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ANALYTIK/055: Nanochemie in Teststreifen legitimiert höhere Grenzwerte (SB)


Nanochemie in Teststreifen legitimiert höhere Grenzwerte


Es ist noch gar nicht so lange her, da gab es den Begriff Nano nur als eine Größenordnung für zehn hoch minus neun, d.h. für einen unvorstellbaren kleinen Bereich auf atomarer Ebene, der nicht einmal wahrgenommen werden kann.

Erst seit man mit aufwendigen Instrumenten wie die Rastertunnelmikroskopie und ihre Darstellung als Computersimulation einen Zugriff auf diesen Bereich erhalten zu haben glaubt, und Spielereien in Nanogröße wie Fußbälle, -röhrchen u. dgl. unter Chemikern groß in Mode gekommen sind, wird versucht, diesen Begriff auch als neue Qualität unter die technischen Attribute zu mogeln, nach dem Motto "was nano ist, das ist auch gut", um neue Produkte und neue Märkte zu schaffen.

Unabhängig davon, daß einige Untersuchungen gerade das Gegenteil für Umwelt und Lebewesen hervorbrachten, daß sich nämlich Nanostrukturen aus eingangs harmlosen ungiftigen Materialien wie simpler Kohlenstoff in Form von Nanobällchen oder Nanotubes zu fischtoxischen Substanzen umwandeln, versucht man in vielen Bereichen der Technik heute "Nanochemie" an den Mann zu bringen, während die weitere Erforschung möglicher Risiken dieser Technik per Dekret zur Stagnation verurteilt wurde. So war es u.a. der ehemalige Bundeskanzler Schröder, der angesichts von Fortschritt und zukünftiger wirtschaftliche Möglichkeiten ein paar Risiken für ganz angemessen hielt.

D.h. mit anderen Worten, wir wissen heute immer noch nicht, was die Zerkleinerung harmloser Grundstoffe in den Nanostrukturbereich außer den entdeckten, begrüßten und genutzten Qualitätsveränderungen so mit sich bringt. Das erinnert ein wenig an die Zeit, als man mit Röntgen- und radioaktiver Strahlung Heilungsexperimente für allem möglichen Krankheiten unternahm.

Vor diesem Hintergrund liest sich die unlängst veröffentlichte Presseinformation der Gesellschaft deutscher Chemiker über eine neue Methode, verbesserte Teststreifen zum Nachweis von Schwermetallen herzustellen, ein wenig anders. In dieser geht es eigentlich darum, Farbstoffmoleküle in Nano- d.h. in kleineren Molekülverbänden besser in einen Filterpapierstreifen hineinzubringen, als das bisher möglich war.

Vor diesem Problem stehen die Chemiker bei der Herstellung von Schnellteststreifen. Das sind die Streifen oder Stäbchen, die man in eine Probenlösung taucht, wenn man sehr schnell ein grobes Bild oder eine Abschätzung der darin vorkommenden Inhaltsstoffe braucht. Praktisch ist so ein Verfahren beispielsweise, um die Wasserqualität vor Ort oder bei Routinekontrollen einzuschätzen, wenn der Verdacht besteht, daß Schwermetalle oder Umweltgifte darin enthalten sein könnten, die zu toxisch für den Menschen sind. Entsprechend niedrig sind die gesetzlichen Grenzwerte für Trinkwasser oder Abwässer.

Teststreifen oder -stäbchen sind meist relativ preiswert, einfach anzuwenden und kommen dann im Idealfall ohne aufwendige Geräte aus. Ein Farbumschlag zeigt gewöhnlich an, ob der Stoff, für den der Teststreifen empfindlich ist, in der Probe vorkommt oder nicht und gibt gleichzeitig durch die Farbtiefe oder -intensität in etwa einen Anhaltspunkt für die Konzentration des untersuchten Stoffes.

Allerdings geben viele Teststreifenhersteller inzwischen auch schon kleine, wesentlich genauere aber teure Zusatzgeräte wie Photometer heraus, mit denen sich die Quantität wesentlich genauer aus dem Teststreifen herauslesen läßt. Man steckt den Teststreifen in eine Art Sensor und auf dem Display erscheint die in der Hardware errechnete Konzentration.

Mit dieser kombinierten Methode waren Analytiker, Prüfer und Umweltchemiker bisher ganz zufrieden. Doch die Gesellschaft deutscher Chemiker scheint da ganz anderer Ansicht zu sein. In ihrer Pressemitteilung vom 9. Januar heißt es:

... Bisher verwendete kommerzielle Teststreifen sind jedoch nicht zuverlässig und empfindlich genug. Japanische Wissenschaftler haben nun eine neue Generation von Teststreifen entwickelt, die den hohen Anforderungen Stand halten. Ihr Geheimnis sind Farbstoff- Nanokristalle, die durch simples Filtrieren auf einem Membranfilter fixiert werden.
(idw, 9. Januar 2006)

Da haben wir sie also, die Farbstoff-Nanokristalle. Der Begründung ihrer Erfinder nach ist eines der größten Probleme bei gängigen Schwermetall-Teststreifen, "daß die Reagentien ausgewaschen werden können, was ihre Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt."

Ein wirklich zufriedenstellendes Verfahren zur Farbstofffixierung gab es bisher nicht. Das Forscherteam um Toshishige M. Suzuki hat nun eine ganz einfache Methode gefunden, wie sich schwermetallspezifische Farbreagentien auf den Teststreifen so gut fixieren lassen, dass sie weder von der Probenlösung ausgewaschen noch abgerieben werden können. So gelang es ihnen, Teststreifen herzustellen, die spezifisch auf zweiwertiges Zink, Quecksilber oder Eisen ansprechen.
(idw, 9. Januar 2006)

Dafür wird allerdings zunächst das Reagenz ziemlich stark bearbeitet und man muß sich angesichts der beobachtbaren Wirkungsänderung bei vielen auf Nanoformat gebrachten Substanzen die Frage stellen, ob es so tatsächlich noch genauso reagiert (auch im Hinblick auf seinen Farbumschlag durch das Agens) wie in seinem ursprünglichen Zustand.

So ist eine seiner neuen und gefeierten Eigenschaften beispielsweise, daß es sich in dem Teststreifen dauerhaft einnistet. Geschieht dasselbe in anderen Geweben, mit denen es Kontakt haben könnte (z.B. die Haut, das Lungengewebe oder andere organische Materialien) ist diese Eigenschaft möglicherweise nicht mehr so wünschenswert.

Das Farbreagens muss zunächst in die Form von nanoskopischen Partikeln gebracht werden. Dazu wird der Farbstoff in einem organischen Lösungsmittel gelöst und unter starkem Rühren in Wasser eingespritzt. Da der Farbstoff nicht wasserlöslich ist, kristallisiert er aus - unter diesen Bedingungen als Nanokristalle, die feinst verteilt in der Lösung vorliegen. Beim Filtrieren durch eine Cellulosemembran bleiben 99.5% der Nanopartikel als feine, dichte, gleichmäßige Schicht auf der Membranoberfläche haften. Dass sich die Farbstoffmenge so genau kontrollieren lässt, ist eine wichtige Voraussetzung für Teststreifen, die reproduzierbare Ergebnisse liefern sollen.
(idw, 9. Januar 2006)

Aufgrund der gleichmäßigen Schicht des Farbreagens soll die Empfindlichkeit der Streifen sehr hoch sein. So ließen sich Zinkionen durch Eintauchen der Teststreifen bis zu einer Konzentration von 65 ppb (parts per billion = 1 Teilchen auf eine Milliarde) nachweisen. Noch niedrigere Nachweisgrenzen werden erreicht, wenn das Schwermetall angereichert wird, indem größere Mengen der Probenlösung durch die Farbreagensbeschichtete Membran filtriert werden, wobei dann offensichtlich die im Filter steckenden Nanokristalle als Fänger fungieren.

Die neue Methode zur Teststreifen-Herstellung sei auf eine Vielzahl wasserunlöslicher Farbreagentien anwendbar, so daß eine große Familie metallspezifischer Teststreifen entwickelt werden könne.

So weit so schlecht. Während hier alles daraufhinzudeuten scheint, daß der neue Test wesentlich empfindlicher ist, also schon bei kleineren Mengen anspricht, vergißt man möglicherweise, daß er aufgrund der Voraussetzung entwickelt wurde, daß bei normalen Teststreifen Reagenzien ausgewaschen werden und verloren gehen, die Ergebnisse bisher also nicht nur ungenau, sondern falsch waren.

Das Auswaschen von Reagenz hatte also bisher bei allen kalorimetrischen Untersuchungen (bei denen die Farbdichte des Reagenz als Maßstab für die Konzentration des Schadstoffs genommen wird) gleichermaßen ein nach unten abgewertetes Gesamtergebnis zur Folge. Es wurden also seit Jahren jeweils wesentlich weniger der fraglichen und toxischen Substanzen nachgewiesen, als tatsächlich vorhanden waren.

Da sich aber Standards wie Gewebe- oder Urinproben im Organismus auf die gleichen analytischen Methoden beziehen, würde das im streng logischen Nachvollzug bedeuten, daß man in jeden Fall von wesentlich höheren Werten ausgehen müßte. D.h. auch eine toxische Auswirkung müßte genaugenommen dann auf eine höhere Belastung mit dem fraglichen Agens zurückzuführen sein als bisher.

Anders gesagt wird durch die bloße Behauptung, bei den bisherigen analytischen Methoden würde etwas ausgewaschen, den offiziellen Umweltdaten-Kontrollinstitutionen quasi ohne weitere Veränderung der Umwelt eine Legitimation in die Hände gespielt, die Grenzwerte, also die Mengen an Gift, die ein Mensch ihrer Meinung nach schadlos ausgesetzt werden kann, wieder einmal heraufzusetzen.

Und in dem Niemandsland zwischen Wissen und gesetzlicher Legitimation hätten wir dann das zweifelhafte Vergnügen, je nach Meßmethode in einer plötzlich wesentlich geringer belasteten Umwelt zu leben und dennoch wie ehedem unter Atembeschwerden und Hautausschlag zu leiden.


Erstveröffentlichung am 12. Januar 2006

23. Januar 2007