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PHARMAZIE/081: Johanniskraut - harmlose Naturarznei wird verschreibungspflichtig (SB)


Hochdosierte Johanniskrautpräparate werden unter Rezeptpflicht gestellt

Kleine Ursache, große Wirkung - der staatliche Zugriff auf den Selbstversorger


Johanniskraut hat sich in der Naturheilkunde seit alters her in vielen Bereichen bewährt und findet auch in jüngerer Zeit immer weitere Einsatzbereiche in der Prophylaxe und Medizin. So ist seine positive Wirkung bei der Behandlung von Verbrennungen, Hautverletzungen und Neuralgien nachweislich bekannt, darüber hinaus wird schon seiner schlichten Teezubereitung eine deutliche Stimmungsaufhellung bei milden Depressionen zugeschrieben.

Letzteres machten sich die auf Naturprodukte spezialisierten Pharmahersteller zunutze, die unter dem vorgehaltenen Mäntelchen "sanfter Chemie" hochdosierte und freiverkäufliche Johanniskraut- Präparate auf den Markt brachten, die für die Therapie mittelschwerer Depressionen zugelassen sind. Dafür wurde sein fördernder Einfluß auf die Serotoninausschüttung im Gehirn, der körpereigene "Stimmungsaufheller" schlechthin, wissenschaftlich nachgewiesen.

Nun sind die Johanniskraut enthaltenden Naturprodukte seit Anfang des Monats rezeptpflichtig geworden. Das habe das Bundesministerium für Gesundheit laut der Internetseite "www.neurologen-und-psychiater-im- netz.de" so beschlossen, "weil Depressionen spätestens ab einem gewissen Schweregrad vom Facharzt diagnostiziert und behandelt werden sollten". Dem Patienten wird dabei offiziell die Fähigkeit abgesprochen, zwischen einer leichten und einer mittelschweren Depression zu unterscheiden. Er wird dadurch gezwungen, in schwereren Fällen (die er allerdings nicht zu erkennen in der Lage sein soll) den Hausarzt zu konsultieren.

Nun darf er aber weiterhin niedrig dosierte Johanniskraut-Präparate zur Behandlung leichter depressiver Verstimmungen einnehmen und erwerben, die auch künftig lediglich der Apothekenpflicht unterliegen sollen. Wird man da nicht schon bald den Beschluß des Bundesministeriums auch auf diese Präparate ausweiten müssen, um den durch Institutionen abgesicherten Zugriff auf alle depressiv veranlagten Menschen zu sichern? Schließlich muß ein Depressiver von den "erlaubten", freiverkäuflichen Arzneimitteln einfach nur größere Mengen zu sich nehmen, um die gewünschte Wirkung zu erhalten.

Für viele, deren Krankenkassen die gewünschten Naturheilmittel ohnehin nicht bezahlen, würde das einen zusätzlichen Gang zum Arzt bedeuten, somit einen finanziellen und zeitlichen Aufwand, ohne daß offensichtliche gesundheitliche Beschwerden diesen rechtfertigten. Dabei hat Johanniskraut - abgesehen von den zuvor genannten - auch schon in einigen anderen Anwendungsbereichen von sich reden gemacht, die vielleicht die aufoktroyierte Rezeptpflicht für die eigentliche Wirksubstanz eher rechtfertigen könnten.

So wurde dem darin enthaltenen Wirkstoff Hyperforin schon eine nachweislich effektive antibakterielle Wirkung zugesprochen. Bereits niedrige Konzentrationen von hochaufgereinigtem Hyperforin sollen das Wachstum verschiedener sogenannter "gram-positiver" Bakterien hemmen, d.h. bakteriostatisch wirken. Diese Gruppe "gram-positiver" Mikroorganismen reagiert auf eine bestimmte Farbreaktion, die sogenannte Gramfärbung, und wird dadurch von "gram-negativen" Bakterien unterschieden. Hyperforin erweist sich sogar gegen bestimmte resistente Bakterienstämme wirksam, deren Ausbreitung im Körper durch Penicillin und andere Antibiotika nicht mehr zu stoppen ist. Zwar kann ein bakteriostatisches Mittel Antibiotika nicht voll ersetzen, weil es Mikroorgnismen nicht vollständig vernichtet, doch angesichts zunehmender Resistenzen greift die Medizin immer häufiger zu solchen "Strohhalmen", deren Einsatzmöglichkeit dann aber auch gesichert sein sollte. Anders gesagt, erhält man sich durch die ausgesprochene Rezeptpflicht auch eine Kontrolle über mögliche neue Resistenzbildungen durch die unkontrollierte Selbstmedikamentation. Doch davon ist in den offiziellen Mitteilungen nicht die Rede.

Daneben war Johanniskraut auch von einigen Wissenschaftlern im Zusammenhang mit der Krebsprophylaxe ins Gespräch gebracht worden, die wiederum auf andere sekundäre Inhaltsstoffe des Krautes beruhen sollen.

Nun muß man wissen, daß die Hauptbestandteile des als Naturheilmittel verwendeten Johanniskrautextraktes vor allem Polyphenole wie Hypericin und Hyperforin sind oder auch das Flavonoid Quercetin (das im übrigen auch in Äpfeln, sowie vielen anderen Pflanzen und Gemüsen enthalten ist). Polyphenole und Flavonoide gehören zu einer großen Familie von Verbindungen, die vor allem als Gerb- und als Farbstoffe in der Vegetation vorkommen. Sie sind bekannt dafür, sich besonders leicht mit Sauerstoff zu verbinden, weshalb sie u.a. schon als "Radikalenfänger" bezeichnet wurden und für besonders gesund und krebsvorbeugend gehalten werden. Denn die aggressiven Sauerstoffradikale gelten derzeit als Gefahrenpotenial Nr. 1 im normalen, alltäglichen und vor allem für den Laien wie den Mediziner vollkommen undurchschaubaren Krebsentstehungsgeschehen, aber auch bei allen anderen unerklärlichen Alterungs- und Abnutzungsprozessen.

Die Gefahr, die von Radikalen ausgeht, wird selten in Frage gestellt, weil sie per Definition von ungeheurer Aggressivität sein sollen (aggressiv = gefährlich) und so schnell reagieren, daß man sie analytisch nicht fassen kann. Letzteres macht allerdings auch schon jeden Versuch eines Be- oder Nachweises hinfällig, womit sich auch schon ihr gesamter, rein hypothetischer Charakter erschließt.

Da die Rolle des Radikals im Krebsgeschehen somit völlig ungeklärt und letztlich unhaltbar ist, erübrigt sich auch jede weitere Spekulation über sogenannte Radikalenfänger oder Antioxidantien. Daß die gleichen Stoffe Sauerstoff fangen und somit an vielen Stellen die frühzeitige Oxidation, z.B. das Ranzigwerden von Fetten und fetten Ölen, verhindern, sei davon unbenommen.


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Nun haben Wissenschaftler der Berliner Charité schon 2005 herausgefunden, daß die gleichen Strukturen sich auf ein bestimmtes Enzym stark hemmend auswirken, welches eine zentrale Rolle bei der Aktivierung von Vorstufen krebserregender Stoffe und Umweltgifte haben soll, indem sie es für ihren eigenen bevorzugten Abbau schlicht besetzen.

Dasselbe Enzym wird aber auch bei der Weiterverarbeitung mancher Medikamente im Körper aktiv. Dadurch kann das harmlose Johanniskraut für Patienten, die beispielsweise von der Einnahme des AIDS- Medikaments Indinavir abhängig sind, lebensgefährlich werden.

Hier sorgen Polyphenole und Flavonoide quasi dafür, daß Indinavir so schnell abgebaut wird, daß der wirksame und notwendige Blutspiegel nicht mehr erreicht wird - der Therapieerfolg wird damit fraglich.

Auch für Patienten, die nach einer Organtransplantation nicht ohne Immunsuppressiva u.a. aufeinander abgestimmte Medikamente überlebensfähig wären, könnte sich die vermeintlich harmlose Naturarznei als kontraproduktiv erweisen. Eine der wichtigsten Komponenten des notwendigen Arzneicocktails, das Ciclosporin, verträgt sich nämlich überhaupt nicht mit der gleichzeitigen Einnahme von Johanniskraut.

Tatsächlich konnte bei Patienten, die nach einer Herztransplantation teilweise auf eigene Faust oder sogar auf Anraten ihres Therapeuten mit der Einnahme von Johanniskraut-Extrakten begonnen hatten, nach wenigen Wochen Symptome einer akuten Abstoßungsreaktion festgestellt werden. Die Konzentration an Ciclosporin war unter die therapeutisch wirksame Grenze abgesunken. Glücklicherweise ließ sich der Effekt nach Absetzen des Johanniskrautpräparates wieder umkehren.

Eine der für die Begründung der Rezeptpflicht hinzugezogenen Argumente ist widersprüchlicherweise jedoch die verstärkte Enzymproduktion in der Leber, die offensichtlich ebenfalls von Inhaltsstoffen des Johanniskrautes gefördert wird:

Patienten sollten bei der Einnahme von Johanniskraut generell einige Vorsichtsmaßnahmen beachten, denn der Pflanzen-Extrakt fördert die Produktion von Leberenzymen, die zahlreiche Medikamente abbauen. Zu diesen Medikamenten gehören niedrig dosierte Anti-Baby- Pillen, die ihre Wirkung verlieren können, und Blutfett-Senker. Auch Blutgerinnungshemmer, Beruhigungsmittel und Medikamente, die die Immunantwort unterdrücken, können in ihrer Wirkung beeinflusst werden.
(via www.neurologen-und-psychiater-im-netz.de, 1. April 2009)

Wenn also die Wirksamkeit von Naturheilprodukten u.a. im Ärzteblatt wegen ihrer geringen Nebenwirkungen gelobt wird ...

"Andererseits ist nachgewiesen, daß einige Phytopharmaka im direkten Vergleich mit etwa ebenso wirksamen Synthetika bezüglich ihres Nebenwirkungsprofils deutlich besser abschneiden. Derartiges ist zum Beispiel gut belegt für Johanniskraut (Hypericum) und das pflanzliche Kombinationspräparat Bronchipret."
(Quelle: Deutsches Ärzteblatt, Heft 48/99, Rubrik: MEDIZIN S. A-3107-3109)

... dann hat man sich hier offensichtlich doch sehr geirrt. Einhergehend mit dem großen Wirkungsspektrum muß sich das Naturprodukt den Vergleich zu vollsynthetischen Pharmaka gefallen lassen, und dort heißt es bekanntlich nach einer alten pharmazeutischen Gesetzmäßigkeit: "Keine Wirkungen ohne Nebenwirkungen!"

Allenthalben lassen sich diese noch verstärken: Wird nämlich Johanniskraut-Extrakt zusammen mit bestimmten Klassen von Antidepressiva eingenommen, kann sich laut jenes Berichts auf der Internetseite "www.neurologen-und-psychiater-im-netz.de" darüber hinaus ein sogenanntes Serotonin-Syndrom einstellen, das durch den Überschuß des u.a. auch als Glückshormon bezeichneten Botenstoffs Serotonin entstehen soll. Verschiedene Beschwerden wie Übelkeit, Kopfschmerzen, Krämpfe bis hin zu Unruhezuständen und Wahnvorstellungen wären die Folge. Wobei nicht gesagt wird, ob Johanniskraut die Wirkungen des Antidepressivums verstärkt oder vice versa.

Festhalten läßt sich hier letztlich nur, daß das Naturprodukt nach vielen Jahrzehnten beschwerdefreier Selbstmedikation erst in unserem Zeitalter stark wirksamer Medikamente, mit deren Einnahme (z.B. hormonelle Antikontrazeptiva (besser bekannt als "Pille"), Antidepressiva (Ritalin für Schulkinder) uvam.) schon im jugendlichen Alter begonnen wird, in diesem negativen Sinne von sich reden macht. Mit anderen Worten, jeder, der in solchen gefährlichen Kombinationen Johanniskraut einnimmt, steht ohnehin unter ärztlicher Kontrolle. Man kann also nur eine weitere allgemeine Verstärkung des Zugriffs staatlicher Kontrollorgane auf das Individuum vermuten, wenn scheinbar wohlwollend geraten wird:

In jedem Fall sollten Sie also Ihren Arzt informieren, wenn Sie Johanniskraut-Präparate einnehmen."
(via www.neurologen-und-psychiater-im-netz.de, 1. April 2009)

2. April 2009