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FORSCHUNG/167: Nanopartikel - der Wolf im Schafspelz? (wissen leben - WWU Münster)


wissen leben - Nr. 7, 15. Dezember 2010

Die Zeitung der WWU Münster

Der Wolf im Schafspelz?

WWU-Arbeitsgruppen erforschen, wie gefährlich Nanopartikel sind

Von Christina Heimken


Sie kommen in Ketchup, Hautcremes oder Sportsocken vor: Nanopartikel. Viele der Substanzen sind nicht neu. Beispielsweise werden Titandioxide seit Langem in Sonnencremes eingesetzt, da sie UV-Strahlung reflektieren und so die Haut schützen. In vielen Produkten werden solche Partikel jedoch zunehmend kleiner, bis sie Nano-Dimensionen erreichen und nur noch wenige millionstel Millimeter groß sind - und unter Umständen tief in den Körper eindringen können. Daher wird die Frage nach einer Gesundheitsgefährdung durch Nanopartikel immer dringlicher.

Antworten geben soll das bundesweite Projekt "Nanostrukturierte Materialen - Gesundheit, Exposition und Materialeigenschaften" (NanoGEM). An dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Forschungsvorhaben sind zwei Arbeitsgruppen der Universität Münster beteiligt, darunter das Team von Dr. Jürgen Schnekenburger von der Medizinischen Fakultät. Der Wissenschaftler veranschaulicht, wie die in kommerziellen Produkten eingesetzten Nanopartikel aufgebaut sind: "Es ist ähnlich wie bei Florentiner-Keksen: Je mehr Mandelsplitter zusammenkleben, desto größer werden die Kekse. Ähnlich ist es mit Nanopartikeln - die einzelnen Partikel bilden Aggregate unterschiedlicher Größe", erklärt er.

Diese "Klümpchen" erreichen heute durch moderne Produktionsmethoden häufiger Nanogröße. Damit verändern sich ihre Eigenschaften. Ein Beispiel: Eingecremt mit Titandioxid-haltiger Sonnencreme, wirkt die Haut kreideweiß. Dieser Effekt verschwindet, wenn die Titandioxid-Partikel nur wenige Nanometer messen. "Ein und dieselbe Substanz kann unterschiedliche Auswirkungen haben, je nachdem, wie groß die einzelnen Partikel sind", betont Prof. Dr. Hans-Joachim Galla, der mit seiner Arbeitsgruppe am Institut für Biochemie ebenfalls an NanoGEM beteiligt ist.


Wussten Sie schon, dass

* Nanopartikel zwischen einem (1 Millionstel Millimeter) und 100 Nanometer groß sind?
* ein menschliches Kopfhaar etwa 40.000 Nanometer dick ist?
* die etwa 140 Quadratmeter grosse Respirationsfläche der Lunge als wichtigstes Einfallstor für Nanopartikel gilt?


Nanopartikel sind Verwandlungskünstler. Warum, das offenbart ein Blick in die Labore von Hans-Joachim Galla. Hoch auflösende Mikroskope dort zeigen: Nanopartikel "verkleiden" sich. Gelangt ein Nanopartikel über die Atemluft in die Lunge, gerät es in Kontakt mit dem Film aus Proteinen und Lipiden, der die Lunge auskleidet. Abhängig von seinen Eigenschaften heften sich verschiedene Moleküle aus diesem Film an die Oberfläche des Partikels. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass sich durch diesen Prozess die Eigenschaften von Nanoteilchen ändern können. Die Frage ist: Bleibt das Partikel im neuen Gewand harmlos, oder wird es zum Wolf im Schafspelz?

Die Liste der Fragen wird länger, je genauer man hinschaut. "Was passiert, wenn die Teilchen in das Körpergewebe oder in die Blutbahn gelangen?", fragt Chemiker Hans-Joachim Galla. Die Forscher vermuten, dass sich die Partikel mehrfach "umziehen", wenn sie mit neuen Proteinen oder Lipiden in Kontakt kommen. Um das Gefahrenpotenzial von Nanoteilchen zu beurteilen, müssen die Forscher nachvollziehen, welchen Weg die Teilchen durch den Körper nehmen, welche Gewänder sie dort überstreifen und welche Wirkung diese "verkleideten" Partikel haben.

"Der Überzug ist ausschlaggebend für die Interaktion mit den Zellen im Körper", erklärt Biochemiker Jürgen Schnekenburger. Proteine auf der Zelloberfläche haben im Körper häufig Signalwirkungen. Auf diesem Weg unterscheiden Zellen beispielsweise "Freund" von "Feind" - also körpereigene Zellen von krankheitserregenden Bakterienzellen. Das Team von Jürgen Schnekenburger untersucht unter anderem, ob Moleküle auf der Oberfläche von Nanopartikeln eine ähnliche Signalwirkung haben wie auf der Oberfläche von Krankheitserregern - und ob sie eine vergleichbare Reaktion der Zellen auslösen. Das kann eine Entzündung sein, aber auch ein Absterben der Zelle bedeuten. Die Forscher wollen herausfinden, was dabei im Inneren der Zellen geschieht.

"Wir werden noch etliche Jahre beschäftigt sein, um das Gefahrenpotenzial von Nanoteilchen auszuloten und die Partikeleigenschaften zu identifizieren, die unerwünschte Reaktionen im Körper hervorrufen", beschreibt Hans-Joachim Galla die Sisyphusarbeit, die vor den Forschern liegt. Das NanoGEM-Konsortium, an dem Partner aus universitären und privaten Forschungseinrichtungen, Industrie und Behörden beteiligt sind, soll mit vereinten Kräften Antworten liefern. Bis alle Fragen geklärt sind, müssen die Kunden entscheiden, ob sie "Anti-Stink-Socken" mit Nanopartikeln aus Silber tragen oder Ketchup essen wollen, der dank winzigster Siliziumdioxid-Partikel nicht in einem Schwall aus der Flasche kleckert.


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Quelle:
wissen leben - Die Zeitung der WWU Münster, Nr. 7, 15. Dezember 2010, S. 5
Herausgeberin:
Die Rektorin der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster
Redaktion: Brigitte Nussbaum (verantw.)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Januar 2011