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LAIRE/059: Evolutionsbiologie - Vergleichsstudie mit Schwächen (SB)


Mit Affen und Menschen ist es wie mit Birnen und Äpfeln

Eine Vergleichsstudie der Evolutionsbiologie weist die grundlegende Schwäche auf, daß der Experimentator das Ergebnis verändert


Verhaltensbiologen wollen in einer Vergleichsstudie von zweieinhalb Jahre alten Kindern mit Schimpansen und Orang-Utans im Alter von drei bis 21 Jahren festgestellt haben, daß die Affen handwerklich geschickter sind und besser rechnen können, aber daß die Menschenkinder mehr soziale Kompetenz besitzen. Ein schwerwiegender Mangel dieser Untersuchung besteht offenbar darin, daß sie nur von erwachsenen Menschen, nicht aber von erwachsenen Schimpansen oder Orang-Utans durchgeführt wurde ...

Selbstverständlich kennen wir keine Wissenschaftler im Affenreich. Das schließt zwar nicht aus, daß es auch unter Schimpansen und Orang-Utans Vertreter gibt, die in ihren jeweiligen Lebenszusammenhängen ähnliche Funktionen erfüllen wie Wissenschaftler in der Welt der Menschen, aber darauf soll es hier nicht ankommen. Ein entscheidender Mangel in der erwähnten Studie besteht augenscheinlich darin, daß Menschen etwas vorgemacht haben, was Affen und Menschen nachmachen sollten - da wundert es nicht, wenn die Menschenkinder besser imitieren können als die Affen. Womöglich würde umgekehrt ein Menschenkind im Dschungel eher zugrundegehen, als daß es einer Affenmutter nachmachen könnte, wie man mit einem Stöckchen Maden aus einem Baum klaubt.

Die Forscherin Esther Herrmann vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und ihre Mitarbeiter haben den tierischen und menschlichen Probanden 16 verschiedene Aufgaben gestellt, um das Verhalten der Spezies vergleichen zu können (siehe Science, Band 317, Seite 1360). So haben die Kinder die Forscherin dabei beobachtet, wie sie ein Spielzeug aus einer mit einem Deckel verschlossenen Röhre geholt hat, und es ihr nachgemacht. Die Affen hingegen haben auf die Röhre gebissen und versucht, sie zu zerstören, um an den Inhalt zu gelangen.

Auch wenn Affen relativ deutliche Reaktionen auf menschliches Verhalten zeigen - weswegen ja überhaupt mit ihnen Vergleichsstudien durchgeführt werden; wohingegen niemand auf die Idee käme, das Verhalten eines Leguans und eines Flußkrebses mit dem eines Kleinkinds zu vergleichen -, so gehören sie nun mal nicht zur selben Spezies. Affen können eine Vielzahl menschlicher Eigenschaften "nachäffen", aber eben auch nicht alle und vor allem nicht auf gleiche Weise wie Menschen.

Die Schlußfolgerung der Forscherin aus jenem Spielzeugversuch, den sie der Kategorie "soziale Fähigkeiten" zugeordnet hat, lautet, daß soziale Fähigkeiten wichtig sind, um mit anderen Menschen erfolgreich zusammenleben zu können. Mit dieser Aussage bestätigt die Forscherin die Bedenken hinsichtlich des methodischen Ansatzes. Denn wenn Menschen soziale Fähigkeiten benötigen, benötigen Affen soziale Fähigkeiten in ihrem Lebensumfeld, nicht aber in dem menschlichen. Warum sollten Affen menschliche soziale Kompetenz erlernen?

Die Forscher hatten verschiedene Tests mit 105 zweieinhalbjährigen Kindern (Homo sapiens) sowie 106 Schimpansen (Pan troglodytes) und 32 Orang-Utans (Pongo pygmaeus), die in Gefangenschaft in Uganda und Indonesien lebten, durchgeführt.

Es ist übrigens nicht unproblematisch, daß die Affen gewissermaßen domestiziert sind. Wenn es nicht so sperrig wäre, müßte man anstatt von "Schimpansen und Orang-Utans" stets von "an den Menschen gewöhnte Schimpansen und Orang-Utans" schreiben. Der Unterschied scheint nicht unbedeutend hinsichtlich der Implikationen der Studie, derzufolge Menschen dem Tier von Natur aus überlegen sind und sich weiterentwickelt haben (womit der Mensch unter anderem sein Recht begründet, Tiere töten zu dürfen).

Andere Ergebnisse der Leipziger Forscherin wundern ebenso wenig wie die des Imitationsversuchs. So wies die Wissenschaftlerin mit dem Finger auf einen Becher, unter dem ein Spielzeug versteckt war. Die Affen konnten mit der Geste nichts anfangen, die Kinder hingegen schon. Aber was bedeutet es, wenn die Affen einen gestreckten Finger nicht als Hinweis auf etwas deuten? Würde umgekehrt ein Menschenkind auf ein entsprechendes Verständigungssignal eines Affen im Urwald reagieren?

Typischerweise kamen die Schimpansen und Orang-Utans besser damit zurecht, mit Hilfe eines Stocks an weit entfernt liegendes Futter zu gelangen - Stöcker sind eher Bestandteil ihres Lebensumfelds als des der Kinder. Beim Hütchenspiel zeigten die Affen eine höhere Treffergenauigkeit, um an die leckere Rosine zu gelangen, als die Kinder. Überhaupt waren die Affen geschickter im Berechnen - zumindest wenn als Anreiz Rosinen eingesetzt wurden.

Das menschliche Gehirn ist dreimal größer als das des Schimpansen. Ist der Mensch dem Affen deshalb überlegen? Die Evolutionsbiologen würden das sicherlich bestätigen. Doch wie ist es zu verstehen, daß Affen offensichtlich in ihrem Lebensumfeld recht gut mit einem kleineren Gehirn zurechtkommen? Ist es von Vorteil, ein großes Gehirn zu haben, oder ist es nicht vielmehr Ausdruck einer Überhangs, einer Anpassung womöglich an ein verändertes Umfeld, die andere Arten gar nicht nötig haben? Wäre somit ein kleines Gehirn, mit dem das Überleben einer Spezies gesichert werden kann, nicht als viel effizienter zu bezeichnen als ein großes? Evolutionsgeschichtlich wären dann die Mikroorganismen die am höchsten entwickelte Spezies, denn sie gibt es seit mehreren Milliarden Jahren - auch ohne Gehirn.

Das menschliche Hirn und seine Funktionsweise wird gern mit Begriffen aus dem Bereich der Computertechnik beschrieben. Die Leistungsfähigkeit der Computer steigt jedoch mit ihrer Miniaturisierung. Noch gibt es keinen Quantencomputer, aber sollte er jemals entwickelt werden, zeichnete er sich durch seine Kleinheit aus. Um in diesem Bild zu bleiben, könnte sagen, daß das menschliche Gehirn mehr einem zimmergroßen Zuse-Rechner ähnelt als einem modernen PC. Vielleicht werden wegen dieses Umstands in der Wissenschaft noch immer Äpfel mit Birnen verglichen ... oder Menschen mit Affen.

10. September 2007