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PHARMAZIE/084: Wer schön sein will, muß sterben - zumindest faserweise (SB)


"Augen zu" bei riskanten Botulinumtoxin-Injektionen


Jedes Jahr stirbt in Deutschland eine Handvoll Menschen beim Fettabsaugen; Nasenverkleinerungen hinterlassen mitunter häßliche Narben und Silikoneinlagen führen zu Entzündungen in der Brust. Zudem darf sich immer noch jeder Arzt Schönheitschirurg nennen, ohne dafür eine besondere Qualifikation zu besitzen. Dabei sind gerade Erfahrung und Ausbildung des Chirurgen ausschlaggebend für das Ergebnis.

Dennoch boomt die Schönheitschirurgie: Falteneingriffe haben laut einer Schätzung der Süddeutschen Zeitung (August 2002) in den vorausgegangenen zehn Jahren um den Faktor 50 zugenommen, ästhetische Operationen um den Faktor 10. Warum gehen Menschen dieses teilweise hohe Risiko ein?

Laut einer Allensbach-Umfrage aus dem Jahr 2001 hängt die Selbstsicherheit von Frauen zu 72 Prozent davon ab, ob sie gut aussehen. Und um dies zu erreichen, werden die verwendeten Methoden, Mittel oder Tinkturen nur selten wirklich hinterfragt. Beim anvisierten Schönheitsideal orientieren sich immer mehr Menschen an faltenfreien Gesichtern und schlanken Körpern. Und da die Vorbilder aus den Computermedien bzw. der Film- und Fernsehindustrie durch phototechnische Möglichkeiten, Animation und dgl. immer makelloser, glatter, schlanker und perfekter werden, schrecken immer weniger Frauen und Männer vor drastischen und sogar tödlichen Methoden zurück, diesen Kunstobjekten mit ihren eigenen Körpern nachzueifern. Und zu welch drastischen Maßnahmen selbst diese Leitfiguren greifen, läßt sich in den Glamourmagazinen nachlesen, in denen man die Qualen der Stars um jede herausgesägte Rippe für die jugendliche Wespentaile hautnah verfolgen kann.

Ein scheinbar harmloses Beispiel sind die sogenannten Botox-Parties, mit denen sich einige Dermatologen offenbar ihr Honorar aufbessern. In entspannter Party-Atmosphäre der HighSociety bei Shrimpshäppchen und Champagner operiert der Arzt im Nebenzimmer, am Fließband quasi, einen Gast nach dem anderen. Als Beispiel wurde in der Süddeutschen Zeitung der Dermatologe Georg M. vorgestellt. Bei ihm bekomme jeder Patient eine individuelle Beratung, bei der Botox-Party selbst aber nehme er zehn Jugendhungrige auf einmal dran - für 500 Euro pro Nase, "alles inklusive".

Das ist möglich, denn der Arzt muß hier "nur" Injektionen an den richtigen Stellen ansetzen. Der hierbei verwendete Injektionsstoff, der bei der Faltentherapie in bestimmte Gesichtsmuskeln gespritzt wird, ist in Deutschland, anders als in den USA, gar nicht für diesen therapeutischen Zweck zugelassen. Die Dermatologen, die sich hier jenseits der Legalität am Jugendhunger ihrer Patienten bereichern, sichern sich jedoch ab, indem sie ihre Patienten einen Vertrag unterschreiben lassen. Ohne diesen zusätzlichen finanziellen Ausgleich, klagte M. gegenüber der SZ, könne er mit seiner Kassenpraxis heute nicht mehr überleben.

Die Botox-Therapie gehört unbedingt in die Hand eines Facharztes, der genau über Nebenwirkungen informiert, immerhin handelt es sich bei den fraglichen Injektionen um niedrig dosiertes Botulinumtoxin, das wohl stärkste bekannte Gift der Welt. Ein Gramm reicht aus, um eine Millionen Menschen zu töten.

Dennoch schrecken viele nicht davor zurück. Sie vertrauen darauf, daß das Gift bei der Behandlung von Falten in extrem niedriger Dosis eingesetzt wird, selbst wenn die Behandlung in einem Friseursalon stattfindet.

Unter die Haut gespritzt blockiert das Eiweiß die Übertragung von Botenstoffen und setzt so die mimischen Muskeln außer Gefecht: Augenbrauen können sich nicht mehr zornig zusammenziehen, der Stirn bleibt jedes Runzeln versagt, das Gesicht ist an manchen Stellen praktisch "maskenhaft" gelähmt. Ob das wirklich schöner ist, als Lachfältchen und Krähenfüße, ist durchaus fraglich. Glatter und entspannter wirken die Gesichtszüge danach schon.

Die geringen Mengen können die Behandelten zwar nicht töten. Falsch plaziert aber sind schiefe Augenbrauen und häßliche Triefaugen durchaus mögliche Folgen. "Spock-eye" nennt M. das makabre Mißgeschick, wenn das Toxin in den Lidheber-Muskel tropft, der dann unbeweglich bleibt, so daß der Patient nur noch eine Braue heben kann - für die Betroffenen alles andere als "faszinierend"!

Wenig ästhetisch ist auch die Herkunft des Giftes. Am wohlsten fühlen sich die Bakterien, die es produzieren, nämlich in vergammelten Würstchen und ballonierten Konservendosen: Clostridium botulinum bildet unter diesen Bedingungen sein tödliches Gift. Wer verdorbene Konserven zu sich nimmt, in denen Clostridien sind, bekommt eine schwere Lebensmittelvergiftung; die Augen schielen, der Magen entleert sich, sämtliche Muskeln erschlaffen. Bei neun von zehn Opfern hebt sich nach einer Weile aber auch das Zwerchfell nicht mehr, und das Herz hört auf zu schlagen.

Die tödliche Wirkung des Botulinumtoxins kennen Ärzte seit 1735. Inzwischen wird es aber neben den oben erwähnten Schönheitskorrekturen auch als Heilmittel verwendet und als solches ist es in Deutschland pharmazeutisch zugelassen.

So soll das Toxin einen sogenannten Schiefhals gerade biegen, Spannungskopfschmerzen vertreiben oder Lidkrämpfe lösen können. Neuerdings soll es sogar Menschen nach einem Schlaganfall helfen, deren Muskeln gelähmt sind. Ärzte spritzten den Betroffenen das Gift in die starren Hände und Finger. Sechs Wochen später konnten 80 Prozent der 126 Behandelten ihre Glieder besser bewegen, als die Vergleichspatienten ohne Botox.

Auch eine tröpfelnde Blase (Inkontinenz) kann Botox offenbar vorübergehend zum Stillstand bringen, wie das Magazin New Scientist berichtet: Forscher der Universität Pittsburgh injizierten Patienten mit Multipler Sklerose oder Querschnittslähmung das Gift in die Blase. Nach sieben Tagen linderte es die Beschwerden, da der Muskel ausgeschaltet wurde, der das Tröpfeln verursachte. Die lähmende Wirkung von Botox machen sich auch Hautärzte zu Nutze, die überaktiven Schweißdrüsen den Saft abdrehen wollen: Unter die Achseln gespritzt, erlahmen die Drüsenmuskeln, der Schweiß kann nicht mehr ausgepreßt werden. Die Liste weiterer Anwendungen reicht von zitternden Händen bei Parkinson über Funktionsstörungen der Speiseröhre bis hin zu Geschwüren im Analkanal.

Die Wirkung läßt meist nach drei bis sechs Monaten nach. Das gilt auch für die Antifaltenbehandlung. Der Patient verlangt nach einer neuen Giftkur. "Beliebig oft könne diese Prozedur wiederholt werden, versichern die Experten, Spätfolgen seien bislang nicht bekannt." Verläßliche Studien hierzu fehlen allerdings.

Der bereits erwähnte Faltenexperte M. hat hierzu allerdings eigene Erfahrungen. Seiner Ansicht nach seien nur vier oder fünf Anwendungen nötig. Dann hätten die inaktivierten Muskeln ohnehin ihre Kraft verloren und nur ein spezielles und intensives Training könne sie in die alte Form und die Runzeln zurückbringen. Daß aber stillgelegtes Körpergewebe gemeinhin unterversorgt und somit letztlich tot ist, auch wenn dieser Vorgang nur langsam, faserweise, voranschreitet und zunächst nicht erkennbar ist, will sich - angesichts des profitablen Jugendversprechens - wohl keiner wirklich klarmachen.

Erstveröffentlichung 2003
neue, aktualisierte Fassung

4. November 2009