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UMWELTLABOR/279: Kalifornien - Ressourcenfraß im Schutz der Lücken (SB)


Unter dem Meer herrscht der Wilde Westen

Fracking - Energiewirtschaft um jeden Preis



Hatten wir im letzten Teil unserer Fracking-Serie für eine nicht mehr allzu ferne Zukunft der Erde noch ein dystopisches "Frack-as-frack-can" prognostiziert, das heißt ein rücksichts- und gnadenloses Ausquetschen der fossilen Reserven mit allen Mitteln und aus Bereichen, die lange Zeit als unzugänglich, schwer zugänglich oder umweltethisch als Tabu galten, und hatten wir zudem die Befürchtung geäußert, daß die Welt von diesem letzten Verzweiflungsschlag nur noch ein entsprechendes ingenieurstechnologisches Nachrüsten trennt, um die Widerstände und Unwegbarkeiten zu brücken und um Effizienz und Profit zu gewährleisten, so scheint sich diese Entwicklung gewissermaßen längst selbst überholt zu haben. Fracking-Vorhaben sind schon lange in einen Bereich abgetaucht, der außerhalb des öffentlichen Zugangs liegt und sich somit jeder leichten Kontrolle entzieht, in den Meeresboden.

Bereits im August dieses Jahres schrieben Jason Dearen und Alicia Chang, die für die Associated Press (AP) [1] recherchiert hatten, von mindestens zwölf von US-amerikanischen Aufsichtsbehörden genehmigten Vorfällen von Off-shore-Fracking in den vergangenen Jahren, die allein vor der kalifornischen Küste stattgefunden haben, eines davon wurde erst vor kurzem bewilligt. Das ist jedoch noch nicht alles: In einem weiteren AP-Bericht vom 19. Oktober 2013 mußten die Autoren ihre Enthüllungen noch einmal nach oben korrigieren. Offenbar wird vor der Küste von Long Beach, Seal Beach und Huntington Beach - einige der beliebtesten kalifornischen Strände für Touristen und Surfer - momentan viel mehr gefrackt als offiziell angenommen wurde. Aufgrund eines öffentlichen Akteneinsichtsersuchens der Associated Press wurden mindestens 203 Fälle aufgedeckt, in denen auf sechs verschiedenen Förderstellen, Ölplattformen oder künstlichen Inseln in den letzten 20 Jahren Fracking-Technologie zum Einsatz kam [2]. Allein in Long Beach habe die einzige Ölförderfirma, die dort operiert, noch in diesem Jahr fünf Mal gefrackt.

Die US-Agentur, die für die Lizenzvergabe zur Off-Shore-Förderung verantwortlich ist, gab darüber hinaus bekannt, daß ihre Mitarbeiter nach den ersten AP-Enthüllungen im August weitere Hinweise für den Einsatz von Fracking-Technologie in einem Gebiet jenseits des Küstenmeeres (etwa 3 Seemeilen/Basislinie) bis zu einer Erstreckung von 200 Seemeilen (370,4 Kilometer) ab der Basislinie gefunden hätten. Dieser Bereich, auch als 200-Meilen-Zone bekannt, gilt bei den meisten Staaten als "Ausschließliche Wirtschaftszone" (AWZ), in der nach dem UN-Seerechtsübereinkommen (bzw. "United Nations Convention on the Law of the Sea", UNCLOS) dem angrenzenden Küstenstaat normalerweise in begrenztem Umfang souveräne Rechte und Hoheitsbefugnisse zugesichert werden, insbesondere das alleinige Recht zur wirtschaftlichen Ausbeutung einschließlich des Fischfangs. Allerdings sind die Vereinigten Staaten diesem Übereinkommen nie beigetreten. Für sie gelten nach wie vor die Genfer Seerechtskonventionen von 1958 und die sonstigen völkergewohnheitsrechtlichen Regeln des Seerechts. Die Hoheit ist somit zwischen dem Bund und den Bundesstaaten aufgeteilt: In der Regel untersteht die Region innerhalb einer Drei-Meilen-Zone den jeweiligen Bundesstaaten, während der sogenannte äußere Kontinentalschelf dem Bund, das heißt den Vereinten Staaten von Amerika, gehört. Das heißt, was hinter den drei Meilen vor der Kalifornischen Küste geschieht, wird in Washington entschieden.

Die US-Behörde, die für die Genehmigung der Erdölförderung zuständig ist, erklärte nun, bis vor kurzem sei die Frage, ob auf Bohrinseln gefrackt würde oder nicht, kein Thema gewesen und unterlag daher auch keiner Kontrolle. Augenblicklich sollen die US-amerikanischen Aufsichtsbehörden überprüfen, ob für die Anwendung dieser bei der Öl-Exploration umstrittenen Technologie ein besonderes Genehmigungsverfahren und strengere Umweltauflagen angebracht sind, ohne aber aktuelle Förderaktivitäten unterbinden. Darüber hinaus hat man überhaupt erst jetzt damit angefangen, sich einen Überblick über laufende Fracking-Projekte sowohl in der 200-Meilen-Zone als auch in unmittelbarer Nähe zur kalifornischen Küste zu verschaffen und will dabei über Möglichkeiten eines besseren Aufsichts- oder Überwachungssystems nachdenken. Zumindest erwecken die Vertreter der für den Küstenschutz zuständigen Behörde California Coastal Commission den Eindruck, als sei man dort doch ein wenig entsetzt darüber, in welchem Umfang bereits unkontrolliert im Meeresboden gefrackt werden konnte. Es herrsche große Verwirrung unter den Beamten, wer denn nun eigentlich dafür verantwortlich zu machen sei, schrieben Alicia Chang und Jason Dearen [2].

"We still need to sort out what authority, if any, we have over fracking operations in state waters; it's very complicated," said Alison Dettmer, a deputy director of the California Coastal Commission. [2]
["Wir müssen überhaupt erst einmal herausfinden, welche Kompetenzen wir bei Fracking-Unternehmungen innerhalb der 200-Meilen-Zone haben, falls wir denn überhaupt welche haben und das ist alles sehr kompliziert", sagte Alison Dettmer, der stellvertretende Direktor der California Coastal Commission. - Übersetzung SB-Redakt.]

Möglich wurde all dies aber erst durch ein im September beschlossenes neues Kalifornisches Gesetz, mit dem Fracking-Projekte stärker reglementiert werden sollen und aufgrund dessen unter anderem jedes Unternehmen, dem die Lizenz zum Fracken erteilt wird, verpflichtet sein wird, unabhängige Gutachten über die Grundwasser- und Luftqualität abzuliefern, Anwohner von seinem Vorhaben zu unterrichten und öffentlich darzulegen, welche Chemikalien im einzelnen dafür genutzt werden. Allerdings tritt dieses Gesetz erst 2015 in Kraft und die hier zusammengefaßten Auflagen zeigen deutlich, wie beliebig das Reglement ausgelegt werden kann.

Die momentane Aufregung über längst gelegte Eier (sprich: laufende Off-shore-Frack-Projekte) in den Aufsichtsbehörden - das kann man nicht genug betonen - ist nichts weiter als eine erste Reaktion auf den zuvor erwähnten AP-Bericht. Das heißt, die aufklärenden Aktivitäten wurden erst im zweiten oder dritten Schritt, nämlich auf Druck der besorgten Öffentlichkeit, in Angriff genommen. Ansonsten schienen die amerikanischen Aufsichtsbehörden im Interesse der Förderunternehmen einer Politik der "drei weisen Affen" folgend, bisher alles Schlechte auszublenden, um dann nach dem Motto "was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß" Frackvorhaben unter Wasser ohne große Umstände (und Risikofolgenabschätzung) zu genehmigen. Wie sonst konnte trotz aller auch in den Staaten zunehmend kritischer Debatten der unter einer hohen Wassersäule verborgene Meeresboden zu einem geradezu geschützen Eldorado für Fracking-Unternehmen werden, mit absehbar unausbleiblichen Folgen für die marine Umwelt.

Während die betroffenen Behörden noch nach Rechtfertigungen suchen und mit langsam anlaufenden Untersuchungen offensichtlich Zeit schinden wollen, fordern Umweltorganisationen ein sofortiges Moratorium für sämtliche Off-Shore-Fracking-Projekte [3]. Große Unterstützung erhalten sie vom US-amerikanischen "Center for Biological Diversity" (CBD), das in einem offenen Brief via E-mail an die hierfür zuständigen Behörden, das Bureau of Ocean Energy Management (BOEM) und das für den pazifischen Ozean zuständige Bureau of Safety and Environmental Enforcement (BSEE) und in einer 21-seitigen Studie auf die Gesamtproblematik aufmerksam macht.

Gerade die Bevölkerung an der Kalifornischen Küste ist Off-Shore-Unternehmungen gegenüber besonders sensibilisiert. Die Küste hat sich bis heute noch nicht vollständig von der schweren Ölpest im Santa-Barbara-Kanal 1969 erholt, die den empfindlichen ökologischen Systemen übel mitgespielt hatte [4]. Aus einer Bohrquelle auf der Plattform A von Unocal, etwa zehn Kilometer vor der Küste im Dos Cuadras Offshore Oil Field, flossen zehn Tage lang etwa 80.000 bis 100.000 Barrel Rohöl (11.200 bis 14.000 Tonnen) in den Kanal und auf die Strände und verschmutzten die Küste von Goleta bis Rincon und alle vier Inseln der nördlichen Channel Islands.

Das war genau genommen nur ein 60stel der gigantischen Ölmenge, die später bei der Havarie der Deepwater Horizon 2010 in den Golf von Mexiko floß [5]. Vor 41 Jahren verfügten die Erdölgesellschaften jedoch noch nicht über starke Dispergierungsmittel wie das extrem umweltschädigende und toxische Corexit, mit denen im Golf die gigantischen Ölmengen in feinsten Tröpfchen unsichtbar im Meerwasser verteilt werden konnten. Damit ist das Öl zwar nicht aus der Welt und schon gar nicht aus dem Meer entfernt worden und sein toxisches Potential wurde möglicherweise noch durch den Zusatz synergistisch gesteigert, doch über etwas, was man nicht sehen kann, regt sich kaum einer mehr auf.

1969 wurden dagegen noch die Bilder der verheerenden Ölpest, welche die kalifornischen Strände überzog, in ihrer ganzen, ekelerregenden Deutlichkeit mit Darstellung der tödlichen Konsequenzen für alle davon betroffenen Lebewesen in die Welt getragen. Tausende von Vögeln und anderen Wildtieren, die ölverschmiert an den Stränden elendig verrecken mußten, haben sich den Betrachtern dieser Bilder auf Jahre eingeprägt.

Laut dem jüngsten World Ocean Review 2013 tragen derart spektakuläre Unfälle nur etwa 10 Prozent zur globalen Ölverschmutzung der Meere bei. Das meiste Öl gelangt über verborgene Wege ins Wasser. Entsprechend ungenau sind daher auch die Schätzungen, die momentan von einer regelmäßigen, jährlichen Ölverschmutzung von etwa 1 Millionen Tonnen ausgehen. Etwa 45 Prozent des Erdöls im Meer scheinen hiernach jedoch aus verschiedenen Quellen wie kommunale und industrielle Abwässer, Verbrennungsprodukte der Industrie, die über den Luftweg ins Meer gelangen, zu stammen. Zu dieser Gruppe zählt man auch die von den Bohrinseln ausgehende Verschmutzung. Hier kommt eine Menge zusammen. Leckagen sind nie vollkommen auszuschließen, da bereits das Material der Ausrüstung extreme Bedingungen wie den Druck des Wassers und krasse Temperaturunterschiede aushalten muß. So ist es am Meeresgrund etwa fünf Grad warm, während das geförderte Öl kochend heiß ist. Auf dem Weg nach oben kühlt das Öl jedoch ab. Die mit Mineralien übersättigten Lösungen kristallisieren beim Abkühlen aus. Kristallkrusten drohen die Rohre zu verstopfen oder verbinden sich mit dem Metall. Darüber hinaus sind die Stoffe sehr aggressiv. Sie zersetzen und korrodieren die Rohre, so daß Leckagen nur eine Frage der Zeit sind.

Vor den Küsten der USA liegen Schätzungen zufolge immer noch 17,8 Milliarden Barrel Erdöl. Das ist genug, um den einheimischen Verbrauch für etwa zweieinhalb Jahre zu decken, mehr nicht. Dazu kommen etwa zwei Billionen Kubikmeter Erdgas. Ob nun die lange Zeit gesperrten Gebiete für "die Entwicklung" (das bedeutet auf deutsch: für weitere Ölbohrungen mitsamt dem Fracken der letzten Reserven) freigegeben werden sollten, ist immer wieder Gegenstand der politischen Debatte.

Zwar sollen alle Vorhaben zu Erdöl-Bohrungen im Hoheitsgebiet von Kalifornien vom Kalifornischen Kongreß erfolgreich verhindert worden sein. Die Anträge der Erdölunternehmen zur Exploration und Exploitation (Erkundung und Ausbeutung) wurden von Kalifornien abgelehnt, auch wenn der finanziell angeschlagene Bundesstaat dadurch potentielle Einnahmen von über 1,5 Milliarden Dollar ausgeschlagen hat.

Doch um bereits ausgebeutete Öl- und Erdgas-Claims unter Wasser zu fracken, also die bewilligten Fördervorhaben bis auf den letzten Tropfen auszuquetschen, war offenbar bisher keine gesonderte Bewilligung notwendig, und Erdölunternehmen trafen damit genau jene nötige Gesetzeslücke, um im Verborgenen, also unter Wasser, Fracking-Verfahren für ihre Zwecke anzuwenden. Darüber hinaus setzt sich die US-amerikanische Bundesregierung in Washington, die über das Meeresgebiet außerhalb der Drei-Meilen-Zone verfügt, über die Bitten des kalifornischen Bundesstaates, keine weiteren Ölquellen zur Ausbeutung freizugeben, hinweg. Bereits in den ersten Jahren nach der Ölpest wurden neue Lizenzen zur Erdölförderung vor der Küste von Ventura, Santa Barbara und San Luis Obispo verkauft.

Mit jeder Plattform wird jedoch eine umstrittene Technologie auf den Meeresboden übertragen, für dessen Umwelt die Folgen ebenso unabsehbar wie unausweichlich sind, für den aber zunächst einmal einige Sonderauflagen gelten, welche ein ungehindertes Fracking sogar noch begünstigen. Eher peinlich sind die Beteuerungen der zuständigen Entscheidungsträger, die nun so tun, als seien sie wie die Jungfrau zum Kinde gekommen und sich wohl eher grämen, daß sie gewissermaßen in flagranti beim Naschen am Honigtopf erwischt wurden:

"It wasn't on our radar before, and now it is." - Dies sei bisher überhaupt nicht auf ihrem Radar gewesen, aber jetzt, entschuldigte Vizedirektor Dettmer die bisherige Ignoranz seiner Behörde gegenüber dem Unterwasser-Fracking. [1] Glücklich ist, wer vergißt, was nicht mehr zu ändern ist.


Das sogenannte "Halliburton Loophole"

Gesetzeslücken für Frackingvorhaben zu nutzen oder sie gegebenenfalls erst zu schaffen, ist bei den Befürwortern der Technologie schon traditionell das Mittel der Wahl. So konnte diese unkonventionelle Erdgasförderung in den USA vor allem deshalb einen so ungeheuren Boom an Land erleben, weil unter der Administration von US-Präsident George W. Bush und Vize-Präsident Dick Cheney (ein ehemaliger Manager der Erdölgesellschaft Halliburton) den Energie-Förderen der Weg dafür von allen denkbaren Schikanen befreit wurde. [6]

Unter anderem hob man das auf das Jahr 1974 zurückgehende Trinkwasserschutzgesetz (Safe Drinking Water Act (SDWA)), aber auch das Lufreinhaltegesetzes (Clean Air Act) und das Gesetz für den Umgang mit hochtoxischen Abfällen (Superfund Act) für die Aktivitäten der Öl- und Gasindustrie mittels des Energy Policy Act kurzerhand auf und nahm damit der US-Umweltbehörde (Environmental Protection Agency (EPA)) die Eingriffsmöglichkeiten. [6] Diese Ausnahmeregelungen sind gemeinhin als "Halliburton Loophole" (Halliburton-Schlupfloch) bekannt.

Die enormen Steuereinnahmen bei der Offshore-Förderung - allein Long Beach, die zweitgrößte und mit 462.257 Einwohnern bevölkerungsdichte Stadt im Großraum Los Angeles, hat von den 581 Millionen Dollar Profit aus dem Erdölgeschäft im Steuerjahr 2013 bereits 352 Millionen in die eigenen Schatztruhen scheffeln können - lassen nicht nur Behörden zu Steigbügelhaltern werden. Die quasi verdeckte Förderung unter Wasser, aber auch das hierfür ohnehin gebräuchliche Horizontalbohrverfahren, legen ein Weiterfracken nahe, wenn die ursprüngliche Quelle ermüden sollte.

Die hydraulische Fraktionierung allein wird schon seit über 50 Jahren bei konventionellen, allmählich versiegenden Öl- oder Gasbohrlöchern regelmäßig angewendet und bedarf keiner besonderen Genehmigung. Indem man Wasser, Sand und Chemikalien in das Bohrloch drückt (manchmal auch nur heißes Wasser) und damit das umgebende Material ein wenig auftrennt, läßt sich die Quelle kurzfristig stimulieren, noch mehr von dem begehrten Stoff herzugeben, bis die Gesteinsporen gewissermaßen ausgewaschen sind. Dieses Verfahren ist aufgrund seiner Wirtschaftlichkeit in der Ölförderung weit verbreitet, fraglich bleibt allerdings, inwieweit es schon zum Standard gehört.

Wenn heute von Fracking gesprochen wird, ist jedoch die gelungene Fusion von diesem Hochdruck-Spühlverfahren und der Horizontalbohrtechnologie gemeint, die zusammen eine extrem schadstoffaufwendige, umweltschädigende Extraktion von Energieträgern aus teilweise 1.000 bis 5.000 Meter tiefen erdgas- oder erdölführenden Gesteinsschichten ergibt. [7] Dafür gräbt sich der Bohrer zunächst senkrecht in die Erde, um dann gerichtet (Horizontal- oder Richtbohrverfahren) horizontal weiterzubohren und viele Stränge anzulegen, mit denen dann nach Einsatz einer Perforationskanone gleichzeitig und parallel ein größeres Areal erschlossen werden kann. Für diese vor allem bei der Schiefergasförderung eingesetzte "Fracking-Methode" wird eine um ein Vielfaches größere Menge an Frack-Flüssigkeit und ein um 100fach stärkerer Druck gebraucht, um die notwendige, stimulierende Kettenreaktion auszulösen.

Das Fracking des Meeresbodens wird nun zum einen durch die Bestimmungen der amerikanischen Aufsichtsbehörden erleichtert, nach denen die teilweise stark umweltschädigenden und toxischen chemischen Cocktails, die den notwendigen Wassermengen zugesetzt werden [7c], bei der Offshore-Förderung von den US-amerikanischen Reinhalteordnungen für Wasser ausgenommen sind. Auf diese Weise können die Energieunternehmen theoretisch Produktionswässer und Frack-Fluide im Meer verklappen, ohne die Vorgänge und ihre möglichen Umweltauswirkungen zu dokumentieren oder darüber Rechenschaft ablegen zu müssen. Diese Ausnahme, die noch in diesem Jahr von der EPA bestätigt wurde, wie aus Recherchen von Associated Press hervorgeht [1], besteht weiterhin.

Zum anderen ist es gängige Praxis, von Offshore-Bohrplattformen aus gerichtet horizontal zu bohren (US-amerikanisch: directional drilling oder slant drilling), um ein größeres Areal zu erreichen. Die Frage, ob damit auch weit entfernte Förderstätten zum Beispiel in den Küstengebieten erreicht werden könnten, in denen weitere Erdölplattformen keine Bewilligung erhalten würden, drängt sich geradezu auf. Solche Vorhaben sind nicht unmöglich, werden allerdings von der Reichweite der Technik eingegrenzt, da sich bei der Teleskopmethode das Förderrohr zum Ende hin zunehmend verjüngt und somit nur eine bestimmte Strecke ein ausreichender Durchmesser für die Förderung gewährt werden kann. Das gilt für die Tiefenbohrung wie für die Horizontalbohrung:

Man fängt mit einem Durchmesser im Bereich von ungefähr 70 Zentimetern bis zu einem Meter an", erklärt Catalin Teodoriu, Bereichsleiter Tiefbohrtechnik am Institut für Erdöl- und Erdgastechnik an der TU Clausthal. Je tiefer gebohrt wird, umso schwerer ist das Gestein zu brechen, und umso weiter schrumpft der Durchmesser der Bohrung. "Die Lagerstätte trifft man in der Regel mit einem Bohr-Durchmesser von 17 bis 18 Zentimetern Durchmesser." [9]

Setzt man hier aber die oben erwähnte, abschließende Auswaschmethode gewissermaßen standardmäßig auch im horizontalen Verlauf des Rohres ein, ist es bis zum Einsatz von Perforationskanonen, Wasserdruck, Chemikalien und Sand, um weiteres Gestein im Meeresboden aufzubrechen, nur noch ein kleiner, naheliegender Schritt. Frack-as-frack can ...

Daß horizontales Richtbohren schon in einigen Fällen als Schlupfloch angedacht wird, um die für die Ausbeutung vorgesehenen, jedoch von Kalifornien nicht als Offshore-Projekte genehmigten Erdölquellen doch noch anzuzapfen, wurde unlängst publik. Die US Air Force Basis Vandenberg an der kalifornischen Küste erwägt derzeit, zwei Erdöl-Unternehmen, Sunset Exploration und ExxonMobil, von einer Bohrstelle auf ihrem Grund aus zu erlauben, unterirdisch in den Offshore-Bereich vorzudringen. [8] Das von den Streitkräften als "Antithese zu Offshore-Bohrungen" bezeichnete Projekt, in dem sich der Bohrkopf etwa eine halbe Meile unter der Militärbasis hindurchfressen würde, wäre dann in seiner End- und Ausspühlphase auch nichts anderes als Fracking. Die Chefjustiziarin des Umweltsicherheitszentrums Environmental Defense Center, Linda Krop, gab dazu gegenüber der Times zu bedenken, daß ihre Organisation zu dem geplanten Unternehmen größte Vorbehalte habe. Durch die Bohrarbeiten würden Wale und andere wertvolle Tierarten von den gleichen Gefahren und negativen Umwelteinflüssen wie Ölverschmutzung und dergleichen bedroht, wie bei Ölplattformen.


Sicherheit läßt sich für Offshore-Bohrplattformen nicht garantieren ...

Hundert Prozent sichere Technik gibt es nicht. Zum einen sei die Fernsteuerung ein Problem, wurden Tiefbohringenieur Teodoriu und Wolfgang Blendinger, Professor für Erdölgeologie an der TU Clausthal in Focus Online zitiert. Je weiter sich der Bohrkopf von der Bohrstelle entfernt, umso größer werden auch die Risiken. Unglücke wie das im Golf von Mexiko hätten gezeigt, daß man die Sache nicht im Griff habe. [9] Wie im Flugverkehr könne man nur die Sicherheitsvorschriften immer weiter erhöhen. Dann sinke zwar das Risiko für Unfälle, aber die Projekte würden zu teuer. Die naheliegende Schlußfolgerung daraus, keine weiteren Offshore-Erdölbohrungen, werden jedoch bis heute nicht gezogen.


... aber Fracking ist sicher?

Statt dessen wird ein zusätzliches technisches Risiko eingegangen, um die Wirtschaftlichkeit zu erhöhen. Dazu erklärt die Energiebehörde von Long Beach die aktuellen Fracking-Projekte kurzerhand für sicher. Es gäbe einen Vorsorgeplan gegen Ölverschmutzung und die Pipelines würden überwacht. Die Konstruktionspläne seien von der staatlichen Erdöl-Aufsichtsbehörde abgenommen worden und wären sowohl für konventionelle Bohrungen wie für Fracking geeignet. Darüber hinaus wäre Offshore-Fracking weniger aufwendig und würde nur einen Bruchteil der an Land nötigen Wassermengen und Chemikalien benötigen. Und schließlich würden geschlossene Systeme verwendet. Die Frack-Flüssigkeit gelange gar nicht ins Wasser. [2]

Die Erdölindustrie schätzt im allgemeinen, daß etwa die Hälfte der eingesetzten Chemikalien in die Umwelt gelangen. Fracking-Gegner halten dies bereits für Schönfärberei. Beim Fracking auf dem Meeresboden von geschlossenen Systemen zu sprechen, klingt allerdings als würde man Wasser mit Sieben schöpfen. Bei genauerer Betrachtung soll das Produktionswasser bei Offshore-Unternehmungen, nachdem es "behandelt", also möglicherweise mit weiteren Chemikalien versetzt wurde, nach Abschluß der Bohrtätigkeiten in den Meeresboden verpreßt und dort zurückgelassen werden. Darüber, wie sich eine solche Mischung in diesem wenig erforschten Ökosystem verhält, gibt es keine Untersuchungen.

Laut den Recherchen der Associated Press hätten jedoch die Mehrzahl der befragten staatlichen Umweltbehörden, die für die Überwachung des Meeres und seiner Wasserqualität zuständig sind, eingeräumt, daß während laufender Fracking-Prozesse überhaupt keine Meerwasserproben genommen, noch auf die fraglichen Chemikalien getestet worden seien. Das wäre auch höchst aufwendig, da Frack-Fluide bekanntlich aus über 600 verschiedenen Chemikalien bestehen können. Ihre Zusammensetzung fällt zudem oft unter das Betriebsgeheimnis. Ohne zu wissen, nach welchen Substanzen gesucht werden muß, ist eine qualitative Kontrolle somit kaum erschwinglich.

Das ändert aber nichts daran, daß bereits die Gruppe der geeigneten Biozide, die zur Grundausstattung des Fracking-Cocktails gehören, per se für Wasserorganismen wie Fischlarven, Krebstiere (Crustaceen) oder auch am Meeresboden lebende Tier- und Pflanzenarten besonders toxisch sind. [1] Wie sich die Chemikalien unter den besonderen Bedingungen des Meeresbodens verhalten, mit welchen Mineralien sie dort interagieren und zu welchen neuen Produkten sie reagieren und wie sie sich in den heißen Zonen des Untergrunds verhalten, ist nicht bekannt.

Laut AP hätten Meeresforscher, Erdöl-Geologen und Beamte von Aufsichtsbehörden, die über den Stand der Forschung dazu befragt wurden, bestätigt, daß bisher noch keinerlei Forschung über das Verhalten von Fracking-Chemikalien in der marinen Umwelt angestrebt wurde. Von den bei gewöhnlichen Bohrungen verwendeten chemischen Hilfsmitteln hat man auch, erst nachdem die Stoffe schon längst im Meerwasser verteilt waren, festgestellt, daß sie Fortpflanzungsstörungen bei Meeresbewohnern verursachen können. Meereswissenschaftler wie Samantha Joye von der Universität von Georgia, die in dem ersten Bericht der Associated Press zitiert wird, sind der Ansicht, daß man dieses signifikante Defizit in der Risikofolgenabschätzung unbedingt schließen müsse, ehe sich das Fracking des Meeresbodens weiter verbreitet?

Angesichts des offenbar längst etablierten Routine-Frackings von bestehenden Ölplattformen aus und den bereits über 200 Fällen praktizierter hydraulischer Fraktionierung vor Kalifornien, scheint diese Forderung der blanke Hohn zu sein und gibt zu denken, was noch? Denn es gibt ja tatsächlich noch eine Menge Bereiche des Meeresbodens, die noch viel schwerer zu erreichen und zu fracken sind, als die ölhaltigen Gesteinsschichten in Küstennähe.

Der Trend sei schon lange festgelegt, die zunehmend versiegenden Quellen treiben die Erdöl-Konzerne in immer größere Meerestiefe, schreibt eine vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie geförderte Webseite "Germany Trade & Invest". [10] Allein auf den asiatisch-pazifischen Raum sollen von 2012 bis 2017 immerhin 43% der weltweit niedergebrachten Offshore-Bohrlöcher entfallen. Trotz der Havarie der Deepwater Horizon 2011 ist der Anteil der Bohrschächte, die in der Tiefsee dieser Region liegen, von 2000 bis 2010 von 3 Prozent auf 10 Prozent angestiegen und soll bis 2017 auf 12 Prozent wachsen. Douglas-Westwood, ein Marketing-Unternehmen für Offshore-Unternehmungen, prognostiziert die "Niederbringung" von 350 Tiefsee-Bohrlöchern im asiatischen-pazifischen Raum bis 2016. Davon sollen 28 Prozent auf Australien, 27 Prozent auf Indien, 24 Prozent auf Malaysia und 14 Prozent auf Indonesien entfallen. Mit geringen einstelligen Raten folgen Brunei und die VR China.

Man kann sich vorstellen, daß die gerade in Tiefseeregionen besonders sensiblen marinen Ökosysteme allein durch diese geplante Beanspruchung einem extremen Anpassungsdruck unterliegen. Ein routinemäßiger Frack-as-Frack-can im Trend dieser Wirtschaftlichkeit könnte allerdings nicht nur die Energiewirtschaft, sondern auch diesen Planeten vom Meeresgrund auf umgestalten und das Gesicht der Erde zu einer entstellten Fratze verzerren.

Anmerkungen:

[1] http://www.huffingtonpost.com/2013/08/03/offshore-fracking_n_3700574.html

[2] http://abcnews.go.com/Technology/wireStory/calif-finds-instances-offshore-fracking-20621540?singlePage=true

[3] http://articles.law360.s3.amazonaws.com/0478000/478124/CBD%20Letter%20fracking%20NEPA%202013%20_final_.pdf

[4] http://www.n-tv.de/politik/Kongress-stoppt-Oel-Bohrplaene-article434445.html

[5] http://www.schattenblick.de/infopool/natur/chemie/chula267.html
http://www.schattenblick.de/infopool/natur/chemie/chula268.html
http://www.schattenblick.de/infopool/natur/chemie/chula269.html

[6] http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/redakt/umre-142.html
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/redakt/umre-149.html

[7] a) http://www.schattenblick.de/infopool/natur/chemie/chula275.html
b) http:/www.schattenblick.de/infopool/natur/chemie/chula276.html
c) http://www.schattenblick.de/infopool/natur/chemie/chula277.html
d) http://www.schattenblick.de/infopool/natur/chemie/chula278.html

[8] http://www.allgov.com/usa/ca/news/controversies/air-force-considers-giving-oil-drillers-long-sought-access-to-california-coast-130722?news=850625

[9] http://www.focus.de/wissen/technik/tid-18332/tiefseebohrungen-die-groessten-technischen-risiken_aid_510063.html

[10] http://www.gtai.de/GTAI/Navigation/DE/Trade/maerkte,did=788386.html

5. November 2013