gesetzes bekannt waren.

Nur wenige Tage vor dem Kompromißbeschluß im Vermittlungsausschuß warnten zwei amerikanische Geophysiker von der Stanford Universität, Mark Zoback und Steven Gorelick, in den "Proceedings" der US Akademie der Wissenschaften (PNAS) davor, daß bereits das Einpressen des Gases in Gesteinsschichten Verwerfungen in der Region aktivieren und so die Erde beben lassen könne.

Mit anderen Worten schaffte hiernach der Mensch bereits durch den Vorgang der Verpressung die instabilen Voraussetzungen für die spätere Freisetzung der erwiesenermaßen tödlichen Fracht.

So schreibt Lars Fischer in dem online Wissenschaftsmagazin "Spektrum.de - Die Woche vom 22. Juni 2012":

Schon vergleichsweise schwache Erdbeben können ihrer Meinung [gemeint sind Zoback und Gorelick, Anm. d. SB-Red.] nach dazu führen, dass das Gas wieder aus dem vermeintlichen Endlager austritt. Deswegen sei diese Form der Treibhausgasreduktion nicht nur sehr teuer, sondern auch wesentlich riskanter als bisher akzeptiert. [6]

Nach Ansicht der Geophysiker ist die Erdkruste vollständig von aktiven und potentiell aktiven Verwerfungen durchzogen und stehe daher selbst im Zentrum sehr alter und stabiler kontinentaler Schilde noch unter Spannung. Genau dort, nämlich im Innern der Kontinente, stehen jedoch die meisten und größten CO2-Erzeuger, die ihre Auswürfe am liebsten vor Ort unter die Erde bringen würden, um Kosten zu sparen.

Preßt man nun ein kritisches Fluid wie Kohlendioxid (bei 20 Grad Celsius benötigt man für die Verflüssigung bereits einen Druck von etwa 60 bar) in eine Gesteinsformation, können sich diese Spannungen in kleineren und größeren Erdbeben entladen. Gegenüber dem Deutschlandfunk sagte Mark Zoback in einem Beitrag zum Thema:

"Tiefengestein, das sich für CCS eignet, enthält Poren, die mit Salzwasser gefüllt sind. Injiziert man CO2 in ein solches Reservoir, erhöht sich der Druck, unter dem das Salzwasser steht. So kann es leichter zu Erdbeben kommen. Im vergangenen Jahr hat das Verpressen von Abwasser im Untergrund gleich an mehreren Orten in den USA Erdbeben verursacht. Auch durch die Injektion von Wasser bei Geothermie-Projekten ist so etwas schon passiert." [7]

Die Forscher halten die durch CO2-Verpressung erzeugten Beben in ihrem Fachaufsatz zwar für ungefährlich, "eine Gefahr für Leib und Leben der Menschen" gäbe es dabei nicht. Sie räumen aber ein, daß sich die Verwerfungen bei diesen Ereignissen um mehrere Zentimeter verschieben, und dabei mehrere Kilometer einer Störungsfläche betroffen sind. Eine solche Verschiebung kann ihrer Ansicht nach also ohne weiteres dazu führen, daß die angepeilte Lagerstätte plötzlich nicht mehr dicht genug für die Einlagerung ist. [6] So Zoback wieder gegenüber dem Deutschlandfunk:

"Nehmen wir ein Erdbeben der Stärke 4, das man sicher weiträumig spürt, das aber kaum oder überhaupt keine Schäden an der Oberfläche verursacht. Schon ein solches Beben könnte zu Rissen im Tiefengestein führen und den CO2-Speicher undicht werden lassen."[7]

Daß allerdings kleine Ursachen eine noch sehr viel größere Wirkung haben können, als vorausgesehen, läßt sich nicht nur am Beispiel des Lake Nyos ablesen. Wenn Speicherstätten in der Nähe aktiver Tagebauareale wie in Jänschwalde vorgesehen sind, kommen angesichts der gewaltigen Erdmassen, die hier bewegt werden, möglicherweise noch unvorhersehbare Instabilitäten im Untergrund dazu, die durch den Vorgang des Verpressens verstärkt werden könnten.

Zoback und Gorelick weisen in ihren Ausführungen darauf hin, daß die anvisierten Speicher selbst über geologische Zeiträume nur einen winzigen Bruchteil des eingelagerten CO2 freigeben dürfen, damit die CCS-Technologie tatsächlich den dahinter stehenden Anspruch auf effektiven Klimaschutz, sprich dauerhaften Wegfall von zusätzlichen CO2-Emissionen, erfüllen kann. Sie bezweifeln daher vehement, daß die Methode im erforderlichen, globalen Maßstab zuverlässig funktioniert.

Die Sorge der Wissenschaftler wird quasi zeitgleich durch einen Bericht des Nationalen Forschungsrats der USA bestätigt. Darin wird ebenfalls auf das Erdbebenrisiko durch die Tiefeninjektion von Flüssigkeiten hingewiesen. Bei CO2 handelt es sich jedoch nicht um eine normale Flüssigkeit, sondern um ein durch starken Druck verflüssigtes Gas, das jederzeit unter veränderten Bedingungen (d.h. geringerem Druck- oder wärmeren Temperaturen) sublimieren (d.h. in den gasförmigen Zustand übergehen) wird.

Das genaue Erdbebenrisiko läßt sich in der Praxis allerdings kaum abschätzen. Auch die laufenden CCS-Pilotprojekte sind viel zu klein dimensioniert und die injizierten CO2-Mengen noch zu gering, um generell verläßliche Aussagen über die Risiken des CCS zu erhalten. Dazu äußerte sich die Landtagsabgeordnete der Partei der Grünen in Brandenburg, Sabine Niels, am 14. Juni 2012 in einem Interview mit dem Schattenblick:

"Es gab im Bundesrat eine Initiative aus den Ländern Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, daß man in einem bestimmten Maß Speicher einrichtet, wo man das Verhalten von CO2 im salinen Aquifer über einen bestimmten Zeitraum untersuchen würde. Das ist völlig widersinnig. Erstens gibt es solche Forschungsspeicher schon, beispielsweise Ketzin in Brandenburg und auch an anderen Stellen auf der Erde, und man weiß, daß man die Daten, die man dort bekommt, überhaupt nicht auf andere geologische Formationen übertragen kann. Mit solch einem Gesetz würde sofort ein Schleusentor geöffnet.
Außerdem sind die Untersuchungszeiträume zu kurz gewählt. Was sagen mir 15 Jahre, wenn ich weder die Daten auf eine andere geologische Formation übertragen kann noch die Gewißheit habe, daß das Lager 100 Jahre hält?!
Und es gibt keine Möglichkeit, das CO2 wieder aus dem Boden zu entnehmen, sollte man feststellen, daß die Lager undicht sind. Für diesen Fall hat noch niemand einen Plan. Darüber hinaus kam der Vorschlag auf, daß Emissionen aus der Industrie und nicht aus der Kohleverstromung verpreßt werden. Unseres Erachtens wäre das rechtlich nicht durchzuhalten, da sich jeder Kohlekonzern dagegen einklagen könnte. Deswegen sind wir dafür, CCS grundsätzlich zu verbieten. [8]

Die Befürworter der CCS-Technologie, beispielsweise der australische Geowissenschaftler Peter Cook, von der Universität Melbourne, der zudem als einer der weltweit führenden CCS-Experten gilt, halten das Erdbebenrisiko für beherrschbar, wenn CO2-Speicherprojekte ausreichend überwacht werden. "Ich glaube nicht, daß das Problem so groß ist, wie es der Fachartikel nahelegt", sagte der Wissenschaftler im Deutschlandfunk.


Brandenburg - vieldeutige Gutachten und Löcher in der Erde

Tatsächlich ist das seismische Risiko nicht nur bekannt, sondern in vielen potentiellen Lagerstätten nachgewiesen, beispielsweise in einem im letzten Jahr veröffentlichten "Gutachten zur geplanten Kohlendioxid-Einlagerung (CCS) in der Antiklinal-Struktur Neutrebbin, Ostbrandenburg."

Das 353 Quadratkilometer große Gebiet hatte sich die Vattenfall Europe Mining AG als potentiellen CO2-Speicher gesichert, bisher aber noch nicht die Genehmigung zum Verpressen erhalten, nur die Erlaubnis, Untersuchungen für die mögliche Eignung dieses Speichers durchzuführen. 2011 hatte der Konzern sein Vorhaben für ein Kraftwerk mit CCS-Anbindung in Brandenburg wegen des heftigen Widerstands gegen CCS in Deutschland gestoppt. Durch das neue Kohlendioxid-Speicherungsgesetz könnte er seine bereits auf Eis gelegten Pläne allerdings wieder aufnehmen.

Gegenstand der Erkundungen sind die salzwasserführenden Sandsteine der Mittleren Buntsandstein-Formation in einer Tiefe von ca. 1400 m sowie die darüber liegenden, abdichtenden tonigen Deckschichten. Die Erlaubnis gestattet dem Inhaber die Durchführung von Erkundungsarbeiten, insbesondere Seismik und Tiefbohrungen, für die aber noch Sonderbetriebspläne eingereicht werden müssen. Die bergrechtliche Erlaubnis ermöglicht also noch nicht die CO2-Speicherung. Diese muss im Rahmen eines Planfeststellungsverfahrens genehmigt werden. [9]

In den Schlußfolgerungen und Empfehlungen des ausführlichen Berichts, der auch sowohl auf erhebliche seismische Risiken wie eine akute Gefährdung des Grundwassers für zahlreiche Wasserwerke aufmerksam macht und bezweifelt, daß die begrenzte Porosität wie die der Neutrebbiner Sandsteine die 24 Millionen Tonnen CO2 des Kraftwerk Jänschwalde aufnehmen könnte, wird dennoch eine mögliche Nutzung des Gebiets für die CCS-Technologie letztlich nicht völlig ausgeschlossen:

In Anbetracht der weiträumigen Druckauswirkungen von CCS-Maßnahmen sind die Befunde unzureichend, um die Gefahren für die Süßwasserstockwerke in größerer Entfernung beurteilen zu können. [9]

Mit anderen Worten, das Gutachten weicht einem abschließenden Urteil aus und verweist auf weitergehende Untersuchungen, mit höher entwickelter Analysetechnologie.


Saskatchewan, Kanada - Der Erdmantel ist nicht dicht!

Ein Bild dafür, wie es aussehen kann, wenn CO2 in die Erde gepumpt wird, gibt laut einem Bericht der Umweltorganisation Greenhouse das Gebiet um das Weyburn Ölfeld in der kanadischen Provinz Saskatchewan ab, in der ein Farmerehepaar seit langem ungewöhnliche Algenbildung und sterbende Tiere beobachtet. Als Ursache verdächtigten sie das Experiment zur unterirdischen Kohlendioxid-Speicherung [10] der hier fördernden Ölindustrie, die seit zehn Jahren Kohlendioxid in den Boden pumpt, um neben der vermeintlichen Klimaschutzmaßnahme auch die Ausbeute bei der Ölförderung zu erhöhen. Der Standard schrieb im Januar 2011 dazu:

Das Ehepaar Kerr habe regelmäßig tote Tiere - Katzen, Ziegen, Hasen - gefunden. Es habe Explosionen gegeben, bei denen Grundwasser aus der Erde sprudelte. Greenhouse zufolge behauptet nun der Wissenschafter Paul Lafleur von der Consulting-Firma Petro-Find Geochem, die Ursache für die Vorfälle festgestellt zu haben: Der Boden weise eine ungewöhnlich hohe Kohlendioxid-Konzentration auf, es könne wegen seiner Isotopenzusammensetzung nur aus dem nahe gelegenen Ölfeld stammen. Der Energieminister von Saskatchewan, Bill Boyd, erklärte laut Greenhouse, man wolle die Vorfälle untersuchen, ein Stopp des Projekts käme aber nicht infrage. [10]

Einige Wissenschaftler unterstützen diese These:

Gerhard Hohenwarter, Klimatologe der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik (ZAMG) auf der Hohen Warte in Wien, hält den Vorgang grundsätzlich für möglich. Er selbst habe im Owens Valley in Kalifornien beobachten können, wie natürliche unterirdische CO2-Lagerstätten leckgeschlagen und die dadurch ausgetretenen Gase für ein Waldsterben gesorgt hätten. "Wenn CO2 in großen Mengen kompakt austritt, kann dies massive Auswirkungen auf die umliegende Natur haben. Je nach ausgestoßener Menge, Windverhältnissen und Topographie können die Auswirkungen unterschiedlich sein. CO2 kann sich in Senken oder bei wenig Wind leichter in bodennahen Schichten halten", so Hohenwarter. [10]

Die einzige Gegendarstellung ist auf einem von der sogenannten "avantTime Consulting GmbH" betriebenen Info Portal zum Emissionshandel und Klimaschutz "CO2-Handel.de" zu lesen. Danach sind CO2 produzierende Mikroorganismen die Ursache für die Ereignisse um Weyburn. Diese Aussage stütze sich auf die Ergebnisse des IEA GHG Weyburn-Midale CO2 Monitoring and Storage Project, welche die Aussage einer Studie von Petro-Find Geochem Ltd., die CO2-Leckage sei auf die CO2-Speicherung in Weyburn zurückzuführen, in einer Stellungnahme zurückgewiesen hat:

Mit diesen Argumenten von Leckage aus dem CO2-Speicher zu sprechen, ist wissenschaftlich nicht haltbar. Allerdings konnte von den Betreibern der Beweis noch nicht geführt werden, der Speicher sei dicht. So stellt sich gegenwärtig dar, dass das nachgewiesene CO2 durch die Umwandlung von Kohlendioxid und Methan aus dem Boden durch Mikroben verursacht sei. [11]

Anmerkungen:

[1] "22. August 1986 - Naturkatastrophe an Kameruns Nyos-See: Der unsichtbare Tod",
http://www1.wdr.de/themen/archiv/stichtag/stichtag5906.html

[2] scinexx, Dieter Lohmann, "Killerseen, Gefahr aus der Tiefe", 20. April 2003, http://g-o.de/dossier-117-1.html

[3] Kohlenstoffdioxid (CO2) wird chemisch auch als "Anhydrid der Kohlensäure" bezeichnet, weil es gemeinsam mit Wasser "kohlensauer" wird. Das drückt auch die folgende Gleichung aus:

H20 (Wasser) + CO2 → H2CO3 (Kohlensäure).

[4] So wie die Ozonschicht große Bedeutung für das Leben auf der Erde hat, so kommt auch dem mengenmäßig unbedeutend scheinenden Kohlendioxid eine besondere Bedeutung zu. Je höher seine Konzentration in der Atmosphäre, desto mehr langwellige Wärmerückstrahlung von der Erdoberfläche wird absorbiert, mit der Folge, daß sich die Erde aufheizt. 2007 waren es noch 381 ppm CO2, was einen Anstieg des CO2-Gehalts der Luft um 10 ppm in fünf Jahren bedeuten würde. Ergänzende Überlegungen über die Zunahme bodennaher CO2-Konzentrationen und der Entwicklung der CO2-Emissionen auch hier:
Infopool → Umwelt → Redaktion
KLIMA/302: Was hat der CO2-Anstieg mit dem Nyos-See zu tun? (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/redakt/umkl-302.html

[5] Spiegel Online, 28. Juli 2012, "CCS-Technologie - Bund erlaubt umstrittene CO2-Speicherung"

[6] Lars Fischer, Kann CCS kleine Erdbeben auslösen? - Spektrum.de - Die Woche, 25 KW, 22. Juni 2012, Seite 13

[7] Forschung aktuell, 19. Juni 2012, Volker Mrasek, "Die CO2-Speicherung und ihre Nebenwirkungen - Das Verpressen von Kohlendioxid könnte zu mehr Erdbeben führen."

[8] Infopool → Umwelt → Report
NACHLESE/005: Bagger fressen Erde auf - Interview mit Sabine Niels, Landtagsabgeordnete der Grünen (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/report/umrn0005.html

[9] Dr.habil. Ralf E. Krupp, Flachsfeld 5, 31303 Burgdorf, Gutachten zur geplanten Kohlendioxid-Einlagerung (CCS) in der Antiklinal-Struktur Neutrebbin, Ostbrandenburg. Auftraggeber: Amt Barnim-Oderbruch, Freienwalder Str. 48, 16269 Wriezen
http://www.co2bombe.de/joomla/images/stories/co2/krupp_gutachten_1_neutrebbin_final.pdf

[10] Der Standard, 19. Januar 2011, Unterirdisches CO2-Lager in Kanada könnte undicht sein
http://derstandard.at/1293371050124/Carbon-Capture-and-Storage- Unterirdisches-CO2-Lager-in-Kanada-koennte-undicht-sein

[11] Gegendarstellung des Info Portals zum Emissionshandel und Klimaschutz CO2-Handel.de - http://www.co2-handel.de/article184_15749.html

20. Juli 2011