Schattenblick →INFOPOOL →NATURWISSENSCHAFTEN → CHEMIE

PHARMAZIE/067: Kurioses - Bakterienkiller aus Krokodilblut (SB)


Die verzweifelte Suche nach neuen Antibiotika treibt seltsame Blüten


Die Resistenzentwicklung gegen Antibiotika schreitet, wie schon in "PHARMAZIE/66: Resistenzentwicklung - Den Ärzten gehen die Pillen aus" berichtet - berichtet, unaufhaltsam voran.

Über einen etwas skurrilen Zweig der pharmazeutischen Forschung und einen beispielhaften Ausdruck für die fieberhafte und verzweifelte Suche nach neuen Leitstrukturen, die als Ersatztherapeutika oder -antibiotika einsetzbar wären, schrieb vor einiger Zeit im Internet Michael Perry für den Pressedienst Reuters:

SYDNEY (Reuters) - Scientists in Australia's tropical north are collecting blood from crocodiles in the hope of developing a powerful antibiotic for humans, after tests showed that the reptile's immune system kills the HIV virus.

Wissenschaftler in Australiens tropischem Norden sammeln Krokodilblut mit der Hoffnung daraus ein kraftvolles Antibiotikum für Menschen zu entwickeln, nachdem Versuche gezeigt haben, daß das Immunsystem der Reptilien in der Lage ist den HI-Virus zu töten. [Übersetzung: Schattenblick-Red.]
(AP, 16. August 2005)

Danach scheint zumindest das Immunsystem der Krokodile sehr viel leistungsfähiger als das der Menschen zu sein, zumal auch der ständige Überlebenskampf der Krokodile schon beweist, wie widerstandsfähig die Tiere bezüglich lebensbedrohlicher Infektionen sind.

Allein die territorialen Kämpfe der Tiere untereinander lassen die Kämpfer oft mit tiefen Bißwunden - manchmal fehlen ganze Körperteile - zurück, die sich in der feuchtwarmen Umwelt schnell infizieren könnten.

"They tear limbs off each other and despite the fact that they live in this environment with all these microbes, they heal up very rapidly and normally almost always without infection," said U.S. scientist Mark Merchant, who has been taking crocodile blood samples in the Northern Territory.
(AP, 16. August 2005)

Daß die Tiere derartige Auseinandersetzungen meist ohne Infektionen überstehen und noch dazu ihre Wunden außerordentlich schnell heilen, war für den US-Wissenschaftler Mark Merchant ausschlaggebend, um mit dem Einsammeln von Krokodilblutproben zu beginnen.

Schon 1998 hatte man im Immunsystem von Krokodilen verschiedene Antikörper (Proteine) gefunden, die in der Lage sind, sogar Penizillin resistente Bakterien abzutöten, beispielsweise Staphylococcus aureus.

Darüber hinaus hatte man festgestellt, daß dieses Protein gleichzeitig sehr effektiv HI-Viren außer Kraft setzen konnte. Wörtlich sagte hierzu der Australische Wissenschaftler Adam Britton im Reutersinterview:

"If you take a test tube of HIV and add crocodile serum it will have a greater effect than human serum. It can kill a much greater number of HIV viral organisms," Britton said from Darwin's Crocodylus Park, a tourism park and research center.

"Wenn man ein Reagenzglas mit einer HIV infizierten Probe hat und setzt etwas Krokodilserum hinzu, hat das einen stärkeren Effekt als Human-Serum. Es tötet eine sehr viel größere Zahl an HIV Organismen", sagte Britton vom "Darwin's Corcodylus Park", einem Freizeitpark für Touristen mit angebundenem Forschungszentrum. [Übers. Schattenblick-Red.]
(AP, 16. August 2005)

Man wisse inzwischen auch, daß das Immunsystem des Krokodils anders als das Menschliche arbeitet. Im Gegensatz zu diesem attackiere es die Bakterien direkt und schon in dem Augenblick und an der Stelle, wo die Infektion den Körper trifft. Laut Britton wirke die körpereigene Abwehr des Krokodil wie ein Plastikbombe, sie hafte sich sofort an den fremden Mikroorganismus, risse ihn auseinander und ließe ihn explodieren:

"It's like putting a gun to the head of the bacteria and pulling the trigger," he said.
(AP, 16. August 2005)

Zehn Tage lang sammelten Britton und Merchant das Blut von wilden und in Gefangenschaft gehaltenen Vertretern der Spezies, von Salzwasser- und Süßwasserarten. Dazu mußten die Krokodile erst mal gefangen werden und ihre gefährlichen Kiefer fest verbunden werden. Dann entnahmen die Wissenschaftler aus der großen Hauptschlagader hinter dem Kopf die Blutproben. Abgesehen vom ersten Teil der Gefangennahme, waren die Wissenschaftler begeistert über die einfache Art der Probenentnahme:

"It's called a sinus, right behind the head, and it's very easy just to put a needle in the back of the neck and hit this sinus and then you can take a large volume of blood very simply," said Britton.
(AP, 16. August 2005)

Die Sinusvene sei schlichtweg gar nicht zu verfehlen und so reichhaltig, daß man eine Menge Blut entnehmen konnte.

Die Wissenschaftler glauben genug Krokodilblut sammeln zu können, um die starken antibiotisch wirksamen Antikörper daraus zu isolieren und daraus wiederum ein Antibiotikum zu entwickeln, das gegen gefährliche antibiotikaresistente Keime z.B. in Krankenhäusern wirksam sein wird.

Doch das ist bisher alles noch Spekulation, ebenso die möglichen zukünftigen Applikationsformen, denn die Wissenschaftler glauben, die wirksamen Strukturen der Antikörper (d.h. also die Pistolen, die den Keimen die Köpfe wegschießen) chemisch nachbauen können um oral wirksame Antibiotika daraus zu entwickeln.

Daneben träumen sie jedoch ebenso von lokal wirksamen Salben, die beispielsweise Diabetiker auf schlechtheilende Wunden auftragen können oder die bei den gegen Sekundärinfektionen besonders empfindlichen Brandwunden Linderung verschaffen.

Trotz dieser wundersamen Visionen drängt sich allerdings vor allem eine Frage auf, ob angesichts der Aggressivität des fremden Immunsystems, solche Abwehrproteine, die in der Lage sind sich an Fremdstrukturen und Zellen anzudocken und diese nur aufgrund ihrer Fremdartigkeit zum Platzen zu bringen, nicht auch artfremdes Geweben, nämliche menschliches entsprechend vernichtend angreifen. Dann würde sich aufs Neue die pharmazeutische Leitlinie "Keine Wirkung ohne Nebenwirkung" auf das möglicherweise tödlichste bestätigen.

Auch Britton und Merchant räumen ein, daß noch eine Menge Arbeit vor ihnen liegt, um den Krokodil-Bakterienkiller für den menschlichen Konsumenten anzupassen:

"There is a lot of work to be done. It may take years before we can get to the stage where we have something to market," said Britton. (AP, 16. August 2005)


Erstveröffentlichung am 9. November 2005

16. März 2007