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FRAGEN/003: Großräumige Starkniederschläge im Klimawandel Mitteleuropas (Uni Augsburg)


Universität Augsburg - Pressemitteilung vom 17.09.2015

Großräumige Starkniederschläge im Klimawandel Mitteleuropas

Antworten auf die Frage, womit wir in Sachen extremer Gebietsniederschläge in den kommenden Jahrzehnten zu rechnen haben, geben Wiener und Augsburger Klimaforscher mit den Ergebnissen ihres gemeinsam bearbeiteten Projekts WETRAX.


Augsburg/KPP - WETRAX steht für "Weather Patterns, CycloneTracks and related precipitation Extremes" - für ein deutsch-österreichisches Kooperationsprojekt, das die Veränderung von großräumigen Starkniederschlägen unter den Bedingungen des Klimawandels für den Zeitraum von 1951 bis 2100 untersucht hat. Über die Ergebnisse des Projekts sprach der UniPressedienst mit dem Wiener Projektleiter Magister Michael Hofstätter und mit Prof. Dr. Jucundus Jacobeit. Der Inhaber des Lehrstuhls für Physische Geographie und Quantitative Methoden zeichnete an der Universität Augsburg für das in Kooperation mit der federführenden Wiener Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik bearbeitete WETRAX-Projekt verantwortlich.


UPD: Was haben Sie, Herr Jacobeit, und Ihre Wiener Kolleginnen und Kollegen denn konkret untersucht und welche Aus- bzw. Vorhersagen erlauben die Ergebnisse Ihrer WETRAX-Forschungen?

Jacobeit: Untersucht haben wir die tatsächliche Veränderung und voraussichtliche Entwicklung von großräumigen Starkniederschlägen für den Zeitraum 1951 bis 2100. Konzentriert haben wir uns auf Niederschläge, die das Potential zu großräumigen, extremen Flusshochwassern wie z. B. im August 2002 oder im Mai 2013 an Donau und Elbe haben. Das Untersuchungsgebiet umfasste Süddeutschland, Österreich und angrenzende Teile der Schweiz sowie Tschechiens. Kleinräumige, konvektive Niederschläge, die nur in Einzelfällen substanziell zu extremen Niederschlägen in einer gesamten Region beitragen, haben wir explizit nicht untersucht.

Mit unserem innovativen Ansatz haben wir starkniederschlagsrelevante Muster der atmosphärischen Zirkulation nach zwei verschiedenen Vorgehensweisen bestimmt und ausgewertet. Diese Muster umfassen einerseits großräumige Zirkulationstypen - gemeinhin "Wetterlagen" genannt - und andererseits Zugbahnen von Tiefdruckgebieten. Wir konnten zeigen, dass viele großräumige Starkniederschläge in Mitteleuropa mit nur einigen wenigen Zugbahnen und Zirkulationstypen erklärt werden können. Das bedeutendste Muster dabei ist ein persistentes Höhentief über dem Alpenraum in Verbindung mit einem Bodentief, das sich von Oberitalien aus in Richtung Polen verlagert und große Wassermengen aus dem Mittelmeerraum auf den Kontinent transportiert.

Wir meinen, dass wir mit diesen Erkenntnissen dazu beitragen, hochwasserrelevante atmosphärische Vorgänge besser verstehen und Entscheidungsträger im Hochwassermanagement mit belastbaren Fakten bei der Entwicklung von Klimawandelanpassungsstrategien unterstützen zu können.

UPD: Herr Hofstätter, der Untersuchungszeitraum der WETRAX-Studie reicht bis 2100. Welche Änderungen sind in den kommenden Jahrzehnten zu erwarten?

Hofstätter: Die Auftrittshäufigkeit von starkniederschlagsrelevanten Zugbahnen und Zirkulationstypen hat sich in den letzten Jahrzehnten statistisch kaum signifikant verändert. Nur ein Zugbahntyp, der für Osteuropa von Bedeutung ist, zeigt eine deutliche und signifikante Zunahme.

Insgesamt ist speziell im Sommerhalbjahr, also jeweils von Mai bis Oktober, ein deutlicher Rückgang in der Auftrittshäufigkeit von starkniederschlagsrelevanten Zugbahnen zu erwarten. Von Dezember bis Februar ist dagegen mit einer Zunahme von Westwetterlagen zu rechnen, die in einigen Regionen zu vermehrten Starkniederschlägen führen können.

Aufgrund unserer Ergebnisse gehen wir davon aus, dass sowohl die Intensität als auch die Häufigkeit von starken Gebietsniederschlägen bis zum Jahr 2100 im Herbst und Winter um 5 bis 15 Prozent zunehmen wird. In den Sommern hingegen ist ein Rückgang von 10 bis 30 Prozent zu erwarten.

Die saisonale Zunahme der Niederschlagsmengen in den Herbst- und Wintermonaten kann vor allem auf die Zunahme der verfügbaren Feuchtigkeit der wärmeren Luftmassen zurückgeführt werden. Daneben spielen auch Änderungen in der Verweildauer und der Intensität der Tiefdruckgebiete eine Rolle. Der sommerliche Rückgang starker Gebietsniederschläge hängt mit der Verstärkung antizyklonaler Zirkulationsmuster und damit vorwiegend mit dynamischen Prozessen zusammen.

Unsere Prognosen basieren auf statistischen Methoden, die auf die Simulationsergebnisse der globalen Atmosphärenmodelle ECHAM5, ECHAM6 und IFS angewendet wurden. Diese Modelle stellen eine Teilkomponente der für den vierten und fünften Sachstandsbericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC 2007 und IPCC 2013) eingesetzten Klimamodelle ECHAM5/MPIOM, MPI-ESM und EC-EARTH dar.

UPD: Wer wird von dem, was laut WETRAX zu erwarten ist, denn nun besonders betroffen sein? Mit wieviel Gewissheit oder Wahrscheinlichkeit kann man das für Mitteleuropa denn genauer vorhersagen?

Jacobeit: Die deutliche Abnahme der großräumigen Starkniederschlagshäufigkeit und der Starkniederschlagsmengen im Sommer gilt für alle untersuchten Regionen im Untersuchungsgebiet. Die mäßige Zunahme im Winter und Frühling betrifft insbesondere die nördlicheren Gebiete. Die Klimamodelle weisen allerdings auch eine sehr hohe interne Variabilität nicht nur in der Prognose, sondern schon in der Gegenwart auf. Wirkungen, die ein verstärkter Klimawandel haben mag, werden u. U. erst in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts deutlich in Erscheinung treten. Änderungen, wie sie für die kommenden Dekaden projiziert werden, können u. U. weniger einheitlich sein und - je nach Modell - sogar gegenläufig sein.

UPD: Von der nicht bis ins Letzte voraussagbaren Zukunft nochmals zurück zu dem, was bereits war: Wie sind denn die katastrophalen Hochwasserereignisse der Jahre 2002 und 2013 einzuordnen?

Hofstätter: Die Hochwasserereignisse vom August 2002 und Mai/Juni 2013 wurden durch ausgeprägte Höhentiefs über Mitteleuropa ausgelöst, die jeweils in Verbindung mit starken Bodentiefs standen. Diese kamen 2002 aus Oberitalien, 2013 aus dem Balkan. Sie waren für den Sommer ungewöhnlich stark. Die zu den entsprechenden Zeitpunkten vorhandene hohe Bodenfeuchte und das 2002 hohe Temperaturniveau bzw. der 2013 enorm ausgeprägte Temperaturgegensatz über Mitteleuropa haben in der spät- bzw. frühsommerlichen Atmosphäre wesentlich zum enormen Ausmaß dieser Hochwasserereignisse beigetragen.

Obwohl die Wetterlagen, die hier herrschten, sehr speziell sind und in dieser Intensität nur selten auftreten, müssen wir - v. a. mit den schwer kalkulierbaren Folgen des Klimawandels im Hinterkopf - mit derartigen herausragenden und für die regional Betroffenen katastrophalen Wetterereignissen immer rechnen. Angesichts der Zunahme der Lufttemperatur und der Luftfeuchtigkeit in der Klimazukunft müssen wir - trotz der aufgezeigten Abnahmen moderater Extremereignisse im Sommer - auf u. U. sogar noch extremere Ereignisse gefasst sein, als auf solche, die wir aus 2002 oder 2013 kennen. Diese Aussage wird vor allem durch eine gesonderte Analyse von Vb-Zugbahnen gestützt. Bei solchen Vb-Ereignissen, die auch im Sommer eine Zunahme herausragender Extrema möglich machen, handelt es sich um Situationen, in denen ein feuchtigkeitsangereichertes Tiefdruckgebiet von Oberitalien um den Alpen-Ostrand in Richtung Baltikum zieht.

Um das Auftreten von außergewöhnlichen Starkniederschlagsereignissen, wie sie im Fall von Vb-Zugbahnen zu erwarten sind, besser verstehen und damit Veränderungen im Auftreten von derartigen Ereignissen besser abschätzen zu können, bedarf es über unsere WETRAX-Ergebnisse hinaus weiterer intensiver Forschungsarbeit.


Das nach dreijähriger Laufzeit inzwischen abgeschlossene deutsch-österreichische WETRAX-Projekt, an dem neben Wissenschaftlern der Abteilung für Klimaforschung der Wiener Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik sowie des Instituts für Geographie der Universität Augsburg auch Entscheidungsträger aus dem österreichischen und deutschen Hochwassermanagement mitwirkten, wurde vom österreichischen Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft sowie vom Bayerischen Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz, dem Bayerischen Landesamt für Umwelt und der Bundesanstalt für Gewässerkunde als Auftraggebern finanziert.

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Quelle:
UPD 140/15 - Pressemitteilung vom 17. September 2015
Hrsg.: Pressestelle der Universität Augsburg
Klaus P. Prem / Michael Hallermayer
Tel: 0821/598-2094
E-Mail: klaus.prem@presse.uni-augsburg.de
E-Mail: michael.hallermayer@presse.uni-augsburg.de
Internet: www.uni-augsburg.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. September 2015

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