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UMWELTLABOR/276: Unbarmherzig, unbedacht - Folgen unausbleiblich (SB)


Fracking ohne Chemie?

Geothermische Verfahrenstechnik - Vorbild für die chemiefreie, ökologisch unbedenkliche Schiefergasförderung?



Nachts, sagt Elmar Bernauer, sei es am schlimmsten. Dann, wenn alles still ist, könne man den Druck förmlich hören, der den Häusern zusetzt. Es knackt im Gebälk, unablässig. Manchmal reißt es Bernauer aus dem Schlaf, "wenn es kracht, als hätte jemand mit einer Pistole geschossen". [1]
Ein Großteil von Staufen vom Esterliturm aus aufgenommen, Dezember 2012 - Foto:  2013 by Minnou, freigegeben via Wikimedia als CC-BY-SA-3.0 Unported Lizenz

Äußerlich ist kaum etwas zu sehen, doch unter der Oberfläche in 140 Meter Tiefe quellen Gesteinsschichten (Gipskeuper-Schicht) auf und heben die Stadt.
270 Häuser sind betroffen - 50 Millionen Euro Schaden
Foto: 2013 by Minnou, freigegeben via Wikimedia als CC-BY-SA-3.0 Unported Lizenz


Fallstudie Erdwärmebohrung in Staufen

Staufen im Breisgau, eine kleine mittelalterliche Stadt mit gepflegten Bürgerhäusern. Eine ihrer Hauptattraktionen für den Tourismus war viele Jahre der Gasthof Löwen, der frühere Leuen, in dem Anno 1539 der "wunderbarliche Negromanta" (Alchimist und Schwarzkünstler) Doctor Johann Georg Faustus, der hier beherbergt worden war und, wie die Sage geht, okkulte Rituale vollzogen hat, bei einer Explosion eines vermutlich alchimistischen Experiments ums Leben gekommen sein soll. Seine Zeitgenossen waren sich da nicht so sicher. Eine Inschrift an der Fassade des Gasthofs erzählt, er habe sich auf der Flucht vor dem Teufel, der ihn holen wollte, das Genick gebrochen.

Jahrhunderte später, Ende September 2007, nach Einweihung des neu sanierten Rathauses, beginnt für Staufen eine eigene Höllenfahrt. Im Umkreis des historischen Ortskerns hören die Einwohner nachts den Putz von den Wänden bröckeln, Holz knackt, Balken knirschen, Böden bewegen sich, als würde eine unbekannte Kraft ganz langsam das Tor zur Hölle aufstemmen ...

Eine Freske an der Wand zeigt Faust, wie er vom Teufel geholt wird. Darunter die Inschrift: 'Anno 1539 ist im Leuen zu Staufen Doctor Faustus so ein wunderbarlicher Nigromanta gewesen, elendiglich gestorben und es geht die Sage, der obersten Teufel einer der Mephistopheles, den er in seinen Lebzeiten lang nur seinen Schwager genannt, habe ihm, nachdem der Pakt von 24 Jahren abgelaufen das Genick abgebrochen und seine arme Seele der ewigen Verdammnis überantwortet.'- Foto: 2006 by Alex, freigegeben via Wikimedia als CC-BY-SA-3.0 Unported Lizenz

Ähnlichkeiten rein zufällig: Ein menschengemachtes Experiment ging zu Bruch und endete tödlich. Ein weiteres Wandbild über das "erschreckliche Ende" des Doctor Faustus, in der Gaststube des Löwen, durchzieht bereits ein tiefer Riß.
Foto: 2006 by Alex, freigegeben via Wikimedia als CC-BY-SA-3.0 Unported Lizenz

Foto: © 2010 by Staufenstiftung (mit freundlicher Genehmigung)

Kein Fantasy-Scenario für den Auftritt des Leibhaftigen - In Staufen reißen Zimmerdecken und Böden an vielen Stellen auf.
Foto: © 2010 by Staufenstiftung (mit freundlicher Genehmigung)

Bei Tageslicht finden die Staufener zunächst ein paar, dann immer mehr Mauerrisse in den Fassaden. In der Zeit danach mehren sich die Hinweise, daß hier etwas sehr Unheimliches vor sich geht: die Risse werden tiefer und größer: Zertrümmerte Fliesen, aufgeworfene Böden und verschobene Treppen gehören zum Tagesbild. Und es hört nicht auf. Bis heute setzt sich der scheinbar unaufhaltsame Zerfall der Stadt fort. Einige Medien schrieben, die Stadt würde in sich selbst versinken. Doch genau das Gegenteil ist der Fall. Nach und nach bestätigen verschiedene Gutachten, daß die Stadt aus dem Untergrund heraus angehoben wird.

An der klima- und umweltfreundlichen, vielfach propagierten Idee, Erdwärme als ökologisch saubere Energie zu nutzen, ist eigentlich nichts auszusetzen. In diesem Fall scheint jedoch die Umrüstung der Heizungs- und Klimaanlage des Rathauses auf Geothermie das Unvorhersehbare nach sich gezogen haben. Bei den ersten, scheinbar harmlosen Bohrungen wurde die natürliche Gipskeuper-Schicht, auf der die Stadt ruht, durchstoßen und man traf auf eine darunter liegende artesisch gespannte Grundwasserschicht [2, 3].

Das bedeutet, der Wasserdruck war groß genug, um in die darüber liegende Gesteinsschicht aufzusteigen und dort eine chemische Reaktion in Gang zu setzen. In den hier vorkommenden Gipskeuper-Schichten sind sulfatführende Abschnitte, sogenannte Anhydrite, genauer: quellfähige Mineralien aus wasserfreiem Calciumsulfat eingelagert, die man letztlich für die Hebungen verantwortlich macht. Anhydrit übersetzt bedeutet: ohne Wasser. Das heißt aber auch, daß es sich um einen Stoff handelt, der mit Wasser sofort und sehr heftig reagiert. Das durch das Bohrloch aufsteigende Wasser konnte in das "trockene" Anhydrit eindringen und ein neues, wasserhaltiges Kristallgefüge bilden, in dem einzelne Wassermoleküle eine Brückenstruktur zwischen den Calciumsulfat-Molekülen aufbauen. Calciumsulfat mit eingeschlossenem Kristallwasser kann bis zu 60 Prozent mehr Raum einnehmen als das ursprüngliche Anhydrit. Die Erde unter Staufen konnte sich somit aufblähen wie Hefeteig in der Sonne. Geologische Messungen zur Folge hob sich der Boden in der Altstadt auf einer Fläche von 300 mal 300 Metern einige Jahre jeden Monat durchschnittlich um einen Zentimeter. Außerdem hat sich die Altstadt um etwa 30 Zentimeter in der Breite ausgedehnt.

Da das Wasser aus natürlichen Zuläufen gespeist wird, gibt es auch kein Ende dieser Entwicklung. Man konnte also nur versuchen, dem Anhydrit dieses "Quell"-Wasser abzudrehen.

Seitdem über zwei Brunnen konsequent Grundwasser abgepumpt wird und sämtliche Bohrlöcher für die geplanten Erdwärmesonden mit Beton abgedichtet worden sind, konnte die Hebung deutlich abgebremst werden. Der Bürgermeister schätzt, daß das aufwendige Abpumpen noch über Jahre hinweg fortgesetzt werden muß, um den Status Quo zu erhalten. Eine wirkliche Lösung ist das nicht. Von dem Verlust an Trinkwasser, der damit einhergeht, wird nicht gesprochen.

In dem am stärksten betroffenen Bereich hebt sich der Boden allerdings nach wie vor um etwa drei Millimeter monatlich. Den Teil der Altstadt um den Gasthof, in dem sich Faust seinerzeit "mit dem Teufel eingelassen hatte", hat es am stärksten getroffen. Einen halben Meter wurde der Untergrund an dieser Stelle aufgeworfen.

Die chemischen Formeln für Calcium Ca(2+) und Sulfat (SO4 (2-)) - Grafik: 2008 by NEUROtiker, freigegeben als Publik Domain via Wikimedia Commons Die chemischen Formeln für Calcium Ca(2+) und Sulfat (SO4 (2-)) - Grafik: 2008 by NEUROtiker, freigegeben als Publik Domain via Wikimedia Commons

Calcium und Sulfat: Aus diesen zwei Teilchen setzt sich Calciumsulfat Anhydrit zusammen. Kommen zwei Wassermoleküle (H2O), sogenanntes Kristallwasser, dazu, wird das Molekül entsprechend größer. Praktisch heißt das: Gips.
Grafik: 2008 by NEUROtiker, freigegeben als Publik Domain via Wikimedia Commons

Eine von Rissen übersäte Hausfassade - Foto: © 2010 by Staufenstiftung (mit freundlicher Genehmigung)

Das Ergebnis über der Erde:
Daß sich die Erde bewegt, zeigt sich an den 'Hebungsrissen' im Mauerwerk. Etwa 270 Häuser in Staufen sehen so aus.
Foto: © 2010 by Staufenstiftung (mit freundlicher Genehmigung)


Geothermie als Vorbild für chemiefreies Fracking?

Geothermische Verfahren werden oft in einem Atemzug mit Fracking genannt. Das ökologisch saubere Image soll auf die vermeintlich umweltfreundliche Schiefergasförderung mit Wasser, hohem Druck, aber ohne Chemie übergehen, die von der Frackingindustrie für künftige Projekte in Aussicht gestellt wird. [5] In Deutschland wird gerade ein Fracking-Gesetz auf den Weg gebracht, das möglicherweise weitreichende Einschränkungen der Methode vorsieht. Der Passus "ohne Chemie" mußte hier allerdings bereits auf sinngemäß "ohne schädliche Chemie" eingeschränkt werden, weil sich nicht jedes Gestein nur mit Wasser zertrümmern läßt. Fracking ohne Chemie würde, wie schon in der vorigen Folge erwähnt, einfach "kein Fracking" bedeuten. Denn schiefergashaltiges Gestein ist ein viel zu elastisches Material, als daß es sich ohne chemische Zusätze, die es zunächst härten, fracken läßt. [5]

Abgesehen davon wird weder bei dem sogenannten oberflächennahen Geothermie-Verfahren noch bei der hydrothermalen Tiefengeothermie künstlich Gestein zertrümmert.

Nur beim petrothermalen Tiefengeothermie-Verfahren wird ähnlich wie bei der Schiefergasförderung Gestein mit hydraulischen und chemischen Stimulationsmethoden zertrümmert und somit gefrackt. Dabei nutzt man die Erkenntnis, daß in 2.000 bis 6.000 Meter Tiefe das Gestein wesentlich heißer ist. In die gefrackten Risse und Klüfte wird dann per Injektionsbohrung unter hohem Druck Wasser eingepreßt, das sich im ca. 200 °C heißen Gestein auf 90 °C bis 150 °C aufheizt. Dieses extrem heiße Wasser soll dann über eine Förderbohrung an die Erdoberfläche gepumpt und dort in entsprechenden Anlagen zur Strom- und gleichzeitigen Wärmeerzeugung genutzt werden.

Übrigens muß auch bei der petrothermalen Geothermie für das vorbereitende Fracking, je nach Beschaffenheit der vorhandenen Sedimente, eventuell auch Frac-Chemie eingesetzt werden. Tatsächlich läßt sich die petrothermale Tiefengeothermie mit Schiefergasförderung durch hydraulische Stimulation (Fracking) auch aufgrund der hier vorherrschenden Verhältnisse vergleichen. So sollen je nach Genese (Entstehungsgeschichte) in Schiefergasformationen Temperaturen von 60 °C bis 160 °C und Drücke von über hundert Bar herrschen. Der Temperaturbereich, in dem sich das Gas gebildet hat, das sogenannte Gasfenster, liegt zwischen 120 °C und 225 °C. Das Ölfenster liegt bei niedrigeren Temperaturen, zwischen 60 und 120 °C. Das ist auch einer der Gründe, warum stillgelegte Erdöl- oder Gasvorkommen wie auch "ausgefrackte" Schiefergasfelder anschließend gerne für Geothermie-Projekte weiter genutzt werden.

In Staufen wurde von dieser risikoreichen, frackingähnlichen Variante abgesehen. Bei den sogenannten oberflächennahen Erdwärmebohrungen nutzt man gemeinhin wesentlich geringere Temperaturen (von 8 bis 12 Grad Celsius), die in den obersten Erdschichten bis 400 Metern (in Staufen waren es nur 140 Meter) vorkommen, um die daraus gewonnene Erdwärme zur Raumheizung, zur Bereitstellung von Warmwasser und zum Betreiben von Klimaanlagen mit Hilfe von moderner Technik wie Wärmepumpen, Erdwärmekollektoren, Erdwärmesonden, Energiepfählen und dergleichen zu der gewünschten Temperatur zu "verdichten". Diese Form der Geothermie, für die gesamte Erdkruste weniger als ein Insektenstich, gilt als problemlos beherrschbar, obwohl es auch hier abgesehen von Staufen einige Unfälle oder, um beim Insektenstich zu bleiben, "allergische Reaktionen mit dem Untergrund" gab. Der Schaden, den Staufen dadurch erfahren hat, ist immens. Die Kosten für die Gegenmaßnahmen belaufen sich derzeit auf etwa 50 Millionen Euro, aber das Ende ist noch nicht abzusehen.

Beim Fracking von Schiefergas müssen allein für die Probebohrungen noch etwa 50 mal mehr an Erdschichten und Gestein durchstoßen werden, deren tatsächliche Zusammensetzung vor der Bohrung nur annähernd bestimmt werden kann. Denn schon einen halben Meter weiter können bei einer punktuellen Exploration schon wieder ganz andere Verhältnisse vorliegen. Daß dabei etwas ähnliches wie in Staufen passieren kann, wie Fracking-Gegner befürchten, läßt sich tatsächlich nie völlig ausschließen, da jede Bohrung Unsicherheiten mit sich bringt und sich beim Anbohren von gashaltigem Gestein nicht vermeiden läßt, daß immer auch Grundwasserschichten durchstoßen werden. Neben der Kontamination des Wasserreservoirs mit Frac-Chemie und Methan, das in diesem Zusammenhang diskutiert wird, könnte sich durch aufsteigendes Grundwasser in anhydrithaltige Schichten auch ein Fall Staufen wiederholen: "Vor der Hacke ist es duster" ist eine gängige Redewendung unter Tage.

Die Grafik zeigt in einem Schichtmodell, wie die Erde unter Staufen aufquillt - Grafik: © Staufenstiftung, für Presseveröffentlichungen freigegeben via www. Staufenstiftung.de

Nur ein kleiner Stich in die Haut der Erde? In Staufen gab es eine starke allergische Reaktion.
Grafik: © Staufenstiftung, für Presseveröffentlichungen freigegeben via www. Staufenstiftung.de


Staufen ist kein Einzelfall

Quellende Gipskeuperschichten wurden 2007 und 2009 nach Erdwärmebohrungen in Zumhof, einem Dorf der Gemeinde Rudersberg im Rems-Murr-Kreis zum Problem. Eine zusätzliche verunglückte Bohrung, bei der das Bohrgestänge abgebrochen war und die man nicht mit Zement abgedichtet hatte, wurde hier zum Verhängnis. Im Oktober 2012 betrug die Hebungsgeschwindigkeit dort 7 Millimeter pro Monat. Gegenmaßnahmen werden seit März dieses Jahres unternommen.

Häufiger kommt es durch Gipskeuperschichten jedoch zu sogenannten Setzungen, d.h. zum Absenken des Untergrunds. In Kamen-Wasserkurl sollen Erdwärmebohrungen Risse im Gestein derart vergrößert haben, daß 48 Kubikmeter Boden plötzlich in einem Loch verschwanden. In Schorndorf im Rems-Murr-Kreis sank der Grundwasserspiegel nach Geothermiebohrungen ab. Durch das fehlende Volumen kam es auch hier zu Senkungen, bei denen eine Schule und ein knappes Dutzend Privathäuser beschädigt wurden. Das gleiche brachten 2011 bereits Probebohrungen in 80 Meter Tiefe im Leonberger Stadteil Etlingen zustande.

Eine schematische Darstellung mit ausführlicher Beschreibung, wie man mit oberflächennaher Geothermie Häuser beheizen kann. Eine ähnlich harmlose Anlage war es, die die Erde 140 Meter unter Staufen in Bewegung brachte. - Grafik: © Agentur für Erneuerbare Energien, für journalistische Zwecke freigegeben via www.unendlich-viel-energie.de

Oberflächennahe Geothermie hat nicht direkt mit Fracking zu tun, abgesehen davon, daß in beiden Fällen ein Loch in die Erde gebohrt wird.
Grafik: © Agentur für Erneuerbare Energien, für journalistische Zwecke freigegeben via www.unendlich-viel-energie.de

Tiefengeothermie-Projekt in Bayern, Bohrgrundstück der 'Erdwärme Grünwald GmbH' (EWG) nahe dem Weiler Laufzorn auf Oberhachinger Gemarkung. Die Bohrung soll eine Tiefe von 3500 Metern erreichen. - Foto: © 2009 by Richard Bartz, freigegeben via Wikimedia als CC-BY-SA-2.5 Unported Lizenz

Erdwärme im tiefen Erdkörper gespeichert, ständig erneuert durch den unterirdischen Zerfall von radioaktiven Elementen. Die finden sich als NORM-Partikel im Thermalwasserkreislauf wieder.
Foto: © 2009 by Richard Bartz, freigegeben via Wikimedia als CC- BY-SA-2.5 Unported Lizenz


Es muß nicht immer Anhydrit sein ...

Das zeigte sich auch im März 2011 bei einem anderen Geothermie-Projekt, bei dem diesmal tatsächlich gefrackt, d.h. 3.900 Meter tief in die Erde gebohrt und heißes Gestein gespalten wurde, um seine Oberfläche wie gewaltige Herdplatten für das eingespritzte Wasser erreichbarer zu machen. Das Verwaltungsgebäude der "Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe" in Hannover sollte mit dieser Anlage umweltfreundlich und ressourcenschonend beheizt werden. Laut einem Bericht im Deutschlandfunk vom 20. Dezember 2011 [5] wurden nur 20.000 Kubikmeter Wasser (keine Chemie) mit einem Druck von 400 bar in das harte Sediment aus Buntsandstein gepreßt. Durch dieses Fracking entstanden 500 Meter lange und 65 Meter hohe Risse im Gestein. Was bei dem dichten Gestein selbst für die beteiligten Geologen vollständig unvorstellbar schien, war, daß das für das Fracken verwendete, sogenannte "Frac-Wasser", der geothermische Flowback gewissermaßen, extrem salzhaltig sein würde. Selbst mikroskopische Untersuchungen des gefrackten Gesteins konnten den Salzgehalt (350 Gramm pro Liter) nicht erklären. Salz sei dort nicht zu erwarten gewesen, schon gar nicht eine solche Riesenmenge, wo es herkomme, sei ungeklärt, sagte der Projektleiter Dr. Johannes Peter Gerling im Deutschlandfunk. Da sich Salz in heißem Wasser besser löst als in kälterem, kristallisierte das Steinsalz auf dem Weg nach oben zunehmend aus und hatte das Bohrloch fast komplett verstopft. Auch hier sind keine Menschen zu Schaden gekommen, von den hohen Kosten, die die Gegenmaßnahmen erfordern, einmal abgesehen. Etwa 9 Millionen Euro werden hier für die Rettungsmaßnahmen geschätzt.

Das Beispiel macht allerdings auf etwas aufmerksam, was Geologen nicht unbekannt sein dürfte. Auf welche Mineralien man bei einer Bohrung stoßen wird, läßt sich nicht voraussagen. Dr. Gerling sagte hierzu: "De facto ist natürlich jede Bohrung immer noch eine Überraschung, und das gilt für die Öl- und Gasindustrie genauso."

Schematische Darstellung für die Nutzung von Erdwärme aus tiefen Gesteinsschichten. Deutlich wird, daß es sich um kein geschlossenes System handelt. Durch den gefrackten Bereich sind Verbindungen zum natürlichen Wassernetz möglich. - Grafik: © Agentur für Erneuerbare Energien, für journalistische Zwecke freigegeben via www.unendlich-viel-energie.de

Fracking oder Geothermie? Abgesehen von künstlich erzeugten Rissen und Klüften verbindet die Verfahren auch das Problem der Chemikalienanreicherung im Brauchwasser und dessen mögliche Verbindung zu naheliegenden Grundwasseradern.
Grafik: © Agentur für Erneuerbare Energien, für journalistische Zwecke freigegeben via www.unendlich-viel-energie.de

Überraschungen mit hydraulischen Rißbildungen - dem Fracking - gibt es auch anderswo: Die Gefahr, daß sich beim hydraulischen Zertrümmern tektonische Spannungen im Gestein entladen und zu seismischen Ereignissen führen können, gehört zu den bekannten Risiken sowohl der Schiefergasförderung als auch der petrothermalen Geothermie. So wurden im Rheingraben in Landau (2009) und Basel (2006) nach dem Fracken für Geothermie-Projekte leichte Erdbeben ausgelöst. Auch zwei Erdstöße der Stärke 1,7 und 2,2 auf der Richterskala, die 2009 bei Potzham nahe München registriert wurden, könnten auf das 2008 fertig gestellte Geothermiekraftwerk Unterhaching zurückgehen, was aber nicht als gesichert gilt.

In Neuseeland, Island und Italien kam es nach der Durchführung von Geothermie-Projekten durch die Kontraktion des Speichergesteins zu Landabsenkungen. Solche physikalischen Probleme sollen beim Fracking durch Reinjektion von entsprechenden Fluiden verhindert werden.


Natürlich vorkommende, gifthaltige Mineralien

Ein ebenfalls diskutiertes Risiko, das sich unter Umständen auch auf die Schiefergasförderung übertragen läßt, sind je nach Ablagerungsgeschichte der durchstoßenen Sedimente sulfidhaltige Mineralien oder Schwermetallsulfide (z.B. Vanadiumsulfid), die in den gefrackten Zonen vorkommen können. Durch das heiße Wasser oder die entsprechenden Fracking-Fluide wird daraus giftiger und hochentzündlicher Schwefelwasserstoff freigesetzt, der dann neben dem Methan, bei alten, nicht oder nur schlecht versiegelten Bohrlöchern durchaus eine Gefahr für das Grundwasser darstellen kann. Vor allem, wenn im nahen Umkreis ein weiteres Schiefergasvorkommen gefrackt wird, können die verlassenen Bohrlöcher der neuen Fracking-Flüssigkeit, die durch Risse und Klüfte dahin gelangt, als Leitung ins Grundwasser dienen. [7]

Auch eisenhaltiges Gestein ist nicht unproblematisch. Lösen sich z.B. in saurem Frac-Wasser Eisensalze der Oxidationsstufe II (sogenannte Eisen II-Salze), können die, wenn sie z.B. auf irgendeinem Wege in Oberflächengewässer abgeleitet werden, zu Eisen III-Salzen unter Sauerstoffverzehr aufoxidiert werden, das je nach Konzentration sehr fischtoxisch ist. Darüber hinaus steht den Flußbewohnern weniger Sauerstoff zur Verfügung. Beispiele dafür, daß Leckagen für chemikalien- und salzbelasteten Flowback aus Schiefergas-Förderstellen aufgrund hoffnungslos überlasteter Klärwerke entstehen können und dadurch Flüsse und Ströme gefährdet werden, wurden in letzter Zeit aus Pennsylvania gemeldet [8].


NORM und TENORM

Bei der kritischen Auseinandersetzung mit den Problemen des Flowback bei der Schiefergasförderung wurde u.a. unlängst in einem ausführlichen Bericht im Schattenblick [9] auch die Möglichkeit des Auftretens radioaktiver Partikel wie Uran, Thorium oder ihre ebenfalls radioaktiven Zerfallsprodukte Radium und Radon diskutiert, die mit dem eingesetzten Wasser an die Oberfläche gespült werden, gemeinsam mit dem stark salzhaltigen, schwermetall- und sulfidbelasteten Formationswasser (Flowback). Die mögliche Gesundheitsgefahr, die von den Spuren an radioaktivem Material, sogenannten NORM-Partikeln (NORM steht für Natural Occurring Radioactive Material, übersetzt: natürlich auftretendes radioaktives Material), ausgehen kann, wird im Tenor der meisten Publikationen zu diesem Thema bagatellisiert. Die eigentliche Gefahr ergibt sich daraus, was mit den kontaminierten Stoffen anschließend geschieht. Ein Eintrag in Seen und Flüsse wie in Pennsylvania oder ins Grund- oder Trinkwasser könnten sich je nach Dichte der Besiedelung verheerend auswirken. Darüber hinaus werden auch die Teilchen an sich noch unterschätzt. Unter dem Titel "Strahlengefahr durch Fracking?" hieß es:

Allerdings kann es aufgrund technischer Umstände zur Akkumulation der Partikel kommen, man spricht in diesem Zusammenhang auch von TENORM-Partikeln. Die Buchstaben T und E stehen für "technologically enhanced", das heißt technologisch angereichert. TENORM gilt als potentiell gefährlicher als NORM, weil dabei die radioaktiven Elemente aufkonzentriert wurden. Laut der Strahlenschutzverordnung (Teil 3) müssen in Deutschland Schlämme und Ablagerungen aus der Erdöl- und Erdgasindustrie unter bestimmten Umständen behördlich überwacht werden. [9]

Das gilt jedoch nicht für den Flowback der Schiefergasförderung und auch nicht für das bei der Tiefengeothermie genutzte Wasser. [10]

Was selten gesagt wird, für Experten aber selbstverständlich auch beim Umgang mit geringen Spuren von radioaktivem Material ist: Ein einziger Zerfall an einem entsprechend "neuralgischen Punkt" reicht aus, um ein Menschenleben durch Krebs zu zerstören.


Von der Geothermie zum "Fracking ohne Chemie"

Natürlich sind Bemühungen und Ideen, vorhandene Wärme aus der Tiefe zu nutzen, angesichts der globalen klimatischen Veränderungen, die konventionelle Energietechnologien mit sich bringen, genau genommen begrüßenswert. Doch sind die Risiken, die sich vor allem durch einen leichtfertigen, selbstverständlichen Umgang damit ergeben, nicht von der Hand zu weisen.

In diesem Zusammenhang sollen damit einige bereits bekannte Probleme vor Augen geführt werden, mit denen man es zu tun bekommt, wenn sich tatsächlich für die Schiefergasförderung die von der Industrie versprochenen "Grünen Fracking"-Techniken durchsetzen, d.h. wenn ausschließlich nur mit Wasser gefrackt würde. Abgesehen davon, daß Unmassen von Wasser gebraucht würden - für eine Bohrung wird ein Wasseraufwand von 12.000 bis 20.000 Kubikmeter geschätzt (je tiefer der Frack, desto größer der Wasserverbrauch) -, muß man damit rechnen, daß sich dieses in der Erdtiefe je nach Formation bis auf möglicherweise 160 °C erhitzte Wasser unter den herrschenden Druckverhältnissen chemisch auch zu einem im Labor nicht vorhersehbaren Reaktanten entwickeln könnte, in dem sich beispielsweise auch wasserunlösliche Stoffe transportieren lassen.

Vielleicht sollten selbst jene euphorischen Fracking-Projekte, die unter "grüner Flagge" selbst von dem in Vorbereitung befindlichen neuen Fracking-Gesetz in Deutschland durchgewunken würden, wenn sie alle geforderten Auflagen erfüllen [12], unter dem Aspekt noch offener Fragen wiederholt durchdacht werden: Ökologisch unbedenkliches Fracken ohne Chemie gibt es einfach nicht!

Anmerkungen:

[1] aus Marco Lauer, Gefährliche Erdwärme - Warum die Erde unter Staufen aufquillt wie Hefeteig, Die Welt, 23. August 2009 oder
http://www.welt.de/vermischtes/article4377356/Warum-die-Erde-unter-Staufen-aufquillt-wie-Hefeteig.html

[2] "Artesisch gespanntes Wasser" bedeutet, daß man die Bohrung in der Senke der Grundwasserader angesetzt hatte, in der Wasser unter Überdruck steht. Dadurch entsteht ein artesischer Brunnen, in dem das Wasser im Bohrloch aufsteigt.

Für die Nutzung von Erdwärme werden in die Bohrlöcher für die Erdwärmesonden jeweils vier Rohre eingeführt. Je zwei Rohre sind durch den Sondenfuß U-förmig verbunden und bilden somit zwei Rohrtouren, in denen das Wasser zirkulieren kann (Doppel-U-Sonde). Dem Untergrund wird Wärme entzogen und unter Einsatz einer Wärmepumpe dem Heizsystem zugeführt. Der Zwischenraum zwischen Bohrlochwandung und den Rohren muß mit einem Bentonit-Zementgemisch dicht verpreßt werden. Eine undichte Verpressung von zumindest einer Sonde war in Staufen die Ursache für die Geländehebungen.

[3] Siehe auch den ausführlichen Bericht des Landesamts für Geologie, Rohstoffe und Bergbau Baden-Württemberg: "Geologische Untersuchungen von Baugrundhebungen im Bereich des Erdwärmesondenfeldes beim Rathaus in der historischen Altstadt von Staufen i. Br.": Nach Erteilung der wasserrechtlichen Erlaubnis für den Bau und Betrieb der Erdwärmesonden durch das LRA Breisgau-Hochschwarzwald, werden vom 3. bis 21. September 2007 sieben Bohrungen durchgeführt. Bereits am ersten Tag wurde das LRA über das Anbohren von artesisch gespanntem Grundwasser informiert. Außerdem wurde mitgeteilt, daß die Firma W. den Arteser mit einer entsprechenden Zement-Bentonit-Suspension kontrollieren konnte. Etwa zwei Wochen nach Fertigstellung der Erdwärmesonden wurden Anfang Oktober 2008 vom Ortsbauamt der Stadt Staufen erstmals Risse im neu renovierten Rathaus und benachbarten Gebäuden festgestellt.
http://www.lgrb.uni-freiburg.de/lgrb/pdf_pool/bericht_staufen_lgrb.pdf

[4] http://www.badische-zeitung.de/staufen/risse-drama-dauert-5-jahre-doch-staufen-blickt-nach-vorn--63933738.html

[5] http://www.schattenblick.de/infopool/natur/chemie/chula275.html

[6] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/forschak/1633561/

[7] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/forschak/2114685/

[8] http://www.dradio.de/dlf/sendungen/forschak/2038717/

[9] http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/redakt/umre-141.html

[10] http://www.umweltdaten.de/publikationen/fpdf-l/4346.pdf

[11] Der jeweilige Fracking Fluid ist ein von Fracking Gegnern besonders wegen der von der Industrie unter Wahrung des Betriebsgeheimnisses unveröffentlichten Zusammensetzung gefürchteter Chemiecocktail aus Härtungsmitteln, Tensiden bis hin zu Desinfektionsmitteln und Schimmelentfernern. Sein umweltschädigendes ökotoxisches Ausmaß läßt sich kaum abschätzen. Gemeinsam mit Sand und Wasser wird er zum Fracken in den Untergrund gedrückt. Sein späterer Verbleib ist nicht vollständig geklärt. Deshalb wird ein Verzicht auf Chemie beim Fracking oft mit ökologischer Unbedenklichkeit des Gesamtprojekts gleichgesetzt. Das ist jedoch nicht der Fall.

[12] Gegenwärtig wird in Deutschland eine genaue Rechtsgrundlage für Fracking vorbereitet. Die Methode des Frackings wird in Deutschland in Zukunft wahrscheinlich nur unter großen Einschränkungen erlaubt sein. Selbst der kürzlich von Bundeswirtschaftsminister Philip Rösler (FDP) und Bundesumweltminister Peter Altmeier (CDU) vorgelegte Gesetzentwurf zum Fracking sieht einen umfassenden Grund- und Trinkwasserschutz vor, und dieser Entwurf hat bislang noch nicht den Bundesrat passiert, unter anderem, weil Schleswig-Holstein strengere Umweltauflagen fordert.


22. Mai 2013