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UMWELTLABOR/283: Der wahre Preis - Menschenhand nicht mitgerechnet (SB)


Arbeitsbedingungen zugunsten des Produkts - am Beispiel der Cashewnuß
Oder wenn Handarbeit unter die Haut geht ...



"Gesund wie ein kleines Steak"

Von den fünf hierzulande beliebtesten Nußsorten stehen Cashewkerne in Bezug auf ihren Nährstoffgehalt und ihren Wert für die Gesundheit an zweiter Stelle, gleich hinter der Walnuß. Die tropische, nierenförmige früher auch als Caju- oder Kaschunuß bekannte Frucht des Kaschubaums (Anacardium occidentale) erfreut sich hierzulande seit dem 20. Jahrhundert immer größerer Beliebtheit und damit steigender Nachfrage gleichermaßen bei "Coachpotatos" als gesalzener Knabber-Snack neben Chips und Erdnußflips wie auch bei ernährungsbewußten Konsumenten oder solchen, die der Gesundheit zuliebe oder aus ethischen Gründen auf Fleisch, aber nicht auf Proteine verzichten wollen. Aus dem cremig-sahnigen Aroma, sowie der angenehm knackigen und gleichzeitig zahnschonenden Konstistenz ergeben sich zahllose kulinarische Einsatzmöglichkeiten. Die im 16. Jahrhundert aus Brasilien nach Mosambik und Indien eingeführten Kerne verfeinern kalte Vorspeisen, heiße Brat- oder Wokgerichte (z.B. in der asiatischen Küche), aber auch Süßspeisen und Backwerke bzw. zahlreiche Schlemmereien und Köstlichkeiten: Müslis, Salate, Desserts, Gemüse- und Fleischgerichte oder Studentenfutter.

Ihren Rang als ausgesprochen gesundes Lebensmittel erwirbt sich die Cashewnuß aufgrund ihres hohen Nähr- und Mineralstoffgehalts. 40 Gramm Cashewkerne liefern beinahe den gesamten Tagesbedarf an Kupfer sowie jeweils etwa ein Drittel des Tagesbedarfs an Phosphor-, Magnesium-, Mangan und Zink, darüber hinaus an Eisen sowie dem ebenfalls wichtigen Spurenelement Selen. Das sind Mineralien, die für Knochenbildung und Muskelaufbau, den Aufbau der Zellwände und die Bildung des Blutfarbstoffs und damit den Sauerstofftransport im Körper wichtig sind. Wie alle Nüsse gelten sie wegen ihres Vitamingehalts, vor allem des Vitamin B-Komplexes, aber auch der Vitamine K und E als lebensverlängernde Nerven- und Gehirnnahrung und sind darüber hinaus cholesterin-, laktose- und glutenfrei. Ebenfalls enthalten Cashewnüsse mehr als jedes andere Lebensmittel einen sehr hohen Anteil der essentiellen Aminosäure Tryptophan. Letztere ist für die Produktion von Serotonin essentiell wichtig. Tryptophan und Vitamin B6-Komplexe (allerdings in höherer Dosierung) werden pharmazeutisch gegen Depressionen eingesetzt.

Deswegen und wegen ihres hohen Eiweiß- und relativ geringen Fettgehalts, letzterer mit einem prozentual großen Anteil herzschonender, blutfettsenkender ungesättgter Fettsäuren, sind sie in der vegetarischen Ernährung besonders sinnvoll, weshalb sich einige Anbieter ausgerechnet für das Klientel fleischloser Kost zu dem skurrilen Slogan: "So wertvoll wie ein kleines Steak" hinreißen ließen.

Doch nicht nur das. Der zwölf Meter hohe, immergrüne Kaschubaum ist eine äußerst anspruchslose Nutz- und Kulturpflanze und hat außer Cashewkernen noch sehr viel mehr zu bieten. Über der Elefantenlaus, wie die rohe Nuß und eigentliche Frucht genannt wird, entwickelt die Pflanze aus dem Fruchtstiel eine birnenförmige Scheinfrucht, den sogenannten Cashew-Apfel, die in manchen Ländern ebenfalls geerntet und zu Marmelade, Saft, Limonade oder ähnlichem verarbeitet werden kann. Dieser Apfel hat einen säuerlich-süßen, aber durchaus apfelähnlichen Geschmack und einen sehr hohen Gehalt an Vitamin C. Da die Reife der Nuß erst nach der Reife des Apfels abgeschlossen ist, dessen biologischer Verrottungsprozeß dann bereits begonnen hat, gibt es nur ein sehr kleines Zeitfenster, um beides, Apfel-Scheinfrucht und Nuß, zu ernten und zu nutzen. Darüber hinaus sind die druckempfindlichen, leicht verderblichen Cashewfrüchte nicht lagerfähig und müssen demzufolge innerhalb von drei Stunden nach der Ernte verarbeitet werden, weshalb viele Anbauer von Cashew auf diese nachhaltige Verwendung verzichten [1] und allein in Brasilien etwa 2 Millionen Tonnen und an der Elfenbeinküste sogar 3,3 Millionen Tonnen Cashewfrüchte ungenutzt verrotten, wie sich aus den Zahlen einer rumänischen Studie zu diesem Thema ablesen läßt. [2]

Nebenbei produziert der Cashewbaum auch noch Latex und ein technisch wertvolles Cashewnußschalenöl bzw. Cashew nut shell liquid (CNSL), das zahlreiche phenolische Verbindungen enthält. Sein Holz ist sehr hart und dicht, resistent gegen Termiten und sehr widerstandsfähig gegen Verwitterung. Das Schalenöl wird ebenfalls als Schutzanstrich gegen Termitenfraß und Holzwürmer im Bootsbau, aber auch bei der Papierherstellung verwendet. Das Holz des Baumes ist ebenfalls ein begehrtes Ausgangsprodukt für den Bootsbau.

Das vielleicht am meisten begehrte Nebenprodukt der Cashewnuß-Produktion ist das vielseitig industriell nutzbare Schalenöl (CNSL), dessen hohes Potential als Chemie-Rohstoff erst vor kurzem entdeckt wurde. Laut einer Studie der FAO von 2001 gibt es allein hierfür mehr als 200 Patente für industrielle Anwendungen. Beispielsweise wird die Anacardsäure (chemisch: o-Pentadecadienylsalicylsäure), eine Hauptkomponente des Schalenöls, durch Erhitzen zu Cardanol und Cardol umgesetzt, also phenolische Verbindungen, die sich ganz allgemein wie industriell hergestellte Phenole verhalten. Cardanol dient als Ausgangsmaterial für eine Reihe von Produkten, von reibungsvermindernden Beschichtungsmaterialien für Bremsbeläge und Kupplungen bis hin zu Korrosionsbeschichtungen für die Seeschifffahrt. Bei Schiffsanstrichen erlauben sie nicht nur den Verzicht auf Lösungsmittel, sondern ermöglichen es, auch Lacke herzustellen, die in der Kälte trocknen. Damit kann man jetzt das ganze Jahr über die Schiffsanstriche erneuern. Einen weiteren Kunststoff erhält man, wenn man Cashewschalenöl mit Rizinusöl reagieren läßt. Er wird zur Versiegelung von Parkettböden verwendet, weil die Lacke sofort trocknen und elastisch sind. Zudem lassen sich aus Cardanol Phenalkamine herstellen, die als Härterkomponente für dauerhafte 2K-Epoxy Beschichtungen von Betonböden eingesetzt werden. Darüber hinaus wird CNSL an verschiedenen Stellen bei Gießereitechniken oder als säureresistente Komponente in Farben, Lacken und Emailen verwendet. Dazu kommen inzwischen unzählige Anwendungen wie die Herstellung von Polyurethan-Kunststoffen, Laminaten, Zementen, Gummi, Schmiermitteln, Tensiden, Isolatoren. Und laut FAO ist der Jahresumsatz den CNSL auf dem Weltmarkt erzielt mit 10 Millionen US-Dollar durchaus mit dem Umsatz der Cashewkerne vergleichbar. [3]

Ein Bericht der FAO macht darüber hinaus auf die vielseitige medizinische Anwendung von Rinde, Blättern, Baumharz und Latexmilch des Baumes in der regionalen Tropenmedizin aufmerksam, wobei ein Aufguß von Rinde und Blättern als Mundspülung bei Zahnschmerzen, eine Paste der Borke gegen Wurmparasiten und die Inhaltstoffe der Wurzel in der regionalen Medizin als Abführmittel eingesetzt werden. Das ätzende Schalenöl (CNSL) wird gezielt gegen Warzen und Hühneraugen angewendet, Anacardsäure wirkt bakterizid auf grampositive Bakterien wie Staphylococcus aureus und Streptococcus mutans (Kariesverursacher). Darüber hinaus nutzt man es in Tropen gegen Lepra, Elephantiasis und Psoriasis. Das Baumharz schätzt man vor Ort bei Erkältungskrankheiten zur Förderung des Abhustens, aber auch zur Abwehr von Insekten (Repellent). [3]

Trotz alledem denkt man bei Cashew zunächst an das Lebensmittel, das bei nachhaltigem Anbau und überwiegend manueller Produktion auch noch einen geringen klimaschädlichen CO2-Fußabdruck aufweist, und somit, abgesehen von einigen wenigen Konsumenten, bei denen Nüsse Unverträglichkeiten oder allergische Reaktionen hervorrufen, als "Nonplusultra unter den Nüssen" alle glücklich und zufrieden zu machen scheint: Kleinanbauer, Produzenten, Umweltschützer und Konsumenten ...


Die andere Seite der Medaille - Schwere Ernte

Den Preis dieser Zufriedenheit zahlen allerdings diejenigen, die mit der mühsamen Ernte und fachkundigen, manuellen Verarbeitung betraut sind, die - da selten auch die Früchte gepflückt werden - für einen verschwindend geringen Lohn [4] die herunterfallenden Cashewäpfel, unter dem abgefallenen Laub hervorsuchen und einsammeln müssen, die Rohnüsse von den verrottenden Früchten befreien, reinigen und trocknen. Da pro Apfel nur eine Nuß geerntet werden kann, hängt der Ertrag der Nüsse von der Ergiebigkeit eines Baumes ab, ebenso die Geschwindigkeit, mit der eine bestimmte Erntemenge eingesammelt werden kann. Liegen die Früchte auf weiter Fläche einzeln verstreut, kann ein Erntehelfer oft sehr lange mit der Suche nach Früchten verbringen. Dazu kommt, daß nur in trockenen Gebieten, in denen die Bodenbedeckung auch über Nacht nicht feucht wird, die Früchte und Nüsse unter den Bäumen liegen gelassen werden und dann mit einer Ernte eingesammelt werden können, ohne daß die Qualität leidet. Überall dort, wo die Luftfeuchtigkeit oder Bodenfeuchte Taubildung befördert, müssen die Nüsse zweimal in der Woche eingesammelt werden, was nicht besonders ökonomisch ist, da man nur selten dabei laut Angaben der FAO kaum auf den angestrebten Durchschnittswert von 50 kg Nüsse pro Tag kommen kann, entsprechend weniger noch am Anfang und Ende der Saison. Diese Art der Ernte erfordert viel Zeit, Kenntnis und Konzentration, weshalb meist "gut eingearbeitete" Kinder und Frauen dazu herangezogen werden. Neben der Ernte erfordert auch die Aufbereitung und Sortierung sehr viel Handarbeit, auch in mechanisierten oder teilmechanisierten Verfahren. Die größten Produzenten von Cashewkernen sind arme Länder, allen voran Vietnam. Indien, Brasilien, Nigeria und Tansania sind die größten Produzenten. Die kleineren westafrikanischen Staaten, Elfenbeinküste, Benin, Mali und Guinea-Bissau, haben ebenfalls den Kaschu-Anbau ausgeweitet. In Ghana ist es zudem gelungen, die Weiterverarbeitung zu fördern. Auch kleinere afrikanische Staaten südlich der Sahara wie beispielsweise Burkina Faso produzieren heute erfolgreich Cashewkerne für den Export. In Mosambik wird ein Gebiet an der Ostküste zwischen Moma, Mangpo und Murrupula als "Cashew-Triangle" bezeichnet. Ein großer Teil der Verarbeitung findet jedoch nicht vor Ort, sondern in Kleinfabriken oder Familienbetrieben in Indien statt, wohin die rohen, getrockneten "Elefantenläuse" ausgeführt werden.

In Guinea-Bissau leben Tausende von Kindern in erdrückender Armut. Viele dieser Kinder werden Opfer von Kinderhandel und kommerzieller sexueller Ausbeutung. Vielleicht scheint dagegen die Ausnutzung als Erntehelfer, Röster und Schäler, für die die Kinder jährlich vier Monate aus der Schule genommen werden, um den Eltern zu helfen, noch vertretbar. Der Anbau wurde hier künstlich durch die Regierung forciert, die Mindestpreise für Cashewkerne festlegte (Cash Crops-Prinzip) auf Kosten der Produktion anderer Grundnahrungsmittel wie Reis. Als im Jahr 2006 die Weltmarktpreise sanken, kauften die indischen Großhändler die Cashewkerne aus Guinea-Bissau nicht mehr oder zu entsprechend niedrigeren Preisen, was eine Hungerkrise in der Bevölkerung der Region zu Folge hatte.


Tödliche Verarbeitung

Während Kinder bei 10 bis 50 Cent pro Tag mühselige Arbeit verrichten, die ihnen die Jugendzeit raubt, kostet die gesundheitsgefährdende Weiterverarbeitung der Cashewnüsse Lebensjahre. Da der Ertrag der Ernte von der Qualität der Nüsse und diese von der Menge an großen und gut erhaltenen Kernen abhängt, die wiederum nur durch viel Handarbeit gewährleistet werden kann, sind in absehbarer Zeit kaum mechanische Verbesserungen der Arbeitsbedingungen zu erwarten. Die durch das ätzende Schalenöl verursachten Schäden bleiben. Dazu schrieb der Guardian 2013:

Cashew nut workers suffer 'appalling' conditions [...] Many workers earn just 30p a day and risk permanent injury, say NGOs, as they call for EU crackdown on unfair trading practices.
[Cashewkern-Verarbeiter leiden unter horrenden Arbeitsbedingungen [...] Viele erhalten gerade 40 Cent pro Tag, wobei sie bleibende Schäden riskieren, sagen Vertreter von Nichtregierungsorganisationen, die in der EU für eine Sofortaktion gegen unfaire Handelspraktiken plädieren. - Übers. d. SB-Red.] [5]

Für das Aufbrechen der steinharten Nüsse sind Übung und Fingerfertigkeit von Vorteil, wofür sich vor allem kleine Kinderhände gut eignen. Daher wird insbesondere im armen Nordosten von Brasilien, aber auch in Indien diese gesundheitsschädliche Arbeit immer noch, wenn auch illegal, von Kindern gemacht. [6] Mit jeder Cashewnuß, die man genießt, solle man sich vorstellen, wie Kinderfinger beim Brechen der Früchte und Lösen der Kerne aus den Schalen allmählich taub und gefühllos werden, hieß es auf der ILO-Konferenz 2007 in Delhi, die auch mit der Cashewverarbeitung durch Kinderarbeiter befaßte. [7]

Je nach Anbaugebiet, ob die Scheinfrüchte und die abfallenden Nußschalen weiter verwendet werden oder nicht, variiert die Vorbereitung der Nüsse und die Wahl der Werkzeuge. [3] Im wesentlichen läuft es jedoch auf das Folgende hinaus: Um den Kern herauszuholen, wird die ganze Nuß durch ein Wasserbad oder im Wasserdampf erweicht und dann wieder bis zu einer Feuchtigkeit von 9 Prozent luftgetrocknet. Auf diese Weise bleibt der Samen oder Kern elastischer und zerbröselt nicht beim Knacken. Anschließend wird die Nuß mit der Hand geknetet, mit Holzhämmern bearbeitet, geknackt oder mit anderen Hilfsmitteln wie scharfen Klingen gespalten, so daß der zarte Samen, von dem jede Nuß nur einen enthält, mit der Hand herausgenommen werden kann. Dann muß der Kern noch einmal getrocknet oder erwärmt und von der feinen Haut befreit werden, die sich dann lösen läßt. Dabei darf er nicht mit dem giftigen Schalenöl kontaminiert werden. Auch die Entfernung möglicher Verfärbungen, die bei der Bearbeitung entstanden sind, erfolgt per Hand, denn nur weiße, große und vor allem ganze Nüsse bekommen die höchste Qualitätsstufe. Das Sortieren und Abfüllen in die Verpackung ist dann der letzte Arbeitsschritt. Diese Arbeitsgänge werden in Indien, das auch rohe Cashewnüsse zur Weiterverarbeitung einführt, immer noch von Hand durchgeführt. Es gibt auch mechanische Verfahren mit einfachen Geräten, die in bäuerlichen Kooperativen selbst gebaut werden können. Dabei entsteht jedoch ein größerer Anteil an Cashew-Bruch, für den nicht mehr der volle Marktpreis erzielt werden kann. Vor dem Kontakt mit dem Schalenöl schützen solche Maschinen weniger, da sie in der Regel alle per Hand beschickt werden.

Während eines großen Teils des Prozederes kommen die Arbeiter mit dem Schalenöl in Berührung, das die Finger schwärzt, die Haut verletzt, bzw. chemisch verbrennt und die feinen Kapillarlinien oder Papillarleisten dauerhaft verätzt. Das giftige Öl ruft zudem beim Einatmen starke Irritationen und Schleimhautverätzungen hervor. Da die ganzen Hände betroffen sind, das Öl breitet sich beim Brechen der Nüsse über die Finger bis zu den Spitzen aus, haben Cashewarbeiter gewissermaßen keinen Fingerabdruck mehr, was vor allem die Analphabeten unter ihnen, in Ländern, in denen noch viele Rechtsgeschäfte mit dem Fingerabdruck besiegelt werden, geschäftsunfähig werden läßt.

Das ist jedoch noch das geringste. Die organischen und krebserregenden, aromatischen bzw. phenolischen Säuren wie die Anacardsäure dringen über die Haut auch ins den Organismus ein und können Nerven- wie Stoffwechselerkrankungen zur Folge haben. Der chemische Name läßt bereits den Verdacht aufkommen, daß hier die saure phenolische Komponente wie die horn- und proteinverändernde Salicylsäure ihre ätzenden, gerbstoffartigen und toxischen Funktionen in einem Molekül vereinen könnte. [8]

Sunita, eine indische Arbeiterin, die in einer regierungseigenen Cashew-Fabrik arbeitet und seit ihrer Kindheit über 39 Jahre lang Cashewnüsse mit den Händen bricht, leidet an unspezifischen rheumatischen Beschwerden in sämtlichen Gelenken und an Diabetes. Unter ihren Mitarbeitern gäbe es die gleichen Beschwerden. Die einzige Arbeitserleichterung in dieser Zeit sei der kürzlich erreichte, freie Zugang zur Toilette gewesen. [5] Um sich vor dem säurehaltigen Schalenöl zu schützen, benutzen die Arbeiter und Arbeiterinnen Pottasche (K2CO3), eine stark alkalische, trockene Chemikalie, mit der man in seifenlosen Zeiten Wäsche gewaschen hat. Die Substanz neutralisiert die Säure, aber ebenso den Säureschutzmantel der Haut. Darüber hinaus verseift sie auch das Hautfett, so daß die Hände rauh und rissig und damit den Stoffen des Schalenöls noch mehr ausgeliefert sind, die dann bei Kontakt durch offene Stellen eindringen können. Eine weitere Alternative sind Gummihandschuhe, für die die Arbeiter in der staatlichen Fabrik in Indien laut Guardian allerdings bezahlen müßten. Die auf Latexbasis hergestellten Schutzhandschuhe zersetzen sich jedoch unter Einfluß des kaustischen Öls bereits nach kurzer Zeit. Zudem können sich unter diesen Bedingungen leicht Allergien einstellen, die oft von einer Kreuzallergie gegen die Nüsse begleitet werden.

Überhaupt nicht erwähnt wird in diesem Zusammenhang, daß die ständige Kontamination mit den u.a. nervenschädigenden Stoffen auch das Reaktionsvermögen der Arbeiter verändert und weitere Unfälle nach sich zieht, die nicht als Arbeitsfolgen dokumentiert werden.

Das Rösten der rohen Nüsse kann die anschließende Kernentnahme ebenfalls erleichtern, wobei gleichzeitig auch das toxische Öl verbrannt wird, so daß die Weiterverarbeitung weniger gesundheitschädlich ist. Auf diese Weise wurden die Nüsse in ihren Ursprungsländern lange Zeit gewonnen, wobei nur noch die schädlichen Emissionen der verbrennenden Phenole, die einen schleimhautreizenden, schwarzen Rauch ergeben, mit entsprechendem Schutz zu vermeiden wären. Dies wird von den Produzenten jedoch aus zweierlei Gründen abgelehnt. Zum einen geht das technische Öl aus den rohen Schalenabfällen verloren, für die die chemische Industrie ein Abnehmer ist. Zum anderen werden die Kerne durch die Hitze spröder und brechen dann leichter bei den weiteren Arbeitsschritten. Außerdem geht man das Risiko ein, daß die Nüsse vorzeitig aufbrechen, innere Kerne anbrennen oder durch das Rösten beschädigt werden. Kurzum, es geht um die von westlichen Konsumentenländern so wertgeschätzte hohe Qualität des Produkts. [9]

Nun ist das Leben an sich nicht frei von Risiken. Man kann beim Waldspaziergang über eine Wurzel stolpern, am Arbeitsplatz von einem Ordner erschlagen werden und neigt daher dazu, mit dem Umstand der eigenen Ungeschicklichkeit und allgegenwärtigen Nichtkontrolle auch Arbeitsunfälle, wie die unlängst aus Fukushima berichteten Todesfälle, zu verharmlosen. Tepco und Spread News berichteten unabhängig davon, daß innerhalb weniger Tage zwei Arbeiter an verschiedenen Stellen in den havarierten Atomkraftanlagen Fukushima Daiichi und Fukushima Daini bei Außenarbeiten in voller Sicherheitsmontur tödlich abgestürzt sind. In beiden Fällen wurde von einem Unfall gesprochen und das Alter der Betroffenen betont, die schon in ihrer Lebensmitte waren, was nahelegt, daß sie nicht mehr so leistungsfähig waren, wie ein jüngerer Mensch. Nicht erwähnt wurde in diesem Zusammenhang, welche Vorschädigung die Arbeiter gerade unter diesen belastenden Arbeitsbedingungen in einer hochradioaktiv verstrahlten Umgebung hatten. Todgeschwiegen wird dabei, daß die Arbeitsbedingungen oft ganz absichtlich von den jeweiligen Unternehmen so gewählt werden, daß sie zum eigenen Nutzen und Vorteil die Anzahl genau dieser scheinbar arbeitsunspezifischen Gefahrenmomente für den Arbeitnehmer erhöhen.

In den weiteren Folgen dieser Serie sollen genau diese Zusammenhänge genauer beleuchtet werden.


Anmerkungen:

[1] http://www.biothemen.de/Qualitaet/tropen/cashew.html

[2] http://www.bioaliment.ugal.ro/revista/11/paper%2011.5.pdf

[3] http://www.anacardium.info/IMG/pdf/Small-scale_Cashew_Nut_Processing_-_FAO_2001.pdf
und
http://www.deutschlandradiokultur.de/cashewnuss-geknackt.993.de.html?dram:article_id=154432

[4] Die Verdienste der Erntearbeiter sind je nach Region sehr unterschiedlich: Laut TAZ verdienten 2008 Erntehelfer in Afrika etwa 25 Cent pro Stunde, in Pakistan sowie auch in Indien sogar nur 10 Cent. Nach Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) liegt der Lohn von Kindern für die gleiche Arbeit noch weit darunter, die teilweise wie Sklaven gehalten werden und oftmals nur zwischen 10, 14 und 50 Cent "pro Tag" erhalten, wobei ihre Arbeitstage oftmals 14 Stunden lang sind.
http://blogs.taz.de/hausmeisterblog/2008/04/22/fruechte-des-zornsund-des-widerstands/
http://www.iuf.org/wdacl/bitterharvest-e.pdf

Erwachsene Arbeiter werden bei der Cashewernte nach Menge der eingebrachten Früchte bzw. Nüsse bezahlt: Für die Ernte der Früchte erhält eine Arbeiterin in Nicaragua pro Quintal (45 Kilo) 100 Córdoba Lohn, das sind umgerechnet 5,70 Euro und entspricht dem Ertrag von drei bis vier Bäumen (bzw. 12 Cent pro Kilo).
http://www.globales-lernen.de/Nicaragua/Warenkunde/Erdnuss/cashewkerne.htm

[5] http://www.theguardian.com/global-development/2013/nov/02/cashew-nut-workers-pay-conditions-profits

[6] http://volksgruppen.orf.at/diversitaet/stories/2652294/

[7] http://gscpcr.com/downloads/Chairperson_Address_on_Child_Labour_in_Agriculture_at_ILO_Conference_on_12_June_2007_Delhi.pdf

[8] Phenole wirken sowohl lokal als auch systemisch stark toxisch; bei dermaler Exposition besitzt es eine reizende bis ätzende Wirkung auf Schleimhäute, Haut und Augen. Die Augen können Schäden in Form einer Trübung der Hornhaut, Schwellungen und Verwachsung der Lider bis zur Erblindung erleiden. Hautkontakt führt zuerst zu Hautrötung, später zu einer Weißverfärbung; längere Einwirkungszeit verursacht eine Dunkelfärbung bis zur Bildung von Nekrosen.

Phenol über die Haut resorbiert, aber auch inhalative oder orale Aufnahme ist möglich. Im menschlichen Organismus schädigt die Substanz akut Nieren, Blut, Zentralnerven- und Herz-Kreislauf-System. Bei chronischer Exposition sind auch gastrointestinale und nervale Störungen, weiterhin Schädigung von Leber, Nieren und Hautveränderungen bekannt. Bei Inhalation wurden als Vergiftungssymptome Schwindel, Kopfschmerz und Störungen der Ohren, Erbrechen, Schlaflosigkeit und Nierenreizung beschrieben. Die Aufnahme hoher Mengen führte innerhalb weniger Stunden zu massiven Nierenfunktionsstörungen bis zu akutem Nierenversagen. Orale Aufnahme bewirkt Verätzungen im Mund, Rachen, Speiseröhre und Magen; weiterhin sind Schluckstörungen und Störungen im Magen-Darm-Trakt bekannt. Die Toxizität wird auf reaktive Metaboliten des Phenols zurückgeführt, die an die DNA und andere Makromoleküle binden und dabei Brüche in den Chromosomen und mutagene Effekte auslösen können. Eine orale Dosis ab 1g kann vereinzelt für einen Menschen tödlich sein; individuell wurden aber auch wesentlich höhere Dosen überlebt. Der orale LDLo-Wert für den Menschen liegt zwischen 140 und 1400 mg/kg Körpergewicht; bei Kindern beträgt die orale minimale letale Dosis 10 mg/kg Körpergewicht.

[9] Ein Bild, wie die Elefantenlaus von den reifen Äpfeln getrennt wird:
http://topfoodfacts.com/fact-of-the-day-how-do-cashew-nuts-grow/

28. Januar 2015