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FORSCHUNG/154: Sauber bleiben - Hochleistungs-Plasmen für ITER (idw)


Max-Planck-Institut für Plasmaphysik - 03.03.2010

Sauber bleiben - Hochleistungs-Plasmen für ITER


Die Fusionsanlage ASDEX Upgrade im Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP) in Garching ist die weltweit einzige Anlage, die mit einem vollständig mit dem Metall Wolfram bedeckten Gefäß experimentieren kann. Jetzt konnte gezeigt werden, dass die Vorteile dieser Wolfram-Wand auch in den Hochleistungsplasmen realisierbar sind, mit denen der Testreaktor ITER arbeiten soll - ein vielversprechendes Ergebnis für den ITER-Betrieb, da ASDEX Upgrade bezüglich wichtiger Vergleichsgrößen dichter als alle anderen Anlagen an ITER herankommt.

Forschungsziel des IPP ist die Entwicklung eines Kraftwerks, das - ähnlich wie die Sonne - aus der Verschmelzung von Atomkernen Energie gewinnt. Die Machbarkeit soll mit 500 Megawatt Fusionsleistung der internationale Experimentalreaktor ITER (lat.: der Weg) zeigen, der zurzeit in weltweiter Zusammenarbeit in Cadarache/Südfrankreich entsteht. Hier muss es gelingen, den Brennstoff - ein dünnes ionisiertes Wasserstoffgas, ein "Plasma" - berührungsfrei in einem Magnetfeldkäfig einzuschließen und auf Zündtemperaturen über 100 Millionen Grad aufzuheizen.

Eine der großen Herausforderungen ist es, eine verträgliche Wechselwirkung zwischen dem Plasmagefäß und dem darin schwebenden heißen Plasma zu erreichen. Im IPP setzt man auf eine Gefäßwand aus Wolfram, dem Metall mit dem höchsten Schmelzpunkt (siehe IPP-Info 11/2007). Die Garchinger Fusionsanlage ASDEX Upgrade ist die einzige weltweit, die mit einem vollständig mit Wolfram bedeckten Gefäß arbeitet. Nach zweijährigem Experimentieren ist es nun gelungen, die erwarteten Vorteile der Wolfram-Wand zu bestätigen. Zugleich konnte man zeigen, dass sie mit den für ITER gewünschten günstigen Plasmazuständen - zum Beispiel mit dem im IPP entwickelten "High Confinement-Regime" - vereinbar ist.


Saubere Plasmen

Zunächst war zu zeigen, dass mit der neuen Wolfram-Wand saubere Plasmen erreichbar sind. Energiereiche Plasmateilchen können nämlich Atome aus der Wand herausschlagen, die dann in das Plasma eindringen und es verunreinigen. Anders als der leichte Wasserstoff sind die schweren Atome aus der Wand auch bei den hohen Fusionstemperaturen nicht vollständig ionisiert. Je mehr Elektronen noch an die Atomkerne gebunden sind, desto mehr Energie entziehen sie dem Plasma und strahlen sie als Ultraviolett- oder Röntgenlicht wieder ab. Auf diese Weise kühlen sie das Plasma ab, verdünnen es und verringern die Fusionsausbeute.

Die Wissenschaftler an ASDEX Upgrade konnten nun zeigen, dass bei richtig geführter Entladung kaum Wolfram-Teilchen aus der Wand in das Plasmazentrum vordringen. Im Gegenteil: Die mit der neuen Wand erzielbaren sauberen Plasmen können bei hoher Heizleistung zu einer zu starken Belastung einzelner Wandbereiche führen. Insbesondere der "Divertor" - speziell ausgerüstete Prallplatten am Boden des Gefäßes, auf welche die Plasma-Randschicht magnetisch hingelenkt wird - könnte dann beschädigt werden.


Gut isolierte, stabile Plasmen

Um dem entgegenzuwirken, nutzte man eine bekannte Technik: Damit nicht die gesamte Energie in Form von schnellen Plasmateilchen auf die Divertorplatten einschlägt, wurden in die Randschicht des Plasmas gezielt Verunreinigungen eingeblasen. Durch den Kontakt mit dem heißen Plasma werden sie zum Leuchten angeregt und schaffen so die Energie auf sanfte Weise und über die Gefäßwand verteilt als Ultraviolett- oder Röntgenlicht aus dem Plasma. Anders als im heißen Plasmazentrum, wo diese abkühlende Wirkung vermieden werden muss, ist sie am Rand des Plasmas sehr nützlich: Bevor die schnellen Plasmateilchen auf den Divertorplatten ankommen, haben sie ihre Energie bereits an die Verunreinigungsatome verloren. Entgegen früherer Erfahrungen erwies sich in Kombination mit der Wolfram-Wand insbesondere Stickstoff als taugliches Verunreinigungsmaterial.

Mit seiner Hilfe ließen sich über alle Erwartung gute Plasmazustände erreichen: Trotz sehr hoher Heizleistung von 20 Megawatt sank die Belastung der Divertorplatten dank der Stickstoff-Kühlung auf ein verträgliches Niveau. Im Zentrum wiesen die Plasmen hohe Reinheit und gute Wärmeisolation auf. Der Energieinhalt der Plasmen war einer der höchsten, der je in der Anlage erreicht wurde. Damit sind alle ITER-Anforderungen vorbildlich erfüllt. Dies ist umso erfreulicher, als ASDEX Upgrade bezüglich der hierfür wichtigsten Vergleichsgröße - die auf den Plasmaradius bezogene Heizleistung - dichter als alle anderen Anlagen weltweit an ITER herankommt.

Sogar die gefürchteten ELM-Instabilitäten verloren in den Stickstoff-gekühlten Plasmen ihren Schrecken: Diese Edge Localized Modes sind Rand-Instabilitäten des Plasmas. Sie wirken besonders belastend für den Divertor, weil sie Plasmateilchen und -energien gebündelt und schlagartig auf die Platten werfen. Für den großen ITER sind sie eine erhebliche Herausforderung. Andererseits sorgen die ELMs auch für das Ausschleudern von Verunreinigungen aus dem Plasma. Statt der üblichen starken ELM-Einschläge wünscht man sich deshalb schwächere und dafür häufigere ELMs. Genau dies ist in den Stickstoff- gekühlten Plasmen festzustellen.


Weitere Pläne

Da noch nicht gesichert ist, dass sich das Verfahren auf größere Anlagen wie ITER oder ein künftiges Fusionskraftwerk übertragen lässt, sollen an ASDEX Upgrade auch andere Methoden der ELM-Kontrolle untersucht werden: Zurzeit werden zusätzliche magnetische Kontrollspulen in das Plasmagefäß eingebaut. Ab August will man mit ihrer Hilfe die ELMs auf magnetische Weise bändigen. Bis 2012 sollen insgesamt 24 Kontrollspulen eingebaut werden - ein System, wie es ganz ähnlich auch für ITER vorgesehen ist.

Weitere Informationen unter:
http://www.ipp.mpg.de

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution49


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Max-Planck-Institut für Plasmaphysik, Isabella Milch, 03.03.2010
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. März 2010